Götterdämmerung

Michael Boder
Chor der Dresdner Staatsoper
Sächsische Staatskapelle
Date/Location
31 August 2003
Semperoper Dresden
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Siegfried Alfons Eberz
Brünnhilde Gabriele Schnaut
Gunther Hans-Joachim Ketelsen
Gutrune Sabine Brohm
Alberich Hartmut Welker
Hagen Kurt Rydl
Waltraute Birgit Remmert
Woglinde Britta Stallmeister
Wellgunde Ursula Hesse von den Steinen
Floßhilde Katharina Peetz
1. Norn Katharina Peetz
2. Norn Ursula Hesse von den Steinen
3. Norn Camilla Nylund
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Reviews
Der Tagesspiegel

Ring der Spiegelungen

Aufrechter Gang zum letzten Mal mit hochgerecktem Schwert. Ein greiser Wotan, der die Splitter seines zerschlagenen Speers in Händen hält, zieht den schwarzen Vorhang zu. So setzt die Szene ihr Signal für den Trauermarsch, in dem Michael Boder mit der Sächsischen Staatskapelle die Herzen rühren kann: Wenn mit dem Siegfried-Thema das seiner geschwisterlichen Eltern, seiner eigenen Wanderjahre und seiner Heldentaten gewaltig verwoben wird. Dieser heroische Siegfried der Partitur Richard Wagners ist nicht schuld daran, dass Götter und Menschen ihn auf die Realität der Welt nicht vorbereitet haben, dass er keine Chance hatte und als Marionette der Hagen-Intrige zum Opfer fiel: So denkt der Hörer, wenn ihn das große instrumentale Intermezzo bewegt.

Wir sehen in der „Götterdämmerung“ als stumme Rolle einen altersschwachen Wotan, der das Abschiednehmen nicht missen kann. Regisseur Willy Decker lässt ihn noch in Brünnhildes Schlussgesang auftauchen, lässt ihn sein kühnes, herrliches Kind noch einmal umarmen, bis die Tochter ihn fortschickt: „Ruhe, ruhe, du Gott!“ Schließlich kehrt die Theatermetapher des Tetralogie-Beginns zurück, die geschwungenen Stuhlreihen mit Brünnhilde und Wotan in Zuschauerposition versinken – und Erda erscheint: So hat die Göttin, deren musikalisches Motiv eine Variante des einleitenden Naturmotivs ist, in derselben Besetzung mit Birgit Remmert das „Rheingold“ eröffnet. Willy Decker und sein Bühnenbildner Wolfgang Gussmann richten ihren Blick im „Ring des Nibelungen“ auf die Spiegelung der Ereignisse. Die Urmutter Erda, die im „Siegfried“ zerstört wird, ist wieder da: Erneut wird „das Weibliche“ exponiert, die Ur-Ruhe. Das Spiel könnte von vorn beginnen.

Sonnige Häppchen

Dem Endspiel wohnt an der Sächsischen Staatsoper Dresden nicht nur im Kunstwerk ein Neuanfang inne: Nach der ministeriellen Verabschiedung des Intendanten Christoph Albrecht führt sich auf einer Pressekonferenz der Münchner Gerd Uecker als neuer Intendant ein und verspricht für seine kommenden sechs Jahre, „die Breite der ästhetischen Handschriften“ auf dem Musiktheater anzubieten und dabei „wichtige“ Regisseure einzuladen. Strauss-Repertoire, Dresdner Bezüge, 20. Jahrhundert – man wird beobachten, ob aus dem Konzept Aufregendes entsteht. Die in Dresden vernachlässigte große italienische Oper will Uecker beleben.

Nach dieser Rede werden Häppchen gereicht, und über den schönen Theaterplatz strahlt abendlich die Sonne. Zurück in die Semperoper: Musikalisch erreicht die „Götterdämmerung“ nicht ganz, was „Siegfried“ vor den Sommerferien versprochen hat: die sächsische „Wunderharfe“. Vielleicht steckt dem Orchester gerade die Sommerpause noch in den Knochen. Und wenn Michael Boder mit den Musikern vor der dritten Szene des ersten Aufzugs sein Espressivo in leisen Tönen entfalten will, dann grummelt ihm die Bühnentechnik dazwischen. Die Musik kommt gänzlich zu sich selbst in Waltrautes Erzählung: „Höre mit Sinn, was ich Dir sage.“

Wegen plötzlicher Erkrankung hat Birgit Remmert Nachsicht erbitten lassen, um dann in der Andeutung, im Markieren die musikalischen Motive des Göttermythos so lebendig werden zu lassen, wie das in der Waltrauten-Szene gegen Ende des langen ersten Aktes selten so inspiriert gelingt: Indispositionen können gesegnet sein. Spiegelungen: Das Rheingold „am Beginn der Götterdämmerung“ weist der Regie den Weg. Drei Nornen entpuppen sich als Verwandte der drei Rheintöchter (hervorragend Britta Stallmeister, Ursula Hesse von den Steinen und Katharina Peetz).

Die Gibichungen könnten trivialisierte Götter sein, Decker inszeniert aber eher, dass Gunther und Gutrune als Geschwisterpaar eine Spiegelung von Siegmund und Sieglinde darstellen. Heruntergekommen allerdings, banalisiert. Hatte das verzweifelte Zwillingspaar in der „Walküre“ keine Zeit zu verlieren, so haben die Gibichungen, die „herrlich am Rhein“ in zwei Ledersesseln sitzen, derer zu viel: Ein Champagnerleben wird versäuselt, schwankende Gestalten, erotisch einander zugetan ohne die Unbedingtheit der Wälsungen. Hans-Joachim Ketelsen und Sabine Brohm aber können nicht vermitteln, dass im Werk ein gewisses Zwielicht das Gibichungenpaar davor bewahrt, langweilig zu sein. Da ihr Halbbruder Hagen in Gestalt des kurzatmig singenden Kurt Rydl die Aura des Nibelungensohnes vergessen lässt und zum schlappen Proll tendiert, befindet sich das Zentrum der „Götterdämmerung“ bald im spießigen Alltag.

Mythischer Zauber

Während im zweiten Aufzug zunächst musikalisch wie szenisch der Staatsoperchor dominiert, gerät das Terzett, in dem der Mord an Siegfried beschlossen wird, ins Abseits allen Interesses. Warum im zentralen Dialog der Handlung Brünnhildes Liebe in tödlichen Hass umschlägt, bleibt nicht zuletzt deshalb verborgen, weil Gabriele Schnaut unter dem Diktat ihrer Tongebung Textverständlichkeit verweigert . Es ist bemerkenswert, wie wenig Spannung im Sinn des Dramas die drei Protagonisten vermitteln, während sie wild aufeinander losbrüllen.

Mit Siegfrieds Abgesang (tapfer: Alfons Eberz) wendet sich das Blatt noch einmal zum Besseren, zumal Schnaut mit Brünnhildes Liebestod für sich einnimmt. Willy Deckers „Ring“ hat sich geschlossen und enthält viele Details intensiver Personenführung. In seiner Theatermetaphorik durchdringen sich Betrachten und Leben. Das kann anregend sein, aber auch erschöpfend. Oh kehre wieder, mythischer Zauber! So möchte man angesichts der Trenchcoats und Designerklamotten, Theaterstühle und Auditorien auf der Bühne seufzen. Und den braven Regisseuren des Musiktheaters empfehlen, zur Abwechslung ins Kino zu gehen und sich den „Herrn der Ringe“ anzusehen.

SYBILL MAHLKE | 02.09.2003

Die Welt

Ein besseres Bayreuth: “Götterdämmerung” in Dresden

Willkommen und Abschied! Noch bevor Siegfried von Brünnhilde nach sechzigjähriger, erzwungener “Ring”-Abstinenz in Wagners “Götterdämmerung” Abschied nahm, verabschiedete die Dresdner Semperoper ihren höchst erfolgreichen Intendanten Christoph Albrecht. Er übersiedelt nach München, zunächst an die Theaterakademie, später, als Nachfolger von Sir Peter Jonas, in die Intendanz der Bayerischen Staatsoper.

Gleichzeitig stellte sich, aus München zugereist, wo er bislang als Operndirektor der Staatsoper wirkte, Gerd Uecker als neuer Chef vor. Er versprach, künftig die grosse italienische Oper dem Haus zurückzugewinnen. Zweitens solle dem Musiktheater des 20. und 21.Jahrhunderts nach wie vor höchste Aufmersamkeit gelten. Als Drittes versprach Uecker, sich verstärkt um jene Werke zu kümmern, die den Glanz der Dresdner Oper seit eh und je ausgemacht hätten. Zudem werde der Pflege des Werkes von Richard Strauss die höchste Aufmerksamkeit zufallen. Die Staatskapelle solle zu einem für Dresden symbolträchtigen Ensemble hochgefahren, szenisch alle aktuellen ästhetischen Handschriften bildmächtig ausgestellt werden.

Letztgenanntes ging als Erbe der Aufbauarbeit Albrechts schon jetzt in Erfüllung. Michael Boder leitete die “Götterdämmerung” mit Sorgfalt und Frische, auf die natürlichste, gleichzeitig überredendste, nachklingendste Weise. Ein musikdramatischer Hochgenuss: weiterklingend, so geist- wie machtvoll.

Willy Deckers “Ring”-Inszenierung war mit der Hochwasserkatastrophe buchstäblich ins Schwimmen gekommen. Jetzt aber fand sie von Anfang immer erneut zu überraschender Grösse. Wolfgang Gussmanns Bühnenbild und die in Zusammenarbeit mit Frauke Schernau entworfenen Kostüme schufen den zwingenden Rahmen.

Alfons Eberz ist ein Siegfried, wie ihn das vergangene Halbjahrhundert noch niemals hörte und sah: ein Stimmrecke von unerschöpflicher Singkraft, frisch und gut aufgelegt, ein junger Mann voller Neugier und Wagemut. Das Ideal eines Heldentenors: nämlich Held und Tenor immer zugleich; eine Verbindung, die sich sonst selten nur einstellt. Um ihn geschart: Vorzüglichkeit. Gabriele Schnaut fällt es zu, den Schlussmonolog der Brünnhilde beinahe konzertant, an der Rampe in leuchtendem Rot hoch aufgerichtet, vortragen zu müssen. Ein Brünnhilden-Denkmal, das mit Überlegenheit singt. Kurt Rydl wälzt sich monumental durch die Hagen-Partie, auch er ein Held, wenn auch in stimmschwarzer Tinte. Ihm ebenbürtig Hans-Joachim Ketelsen als Gunther. Birgit Remmert, vom Pech der Krankheit geschlagen, flüstert die Botschaften der Waltraute über dem von Boder hilfreich gedämpften Orchester. Sabine Brohm, nimmt sich zuverlässig der Gutrune an. Hartmut Welker ist Albrich. Nornen und Rheintöchter singen delikat. Der Chor versteht wundervoll aufzutrumpfen. Eine Aufführung der Superlative. Dresden – ein besseres Bayreuth.

Klaus Geitel | 03.09.2003

klassik.com

Sitzend versenkt

Nun ist es also vollbracht – der erste komplette ‚Ring’ nach gut 60 Jahren an traditionsreicher Stätte, der Semperoper Dresden. Damit vollendete Neu-Intendant Gerd Uecker was sein Vorgänger Christoph Albrecht vor zwei Jahren begonnen hatte. Letzterer wurde direkt vor der Premiere offiziell aus Dresden nach München verabschiedet, wo er jetzt die Leitung der Theaterakademie und später auch die Intendanz der Bayrischen Staatsoper übernehmen wird. Uecker kündigte dann auch gleich seine programmatischen Schwerpunkte der nächsten Jahre an; Richard Strauss-Festwochen wird es geben, die bisher unterrepräsentierte italienische Oper erfährt größere Förderung, Werke aus der Hand von Künstlern, die ein besonderes Verhältnis zu Dresen haben sollen ebenso vermehrt aufgeführt werden, wie musiktheatralische Beiträge des 20. Jahrhunderts. In Punkto Regiearbeit ist es Ueckers Ziel, die ästhetischen Handschriften des Musiktheaters der Gegenwart an seinem Haus widergespiegelt zu finden. Großes also hat er vor in Zeiten, in denen auch die Semperoper mit Besucherschwund zu kämpfen hat. Die Vollendung Richard Wagners ‚Ring des Nibelungen’ in der Gesamtregie von Willy Decker ist für das Haus ein wichtiger Schritt zu größerem internationalem Renommee. Auch wenn – das gleich vorneweg – nicht alles an diesem Abend internationalen Ansprüchen genügte. Decker bleibt seinem Konzept treu, den Vierteiler als großes Welttheater szenisch umzusetzen. Dabei trifft der Premierengast auf Altbekanntes. Sitzmöbel in allen erdenklichen Formationen und Formen teilen die Bühne in zwei Abschnitte, die entweder der Beobachtung der Szenen, also als Zuschauerraum, dienen oder eine Bühne auf der Bühne sind. Decker fügt seiner Theateridee jedoch nichts Neues hinzu. Vom klassizistischen Theaterbau ‚Wallhall’ aus dem ‚Rheingold’ blieb noch die äußere Form als Umrahmung der Halle Gunters übrig. Stuhlreihen, ebenfalls aus den vorherigen Inszenierungen bekannt, tauchen hier und da wieder auf und bekommen am Ende ihre besondere Bedeutung, wenn die Götter die Weltbühne gegen den Zuschauerraum haben tauschen müssen und dieser versenkt wird. Ein gleichermaßen plakatives wie wirkungsvolles Bild. Doch eben an diesen ist Deckers Interpretation recht arm – starke, bewegende Bilder und Figuren gibt es nur wenige. Die in ihrer Umsetzung nazistisch anmutenden dritte und vierte Szene des zweiten Aktes gehören zu den optischen und sangestechnisch gelungensten des Abends. Dazwischen findet sich vor allem viel Leerlauf, in dem einmal mehr das ‚Theater’ in der Oper viel zu kurz kam. Die schauspielerischen Ausdrucksmittel der Figuren sind auf wenige, äußerst plakative Gesten beschränkt – was täte ein Regisseur eigentlich, gäbe es die äußere Umrahmung der Bühne nicht, um Schmerz und Verzweiflung ausdrücken zu lassen? So stellt die Inszenierung an die Besucher keine großen Ansprüche, die Aussagen Deckers sind ebenso schnell verstanden wie vorhergesehen; man kann sich also auf die Musik konzentrieren. Hier hat das traditionsreiche sächsische Haus wie gewohnt hochkarätiges zu bieten, zumindest auf dem Papier. Da ist zuerst die Staatkapelle Dresden, deren Klang vollkommen zu Recht über die Landesgrenzen hinaus legendär ist. Doch steht mit Michael Boder ein musikalischer Leiter am Pult, dem die Partitur dieser Wagneroper eindeutig eine Nummer zu komplex scheint. Boder beschränkt sich darauf, das Orchester und die Sänger durch das Werk hindurch zu winken, das Ensemble irgendwie zusammen zu halten, was sich in Bezug auf die Staatskapelle als ausgesprochen schwierig erweisen sollte. Vor allem im ersten und dritten Akt waren die intonatorischen Probleme des tiefen Blechs ebenso augenscheinlich, wie die Mängel im Zusammenspiel – kaum ein Bläserakkord der von allen Beteiligten gleichzeitig begonnen wurde; Konzentrationsmängel, die es schnellstmöglich abzustellen gilt, auch wenn Boders permanentes Vorrausschlagen für manches Problem sicher verantwortlich zeichnet. Schwerwiegender ist jedoch, dass er jedes Gefühl für Proportion und Form missen lässt. Selten ist wohl eine ‚Götterdämmerung’ mit so wenig Sinn für emotionale Tiefe und Tempoempfinden dargeboten worden. Die motivische Arbeit Wagners wird so nur oberflächlich deutlich, wirkt wie ein Flickenteppich, dessen Teile schlecht miteinander vernäht sind. Auch dynamisch bleiben viele Wünsche offen – so ist der Schlussakkord alles andere als Piano, geraten die Fortestellen im Blech schrill und schroff und lassen dabei vor allem Volumen und Tiefe missen. Hinzu kommt, dass wichtige Streicherfiguren viel zu oft von Unwichtigem überdeckt werden und eine Stimmenausgewogenheit, vor allem im Holz, selten erreicht wird. Dies alles sind jedoch unverzichtbare Notwendigkeiten, um Wagners Musik, die zweifelsfrei voll von Effekten ist, ausdrucksvoll, facettenreich und vor allem unprätentiös umzusetzen. Dass das geht, haben in jüngster Zeit bspw. Lothar Zagrosek in Stuttgart und natürlich auch Daniel Barenboim in Berlin bewiesen. Die Sänger des Abends hinterließen ebenfalls einen durchwachsenen Gesamteindruck. Gabriele Schnaut, eine der erfahrendsten und gefragtesten Wagnersängerinnen der letzten Jahre, besticht vor allem durch ihr großes Stimmvolumen und ihre enorme Bühnenpräsenz. Anders als ihre Rollenvorgängerin an gleicher Stelle, Debora Polaski, verfügt Schnaut über ein wohliges Timbre, das sie auch gekonnt einsetzt. Leider quält sie sich mit manchem Spitzenton an diesem Abend vergebens. Und ihr mangelhaftes Textverständnis hinterlässt ebenfalls einen unangenehmen Beigeschmack. Dass sie beides besser kann, hat Schnaut schon zu Genüge bewiesen. Ihr zur Seite steht mit Alfons Eberz ein ebenso unbekannter wie talentierter Siegfried, der die anspruchsvolle Partie mit Bravour meistert, allen Schwierigkeiten gewachsen scheint und nur gegen Ende des dritten Aktes mit ein paar kleinen technischen Problemen zu kämpfen hat, die wohl seiner Rollenunerfahrenheit geschuldet sind. Vor allem Eberz Fähigkeit, deutlich zu artikulieren und mit dem Text zu arbeiten, weiß zu überzeugen. Kurt Rydl liefert einen gewohnt soliden Hagen, den man sich manches mal facettenreicher, farbiger und weniger vibratobelastet in den hohen Lagen gewünscht hätte. Trotzdem überzeugt Rydl in dieser Rolle einmal mehr. Was leider für Hans-Joachim Ketelsen als Gunther und Sabine Brohm als Gutrune nur bedingt gelten kann. Beide sind stimmlich in der Lage, ihre Rollen auszufüllen, doch bleiben die Figuren blass und charakterlos, was nur zu einem kleinen Teil der Regie angelastet werden kann. Hier fehlt die eigene Note der Künstler, die ihre Partien unverwechselbar macht. Positive Überraschungen des Abends sind die bestens vorbereiteten Rheintöchter und Nornen (Katharina Peetz, Ursula Hesse von den Steinen, Camilla Nylund und Britta Stallmeister) ebenso, wie die ausgezeichneten Damen und Herren des von Matthias Brauer geleiteten Staatsopernchores. So bleibt ein zwiespältiger Eindruck des ersten Dresdner Nachkriegs-‚Rings’ zurück. Willy Decker hat seine zentrale Idee konsequent durch alle vier Teile der Tetralogie durchgehalten, es jedoch versäumt, die vielen guten Deutungsansätze auszubauen, bzw. schärfer zu kontrastieren. Bühnenbild und Kostüme (Wolfgang Gussmann und Frauke Schernau) liefern ein ums andere mal beeindruckende Bilder, die manch konzeptionellen Mangel der Regie auszugleichen vermögen. Die Hochwasserflut schwemmte Semyon Bychkov nach ‚Rheingold’ und ‚Walküre’ vom Pult der Staatskapelle Dresden und brachte mit Michael Boder keinen lohnenden Ersatz – nicht von ungefähr bekam er die einzigen ‚Buhs’ des Abends vom sonst restlos begeisterten Dresdner Publikum. Dafür hat mit Alfons Eberz ein neuer, schon jetzt Bayreuth-tauglicher Siegfried die große Opernbühne betreten, dem noch einiges zuzutrauen ist. Mit diesem ‚Ring’ ist die Dresdner Semperoper sicher noch nicht in die erste Reihe der europäischen Musiktheater vorgestoßen, hat jedoch einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung gemacht und eine bedeutende Repertoirelücke geschlossen. Bleibt zu hoffen, dass die Dresdner dies durch zahlreiche Besuche zu würdigen wissen.

Frank Bayer | Semperoper, 31.08.2003

Mitteldeutsche Zeitung

Wotan verschwindet einfach im Parkett

Feuer und Wasser mögen der Semperoper künftig erspart bleiben, beschwor Christoph Albrecht die Theater-Götter bei seiner Verabschiedung als Intendant des Hauses. Da hatte es schon einen gewissen, wenngleich eher zufälligen und spielerischen Symbolwert, dass Richard Wagners bedenkliche Geschichte vom “Ring des Nibelungen” dort nur Stunden später in die finale Katastrophe der “Götterdämmerung” mündete.

Oktober 1943, also vor fast 60 Jahren, erlebte das monumentale Gesamtkunstwerk seine letzte szenische Aufführung in Dresden, ehe auch der alte Semperbau im Feuersturm unterging. Und dann drohte die längst fällige Neuinszenierung, Albrechts ehrgeizigstes Projekt während seiner zwölfjährigen Amtszeit, angesichts der verheerenden Flut vom August 2002 buchstäblich ins Wasser zu fallen.

Nun indes hat sich der “Ring” gerundet – mit Verzögerung zwar und bis zum bitteren Ende, aber nicht ohne Furor. Regisseur Willy Decker, der am “Dritten Tag” des Bühnenfestspiels eine “Apokalypse” des männlich dominierten Gewaltpotenzials erkennen mag, hat sich dabei nicht an Wagners penible Szenario-Anweisung gehalten. In der eisig-kargen Gibichungenhalle lässt er die mit viel Sympathie bedachte, arglose Getrune (Sabine Brohm) auch noch den finsteren Hagen töten (Kurt Rydl mit furiosem Bassgewicht), als der sich des verfluchten Goldreifs bemächtigen will. Und dann, nach Siegfrieds Tod, erscheint selbst der nun vergreiste Wotan-Wanderer ein letztes Mal, um als stummer Zeuge (und Auslöser) des katastrophalen End-Spiels den Vorhang schließen, bevor er erneut seinen Beobachterplatz im gespiegelten Opern-Parkett hinter dem Geschehen findet.

Brünnhilde (Gabriele Schnaut hoch motiviert, aber als erblondete Walküre nicht eben attraktiv und stimmlich bisweilen recht schrill) wird ihrem gespenstischen Vater dorthin folgen. Ein Blickkontakt noch – Zukunfts-Hoffnung oder alles von vorn? Bekanntlich hatten sich Willy Decker sowie seine Ausstatter ja von Anfang an auf die Bild-Idee einer “Theatersituation” geeinigt, in der die “Ring”-Figuren im ständigen Wechsel zugleich Handelnde und Zuschauer sind. Dass sie sich dennoch nicht zwischen all ihren Stühle diverser Art gesetzt haben, zeigte die Fortschreibung des szenischen Aufrisses. Entgegen anfänglichen Befürchtungen, jene Platzanweisung werde als einmal gefundene Raumordnung bestenfalls zum Vehikel für den Welt-Theater-Mythos, konnte das metaphorische Konzept dieser mit dem Teatro Real Madrid koproduzierten Nibelungensaga mehr und mehr überzeugen.

Was die bei ebenso sensibler wie transparenter Personenführung überaus spannend arrangierte und von Michael Boder am Dirigentenpult der Dresdner Staatskapelle mit vielfarbiger Dynamik musizierte “Götterdämmerung” bestätigt hat, ist eine zeitgemäß-moderne, aber keineswegs modische Wagner-Inszenierung – jenseits des häufigen visuellen Schnickschnacks aus politischer oder gar ideologischer Indoktrination.

Das gesamte Solisten-Ensemble, die vitalen Chöre eingeschlossen, nimmt daran entscheidenden Anteil, wobei der quirlige, in seiner Naivität manipulierbare Siegfried von Alfons Eberz, neben dem Widersacher Hagen, mit glänzender tenoraler Strahlkraft deutlich herausragt. Dresden ruft Wagner: “Weißt du, wie das wird?”

Matthias Frede | 04.09.03

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Media Type/Label
Technical Specifications
192 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 360 MByte (MP3)
Remarks
In-house recording
A production by Willy Decker (premiere)