Götterdämmerung

Wolfgang Bozic
Chor und Extrachor der Staatsoper Hannover
Niedersächsisches Staatsorchester Hannover
Date/Location
12 June 2011
Staatsoper Hannover
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Siegfried Robert Künzli
Brünnhilde Brigitte Hahn
Gunther Brian Davis
Gutrune Kelly God
Alberich Frank Schneiders
Hagen Albert Pesendorfer
Waltraute Monika Walerowicz
Woglinde Carmen Fuggiss
Wellgunde Mareike Morr
Floßhilde Julie-Marie Sundal
1. Norn Julie-Marie Sundal
2. Norn Mareike Morr
3. Norn Dorothea Maria Marx
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Erdadämmerung

„Da muß sich manches Rätsel lösen. Doch manches Rätsel knüpft sich auch.“ – Was für die Walpurgisnacht in Goethes Faust I steht, gilt auch für Wagners Götterdämmerung, für Text und Musik und insbesondere auch für eine Inszenierung, die gern jeden möglichen Hexentanz mitnimmt.

In Hannover hat sich der Ring nun geschlossen. Der letzte Tag des Monumentalwerkes wurde allerdings nicht mehr mit ganz so großer Spannung erwartet, denn Regisseur Barrie Kosky, Bühnenbildner Klaus Grünberg und Kostümbildner Klaus Bruns haben ihr Konzept für Hannover – eins zu eins – schon zuvor im Essener Aaltotheater auf die Bühne gestellt, nicht als Co-Produktion, sondern als eigenständige Arbeit in einem Ring, der von vier Regisseuren unabhängig in Szene gesetzt werden sollte. Das spricht zuerst einmal nicht gegen die Inszenierung, hat aber schon ein gewisses „Gschmäckle“, besonders für das Essener Publikum, das die zahlreichen Bezüge auf die drei vorangegangenen hannoverschen Ring-Abende gar nicht verstehen konnte.

Als Vorspiel vor dem Vorspiel schiebt die alte, nackte, zerbrechliche Erda einen großen Pappkarton (kein Kosky ohne Kisten…) auf die Bühne und stellt ihren drei Nornen-Töchtern Stühle vor den Vorhang. Deren Gesang, der die Geschichte rekapituliert, wird durch einen gewollt witzigen, computeranimierten Film bebildert, aus dem wir erfahren, dass Wotans Raben Menschengesichter haben, die Weltesche in Wahrheit ein Brokkolistrunk ist, Walhall eine Sandburg, dass Wotan wohl zwischenzeitlich in die Filmproduktion eingestiegen ist und „Walhall-Pictures“ gegründet hat und dergleichen mehr. Sehr bewegend bleibt der Moment in Erinnerung, in dem sich die Nornen, die ihr Seil bzw. Filmband selbst zerrissen haben, zärtlich an ihre unbeteiligt wirkende Mutter schmiegen, die derweil auf dem Souffleurkasten Platz genommen hatte und gleich höchstselbst den Vorhang heben wird. Siegfried und Brünnhilde sind in ihrem schrecklich scheußlichen Wohnzimmer – das in den wohlbekannten Kasten eingebaut ist – mit neckischen (Sex-)Spielchen bei laufendem Fernseher beschäftigt. Den abreisenden Gatten stattet Brünnhilde mit seinem Schwert und ihrem Motorradhelm aus.

In einem engen, aber hohen Salon mit vier bullaugenbewehrten Türen im Halbkreis und einem überdimensionalen Kronleuchter empfangen die Gibichungen Siegfried, nicht ohne dass sich Gunther und Gutrune laut und albern lachend vorher ein Tür auf-Tür zu-Spielchen geliefert hätten, das an störender Albernheit kaum zu übertreffen ist. Die Szene, die nun folgt, vereint Slapstick und Boulevardtheater, Überzogenes und Überdeutliches – erreicht dabei aber nie das Niveau einer guten Parodie. Das scheint aber auch nicht gewollt zu sein. Siegfried benimmt sich schlecht im edlen Hause, zieht seine stinkenden Schuhe aus, nimmt Gutrune erst auf dem Salontisch, dann darunter. Gunther und sich verletzt er im Gesicht, die Blutsbrüderschaft besiegeln sie durch einen blutigen Kuss. Hagens Wacht auf inzwischen aufgeräumter, fast leerer Bühne gehört dann wieder zu den eindringlichen Momenten. Da stört nichts die Musik – bis auf Erda, die mal wieder einen Karton über die Bühne schiebt.

Im nächsten Bild erscheint Brünnhildes Wohnzimmerkasten ohne die schwarze Verblendung und so wird die ganze Bühnenmaschinerie sichtbar. Waltraute tritt blutverschmiert auf und versucht gleichermaßen vergeblich, sich das Blut abzuwaschen und Brünnhilde zur Rückgabe des Rings zu bewegen. Während man später Siegfried hinten die Treppe hochsteigen sieht, erscheint doch Gunther bei Brünnhilde und dieser Teil der Siegfried-Partie wird auch vom Sänger des Gunther gesungen. Das macht die Illusion der Tarnkappenverwandlung perfekt, führt aber Brünnhildes Bemerkung aus dem zweiten Akt („Ein einz’ger Blick seines blitzenden Auges, das selbst durch die Lügengestalt leuchtend strahlte zu mir…“) ad absurdum. Gunther zwingt Brünnhilde ins Brautkleid, stopft sie dann in einen Karton und verklebt ihn fein säuberlich.

Hagen erwartet die Zurückkommenden vor einer schwarzen, schreibtischähnlichen Kiste, die von einer großen Industrielampe beleuchtet wird. Die Stromkabel, die sie speisen, würden dem Schicksalsseil alle Ehre machen. Alberich, als überzeichnete Karikatur eines orthodoxen Juden dargestellt, kriecht in einem Pappkarton über die Bühne, beschwört Hagen, entkleidet sich (entledigt sich der „Verkleidung“ wie schon im Rheingold) und kuschelt sich Trost suchend an seinen Sohn, der nach seinem Abtritt die Kippa und die Nase(-nprothese) seines Vaters verbrennt. Ach ja, zwischendurch schleicht wieder einmal die nackte Erda über die Bühne, aber das ist als Selbstverständlichkeit schon fast nicht mehr erwähnenswert. Siegfried entsteigt der Schreibtischkiste, die Mannen einer bühnenhohen, halb bühnenbreiten Holzkiste. Gunther packt stolz sein Hochzeitsgeschenk aus: Brünnhilde aus dem Karton. Außer Brünnhilde und Gutrune (im gleichen Hochzeitskleid) gibt es keine Frauen bei den Gibichungen. Der komplette Frauenchor wurde gestrichen. Das erklärt vielleicht die vor Testosteron strotzende brutale Energie der Mannen, die als Neonazis und Hooligans kaum zu bändigen sind und Brünnhilde auf erniedrigende Weise demütigen und später dann auch schänden.

Die Verschwörungsszene gehört zu den dichtesten Momenten der Inszenierung. Hier beweist der Regisseur seine Kunst, Personen zu führen und spannend Beziehungen und Bezüge zu beleuchten, ohne großes Brimborium drumherum. Ein Moment allerdings sei erwähnt, weil er symptomatisch ist: Wenn Brünnhilde Gunther mit den Worten „Tief wohl sank das teure Geschlecht, das solche Zagen gezeugt!“ beleidigt, haben diese Worte soviel zerschmetternde Kraft, dass sie nicht noch durch eine Ohrfeige betont werden müssen. Das holt diesen Moment auf eine flache Ebene und unterminiert die viel tiefere Ausdruckskraft, die Text und Musik hier haben. Zum Schluss des Bildes schwenken die Hooligans weiße Fahnen, die Brautpaare setzen sich wie zu einem Hochzeitsbild mit ihnen in die große Kiste, die von Hagen zugeschlagen wird. Klappe zu, Affe tot? Mitnichten. Im dritten Akt geht’s erst richtig los.

Das erste Bild des dritten Aktes vereinigt Bilder und Personen aus der Ring-Geschichte und Assoziationen zur gesamten Handlung. Es ist voll gestopft mit Aktionen und Beziehungshinweisen und verbindet das alles mit Elementen des absurden Theaters. Bedeutungsvolles Auf- und Abfahren des weißen Bühnenbodens sowie Senken und Heben der Decke halten die Theatertechnik in Atem. Das Gespräch Siegfrieds mit den Rheintöchtern gerät dabei völlig in den Hintergrund. Warum die Rheintöchter das Rheingold (die goldene Frau aus dem Vorabend) in einem Karton herein schieben, erklärt sich nicht wirklich. Oder ist es eine andere? Ein Ersatz? Aus dem Karton steigen auch zwei blutüberströmte Soldaten mit Pickelhaube, eine Frau mit Bärenkopf (aus dem 1. Siegfried-Akt?), Siegfried wieder als Supermann, ein orthodoxer Jude (Alberich? – der hatte doch aber gerade sein Judentum „ausgezogen“), ein Germane (Wotan?), eine vierte, verdreckte, zerrissene Rheintochter, ein kleiner Supermann…. Zwischendurch tanzen alle, klatschen lachend ab, fallen immer wieder gemeinsam zu Boden, der Jude besteigt den Germanen von hinten – “make love not war”? (Eine weitere umgangssprachliche Variante dieses Bildes ist politisch so unkorrekt, dass ich sie nicht weiter ausführen möchte).

Zur zweiten Szene des ersten Bildes werden alle Protagonisten mit dem Bühnenboden hochgefahren. Ach so, ist Erda zwischenzeitlich mal wieder über die Bühne geschlurft? Im Zweifelsfalle ja. Der Jude sitzt unter einem Tisch, der Germane liegt daneben und hat seinen Kopf in seinen Schoß gelegt. Mime taucht in Sieglindes Kleid mit Nudelholz auf, der Waldvogel ist zu einer dicken Frau im weißen Kleid mutiert (in Essen war es pink – eine der wenigen Varianten). Siegfrieds Erzählung wird entsprechend bebildert. Hagen meuchelt Siegfried bestialisch und verpackt ihn – in einen Karton. Am Schluss wird es noch einmal spannend und logisch. Alle Ring-Träger müssen sterben: Das verdeutlicht Kosky auf bezwingende und geniale Weise: Gunther nimmt dem toten Siegfried den Ring ab, Gutrune nimmt ihn von Gunthers Finger, nachdem Hagen ihn getötet hat. Gutrune wird ebenfalls von Hagen erstochen. Von ihr nimmt Brünnhilde den Ring an sich, um ihn später Erda zu geben. Von solchen Ideen wünscht man sich mehr! „Wie Sonne lauter strahlt mir sein Licht“ singt Brünnhilde – nun im schwarz gewordenen Brautkleid – zu Erda, ihrer Mutter, die sie zärtlich zu trösten versucht. Dann werden noch einmal alle Darsteller auf die Bühne gefahren, um gleich im Zeitlupentempo abzugehen. Die Technik der Hinter- und Seitenbühnen wird sichtbar, bis das Licht ausgeschaltet wird. Zerbrechlich, verletzt, ausgemergelt, müde, dabei resigniert wirkend, verglüht Erda, die alte Mutter Erde, im strahlend hellen Licht vor einer dunklen Bühne. Was hat man ihr angetan! Ein ganz starkes Bild zum schlimmen Schluss.

Barrie Kosky vereint in seiner Inszenierung Überdeutliches und Peinliches, Gewolltes und Undurchsichtiges, Provokatives und Lächerliches – aber eben auch sehr intensive Personenregie, berührende Momente und zutiefst bewegende Augenblicke. Mit offenen Umbauten erreicht er Realitätsbezogenheit und Illusionslosigkeit. Indem er die Person der Erda hervorhebt und ihr optisch die zentrale Rolle im Ring zuweist, beleuchtet er einen ökologischen und politischen Aspekt des Rings, der diese Aufmerksamkeit unbedingt verdient. Das Einbringen des Judentums, auch als Hinweis auf Wagners Antisemitismus, erscheint dagegen nicht als zwingende Notwendigkeit. Auch die Kartons und Kisten laufen sich als optische Leitmotive schnell tot. Immer, wenn einer glaubt, dass ihm etwas/jemand gehört, kommt es in einen Karton, der mit Paketband zugeklebt wird.

Viele versuchte Provokationen laufen ins Leere – in Hannover ist man seit Bieto einiges gewohnt – oder sind einfach nur öde. Warum müssen Reaktionen und Gefühle immer wieder überzeichnet, noch deutlicher als deutlich gemacht werden? Müssen die subtilen, feineren Mittel der Sanges- und Schauspielkunst vor dem Platten und Überzeichneten weichen, damit auch ja jeder es versteht und gut unterhalten wird? Das wird man bei Film und Fernsehen sicher besser. Das Theater kann mit seinen Mitteln andere, tiefer gehende Schwerpunkte setzen.

Robert Künzli ist auch in der Götterdämmerung ein sehr eindrucksvoller, mit Stimm- und Strahlkraft aufwartender Siegfried, wenn auch insgesamt nicht ganz so begeisternd wie im zweiten Tag der Tetralogie. Brigitte Hahn hat die Brünnhilde genau studiert, singt sie akkurat und stimmtechnisch ausgefeilt, doch für diese Partie fehlen der Stimme Glanz und Durchschlagskraft. So bleibt ihre Brünnhilde trotz intensiven schauspielerischen Einsatzes gesanglich blass und uncharismatisch. Kelly God wertet die undankbare Rolle der Gutrune mit wunderschönem Sopran und Bühnenpräsenz auf. Den Alberich gestaltet Frank Schneiders mit dämonischen, aber kultivierten Tönen, Brian Davis ist auch stimmlich ein nobler Gunther. Monika Walerowicz singt eine ausdrucksstarke, wenn auch in der Tiefe nicht besonders stimmschöne Waltraute. Die eindrucksvollste sängerische Leistung des Abends zeigt Albert Pesendorfer, der dem Hagen mit gewaltigen Basstönen in diversen düsteren Klangfarben Charakter und Profil verleiht. In Vollendung harmonisch klingen sowohl die Nornen, als auch die Rheintöchter. Den Herren- und Extrachor hat Dan Ratiu bestens auf seine Aufgabe vorbereitet.

Wolfgang Bozic gibt in seiner letzten Premiere als Hannovers GMD alles und überzeugt mit einem bezwingenden, leidenschaftlichen und sehr dynamischen Dirigat, dem das Staatsorchester fast unfallfrei folgt. Immer wieder gestaltet Bozic Momente von größter, atemberaubender Intensität und malt Klangfarben, deren adäquate Umsetzung man auf der Bühne oft vermisst. Zu einem der schönsten Bilder dieser Produktion wird denn auch Siegfrieds Rheinfahrt – die bei spektakulär geschlossenem Vorhang gespielt wird.

FAZIT
Musikalisch eindrucksvoll, szenisch mit einigen ganz starken und vielen wenig überzeugenden Lösungen hat sich der Ring in Hannover geschlossen. Warten wir auf den nächsten.

Bernd Stopka | Premiere am 12. Juni 2011

operapoint.com

Die wohlbekannte Nacktdarstellerin Erda schiebt einen großen Umzugskarton umher. Die Nornen spinnen einen Zelluloidstreifen, wohl den Weltfilm. Dazu sieht man einen Comic-Film, der zeigt, daß die Weltesche eigentlich ein Broccoli war. Brünnhilde und Siegfried in Unterwäsche genießen ihre Flitterwochen unter einem Bettlaken in einem 70er Jahre Wohnzimmer, das mit Waschbecken und Fernseher gemütlich eingerichtet ist. Die Gibichungenhalle erinnert an ein Bordell. Nach dem Vergessens-/Liebestrank fällt Siegfried gleich über Gutrune her. Zur Blutsbrüderschaft haut Siegfried sich und Gunther das Schwert Nothung ins Gesicht. Die Tarnkappe zeigt ganze Wirkung: Es ist Gunther, der Brünnhilde in Erdas Kiste versenkt und sie nach Worms transportiert. Beim Empfang in Worms werden die Reisenden von einer Schar wüstester Hooligans unter Hagens Kommando begrüßt. Hagen trägt zur Abwechslung statt eines Schwertes hier mal ein Seitengewehr. Auf seinem Jagdausflug gerät Siegfried an die Rheintöchter, die die bekannte Kiste zwischen einer Kinobestuhlung (das Welttheater?) umher schieben. Zu Siegfrieds Tod läuft dessen Leben noch mal als Bühnendarstellung ab. Klein-Siegfried als Klein-Superman trifft einen alten Weggefährten, den Bären, der sich auf offener Szene zum Oralsex mit einem gefallenen Helden einläßt. Alberich gar macht sich über das ihm entgegen gestreckte Hinterteil des Hund spielenden Wotans her. Siegfried landet in der Kiste und wird zur ihn ängstlich erwartenden Gutrune gebracht. Auf dem Souffleurkasten sitzt völlig vereinsamt im grellen Scheinwerferlicht – immer noch splitterpudelfasernackt – Erda und hält den RING zu den letzten Takten der Götterdämmerung in die Höhe. Jemand knipst das Licht aus.

Sänger und Orchester

Wolfgang Bozic ist nun endgültig im Olymp der Wagner-Dirigenten angekommen – allerdings mal wieder ohne seine Bläser. An erster Stelle der insgesamt hervorragenden Sängerriege muß heute Albert Pesendorfer als Hagen genannt werden. Eine Weltklasseleistung mit imponierender Erscheinung, finsterstem Charakter und donnerndem Baß: ein Augen- und Ohrenschmaus! Ganz großartig auch unser Held Robert Künzli (Siegfried). Dieser hat sich in einer Art und Weise als Wagnerianischer Heldentenor profiliert, die auch ihm einen Platz im Olymp der Wagner-Sänger sichert. Womit wir bei Kelly God (Gutrune), die mit ebensolcher Stimmgewalt wirkte, angelangt wären. Fabelhaft Brigitte Hahn (Brünnhilde), auch wenn sie am Ende des dritten Akts ein bißchen zu schreien anfing, eine Versuchung, der wohl die meisten Brünnhilden gegen Ende der Vorstellung, wenn vielleicht auch die Kondition etwas nachläßt, erliegen. Frank Schneider (Alberich) und besonders auch Brian Davis (Gunther) blieben ein wenig farblos, sowohl darstellerisch wie auch stimmlich, wobei Gunther natürlich die vielleicht undankbarste Partie hat. Nicht so eine strahlend aufsingende Monika Walerowicz (Waltraute). Staatsopernmäßig adäquate Leistungen des restlichen Sängerteams in den kleineren Rollen.

Fazit

Im November 2009 begonnen, schließt sich nun der RING DES NIBELUNGEN in Hannover mit der Götterdämmerung. Richard Wagner und Barrie Kosky passen nicht zusammen, was die Hälfte des Publikums mit einem Buh-Orkan bestätigte.

Rüdiger Ehlert | 5. Juli 2011

Hannoversche Allgemeine

An der Staatsoper Hannover darf Siegfried auch Supermann sein

Deckel drauf: Barrie Kosky und Wolfgang Bozic schließen ihren hannoverschen „Ring“ mit einer umstrittenen „Götterdämmerung“. An der Staatsoper Hannover darf Siegfried auch Supermann sein.

Es ist der Anfang vom Ende: Vielleicht ist die Szene deshalb so unbequem. Zumindest stellt sich fast immer, wenn sich der Vorhang zu Richard Wagners „Götterdämmerung“ hebt und die ersten Bläserakkorde und Streicherwogen ihre fabelhafte Wirkung getan haben, ein Hauch von Langeweile und Ratlosigkeit ein: Was um Himmels willen sollen diese Nornen, die noch einmal umständlich die Grundzüge der „Ring“-Geschichte rekapitulieren? Regisseuren scheint das nicht anders zu ergehen: Sie tauchen die Szene in der Regel in vages Halbdunkel. An der Staatsoper Hannover, wo der Regisseur Barrie Kosky nun mit dem letzten Teil der Tetralogie seinen „Ring des Nibelungen“ geschlossen hat, flimmert dagegen ein grellbunter Trickfilm über die Bühne, dem die Nornen einfach zuschauen. Der sonst oft dröge raunende Rückblick sieht aus wie ein LSD-Rausch. Das ist zumindest nicht langweilig. Und insofern erhellend, als Kosky sich auch hier als Problemlöser bewährt: Er findet eigene Bilder selbst dort, wo andere an Wagners Vorgaben verzagen.

Begonnen hat das vor drei Jahren mit der viel gelobten Varieté-Parabel im „Rheingold“, als der Regisseur die Rheintöchter statt auf den Flussgrund in kecken Trikots und Federboas auf eine Tingeltangelbühne stellte. Es folgten siamesische Riesenzwillinge, eine uralte, nackte Erda, ein Feuerzauber ohne Flammen und eine tatsächlich einmal als Jude erkennbare Judenkarikatur. In der „Götterdämmerung“ hat Kosky noch eine pragmatische Lösung für die komplizierte Tarnkappenszene parat, bei der Siegfried sich in Gunther verwandelt hat – statt eines verkleideten Siegfrieds gibt es bei ihm einfach den echten Gunther. Koskys „Ring“ ist prallvoll von solchen naheliegenden und doch originellen Erfindungen, denen vor allem eins gemeinsam ist: Sie meiden das Pathos, ohne das man Wagners Riesenwerk wahrzunehmen nicht gewohnt ist.

Spätestens in der „Götterdämmerung“, die Anfang der Saison als Einzelstück (für die andere Teile waren andere Regisseure zuständig) bereits genau so am Essener Aalto-Theater zu sehen war, erweist sich darin die Sprengkraft des hannoverschen „Rings“. Kosky versteht das Stück nicht mehr als großes Welttheater, das im großen Bogen Werden, Vergehen und Erneuerung einer Gesellschaft schildert. Er verdichtet es nicht, sondern zeigt im Gegenteil seine Offenheit. Was wäre beispielsweise, wenn Siegfried im dritten Aufzug der „Götterdämmerung“ den verfluchten Ring tatsächlich den Rheintöchtern zurückgeben würde? Der ganze Aufwand, die düsteren Vorbereitungen zur Selbstauslöschung wären dann überflüssig. Der Raub des Goldes, der Liebesfluch wären nicht Sündenfall oder Katastrophe, sondern nur ein kleiner Irrtum, der sich im Vorbeigehen ausräumen ließe. Der Mythos wird so zum Alltag. Und Wotan kann den Scheiterhaufen der Weltesche wieder abräumen lassen.

Stefan Arndt | 13.06.2011

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Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 592 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast (NDR Kultur)
A production by Barrie Kosky (premiere)
This recording is part of a complete Ring cycle.