Der fliegende Holländer
Jac van Steen | ||||||
Opernchor und Extrachor des Theaters Dortmund Dortmunder Philharmoniker | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Daland | Wenwei Zhang |
Senta | Christiane Kohl |
Erik | Mikhail Vekua |
Mary | Andrea Rieche |
Der Steuermann Dalands | Lucian Krasznec |
Der Holländer | Andreas Macco |
Tod oder totes Leben
Jens-Daniel Herzog konzentriert sich in seiner Inszenierung auf den Kontrast zwischen der Freiheit und Weite des Meeres und der spießbürgerlichen Gesellschaft, in der die Figuren des Stückes ihr Leben fristen. So hat Bühnenbildner Mathis Neidhardt die Bühne durch einen Rahmen zu einer Art Guckkastenbühne verkleinert. Dieser Rahmen deutet mit seinen Holzkassetten bereits einen Raum an, auch wenn sich zu Beginn der Ouvertüre nur ein riesiger Theaterprospekt mit einem Blick auf die Weiten des Ozeans hinter diesem Rahmen befindet. Während der einzelnen Aufzüge wird vor diesen Prospekt jeweils ein abgeschlossener Raum geschoben, der sich genau an den Rahmen anpasst und damit die gesellschaftliche Enge zum Ausdruck bringt. Ein riesiges Fenster im Hintergrund des jeweiligen Raumes gibt noch ein wenig den Blick auf das Meer und den Horizont frei. Das Meer existiert also in dieser Inszenierung noch, auch wenn es von Daland und seiner Mannschaft nicht mehr befahren wird. Stattdessen stellt der erste Aufzug ein Büro dar, in dem die Matrosen Aktenordner wälzen. Der Sturm, den die Ouvertüre lautmalerisch zeichnet, wird durch fehlende bzw. eingeschlagene Fensterscheiben und vom Schnürboden herabfallende Papiere ausgedrückt, die die Matrosen wie auf einem schwankenden Schiff hin und her wanken lassen. Wieso der Seemannschor bei seinem Lied die Aktenordner im Takt öffnen und schließen muss, erschließt sich nicht so ganz.
Daland stellt in diesem Zusammenhang einen Kaufmann dar, der nach dem heftigen Sturm geschäftlich gestrandet ist. Nun sucht er verzweifelt nach einem Ausweg, um den finanziellen Bankrott, vor dem er steht, noch zu verhindern. Mit sehr markantem Bass stattet Wen Wei Zhang diesen recht gewissenlosen Geschäftsmann aus und macht darstellerisch und stimmlich deutlich, dass dieser Mann keinerlei Skrupel hat. Mit lyrischem Tenor stellt Lucian Krasznec den Steuermann als eine Art Vorarbeiter dar, der im Kontor Wache halten soll. Dabei schläft er aber nicht bei seiner Auftrittsarie “Mit Gewitter und Sturm aus fernem Meer” ein, sondern bemerkt durchaus den im Trenchcoat hereintretenden Holländer (Andreas Macco). Macco wirkt mit seinem in den Bewegungen recht reduzierten Spiel ein wenig unheimlich, so dass es gut nachvollziehbar ist, dass der Steuermann sich zunächst einmal vor dem Eindringling versteckt und seinem Gesang lauscht. Maccos Bass verfügt im unteren und mittleren Bereich über einen recht voluminösen Klang, wirkt in den Höhen aber noch ein wenig unsicher und flackert. Das Zusammenspiel mit dem Steuermann zeigt den Holländer sehr bedrohlich, so dass man diesem Wesen sicherlich keine Frau opfern möchte, die ihm Treue bis in den Tod schwört. Solche Sentimentalitäten interessieren Daland aber auch nicht, und er wird mit dem unheimlichen Fremden sehr schnell handelseinig. Dass die Matrosen sich vor der anstehenden Rückkehr im Einklang frisieren, wirkt unfreiwillig komisch. Das gleiche Ritual vollziehen auch im zweiten Aufzug die Frauen, nachdem Erik von der Rückkehr der Männer berichtet hat.
Der zweite Aufzug zeigt die Frauen in blauen Arbeiterkitteln mit Kopftüchern (Kostüme: Sibylle Gädeke) in einem Frisiersalon. Auf der rechten Seite befinden sich die Waschbecken, auf der linken Seite ein großes Foto eines Schiffes. Dabei sind die Frauen weit davon entfernt zu spinnen oder sonst einer Arbeit nachzugehen. Stattdessen singen sie ihr berühmtes “Summ und brumm, du gutes Rädchen” mit synchron abgestimmten Bewegungen in Reihen hintereinander aufgestellt, so dass Sentas Aufforderung “Oh, macht dem dummen Lied ein Ende” gut nachvollziehbar ist. Das Bild des Holländers trägt sie zusammengefaltet in ihrem Kittel. Mit der folgenden Ballade zieht Christiane Kohl als Senta nicht nur die Frauen in ihren Bann, sondern auch das Publikum. Mit einer so klaren Diktion und sauber geführten Stimme hört man die Senta selten. An keiner Stelle wirkt Kohls Sopran angestrengt, kein Ton ist forciert, sondern die komplette Partie wird leuchtend und strahlend schön ausgesungen. Selbst in den dramatischen Passagen neigt Kohl nicht zum Schreien. Dies kann man Mikhail Vekua als Erik leider nicht immer bescheinigen. Vekua scheint mehr im italienischen Repertoire beheimatet zu sein, so dass er mit seinem kräftigen Tenor bisweilen in der Dramatik ein wenig übertreibt. Herzog lässt ihn als eine Art Wachmann auftreten. Eriks Leiden unter Sentas Zurückweisung macht Vekua mit tenoralem Schmelz glaubhaft.
Das Zusammentreffen zwischen Holländer und Senta wird von Herzog überzeugend inszeniert. Der Holländer ist nicht an Senta als Person interessiert, sondern sucht aus rein egoistischen Motiven eine Frau, die ihn von seinem Umherirren erlöst. Diese Erlösung ist bei Herzog weniger die Treue bis in den Tod, sondern eher der Tod. So zückt der Holländer nämlich eine Pistole und deutet Senta an, dass sie sich damit nach der Hochzeit erschießen soll, um ihn zu erlösen. Senta hängt mehr ihrem Traumbild nach und nimmt so den wahren Holländer kaum zur Kenntnis. Immer wieder scheint sie die Kälte des Holländers zu verunsichern, was sie stets dazu veranlasst, sich auf dem Bild zu vergewissern, ob dieser Mann wirklich ihr Sehnsuchtsidol ist. So singen Kohl und Macco im zweiten Aufzug häufig in sehr großer Distanz. Erst als Senta erkennt, dass die Alternative zum Tod ein totes Leben inmitten der Dorfgemeinschaft ist, ist sie bereit, sich von dem angehimmelten Bild zu trennen und ganz auf den Holländer einzulassen. Daland sieht es mit Freuden und ruft ein großes Fest aus.
Der dritte Aufzug zeigt nun die in einer Art Kneipe ausgelassen feiernden Matrosen mit ihren Frauen. Links steht eine Jukebox, die scheinbar ihren Geist aufgegeben hat. Warum Erik von den ausgelassenen Matrosen verprügelt wird, ist fraglich. Sehen sie ihn als Gefahr, weil er ihnen durch Störung der Verbindung zwischen Senta und dem Holländer den wieder erlangten Wohlstand gefährden könnte? Jedenfalls bleibt er zunächst reglos auf dem Boden liegen. Die Mannschaft des Holländers besteht aus vier Männern in schwarzen Mänteln mit Al Capone Hüten und schwarzen Koffern. Sie nehmen an einem Tisch Platz und lassen sich von den Norwegern nicht zum Feiern bewegen. Mit großer Wucht provoziert der von Granville Walker sehr homogen einstudierte Chor die Mannschaft des Holländers, bis die vier Männer schließlich die Bühne verlassen und die Jukebox zum Klingen und Explodieren bringen. Aus der Jukebox ertönt jetzt der unheimliche Chor der Holländer-Crew. Dazu regnet es Geldscheine aus dem Schnürboden und der Chor wankt und schwankt zur Musik wie im ersten Aufzug, bis auch dieser Raum von der Bühne gezogen wird und somit der Blick auf den Theaterprospekt der Ouvertüre wieder freigelegt wird. Erik erwacht und sieht die im weißen Hochzeitskleid nahende Senta. Der Holländer missdeutet das Gespräch zwischen Senta und Erik und will ohne Senta wieder abfahren. Doch Senta will ihm folgen und greift zur Waffe. Erik versucht, ihr die Waffe zu entwenden. Dabei löst sich ein Schuss und Senta bricht leblos zu Boden. Der Holländer geht auf den Theaterprospekt zu, der über ihm herabfällt und ihn begräbt, während hinter diesem Prospekt die Dorfgemeinschaft und Daland stehen.
Herzog verwehrt dem Publikum den verklärten Schluss, indem Senta tot auf der Bühne liegt und der Holländer unter dem Prospekt, also quasi im Meer, begraben ist. Dennoch bewegt dieser Ansatz, was wohl nicht zuletzt an der grandiosen musikalischen Umsetzung der Dortmunder Philharmoniker unter ihrem GMD Jac van Steen liegt, der sich erneut als ausgesprochener Fachmann für Wagner-Opern präsentiert. So gibt es am Ende lang anhaltenden und verdienten Applaus für alle Beteiligten, wobei die Dortmunder Philharmoniker und Christiane Kohl die durchweg gute Leistung des Ensembles im Niveau noch einmal anheben.
FAZIT
Eine sehens- und vor allem hörenswerte Produktion, die überregionales Interesse verdient und zum Vergleich mit den in den Nachbarstädten produzierten Holländer – Inszenierungen anregen sollte.
Thomas Molke | rezensierte Aufführung: 14.11.2011