Der fliegende Holländer
Marc Albrecht | ||||||
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Daland | Jaakko Ryhänen |
Senta | Adrienne Dugger |
Erik | Alfons Eberz |
Mary | Uta Priew |
Der Steuermann Dalands | Tomislav Mužek |
Der Holländer | John Tomlinson |
Die Erlösung als Zwangsneurose
Silvia Adler (rez. Aufführung: 5. August 2004 )
Der gespenstische Sturm, der in Richard Wagners Fliegendem Holländer durch die Ouvertüre peitscht, gehorcht nicht den Gesetzen eines gewöhnlichen Windes: wie aus dem Nichts kommend, entlädt er sich geisterhaft aufheulend, mit entfesselter, übernatürlicher Wucht. Fast senkrecht nach oben aufbrausend, verfängt er sich in Schiffstauen und Segeln. Mit lautmalerischer Intensität beschreibt Wagners auf einer stürmischen Schiffsreise inspirierte Musik die aufgewühlte See vor der norwegischen Felsenküste.
Doch anders als die Bühnenanweisung es vorsieht, liegt in Claus Guths Holländer-Inszenierung im ersten Aufzug kein Schiff vor Anker. Der Zuschauer blickt in einen bürgerlichen Wohnsalon mit geschwungener Treppe und klassizistischen Flügeltüren. Ein Sessel ist umgestürzt, die Stehlampe liegt auf dem Boden. Wie ein nächtlicher Spuk hallen die Seemannslieder des Matrosenchores von den hohen Wänden. Mit einem Windlicht in der Hand wankt der Steuermann durch das Zimmer; unwirklich und schattenhaft bewegt sich Kapitän Daland durch das verwüstete Haus.
Auf dem oberen Treppenabsatz erscheint der Holländer hinter einem blutroten Vorhang wie auf der Kommandobrücke eines Schiffes. Nach seinem ersten großen Monolog bricht er auf dem Wohnzimmerteppich zusammen, als sei er dort gestrandet. In seiner zerrissenen Kapitänsuniform sieht er Daland zum Verwechseln ähnlich. Im Dämmerlicht sind beide Figuren kaum zu unterscheiden.
Wie in einem Albtraum irrt Senta – zunächst gespielt von einem kleinen Mädchen im blauen Matrosenanzug – über die mit Gischt- und Meeresprojektionen überzogene Bühne. Irrlichternd wie ein Trugbild, erscheint das Bühnengesehen als die erschreckende Vision eines verstörten Kindes.
Während der Holländer im Original zunächst nur auf einem Gemälde und in Sentas Ballade präsent ist, spukt er in Claus Guths Inszenierung durchs ganze Haus. In der Mitte des Salons hängt das Bild seines Segelschiffs, dessen abgründige Atmosphäre die gesamte Wohnung zu infizieren scheint. Rechts und links davon deuten helle Flecken an der Wand auf zwei Bilder, die bereits abgenommen wurden. Auch wenn der Gegenstand der entfernten Gemälde im Dunkeln bleibt, scheinen sie auf ein traumatisches Familienerlebnis hinzuweisen. Im zweiten Aufzug ist auch das mittlere Bild verschwunden. Doch selbst der helle Fleck an der Wand entfaltet eine unheilvolle, Nerven zerrüttende Wirkung, die mehr und mehr außer Kontrolle gerät.
Anders als es Wagner vorgeschwebt haben mag, deutet Claus Guth Sentas selbstzerstörerische Liebe zum Holländer nicht als Ergebnis romantisch verklärter Opferbereitschaft, sondern lässt sie einem tiefverwurzelten Familientrauma entspringen. Wenn Senta im zweiten Aufzug, in einer auf die Bühne projizierten Unterwasserwelt die Ballade vom Fliegenden Holländer anstimmt, scheint es, als würde ein seit langem verdrängtes Tabu aus dem Unterbewusstsein an die Oberfläche steigen. Ein eindeutiger psychoanalytischer Erklärungsversuch wird vom Regisseur allerdings konsequent verweigert. Das Trauma wird angedeutet, aber nicht entschlüsselt. Bewusst lässt die Inszenierung den seelischen Abgründen ihr Geheimnis und entwickelt gerade dadurch eine ungeheure Spannung. Nicht als romantische Heldin, sondern als Getriebene des eigenen Unterbewusstseins wird Senta zwischen der Figur des Holländers und der des übermächtigen Vater zerrieben. Ihre Selbstaufopferung gleicht einer neurotischen, auf seelische Verletzungen zurückgehenden Zwangshandlung. In einer albtraumhaften Vision wird sie im dritten Aufzug von einem überdimensionalen Skelett in Kapitänsuniform in die Höhe gerissen. Die mit einem roten Spielzeugschiff dekorierte Bühne gleicht einem aus den Fugen geratenen Kinderzimmer. Die Unterschiede zwischen Daland und dem Holländer verblassen bis zur Unkenntlichkeit. Während Senta und der Holländer im Original über dem Wasser schwebend, in einem verklärten Liebestod zusammenfinden, sieht das Schlussbild in Guths Inszenierung anders aus: während das Schiff des Holländers im Meer versinkt, bricht auch Daland auf der Bühne tot zusammen. Zurück bleibt Senta, die aus den tiefen seelischen Verstrickungen keinen Ausweg findet.
Dass die Aufführung trotz des stimmigen Regiekonzeptes nicht wirklich unter die Haut ging, hatte vor allem musikalische Gründe. Auch wenn das Orchester unter Marc Albrecht eine solide Vorlage lieferte, setzten die Solisten nur wenig stimmliche Glanzpunkte. Unerwartet blass blieb Adrienne Dugger als Senta. Abgesehen von einigen strahlenden Forteattacken in der Höhe besaß ihr dramatischer Sopran deutlich zu wenig Ausstrahlung, um die auf ihre Figur fokussierte Inszenierung mit Emotionen zu füllen. Trotz ihrer ausgefeilten Pianotechnik vermochten auch die häufig farblos wirkenden lyrischen Passagen nicht wirklich zu rühren.
Auch John Tomlinson, der als Wotan Maßstäbe gesetzt hat, tat sich mit der Partie des Holländers keinen wirklichen Gefallen. Wenig flexibel und häufig mit Intonationsschwierigkeiten kämpfend, zeigte seine Stimme gegen Ende des Stückes deutliche Ermüdungserscheinungen. Leider hatte auch Alfons Eberz als Erik außer einem kraftvollen Forte an stimmlicher Differenzierungskunst nur wenig zu bieten. Szenisch und sängerisch überzeugend behaupteten sich dagegen Jaakko Ryhänen als stimmgewaltig-sonorer Daland und Uta Priew als blinde Mary. Glänzend besetzt war vor allem Tomislav Muzek als Steuermann, der mit seinem gut geführten Tenor leuchtende Akzente setzte. Großartiges Format bewiesen auch die stimmgewaltigen Chöre unter der Leitung von Eberhard Friedrich.
FAZIT
Packende Inszenierung des Fliegenden Holländers als eine albtraumhafte Vision Sentas. Musikalisch mit deutlichen Schwachpunkten.