Götterdämmerung
Christian Thielemann | ||||||
Sächsischer Staatsopernchor Dresden Sächsische Staatskapelle Dresden | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Siegfried | Andreas Schager |
Brünnhilde | Ricarda Merbeth |
Gunther | Adrian Eröd |
Gutrune | Anna Gabler |
Alberich | Markus Marquardt |
Hagen | Stephen Milling |
Waltraute | Waltraud Meier |
Woglinde | Lea-ann Dunbar |
Wellgunde | Štěpánka Pučálková |
Floßhilde | Ann-Beth Solvang |
1. Norn | Michal Doron |
2. Norn | Kristina Stanek |
3. Norn | Daniela Köhler |
Alberich wird noch oft kommen, Thielemann leider nur noch einmal
Da staunt man nicht schlecht: Siegfried hat es nach seiner – sehr flotten – „Rheinfahrt“ auf den Obersalzberg hochgespült. Die Gibichungenhalle ist nämlich der große Saal des Berghofs, und durch das markante Panoramafenster schaut man nicht auf die Berge des Rheintals, sondern in die Berchtesgadener Alpen. Der markante Globus, seit Charlie Chaplins „Tanz mit der Weltkugel“ eigentümlich berühmt, schließt hier das Bild ab. Zum ersten Mal im Ring wird Willy Decker mit einer Ortsangabe relativ konkret.
Wie es sich für überzeugende Regiearbeiten gehört, laufen jetzt am Ende die Fäden der vorangegangenen Abende zusammen. Mit Christian Thielemann am Pult der Staatskapelle gelingt außerdem ein Abend mit vielen herrlichen musikalischen Momenten. Dennoch fällt dieser Abend musikalisch etwas aus dem Zyklus heraus. Im Orchester, vor allem in den Bläsergruppen, ist die Intonation an diesem Abend immer wieder fragwürdig – und das ist wirklich höchst ungewöhnlich für die Sächsische Staatskapelle.
Anscheinend – und das muss bei einer Spieldauer von weit mehr als vier Stunden auch nicht wundern – haben einzelne Teile deutlich mehr Probenzeit abbekommen als andere. Doch Thielemann wäre nicht Thielemann, wenn er nicht auch dann noch immer wieder, und wirklich nicht selten, so höchst betörende Musik zaubern würde. Das „Rache-Terzett“, Brünnhildes Schlussgesang oder die Morgendämmerung wurden zu so herrlichen Momenten, dass man in ihnen versinken mochte. Man wird es in Dresden noch sehr bereuen, Christian Thielemann vor die Tür gesetzt zu haben.
Auch auf der Bühne war ein Fast-Adieu zu erleben. Waltraud Meier, die sich im Oktober als Klytämnestra in Berlin von der Bühne verabschieden wird, war als Waltraute das letzte Mal in einer Wagner-Rolle zu erleben. Der große Applaus galt gewiss auch ihrer Lebensleistung.
Andreas Schager stemmte sich durch den Abend; man merkte, dass selbst an ihm, dessen stimmliche Kraft so grenzenlos scheint, die gesangliche Herkules-Aufgabe als Siegmund und Siegfried zusammen nicht spurlos vorbeigeht. Dennoch wieder – auch schauspielerisch – ein ganz starker Siegfried! Ricarda Merbeth als Brünnhilde zeigt im Schlussgesang („Starke Scheite…“), dass sie in dieser Rolle ohne tremolierendes Vibrato noch besser wirkt. In dieser Top-Besetzung waren Schager und Merbeth ein Traumpaar. Stephen Millings Hagen könnte gerade am Anfang noch böser und dunkler sein, überzeugte aber stimmlich auf ganzer Linie. Mit dem erneut großartigen Markus Marquardt, der als Alberich ein ganz starkes Rollendebüt in diesem Ring gab, war der Beginn des zweiten Aufzugs – Alberich lauert dem schlafenden Hagen auf – ein weiterer Höhepunkt dieses Abends. Mit Adrian Eröd und Anna Gabler überzeugte ein nicht einfach nur menschlich abstoßendes Gibichungen-Geschwisterpaar; vielmehr sah man Gunter und Gutrune als neureiche, etwas larmoyante Fatzken unter der Fuchtel Hagens.
Doch wie bringt man diese Götterdämmerung überzeugend auf die Bühne? Oder anders gefragt: Worum geht es hier eigentlich – und merkt man das als Zuschauer auch? Die im neuen Corporate Design der Semperoper neu aufgelegten Programmhefte legen vor allem in den Texten Willy Deckers nahe, dass es in der ganzen Inszenierung nur um das Verhältnis von Männern und Frauen gegangen sei. Ob dem bei der Konzeption um die Jahrtausendwende auch schon so war, oder ob das Programmheft den Ring „woker“ macht, als er tatsächlich ist, muss dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist dieser Decker-Ring wirklich gut: Sahen wir am Anfang des Rheingolds ein Meer aus Zuschauerreihen, in welches von außen eine Bühne geschoben wurde, so ist die Bühne jetzt nicht mehr bezuglos in der Welt. Sie entsteht gleichsam im Panoramafenster des Gibichungen-Berghofs. Das Meer der Zuschauerreihen befindet sich nun in der Bühne. Dort sitzend, versinken die Götter in die Tiefe.
Das Spannungsfeld von Natur und Macht ist sicher ein ganz wesentliches Thema des Werkes. Die Musik Wagners zeigt dies auf. Man vergleiche nur das naturnahe Rhein-Motiv (Es-Dur) mit dem Gibichungen-Motiv (Fis-Dur). Die Verwandtschaft ist offensichtlich, denn letzteres ist gleichsam die strahlende Perversion von Natur. So brennt auch am Ende nicht die Bühne der Semperoper ab, also die Gibichungenhalle des Berghofs, sondern die Bühne im Panoramafenster. Das Böse, das Eitle und die Gier bleiben also auch in der Welt – Alberich überlebt und wird wiederkommen.
Es bleibt aber auch das Gute in der Welt. War in der Nornen-Szene die große weiße (Erd-)Kugel noch zerbrochen und wurde mit dem Schicksalsseil, bis es riss, vergeblich zusammengehalten, ist die Kugel jetzt wieder makellos. Wir sehen Erda in der Mitte der Bühne mit ihr stehen, während das Erlösungsmotiv auf das herrlichste aus dem Graben klingt – wohlbemerkt in Des-Dur, der Tonart Wotans.
Die ganze Geschichte wird sich unendlich oft wiederholen. Mit Thielemann in Dresden – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – leider nur noch einmal.
Willi Patzelt | 3. Februar 2023
A production by Willy Decker (2003)
This recording is part of a complete Ring cycle.