Götterdämmerung
![]() | Franz Welser-Möst | |||||
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Siegfried | Daniel Frank |
Brünnhilde | Ricarda Merbeth |
Gunther | Clemens Unterreiner |
Gutrune | Regine Hangler |
Alberich | Michael Nagy |
Hagen | Mika Kares |
Waltraute | Monika Bohinec |
Woglinde | Ileana Tonca |
Wellgunde | Patricia Nolz |
Floßhilde | Daria Sushkova |
1. Norn | Noa Beinart |
2. Norn | Juliette Mars |
3. Norn | Regine Hangler |
Abschied vom Ring
Franz Welser-Möst dirigierte an diesem Abend seine letzte „Götterdämmerung“. Er hatte schon im Vorfeld der beiden „Ring“-Durchgänge an der Wiener Staatsoper angekündigt, von Wagners Tetralogie Abschied zu nehmen und sie als Dirigent zurückzulegen.
In einem Interview für die aktuelle Ausgabe der Publikumszeitschrift der Wiener Staatsoper hat Franz Welser-Möst seinen Schritt näher erläutert. Er sagte, der „Ring“ sei für jeden Dirigenten so etwas wie der „Mount Everest“ für Bergsteiger. Es sei ein bewusstes Abschiednehmen und es würde ihm noch jede Menge an wunderbarem Repertoire übrig bleiben. Franz Welser-Möst hat in den Jahren 2007 bis 2009 die Genese des Staatsopern-„Rings“ in der Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf musikalisch betreut. Er hat am Haus 10 Vorstellungen des „Rheingolds“, 17 Vorstellungen der „Walküre“, 15 „Siegfried“-Aufführungen und 15-mal die „Götterdämmerung“ geleitet.
Wie er in dem erwähnten Interview ausgeführt hat, war ihm dabei wichtig, den „überschauenden Blick“ zu wahren, und das „große Ganze“ im Auge zu behalten. „Wenn ich zum Beispiel ununterbrochen gewaltige Rubati oder Ritardandi mache und dadurch die Form ausfranse, nur um in einzelnen Passagen zu baden, können diese paar Takte im Augenblick jeweils sehr wirkungsvoll sein – im Gesamten stellt sich aber sehr bald unweigerlich das Gefühl der Abgegriffenheit und Langeweile ein.“ (Opernring 2 / Juni 2023).
In diesem Sinne war Franz Welser-Mösts „Ring“-Interpretation nach meinem Eindruck nie „schwanger“ vom Mythos, leuchtete Walhall nicht in huldvoller, erhabener Majestät auf das Publikum herab, zeigten sich die großen, emphatischen Gefühle der um Macht und Liebe ringenden Figuren da und dort doch etwas schaumgebremst. (Zum Beispiel entwickelte sich der erste Aufzug der „Walküre“ oft recht träge, bis Sieglinde und Siegfried endlich Feuer gefangen hatten – stark abhängig von der Bühnenpräsenz der ausführenden Gesangeskräfte.) Seine oben zitierten Aussagen legen nahe, dass er seine „Deutung“ mehr aus einer auf nüchternen, strukturierten Überlegungen beruhenden Gesamtschau entwickelt hat. In diesem Sinne war sein Dirigat kein üppiger, mit Kommentaren und Bildern versehener Reiseführer in Wagners mythische Lande, sondern mehr ein spannende und geradlinige topographische Sichtbarmachung.
In ihren zupackendsten Momenten sprühte die Musik allerdings mit überwältigender Energie und Kraft aus dem Orchestergraben. Das Finale des „Rheingolds“ zählte beispielsweise dazu, das Finale des ersten Aufzugs der „Walküre“ oder der Trauermarsch in der „Götterdämmerung“ als alles übertönende, wuchtige Klangskulptur – der Held in der brutalen Nacktheit seines Todes, jeder Verklärung abhold. Und an besonders gelungenen Abenden packte einen aufzugsweise dieser Sog, der das schicksalshafte Bühnengeschehen seinem unerbittlichen Ende zutrug. Dabei wahrte der Dirigent ein differenziertes Klangbild, sorglich gestaltete Details bestrichen die Topographie mit mancher Farbe, mit manchem sich solistisch herausrankenden Detail zur plastischen Sichtbarmachung. Ein Gespür für den „Ring“ als Konversationsstück belebte die Aufführungen mit Humor und deklamatorischer Gestaltungsgabe.
Dazu gesellte sich jede Menge an Erfahrung, die heikle Momente wie bei kurzfristigen Umbesetzungen in wahre Triumphe verwandeln konnte: So geschehen in der „Walküre“ vom 22. Juni, als das Einspringen von Tomasz Konieczny als Wotan alle Beteiligten zu beflügeln schien – wodurch sich die Vorstellung zum „Filetstück“ dieser zwei „Ring“-Durchgänge der Staatsopernsaison 2022/23 mauserte. Auch haben die allergiebedingten Stimmprobleme von Burkhard Fritz in der „Götterdämmerung“ vom 18. Juni die Beteiligten nicht daran gehindert, für eine insgesamt sehr gute Vorstellung zu sorgen. Unvergessen ist die Premiere der „Walküre“ im Dezember 2007, als Franz Welser-Möst im zweiten Aufzug einem schwer strauchelnden Wotan über die Runden half und sich im dritten Aufzug mit einem zwar erfahrenen, aber kurzfristigst ans Haus geholten Einspringer abstimmen musste.
Auch bei der „Götterdämmerung“ zum Saisonbeschluss gab es wieder eine wichtige Umbesetzung: Für Burkhard Fritz war Daniel Frank, der Siegmund der zweiten „Walküren“-Aufführung, eingesprungen. Solide als Siegmund hatte Frank schlussendlich doch zu wenig Stimme für einen Siegfried an der Wiener Staatsoper, vor allem der dritte Aufzug zehrte an seinem Tenor. Gespielt hat er die Figur mit jenem lockeren Humor, der ihn wahrscheinlich als Zögling moderner Regieideen ausweist (und besser als den Siegmund).
Ricarda Merbeth war als Brünnhilde nicht ganz so gut disponiert wie bei ihrem Wiener Rollendebüt am 18. Juni. Dass man ihr Engagement im hochdramatischen Fach durchaus zwiespältig sehen kann, wurde bereits in früheren Rezensionen angesprochen. Gunther und Gudrune lagen wieder in den bewährten Kehlen von Clemens Unterreiner, dem jüngst ernannten Kammersänger, und von Regine Hangler. Monika Bohinec gab eine stark um Wotans und Brünnhildes Schicksal besorgte Waltraute.
Mit dem Hagen von Mika Kares und dem Alberich von Michael Nagy standen an diesem Abend wieder zwei große „Gewinner“ dieser beiden „Ring“-Durchgänge auf der Bühne, beiden würde man gerne an der Wiener Staatsoper wieder begegnen. Und, um gleich ein Resümee dieser acht Vorstellungen zu wagen: Als gerade sensationell wurden die Wiener Rollendebüts von Michael Laurenz als Loge und von Matthäus Schmidlechner als Mime wahrgenommen. Außerdem hat Klaus Florian Vogt als Jung-Siegfried ein faszinierendes Rollenporträt geboten, das in den Pausenfoyers einige Diskussionen angeregt hat. Weniger glücklich sind die beiden „Ring“-Durchgänge für einen gesundheitlich offenbar etwas angeschlagenen Eric Owens als Wotan verlaufen (nach der Absage der zweiten „Walküre“-Vorstellung hatte er im Siegfried vom 25. Juni nach dem ersten Aufzug aufgeben müssen, wieder war Tomasz Konieczny eingesprungen) – und das Siegmund-Debüt von Giorgi Berrugi an der Wiener Staatsoper hat möglicherweise zu früh in seiner Karriere stattgefunden.
Der Beifall nach dieser die Staatsopernsaison beschließenden „Götterdämmerung“ hielt über zwanzig Minuten lang an, wobei nach Herablassen des Eisernen Vorhangs einige Besucher noch weiter applaudierten, solange bis man begann, das Licht im Zuschauerraum abzuschalten.
Dominik Troger | Wiener Staatsoper 30. Juni 2023
Ricarda Merbeth holt die Kastanien aus dem Feuer
Ganz solide. Obwohl die Wiener Staatsoper zum Ende wieder Kopf steht, mitreißen konnte das Dirigat über weite Strecken nicht wirklich. Franz Welser-Möst hat da gerade seinen „Mount Everest“ bezwungen – zum letzten Mal, denn Richard Wagners „Ring“ sei eine große Herausforderung, die mit großen Strapazen verbunden sei. Deshalb ist mit 62 nun Schluss. Die „Götterdämmerung“ stellt ihn vor einige Hürden. Zum Glück steht Ricarda Merbeth bereit.
Mit der „Götterdämmerung“ schließt sich der Kreis. Phasenweise sensationell, über weite Strecken allerdings auf Sparflamme. So könnte man den kompletten „Ring“ zusammenfassen. Dabei legt Franz Welser-Möst dieses Mal ordentlich los. Keine Spur von angezogener Handbremse, mit der er zuvor noch ins „Rheingold“ als auch in die „Walküre“ gestartet war. In der Welt der Nornen, die am Felsen das Schicksalsseil knüpfen, da sprudelt es nur so vor Energie und Verve. Das lässt Hoffnung aufkeimen. Endergebnis nach rund vier Stunden allerdings: Anständig, aber nicht viel mehr.
Siegfrieds Rheinfahrt zieht irgendwie an einem vorbei. Selbst der Trauermarsch lässt nur wenig Emotionen zu. Dabei hat Richard Wagner dort all seine Kraft gebündelt, all die wichtigen Leitmotive, die einem zuvor schon auf der Reise begegnet sind. Die sollten dort eigentlich explodieren. Mit einer Wucht, die gleich die ganze Staatsoper hinten dran mitreißt. Schwach glühen sie stattdessen. So wie die komplette „Götterdämmerung“, mit der nicht nur Richard Wagners „Ring“ ein Ende findet. Auch die Wiener Staatsoper verabschiedet sich in die Sommerpause. Das liegt aber nicht nur am Dirigat.
Verdrehte Welt bei den Gibichungen
Zum einen macht Richard Wagner es einem wirklich nicht leicht. Wenig bis gar nichts bietet er einem an, woran man sich die ersten 90 Minuten im Graben festklammern könnte. Der Erzählstrang steht hier ganz klar wieder im Mittelpunkt. Wie schon beim „Siegfried“ zuvor, den Welser-Möst mit recht wenig Elan hat dahinplätschern lassen. Die „Götterdämmerung“ gestaltet sich ebenso zäh. Zum anderen ist es die Gibichungenwelt, das Reich der Menschen, die da auch nicht ganz freizusprechen ist von der Schuld. Die dominiert ja über weite Teile des ersten Aufzugs das Geschehen. Was sich dort so abspielt, ist aber teilweise unterrepräsentiert.
Clemens Unterreiner hat an der Wiener Staatsoper schon viele Abende gerettet. Weit über hundert Partien nennt er sein Eigen. Sei wenigen Tagen auch den Titel Kammersänger. Als Gunther, der über die Hallen der Gibichungen herrschen sollte, erwischt er aber nicht gerade seinen besten Tag. Viel zu oft versinkt da sein durchaus vielseitiger Bariton im Orchestergraben. Ebenso lässt er die herrschaftliche Präsenz da ordentlich vermissen. Die fällt da eher einem anderen in die Hände.
Mika Kares ist ein mächtiger Hagen. Einer, der mit dunkler Stimme aufhorchen lässt. Düster, finster, aber dennoch unheimlich geschmeidig. Fast schon wie ein Verdi-König, wie dieser Hagen da in Shakespeare-Manier erscheint. Kein Wunder, dass das Wiener Publikum ihm zum Ende dann zu Füßen liegt. So viel Kraft geht an diesem Abend nämlich nur von wenigen aus. Einzige Frage, die in diesem Kontext dennoch erlaubt sein muss: Klingt so ein Verbitterter, der von Hass zerfressen ist und als verlängerter Arm von Alberich agiert? Der hatte Hagen einst ja gezeugt. Nun soll er ihm wieder den Ring beschaffen. Mit einer List, die bei dieser dominanten Rollengestaltung aber durchaus fragwürdig erscheint. Fast gelingt ihm das dann auch.
Bei Daniel Frank liegt der Ring nämlich in schwächelnden Händen. Ein „Siegfried“ ist kein „Siegmund“, das muss auch er zur Kenntnis nehmen. In der „Walküre“ hatte er Hunding noch ordentlich Paroli geboten. Dort war er als Einspringer zur Stelle. Da spielte ihm die tiefer liegende Tessitura in die Hände. Bei einem „Siegfried“, der auch in den Höhen strahlen muss, da stößt er aber an seine Grenzen. Ein hervorragender Zauberflöten-Tamino vermutlich. Als furchtloser Drachentöter aber nicht unbedingt glaubwürdig. Dazu ist die Stimme in der Höhe viel zu wenig heldenhaft.
Brünnhilde von Weltformat
Zum Glück steht Ricarda Merbeth noch bereit. Sie ist das, was Tomasz Konieczny in der „Walküre“ war. Der Fels in der Brandung. Die Energie, von der die ganze Vorstellung lebt. Am Walkürenfelsen, an dem sie ihre unzerbrechliche Liebe zu Siegfried gesteht. Da fließen an diesem Abend zum ersten mal die Tränen. Wie ein Schlosshund heult da vor mir ein Herr plötzlich los. Im Parkett rechts, Reihe 10, Platz drei. Am Ende kann er sich gar nicht mehr halten. Bei einer Brünnhilde von diesem Format auch kein Wunder.
Wotans Lieblingstochter, die nicht kreischt, das erlebt man auch nicht alle Tage. Dass sie dann zusätzlich niemals mit dem Orchester kollidiert, ist schon sensationell. Die enorme Textverständlichkeit und energiegeladene leisere Passagen, die sie noch geschmeidig formt, das ist dann die Draufgabe auf all diese Weltklasse. Das macht ihr so schnell keiner nach.
Am Ende tobt das Haus. Ganz besonders natürlich bei Franz Welser-Möst, der den Gipfel zum Abschied noch einmal mit etwas Mühe erreicht. Ebenso, wie schon erwähnt, bei Mika Kares, der vielleicht die Höchstnote erhält. Themenverfehlung aber nicht ganz ausgeschlossen. Und bei Ricarda Merbeth sind sich alle einig. Sie hat sich ganz klar an der Brünnhildenspitze etabliert.
Jürgen Pathy | 2. Juli 2023

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A production by Sven-Eric Bechtolf (2008)
Daniel Frank replaces Burkhard Fritz as Siegfried.
This recording is part of a complete Ring cycle.