Götterdämmerung
Gianandrea Noseda | ||||||
Chor der Oper Zürich Philharmonia Zürich | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Siegfried | Klaus Florian Vogt |
Brünnhilde | Camilla Nylund |
Gunther | Daniel Schmutzhard |
Gutrune | Lauren Fagan |
Alberich | Christopher Purves |
Hagen | David Leigh |
Waltraute | Sarah Ferede |
Woglinde | Uliana Alexyuk |
Wellgunde | Niamh O’Sullivan |
Floßhilde | Siena Licht Miller |
1. Norn | Freya Apffelstaedt |
2. Norn | Lena Sutor-Wernich |
3. Norn | Giselle Allen |
Seismograph des Ungeheuerlichen
Mit der „Götterdämmerung“ schließt sich in Zürich Richard Wagners „Ring des Nibelungen“. Camilla Nylund als Brünnhilde erweist sich darin als überragende Heldin mit anbetungswürdiger Stimme.
agnerianer kennen die Antwort auf die Frage der Nornen im Vorspiel der „Götterdämmerung“: „Weißt du, wie das wird?“ Sie lautet kurzgefasst: Es wird Betrug, Verrat, Rache, Mord und das Ende der Götterwelt geben. Davon erzählt der letzte Tag der Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner.
In Zürich hält sich der Regisseur Andreas Homoki wie schon in den drei Teilen zuvor – „Rheingold“, „Walküre“ und „Siegfried“ – minutiös an die vorgegebene Geschichte und zeigt sie als kammerspielartigen Psychokrimi in den hellen Zimmerfluchten der Burg Walhall (Ausstattung: Christian Schmidt). Zur Familienaufstellung wird er durch die Deutung von Gunther (Daniel Schmutzhard) und Gutrune (Lauren Fagan) als negativ verkehrtes, rot gewandetes Zwillingspaar, mit dessen Hilfe Siegfried, Sohn der Zwillinge Siegmund und Sieglinde, zu Fall kommt. Die Finsternis dringt durch das offene Fenster und konzentriert sich in Hagen, dem personifizierten Hinterhalt. Mit blutleerem Gesicht im bodenlangen schwarzen Mantel, den Speer in der Hand, beherrscht David Leigh die Bühne wie ein mittelalterlicher Sensenmann – ein fabelhaftes Rollenporträt (im „Siegfried“ hatte Leigh als Fafner seinen großen Auftritt).
Homoki macht den Weltenbrand zum Nachspiel
Im dritten Akt weicht Homoki von der linearen Erzählstruktur ab und löst die finale Szene nach Siegfrieds Trauerzug durch immer rascher fallende Zwischenvorhänge auf, sodass der Weltenbrand fast zum Nachspiel wird. Andererseits scheint sich Homoki auch der Wagnerschen Leitmotivtechnik zu bedienen – sie führt ja durch orchestrale Verweise unterschiedliche Zeitebenen in die Handlung ein –, wenn er die reale Erzählebene mit einer zweiten, visionären überblendet. In ihr finden alle Rätsel und Fragen des „Rings“ ihre Antwort, und sie heißt bei Homoki nicht Erlösung, sondern Versöhnung. In zwei einander überlappenden Etappen wird sie greifbar: Der gerade von Hagen erschlagene Siegfried erhebt sich, wankt – dank Drehbühne – auf Brünnhildes goldenes Bett und bricht dort erneut zusammen. Zugleich liegt er aufgebahrt bei den Gibichungen. Wenn Brünnhilde später ihren Schlussgesang anstimmt, bringt sie die Drehbühne zurück zu Siegfried auf ihrem Bett. Er erhebt sich, sie umfasst ihn, er gibt ihr ein letztes Mal den Ring, sie küsst ihn nach den Worten „ruhe, ruhe du Gott.“ Dann eilen die entzückenden Rheintöchter herbei und werfen Hagen später kurzerhand aus dem Fenster.
Mit dieser zärtlichen Interaktion zweier Wesen, die erst jetzt begriffen haben, was um sie herum geschah, und am liebsten nochmals von vorn beginnen möchten, erschließt sich Homokis „Ring“ als Feier einer überirdischen Liebe, die alles übersteht – Betrug, Verrat, Rache, Mord und wahrscheinlich auch das Ende der Götterwelt. Jetzt erscheint auch das sogenannte Erlösungsmotiv Brünnhildes ganz am Schluss der „Götterdämmerung“, das sich im Orchester der Philharmonia Zürich unter der Leitung seines Chefdirigenten Gianandrea Noseda schwelgerisch ausbreitete, wie befreites neues Liebesglück.
Dahin zu kommen ist die wahre Heldentat. Und Camilla Nylund (die kommende Isolde in Bayreuth) ist die umjubelte Heldin in Zürich. War sie in der „Walküre“ fast noch ein Kind, im „Siegfried“ eine junge, unerfahrene Frau, die ihre erste Liebe erlebt, so wird sie in der „Götterdämmerung“ erwachsen, indem sie die schlimmste Demütigung und Desillusionierung aller Wünsche und Träume erfährt. Wie Wagner sich in die Psyche Brünnhildes einfühlt, ist das eine, wie Camilla Nylund dies stimmlich und darstellerisch umsetzt, das andere Ereignis in Zürich. Im Finale des ersten Aktes stürzt sie in einen grauenerregenden Abgrund, aus der Ekstase ihrer erklärten Liebesgewissheit – gegenüber ihrer Schwester Waltraute (Sarah Ferede) – in tierhafte Angst und Verzweiflung, weil sie Verrat ahnt. Im zweiten Akt, wenn auch die Musik außer sich gerät, wird sie zur Rachefurie, nachdem sie den Betrug entdeckt hat. Im dritten schließlich ruht sie als Weltenrichterin in sich, hat ihre in der „Walküre“ aberkannte Gottheit zurückgewonnen. Bis zuletzt bleibt Nylunds anbetungswürdige Stimme der Gefühlsseismograph der Wagner’schen Ungeheuerlichkeiten, liegt wie ein goldener Glanz über der Schwärze der menschlichen Seele.
Ihr zur Seite steht der Antiheld Siegfried von Klaus Florian Vogt, ein Mann, der sich ohne Gefahrenbewusstsein einspannen lässt, Gunther großspurige Ratschläge über das wahre Verhalten von Frauen gibt und buchstäblich erst erwacht, als ihm Hagen den Erinnerungstrunk reicht und er sein Gedächtnis wiederfindet. Da wächst auch Vogt über sich hinaus, findet ein lyrisches Verströmen, in das die wunderbaren Spitzentöne ohne erkennbare Kraftanstrengung eingebunden werden. Und so völlig im Einklang mit sich selbst, so präsent in jeder Regung, so leicht im Ton wünscht man sich Siegfrieds Erzählung immer, umgeben von den orchestralen Reminiszenzen ans Waldweben und das Waldvögelein.
Prachtvoll sind die Chorszenen, die Ernst Raffelsberger einstudiert hat und der „Götterdämmerung“ eine neue musikalische Farbe beimischen. Nur im Orchester gab es einige Unregelmäßigkeiten und Pannen bei den Bläsern, was nach dem überwältigenden „Siegfried“ nicht unbedingt zu erwarten war. Der Zürcher „Ring“ endet als Kreis: Die Drehbühne verlangsamt sich und führt ins „Rheingold“ zurück, zu Wotan, der einsam zuschaut, wie Walhall auf dem romantischen Landschaftsgemälde in Brand gerät. Die Burg ist leer geräumt – neue Götter müssen erst geschaffen werden.
LOTTE THALER | 09.11.2023
Diese Welt muss untergehen
Das Ende der alten Ordnung ist da. Die Mächtigen haben ihr Spiel zu wild getrieben, die Zivilisation gerät ins Wanken. Man hat ihn kommen sehen, den finalen Donnerschlag, schon seit sich Andreas Homoki, der Intendant der Oper Zürich, und sein Generalmusikdirektor Gianandrea Noseda im April 2022 auf ihre gemeinsame Reise durch Richard Wagners «Ring»-Kosmos begeben haben. Der Untergang der bestehenden Welt am Schluss des vierteiligen Zyklus war seit dem eröffnenden «Rheingold» vorgezeichnet, schliesslich sind der Göttervater Wotan, sein Gegenspieler Alberich und ihre zahllosen Parteigänger auch in Zürich eine durch und durch zwielichtige Bande.
Dennoch war schwer abzusehen, wie Homoki den Weltenbrand, die «Ragnarök» der nordischen Mythologie, szenisch motivieren würde. Für diesen ersten vollständigen «Ring des Nibelungen» seit der bis 2002 realisierten Vorgängerproduktion von Robert Wilson hatte der Regisseur nämlich eigentlich einen Deutungsverzicht ausgerufen. Das komplexe Spiel um Liebe, Macht und Verrat, es sollte nicht mit philosophischem oder ideologischem Ballast befrachtet werden, sondern sich vornehmlich als «Bühnenfestspiel», also als genuines Musiktheaterspektakel, wie von selbst erzählen. In den bisherigen drei Teilen ging dies verblüffend stimmig und klar auf. Bei der «Götterdämmerung», die am Sonntag in Zürich Premiere hatte, war nun aber doch etwas Deutung gefragt.
Ein Stern am Bühnenhimmel
Denn nicht einmal auf dem Theater geht die Welt einfach so unter. Gleichwohl bleibt Homoki seinem Vorsatz treu und arbeitet auch in diesem letzten Teil streng immanent, das heisst, alles wird aus dem Text und dem Gang der Handlung entwickelt. Wagners marxistisch beeinflusste Kapitalismuskritik, seine hellsichtige Warnung vor einer Entfremdung von Mensch und Natur, seine visionären Vorwegnahmen Freudscher Verhaltensanalysen: Alles, was kluge Interpreten im Lauf von anderthalb Jahrhunderten aus der «Ring»-Tetralogie herausgelesen (oder in sie hineinprojiziert) haben, darf man sich dazudenken. Muss man aber nicht.
Homoki liest die «Götterdämmerung» wie ein klassischer Schauspielregisseur und fokussiert dabei ganz auf die Konstellation der Figuren. Für ihn ist das Stück die Tragödie einer scheiternden Liebe, die alles zum Besseren hätte wenden können: das Drama der Beziehung zwischen der Wotanstochter Brünnhilde und dem schuldlos schuldig werdenden Helden Siegfried. Dass sie von einer lieblosen Welt und deren Machtintrigen auseinandergetrieben werden, motiviert symbolisch deren Untergang, denn eine Welt ohne Liebe – das war immer Kern von Wagners romantischer Philosophie – hat keine Zukunft.
Die Fokussierung auf die inneren Beweggründe bürdet den Protagonisten gewaltige sängerdarstellerische Herausforderungen auf. Denn hier sind sie nicht Spielbälle in einem Gedankenkonstrukt, sondern selbst die treibende Kraft. Zum Glück hat Zürichs neuer «Ring» in Camilla Nylund eine Brünnhilde, die dieser zentralen Rolle mühelos und in überragender Weise gerecht wird – und das, obwohl sie, man glaubt es kaum, ihr Debüt in der anspruchsvollen Partie gibt. Schon seit ihrem zu Recht gefeierten Einstand in der «Walküre» wissen wir: Nylund lädt die Rolle rückhaltlos mit Emotionalität auf; sie ist, noch in den düstersten Momenten dieses wahrlich düsteren Stücks, der leuchtende Stern am nachtschwarzen Bühnenhimmel.
Selbst wenn sie der vom Bösewicht Hagen angestiftete Verrat Siegfrieds im zweiten Akt zur Rachefurie werden lässt («Alles Blut der Welt
büsste mir nicht eure Schuld!»), agiert sie nicht als kaltherziges Werkzeug des Bösen, sondern als liebende, in ihrem Innersten verletzte Frau. Siegfried, der angeblich «hehrste Held der Welt», hat dem wenig entgegenzusetzen. Klaus Florian Vogt, auch er mit einem Rollendebüt, zeigt den Drachentöter, wie zuvor im «Siegfried», als naiven Naturburschen, der seine fehlende soziale Kompetenz nun aber mit altklugen Chauvi-Sprüchen («Frauengroll friedet sich bald») zu kaschieren sucht. Die darin erkennbare Verbiegung und Vereinnahmung der Figur durch die (sehr kenntliche) Gibichungen-Welt, in der jeder bloss an sich selber denkt, wird in Vogts Darstellung spürbar, allerdings noch zu wenig anschaulich.
Sein grosser, stimmlich wie darstellerisch berührender Moment kommt in der Sterbeszene, als ihm Hagen – der kaltblütig lächelnde, souverän finstere David Leigh – den Speer in den Rücken gestossen hat. Erst jetzt erkennt er, was er Brünnhilde angetan hat; dass er in diesem Spiel nicht Held, sondern schuldhaft verstrickter Täter und Opfer zugleich war. Homoki lässt dazu noch einmal das goldene Bett aus der Schlussszene des «Siegfried» auf die Bühne fahren. Dort, wo die Utopie der welterlösenden zwischenmenschlichen Liebe ihren Anfang nahm, endet sie auch: «süsses Vergehen – seliges Grauen».
In den Trümmern Walhalls
Überhaupt setzt Homoki die vom Ausstatter Christian Schmidt auf die Drehscheibe gewuchteten Zimmerfluchten immer wieder zeichenhaft ein, indem er Bühnenbilder aus den vorangegangenen Teilen als Assoziationsräume hereingleiten lässt. So gelingt auch die Verbindung der diesseitigen Intrigenwelt mit der Göttersphäre Wotans, der eigentlich in der «Götterdämmerung» – kühnste aller kühnen Ideen Wagners – nicht mehr auftritt. Hier sieht man ihn schon zur Szene der Waltraute (eindringlich: Sarah Ferede) im ersten Akt und dann wieder zum grandiosen Schlussgesang Brünnhildes in den demontierten Resten seines Göttersaals sitzen. Der Machtpolitiker ist auf ganzer Linie gescheitert, sinnbildhaft geht auch sein Projekt einer neuen Weltordnung mitsamt Walhall in Flammen auf.
Wenn sich die Nebel nach dem reinigenden Weltenbrand lichten, kreisen die Räume der Götterburg allerdings immer noch auf der Drehbühne. Doch nun sind sie leer. Alles auf Anfang? Wer weiss. Homoki verweigert ein sinnstiftendes Schlussbild – als Zuschauer müssen wir die Leere selber füllen. Das mag szenisch enttäuschen, es liegt aber in der Logik dieser Inszenierung, die dem Werk keine zusätzliche Bedeutungsschicht aufzwingen will. Zugleich liegt darin der durchaus selbstlose Hinweis der Regie, dass schon Wagner den Schluss – nach mehreren Versuchen – nicht im selbstverfassten Text, sondern allein in der Musik formuliert hat. Und Gianandrea Noseda zelebriert das vieldeutige «Erlösungsmotiv» in den finalen Takten der Partitur so leuchtend hell und visionär, dass man es nur als Hoffnungszeichen hören kann.
Noseda füllt mit der Philharmonia noch weitere, wohl bewusst gelassene Leerstellen in der Regie. Zu den grossen Orchesterzwischenspielen, etwa der «Rheinfahrt» und dem «Trauermarsch», fällt der Vorhang – ein Wagnis angesichts unserer bilderwütigen Zeit. Doch es macht klar: Es ist die Musik, nicht irgendein Konzept, die das komplexe Gefüge der Tetralogie zusammenhält. Und Noseda geht voll auf in der Rolle als Sinnstifter; er ist – wie schon in den ersten drei Teilen – ein fesselnder Erzähler, der die Spannung unablässig am Brennen hält.
Da kann man sogar verschmerzen, dass ihm im zweiten Akt die Pferde durchgehen und die Klangbalance ein ums andere Mal erheblich in Schieflage gerät. Entscheidend ist etwas anderes: Durch das Feuer im Graben und die intensive Interaktion mit den Sängern gewinnt der puristische Regieansatz einen Kontrapunkt in der Musik. Erst durch dieses Zusammenspiel erzählt sich Zürichs neuer «Ring» tatsächlich fast wie von selbst: als vielstimmiges Gesamtkunstwerk. Im Mai 2024 wird es in zwei zyklischen Aufführungen aller vier Teile am Opernhaus zu sehen sein.
Christian Wildhagen | 06.11.2023
Was solls denn nun bedeuten?
Nun hat das Gespann von Generalmusikdirektor Gianandrea Noseda und Regisseur Andreas Homoki auch das vierte Stück von Richard Wagners Tetralogie Der Ring des Nibelungen herausgebracht. Was am Opernhaus Zürich im Frühjahr 2022 mit dem Rheingold begonnen hat, wurde nun mit der Götterdämmerung abgeschlossen. Vor anderthalb Jahren war indes die Neugier auf die Premiere deutlich grösser als jetzt. Der Grund liegt darin, dass der regieführende Hausherr schon im Vorfeld der jüngsten Premiere angekündigt hat, man werde auch bei der Götterdämmerung auf den Pfaden wandeln, die man schon bei den drei Vorgängerstücken eingeschlagen hat.
Erneut empfängt uns diese Drehbühne des Ausstatters Christian Schmidt, die das Interieur eines gründerzeitlichen grossbürgerlichen Hauses darstellt. Und auch diesmal dreht sie sich etwas zu oft, was aber immerhin rasche Umbauten ermöglicht. Bei den Requisiten beschränkt man sich wiederum auf einige wenige, aber aussagekräftige Gegenstände, die wie Leitmotive durch den Gang der Handlung führen. Diese Requisiten schaffen gleichzeitig den sinnfälligen Zusammenhang zu den drei vorhergegangenen Opern des Rings. Wenn der Vorhang aufgeht, sehen wir die drei Nornen ihr Schicksalsseil vor dem Lavagestein des Walküre-Felsens spinnen, den wir aus Siegfried kennen. Von dort stammt auch das goldene Doppelbett, in dem Brünnhilde und Siegfried voneinander Abschied nehmen, damit der Held zu neuen Taten ausrücken kann. Das Ross Grane, das die Geliebte ihm schenkt, ist wiederum diese etwas lächerliche Schachfigur. Später entdecken wir auch Hundings Weltesche aus der Walküre und erhaschen gar einen Blick auf den ominösen „Putin-Tisch” der Götterburg Walhall, den wir aus dem Rheingold kennen.
Eine weitere Klammer im Zürcher Ring besteht darin, dass alle Rollen stets von denselben Interpreten gesungen werden. Ein Wiedersehen gibt es also mit Camilla Nylund als Brünnhilde und Klaus Florian Vogt als Siegfried, die in der Götterdämmerung zugleich ihr Rollendebüt bestehen müssen. Vogt gibt Siegfried als heiteren, fröhlichen und reichlich naiven Naturburschen. Am Gibichungenhof macht er sich, nachdem er seine Brünnhilde „dank” Hagens Zaubertrunk vergessen hat, ohne Bedenken an Gunthers Schwester Gutrune heran. Stimmlich verfügt Vogt über einen weniger hochdramatischen als vielmehr lyrisch-dramatischen Tenor. Dies lässt ihn, noch stärker als in Siegfried, nicht als kraftstrotzenden Helden, sondern als sympathischen Kameraden erscheinen, mit dem man sogar etwas Mitleid empfindet. Eine grossartige sängerische und darstellerische Leistung legt Camilla Nylund hin. Die Sopranistin, die bisher in Wagner-Opern „leichtere” Partien wie Elisabeth oder Senta interpretiert hat, wagt sich in Zürich, auf Homokis Wunsch, erstmals an Brünnhilde heran. Mit Erfolg. Ihre Stimme klingt klar und strahlend, das Volumen ist überhaupt kein Problem. Als Charakter erscheint sie sehr menschlich, empathisch und wandlungsfähig. Was für Unterschiede treten da zwischen der verliebten, der verratenen, der rächenden, der verzeihenden und der sich opfernden Frau zutage!
Neu in der Götterdämmerung ist das Personal der Gibichungen. Hier treten nicht die grossen Namen auf, sondern jüngere und noch wenig bekannte Interpreten bekommen eine Chance. Der Hagen von David Leigh muss aber leider als Fehlbesetzung angesehen werden. Die imposante Bassstimme passt zwar gut zur Rolle, aber als Bösewicht vom Dienst wirkt Leigh einfach zu harmlos. Besonders deutlich wird dies in der Szene mit Alberich, in der mit Christopher Purves ein begnadeter Charakterdarsteller agiert. Dem Geschwisterpaar der Gibichungenherrscher verleiht Homoki ein interessantes, vom Standard etwas abweichendes Profil. Der Gunther von Daniel Schmutzhard ist als lebenslustiger Dandy gekennzeichnet, die Gutrune von Lauren Fagan als erlebnishungrige junge Frau, die sich einen richtigen Helden angeln möchte. Eine ausgezeichnete Leistung zeigt Sarah Ferede als Waltraute. Und eine erfrischend heitere Note steuern die drei Rheintöchter UlianaAlexyuk, Niamh O’Sullivan und Siena Licht Miller zum sonst abgründig düsteren Geschehen bei.
Wie Homoki bleibt auch Noseda seinem bisherigen interpretatorischen Ansatz treu. Der Italiener und Wagner-Neuling setzt weiterhin auf Kantabilität und Leichtigkeit, gewissermassen also auf einen italienischen Orchesterklang. Das deutsche Pathos liegt ihm fern, deshalb bevorzugt er durchs Band hindurch flüssige Tempi. Man hört es besonders gut bei der orchestralen Trauermusik nach Siegfrieds Tod, die von der Philharmonia Zürich sehr plastisch musiziert wird. Doch im Unterschied zu Siegfried forciert Noseda in der Götterdämmerung vermehrt die tiefen Blechblasinstrumente, besonders in den konfliktreichen Szenen mit dem Strippenzieher Hagen. Bei der Blutsbrüderschafts-Szene beispielsweise dröhnt einem die Tuba mit ihrem diabolischen Tritonus-Intervall brutal in den Ohren. Viel zu laut singt leider der Chor der Oper Zürich; die Gewaltbereitschaft von Hagens Mannen könnte auch mit anderen Mitteln erreicht werden.
Homokis Stärke liegt nach wie vor in der Personenführung. Er lässt die Bühnenfiguren lebendig und realitätsnah agieren, wie bei einem Sprechtheater. Beeindruckend kommt dies etwa in der vierten Szene des zweiten Aufzugs zur Geltung, wo Hagen bei den beiden falschen Paaren Siegfried/Gutrune und Gunther/Brünnhilde grösste Verwirrung anrichtet. Die Schwäche der Inszenierung liegt indes in ihrer – von Homoki bewusst gewählten – Deutungslosigkeit. Doch die angestrebte positivistische Darstellung funktioniert dann doch nur bedingt. Dass Brünnhilde, die Nornen und die Rheintöchter ganz in Weiss gekleidet sind, Hagen in Schwarz und die Gibichungengeschwister in Rot, ist bestimmt kein Zufall. Es geht um den Kampf des Guten gegen das Böse. Und um den Sieg des Guten, allerdings erst am Schluss, als es schon zu spät ist.
Die Unentschlossenheit des Regisseurs, ob er nun deuten will oder nicht, zeigt sich gerade in diesem Schluss. Vier Bilder erscheinen nacheinander auf der Drehbühne, und viermal fällt danach der Vorhang: Zuerst sehen wir, wie der bereits tote Siegfried wieder erwacht und Brünnhilde den Ring zurückgibt, dann eine Feuerszene vor der Weltesche, bei der ein brennender Stuntman über die Bühne rast, danach einen als Wotan verkleideten Statisten, der im Göttersaal ein Video vom Brand Wallhalls ansieht, und schliesslich die leeren Zimmerfluchten der Villa, in der sich der ganze sechzehnstündige Ring abgespielt hat. Die Deutung dieses rätselhaften Vierfachschlusses bleibt dem Publikum überlassen.
Thomas Schacher | 07 November 2023
Bravo- und Buhrufe: Die Musiker begeistern, der Stuntman ist überflüssig
Rumpelstilzchen, Captain Sparrow oder auch ein rauchender Riesendrache: Das Opernhaus Zürich geizt in seiner Neuinszenierung von Richard Wagners «Ring»-Zyklus nicht mit Anleihen aus Märchen und Fantasy-Filmen. Im vierten und letzten Teil, der am Sonntag Premiere feierte, kommt gar ein Stuntman auf die Bühne, um das Feuerinferno in der «Götterdämmerung» optisch zu unterstreichen.
In der mehr als vierstündigen «Götterdämmerung» sind allerdings nicht nur die Tage von Wotans auf Lug und Trug erbautem Reich gezählt – auch das Regiekonzept von Operndirektor Andreas Homoki gerät an seine Grenzen.
Spürbar ist sein Bemühen, den heiter-ironischen Charakter der vorherigen Teile, insbesondere von «Siegfried», in die «Götterdämmerung» hinüberzuretten. Was hin und wieder gelingt: Die Unbeholfenheit, mit der der jugendliche Held Siegfried seinen Tarnhelm bedient, sorgt ebenso für Lacher im Publikum wie der Auftritt der zuckersüssen Rheintöchter, die mit Siegfried Schabernack treiben. Die Szenen haben Homoki, der Dramaturg Werner Hintze und Bühnenbildner Christian Schmidt fein ausgearbeitet.
Bösewicht enttäuscht
Zum dunklen, abgründigen Charakter der «Götterdämmerung» dringen sie aber nicht immer durch. Namentlich der böse Intrigant Hagen bleibt in Zürich hinter den Erwartungen zurück: Der Bass David Leigh gibt ihn als mächtig raunenden Rädelsführer im Gothic-Look («Hoiho!»), verzerrt hierbei aber manche Vokale bis zur Unkenntlichkeit.
Wie facettenreich die dunkle Seite der Macht sein kann, ruft Hagens Vater Alberich als Traumerscheinung in Erinnerung: Der Bariton Christopher Purves legt einen solchen Eifer, eine solche Gier nach dem magischen Ring an den Tag, dass man ihm diesen beinahe gönnt.
Letztlich bleibt das begehrte Stück jedoch sowohl Alberich als auch seinem Sohn verwehrt. Ganz zu schweigen von Gunther und Gutrune. Das ebenso schwache wie ruhmsüchtige Geschwisterpaar vom Geschlecht der Gibichungen wird gekonnt vom Bariton Daniel Schmutzhard und der Sopranistin Lauren Fagan im puppenhaften Partnerlook verkörpert.
Sängerisch schwingt die finnische Sopranistin Camilla Nylund oben auf. Sie gibt in Zürich ihr Rollendebüt als tragische Heldin Brünnhilde. Ihre spöttischen Koloraturen, mit denen sie sich in die Intrige einbringt, überzeugen ebenso wie ihre von Wut gezeichneten Ausbrüche.
Es sind aber vor allem ihre warmen, strahlenden Sopranhöhen, die in Erinnerung bleiben. Sie lassen in der «Götterdämmerung» plötzlich so einfach wirken, was kurz zuvor ausweglos-kompliziert erschien. Diese Brünnhilde will man wieder hören. Sarah Ferede in der Rolle der Waltraute bringt für ihren Walkürenritt zu Brünnhilde einen ähnlich einladenden Sopran mit.
So gesehen passt auch, dass die Regie Brünnhilde und ihrem Geliebten Siegfried (mit schlankem, durchdringendem Tenor: Klaus Florian Vogt) zum Schluss eigens nochmals Raum für eine Liebesszene und eine Ringübergabe gibt.
Möglich wird dieser Einschub durch die aus den anderen Zürcher «Ring»-Teilen bekannte Drehbühne. Sie verdeutlicht in der «Götterdämmerung» den schwindelerregenden Wandel der Machtverhältnisse und führt eine Vielzahl ästhetisch ansprechender Szenerien vor Augen. Nicht alle Einfälle wirken zwingend; einzelne, wie die Einlage des Stuntman, wirken effekthascherisch. Die Regie musste sich beim Schlussapplaus denn auch einige Buhrufe anhören. Alles in allem wird dieser «Ring» recht brav, nah an der Vorlage erzählt.
Stehende Ovationen gab es für Dirigent Gianandrea Noseda und die Philharmonia Zürich. Völlig verdient. Nach den Fliessbewegungen der ersten Takte verlassen sie schon bald die Komfortzone, lassen die heitere Welt Siegfrieds eindrücklich auf die wüste Hagens prallen, verweben gekonnt die Motive, schmettern dem Publikum mithilfe des Chors ein unerbittliches «Hoiho!» entgegen. Die diversen solistischen Einsätze kommen souverän aus dem Graben und aus dem Off, die sinnlichen Lautmalereien machen Lust auf mehr. Will heissen: Lust auf Untergang.
Simon Bordier | 06.11.2023
A production by Andreas Homoki (2023)
This recording is part of a complete Ring cycle.