Der fliegende Holländer
Philippe Jordan | ||||||
Chor der Deutschen Staatsoper Berlin Staatskapelle Berlin | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Daland | Robert Holl |
Senta | Anne Schwanewilms |
Erik | Jorma Silvasti |
Mary | Uta Priew |
Der Steuermann Dalands | Stephan Rügamer |
Der Holländer | Falk Struckmann |
Wie kommt sie dazu?
Berlin ist seit Sonntag eine Stadt, die vermutlich jeder anderen in der Welt voraus hat, zwei Inszenierungen des “Fliegenden Holländers” zu zeigen. Die beiden Inszenierungen unterscheiden sich sogar: Götz Friedrichs Arbeit an der Deutschen Oper stellt die Titelfigur in den Mittelpunkt, Harry Kupfers Inszenierung, die gerade an der Staatsoper Premiere hatte, richtet ihr ganzes Interesse auf Senta. Das klingt interessant, ist es aber nur dem Blick des Pathologen. Denn zweimal haben die Bühnen es nicht getroffen. Friedrich hatte vor vier Jahren an die bekannte (bekannterweise auch Wagner bekannte) Legende vom ewigen Juden erinnert. Der Holländer, verdammt “durch das Meer ohne Rast und Ruh” zu ziehen, wurde als Jude ausgelegt, sein Schiff als die “Exodus” vor Augen gestellt, die 1947 Juden nach Palästina bringen sollte. “Ew ge Vernichtung, nimm uns auf” sang die jüdische Mannschaft an der Bismarckstraße; selten hat man von einer solchen Rohheit gehört. Friedrich hatte sich die Frage nach dem Holländer gestellt. Die interessiert Harry Kupfer nicht. Der Holländer, das ist der Held einer Sage, von der schifffahrende Nationen nun mal gerne erzählen. Es ist recht langweilig bei diesen Nationen, denn Schifffahrt schafft Reichtum und der Reichtum macht die Leute stumpf, da sind solche unheimlichen Geschichten der letzte Trost der etwas feiner Organisierten. Eine solche ist Senta, und von ihrem Innenleben erzählt die Staatsoper. Wenn, wie es gängig ist, schon zur Ouvertüre der Vorhang aufgeht, sehen wir sie auf einer schrägen Wendeltreppe auf- und absteigen, das Bild des Schwarzen Kapitäns immer in den Händen haltend. In der Halle mit den hohen Fenstern – die Reederei Daland ist offenbar hochprofitabel – haben sich gut gekleidete Herrschaften versammelt, die mit Sorge auf Senta schauen. Und was dann im ersten Akt geschieht, das ist ihr Traum. Von rechts wird Dalands Schiff in die Szene geschoben, von links ein zweiter Dampfer. Vorn werden Eisschollen in Stellung gebracht, die an Caspar David Friedrichs “Gescheiterte Hoffnung” erinnern. Hier ist nichts zu durchgespeichelt, als dass es sich nicht noch zur Abfütterung des Staatsopernpublikums eignete. Und dann kommt auch schon der Holländer. Der zweite Dampfer verschwindet und macht einem blendend weißen Segelschiff Platz, wie es hinter den Fenster der Dalandschen Halle zu sehen ist. Der Bugspriet, der durch die ausgesprungenen Fenster in den Raum Sentas eingedrungen ist, senkt sich herab – später wird er sich wieder aufrichten – und dort liegt hinter der gerundeten Spitze der Holländer in seiner Ledermontur, gerade so, wie man sich in der Staatsoper die Sehnsüchte junger Damen aus dem Großbürgertum vorstellt. Der sich senkende und wieder aufrichtende Bugspriet bleibt die Erscheinungsform des Holländers. Im zweiten Akt bringt Daland den “fremden Mann” mit, den seine Tochter heiraten soll. Im Gegenlicht bleibt er auf der Schwelle stehen, es ist der falsche, vermutlich der Eigner des Dampfschiffes aus dem ersten Akt, der gegen den gemalten, geträumten, ersehnten Segelschiffskapitän nur prosaisch wirkt. Daland mag zuletzt glauben, seine Tochter habe in seinen vorteilhaften Ehevorschlag eingewilligt, doch sie bleibt auf den Holländer fixiert. Zuletzt wird sie sich von der Wendeltreppe im elterlichen Haus stürzen, zu dem Schluss der ersten Fassung, das heißt ohne das Erlösungsmotiv, das Wagner 1860 eingearbeitet hatte und das unser Bild des Werkes bestimmt. Den Holländer als Traumvision Sentas zu begreifen, das ist eine jahrzehntealte Idee. Das im Übrigen ganz und gar lieblos zusammengestellte Programmbuch weist in der “Zeittafel” selbst auf Kupfers Bayreuther Arbeit 1978 hin und auf die Inszenierung von Wernicke in München 1981. Nun ist eine Idee ja noch nicht dadurch erledigt, dass sie bereits ausprobiert wurde. Auch Kupfers “Ring” nahm in der Staatsoper durchaus legitim Motive auf, die schon zuvor in Bayreuth angespielt worden waren. Aber hier liegt der Fall anders. Senta hat diese Traumvision, aber wie kommt sie dazu? Aus Abscheu vor der Trivialität ihrer Umgebung. In einem Interview für das Programmbuch hat Kupfer von dem “eigentlichen Anliegen dieses Werkes” als der “Kritik an der Gesellschaft” gesprochen. Und so muss man wohl argumentieren, wenn die Vision Sentas nicht als individualpathologische Störung abqualifiziert werden soll. Doch die Gesellschaft, die Senta in den Traum treibt, bleibt bei Kupfer blass. Man ist reich in Norwegen, die Mädchen spinnen nicht mehr, benutzen das Spinnrad nur noch zum Zeitvertreib, setzen sich gleich zum Kaffee zusammen, und dann kommt auch schon das Likörchen. Das ist trist, aber mehr auch nicht. Man will ja gerne glauben, dass das Schicksal an der Seite eines mittelständischen oder auch marktbeherrschenden Logistikunternehmers so öde ist, dass noch der Sprung aus dem Fenster vorzuziehen wäre. Aber eine solche Logistikunternehmersphäre muss dann auch Gestalt gewinnen, sonst bleibt es bei einer hysterischen Senta. Gewiss hatte die Staatsoper Pech, als ausgerechnet die wichtigste Sängerin, Anne Schwanewilms, erkrankte, Elisabeth Connell vom Bühnerand singen musste und Katharina Lang, die Regieassistentin ihre Rolle spielte. Aber die beiden machten ihre Sache nicht schlecht, nicht mit der Situationsgenauigkeit, die aus der Probenarbeit kommt, doch respektabel. Das Problem des Abends sind nicht die Sänger. Es ist die konzeptionelle Schlichtheit, es ist die eine These, die alles erklären soll und es nur tut, indem sie das Widersprechende wegblendet. Es ist das vierte Mal in dieser Spielzeit, dass die Staatsoper ihre Aufgabe darin erfüllt sieht, beliebte Werke mit schwachen Thesen zu frisieren. Jetzt gibt es den Holländer nicht mehr und also auch kein Holländer-Problem. Jetzt gibt es nur noch die Qual des beengten, durch und duch bedingten Lebens, das sich nicht aushalten lässt. Der Holländer aber war oder ist der Gegenentwurf des ganz und gar unbedingten Wollens: “In Ewigkeit lass ich nicht ab!” Auf die eine Weise lässt sich nicht leben und auf die andere auch nicht. Die Ausweglosigkeit ist gestrichen zu Gunsten einer limonadenhaften Sozialkritik. Falk Struckmann, den Berlin als bedeutenden Darsteller kennengelerent hat, sang tüchtig, aber schattenhaft, und mehr als ein Schatten sollte er ja nicht sein. Was an der Partitur der Urfassung schwer und massiv ist, brachten Barenboim und die Staatskapelle zuverlässig hervor, alles Feinere muss späteren Aufführungen vorbehalten bleiben. Das Scharfe, Genaue, mit dem Wagner die Sphäre des Geheimnisses bezeichnet, blieb stumm. Die Streicher klangen matt wie die Bläser klobig. Es war, als ob man aus Leibeskräften und nur aus Leibeskräften unter einem Filztuch musizierte.
Stephan Speicher