Götterdämmerung

Daniel Barenboim
Chor der Staatsoper Berlin
Staatskapelle Berlin
Date/Location
31 March 2013
Staatsoper Unter den Linden im Schillertheater Berlin
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Siegfried Ian Storey
Brünnhilde Iréne Theorin
Gunther Gerd Grochowski
Gutrune Anna Samuil
Alberich Johannes Martin Kränzle
Hagen Mikhail Petrenko
Waltraute Waltraud Meier
Woglinde Aga Mikolaj
Wellgunde Maria Gortsewskaja
Floßhilde Anna Lapkowskaja
1. Norn Margerita Nekrasova
2. Norn Waltraud Meier
3. Norn Anna Samuil
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Online Musik Magazin

Großartige Videoprojektionen zum Abschluss der Tetralogie

Was im Spätsommer 1848 ursprünglich als große Heldenoper in drei Akten unter dem Titel Siegfrieds Tod geplant war, fand ein Vierteljahrhundert später seine kompositorische Vollendung im letzten Teil einer groß angelegten Tetralogie, die den Nibelungen-Mythos nicht nur mit einem musikalischen Gewand versah, sondern die aus dem Nibelungenlied bekannte Sage unter Einbezug der nordischen Edda und der Volsungen-Saga völlig neu definierte. Dabei ist die Götterdämmerung nicht nur der längste Abend des kompletten Rings, sondern in gewisser Hinsicht auch der erstaunlichste Teil, da hier nicht nur alle Motive der drei vorherigen Stücke zusammenfließen und in der Partitur ein noch größerer Orchesterapparat verlangt wird als in den vorangegangenen Teilen, sondern auch in den einzelnen Akten mehrere Ortswechsel stattfinden, was für jede szenische Umsetzung eine besondere Herausforderung darstellt. Im Staatsoper im Schiller Theater war Guy Cassiers’ Ring-Inszenierung Anfang März mit der Premiere des “dritten Tages des Bühnenfestspiels” vollendet worden und konnte nun im Rahmen der Festtage erstmalig als kompletter Zyklus erlebt werden.

Cassiers bleibt dabei auch im letzten Teil seinem Konzept treu, überwiegend mit Videosequenzen und Projektionen zu arbeiten. Wichtiger Bestandteil ist dabei ein bildhauerischer Fries aus dem Jahr 1898 von Jef Lambeaux, auf dem menschliche Körper dargestellt werden, die in Szenen von Krieg, Liebe, Vergewaltigung und Tod ineinander verschlungen sind und der den Titel Les passions humaines (Die menschlichen Leidenschaften) trägt. Auszüge dieses Frieses durchzogen bereits die vorherigen Teile. In der Götterdämmerung werden die Bilder jedoch deutlicher, weil man hier die Sphäre der Götter vollständig verlassen hat und sich bei den Gibichungen in einer Menschenwelt bewegt, die rein von diesen im Fries abgebildeten Leidenschaften beherrscht wird. Der Kampf um die Macht des Rings ist von dem Nachtalben Alberich auf seinen Menschensohn Hagen übergegangen. Aber nicht nur der Fries verkörpert die menschlichen Leiden in dieser Gesellschaft. In Videoprojektionen von Arjen Klerkx und Kurt D’Haeseleer sieht man in verschwommenen Bildern häufig verzerrte Gesichter, die ihre Not mit panisch weit geöffnetem Mund zum Ausdruck bringen. Bei aller Abstraktion dieser Bilder gehen sie dennoch eine ästhetische Einheit mit Musik und Szene ein.

Das Nornen-Vorspiel wirkt nahezu klassisch. Auf einem Podest, das mit einem großen Tuch bedeckt ist, in das bereits Erda eingehüllt war, und das sich später als Walküren-Felsen entpuppt, spinnen sie ihr Seil, das an die leuchtenden roten Fäden erinnert, die im letzten Akt der Walküre bereits aus dem Schnürboden herabhingen. Wenn das Seil reißt, fällt hinter den Nornen ein riesiges Tuch herab, mit dem sie sich dann hinab zur Mutter begeben. Wenn das Tuch vom Podest gezogen wird, befindet sich dort bereits der schlafende Siegfried. Ian Storey glänzt im ersten Akt als Wälsungenheld noch mit kräftigem Tenor, der aber im Laufe des Abends so stark nachlässt, dass er sich vor dem dritten Akt als indisponiert entschuldigen lässt. So entwickelt sich das Spiel mit den Rheintöchtern im dritten Akt und seine anschließende Waldvogel-Erzählung zu einer regelrechten Zitterpartie, die er mit viel Tee und einem sehr rücksichtsvollen Dirigat von Daniel Barenboim dann doch noch meistert. Wahrscheinlich wäre es für seine Stimme besser gewesen, die Vorstellung nach der zweiten Pause abzusagen, aber das wollte Storey dem Festspielpublikum nicht antun. Dementsprechend danken es die Zuschauer Storey auch, dass er den Abend noch gerettet hat, auch wenn man ihm deutlich anmerkt, wie unzufrieden er mit der ganzen Situation ist.

Die Gibichungenhalle besteht aus mehreren Bühnenelementen, die zu einer Treppe geformt werden können. Die Vorderseiten stellen dabei beleuchtete Glaskästen dar, in denen sich kunstvoll gestaltete Menschenteile befinden. In ihrer Form könnten diese Teile aus dem oben erwähnten Fries stammen. Ob man allerdings mit ihnen – wie Erwin Jans im Programmheft – ein steriles Labor assoziiert und die Körperteile in den Kästen als Resultate missglückter Experimente interpretiert, ist Ansichtssache. Eine lamellenförmig gestaltete Rückwand gibt zeitweilig den Blick auf Projektionen dahinter frei, die in ihrer Struktur sehr abstrakt bleiben. Gerd Grochowski lässt als Gunther mit einem stählernen Bariton aufhorchen, der in der Schwärze Hagen Konkurrenz macht. Mikhail Petrenko gestaltet die Partie des Albensohns mit großem Bass, wobei Petrenkos Stimme in den tiefen Passagen noch Entwicklungspotential besitzt. Die “Hoiho”-Rufe gelingen ihm mit enormer Durchschlagskraft. Anna Samuil präsentiert stimmlich eine bezaubernde Gutrune mit weichem Sopran, der man nur eine andere Frisur gewünscht hätte, um Siegfried vollends mit ihren Reizen zu verzaubern.

Ein Höhepunkt des ersten Aktes ist sicherlich die Waltraute-Szene. Was Waltraud Meier sängerisch und darstellerisch aus der Erzählung der Walküre macht, reißt das Publikum regelrecht von den Sitzen und lässt es beim Applaus nach dem ersten Akt in frenetischen Jubel verfallen. Mit einer absolut klaren Diktion schildert Meier das bedauernswerte Leben in Walhall und fleht Brünnhilde an, den Ring den Rheintöchtern zurückzugeben. Doch noch ist diese nicht bereit dazu. Die Strafe folgt auf den Fuß. Siegfried erscheint in Gestalt Gunthers. Es kommt zu einem Kampf zwischen den beiden, in dem Siegfried Brünnhilde den Ring entwendet. An dieser Stelle kommen wieder die Tänzer der Eastman Company zum Einsatz, die als Tarnhelm mit einem schwarzen Tuch Siegfried zunächst umgeben und dann sich wie eine Schlange um Brünnhilde winden, um ihr im Kampf den Ring zu rauben. Siegfried hat in dieser Szene das Gesicht mit einer riesigen Kapuze verdeckt, so dass man ihn zunächst nicht erkennen kann.

Der zweite Akt beginnt mit einem weiteren Höhepunkt. Verantwortlich dafür sind Petrenko und Johannes Martin Kränzle als Alberich. Stimmlich und darstellerisch faszinierend umgarnt Kränzle als Nachtalbe seinen schlafenden Sohn und flüstert ihm ein, seine Bestimmung nicht zu vergessen. Doch seine Macht über Hagen schwindet. Hagen kämpft nur für sich selbst. Das muss Alberich erkennen, wenn er sich mit den letzten Worten “Sei treu” zurückzieht. In der folgenden Szene kann auch der Staatsopernchor unter der Leitung von Eberhard Friedrich unter Beweis stellen, dass er zum einen stimmgewaltig auftrumpfen kann, zum anderen aber auch in den leisen Passagen absolut harmonisch und textverständlich ist. Das Terzett zwischen Grochowski, Petrenko und Theorin rundet den rundum gelungenen zweiten Akt großartig ab.

Der dritte Akt präsentiert die drei Rheintöchter Aga Mikolaj, Maria Gortsevskaya und Anna Lapkovskaja auf dem gleichen hohen Niveau, auf dem sie bereits im Rheingold zu erleben waren. Auch das Bühnenbild aus der ersten Szene des Vorabends wird wieder aufgenommen. Warum der Rhein allerdings auf der linken Seite noch genauso golden schimmert wie vor dem Raub, bleibt unverständlich. Schließlich singen die Rheintöchter doch davon, dass es dunkel ist. Diese Dunkelheit fängt Enrico Bagnoli zwar mit einer geschickten Lichtstimmung ein, aber der goldene Glanz bleibt. Nach Siegfrieds Tod kommt es dann zum Showdown am Gibichungenhof. Hier kann Iréne Theorin in Brünnhildes Schlussgesang “Starke Scheite schichtet mir dort” noch einmal mit ihrem durchschlagenden Sopran mehr als deutlich machen, wieso sie derzeit zu den gefragtesten Brünnhilde-Interpretinnen zählt. Ein Orkan des Jubels bricht beim Schlussapplaus bei ihrem Auftritt aus, von dem Theorin sichtlich überwältigt ist. Für den Weltenbrand lässt Cassiers Brünnhilde die Treppe der Gibichungenhalle emporsteigen und dann verschwinden. Wie das genau geschieht, kann man nicht erkennen, weil der Chor hinter ihr die Treppe hinaufsteigt und sie somit verdeckt. Gleiches gilt für Hagen, der ebenfalls die Treppe hinaufeilt. In großartigen Projektionen sieht man zunächst das Feuer, das dann in einen grünlichen Farbton übergeht, wenn der Rhein über seine Ufer tritt und den Brand löscht.

Am Ende verschwindet die ganze Szene hinter dem oben erwähnten Fries, das aus dem Schnürboden herabgelassen wird. Ob dies nun eine negative Deutung der Schlussszene ist, die besagt, dass die alte Welt jetzt zwar zerstört ist, aber auch eine neue Ordnung auf Leid und Leidenschaften fußen wird, oder dass mit diesem Bild ein Appell an die Zuschauer ergeht, nicht dem alten Weg zu folgen, da er so enden würde, wie es auf dem Fries angedeutet wird, sondern einen neuen Weg einzuschlagen, bleibt der Interpretation des Betrachters überlassen. Das Publikum belohnt die Sänger und das Orchester jedenfalls mit großem Applaus und scheint auch mit der Inszenierung im Großen und Ganzen zufrieden gewesen zu sein.

FAZIT

Der Ring endet musikalisch so fulminant wie er begonnen hat und wird in dieser Inszenierung hoffentlich noch einige Zeit im Repertoire der Staatsoper bleiben.

Thomas Molke | Staatsoper im Schiller Theater am 31. März 2013

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User Rating
(4/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 600 MByte (MP3)
Remarks
In-house recording
A production by Guy Cassiers (2013)
Before act 3 Ian Storey was announced as indisposed.
This recording is part of a complete Ring cycle.