Lohengrin
Peter Schneider | ||||||
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Heinrich der Vogler | Manfred Schenk |
Lohengrin | Paul Frey |
Elsa von Brabant | Catarina Ligendza |
Friedrich von Telramund | Ekkehard Wlaschiha |
Ortrud | Gabriele Schnaut |
Der Heerrufer des Königs | James Johnson |
Vier brabantische Edle | Clemens Bieber |
Helmut Pampuch | |
Manfred Hemm | |
Heinz Klaus Ecker |
BAYREUTH, West Germany, Aug. 1— For two acts, the Bayreuth Festival’s new ”Lohengrin” appeared to be a handsome but conventional affair, staged in the austere Wieland Wagner style that prevailed in the decades immediately after World War II.
Certainly, the production tonight payed closer attention to Wagner’s libretto than one expects in this present period of operatic experiment. That seemed a little odd, inasmuch as the man in charge of the staging was Werner Herzog, one of Germany’s more celebrated avant-garde film directors. A comparative innocent at opera, his only previous experience having been a recent bout with Busoni’s ”Doktor Faust” in Bologna, Mr. Herzog made his Bayreuth debut with this production, whose principal merit appeared for a time to be the icily brilliant sets and costumes of Henning von Gierke.
Early on, that is, neither directorial inventiveness nor dramatic insights were very much in evidence. To be sure, Lohengrin did wear a simple baby-blue smock rather than the shining armor of Elsa’s dream, but when did you last see a Lohengrin in full metal jacket? When Lohengrin and Telramund went at one another with their broadswords, they did so in semidarkness and slow motion, by now an operatic cliche.
Of course, no one anymore expects Lohengrin to arrive in a swan boat drawn by a dove – that mode of transportation went out with the winged helmet. Mr. Herzog’s solution to the problem was effective if hardly pioneering: the mysterious hero appeared out of a swirling blue light either pushed on stage by a swan or carrying it on his back like a papoose (it was very dark, you understand). Odd, but not outrageous. One briefly wondered if the point had been reached in the fashion cycle where even a moderately traditional opera staging would seem radical enough to qualify as new wave art.
Under the circumstances it was entirely possible to pay attention to the singing, which was always adequate and in the case of Paul Frey, a clarion-voiced Lohengrin, quite formidable. If his bright, firmly focused tenor does not give out from strain at a tender age, as regularly happens with promising Wagnerians, Mr. Frey is likely to become one of the world’s most employable heldentenors.
The evening’s youthful Elsa, Nadine Secunde, took a full act to warm up, but she too finished in a blaze of pure, powerful tone. Manfred Schenk as King Heinrich and Ekkehard Wlaschiha as Telramund served ably, and Gabriele Schnaut, though bone-shiveringly shrill, sneaked about convincingly as the evil Ortrud. In fact, with nothing really to make the skin crawl happening on stage, one could even take time to note the excellence of Bayreuth’s chorus and Peter Schneider’s unobtrusive but solid conducting.
But, wait. The director of such films as ”Heart of Glass” (which he shot with the entire cast under hypnosis) and ”Fitzcarraldo” (about a madman who wants to build an opera house in the Amazon jungle and hired Caruso to sing the premiere) was keeping something up his sleeve for a finale.
Wagner’s Act III, which opens with the infamous wedding march and an extended bridal chamber scene, can come close to slipping into banality if not farce.
Mr. Herzog, changing stylistic gear with a lurch, placed the marriage bed out of doors in an ice-coated landscape on what seemed to be either a shag rug or a clump of frozen tundra. Handmaidens stripped Lohengrin and Elsa down to their underwear in preparation for the main event, but the newlyweds didn’t seem to notice any chill. The bed sheets, strikingly in this otherwise bleak milieu, appeared to be made of gold, while the headboard consisted of a large swan that resembled an ice sculpture one might find at an especially fancy smorgasbord.
Eccentric though all this must seem in the telling, the entire act turned into an optical, dramatic – and yes, vocal – tour de force. Some of Mr. Herzog’s technical effects, such as Lohengrin’s sudden disappearance in a cloud of blue smoke, would be easy enough to achieve on film but were magical in a stage performance. For his climactic trick, the director materialized a small boy, representing Elsa’s lost brother, Gottfried, out of the swan’s body, vividly reminding one of another film maker’s mystical coup: the birth of the Star Child at the end of Stanley Kubrick’s ”2001: A Space Odyssey.”
One last Herzog stroke: Elsa did not die in Gottfried’s arms but lived on, obviously to be further conspired against (”Lohengrin II”?) by the insidious Ortrud. This production perhaps taught us nothing new about Wagner’s ”Lohengrin,” but it worked as theater. You probably will hear more of Werner Herzog, opera director.
DONAL HENAHAN | August 3, 1987
Sonnenfinsternis
Bayreuther Festspiele: Werner Herzog inszenierte „Lohengrin“
Lohengrin: „O, Elsa, was hast du mir angethan? / Als meine Augen dich zuerst ersahn, / zu dir fühlt’ ich in Liebe mich entbrannt, / und schnell hatt’ ich ein neues Glück erkannt; / die hehre Macht, die Wunder meiner Art, / die Kraft, die mein Geheimnis mir bewahrt, / wollt ich dem Dienst des reinsten Herzens weihn; / – was rissest du nun mein Geheimnis ein? Elsa (in höchster Verzweiflung aufschreckend): „Mein Gatte! Nein! Ich laß dich nicht von hinnen!…“
Der Chor: „Weh! Weh!“
Die Probe wurde nicht bestanden, eine Chance ist unwiderruflich dahin. Was tun Menschen da? Sie weichen ihrem Schmerz aus, so gut es geht. Die Ereignisse drängen sich, es geschieht auch noch so manches Tröstliche in den letzten Minuten der Oper: Ordtrud wird endlich als Frevlerin entlarvt, Gottfried erscheint als eine Art weltlicher Lohengrin-Ersatz, dem Heer des Königs Heinrich wird glänzender Sieg verhießen – das Leben geht weiter, mit der Aussicht auf blutige Schlachten.
Während die Brabanter sich also in ihre entzauberte Welt zurückfinden, dunkelt sich die Bühne ein. Zuerst denkt man an eine Wolke, die unmerklich vor diese indirekte milchige Wintersonne gezogen ist, dann kann es sich eigentlich nur noch um eine Sonnenfinsternis handeln, so. lichtlos läßt Lohengrin das Land zurück.
Und so aufgeklärt: Jetzt weiß man glücklich Namen und Adresse dieses Herrn vom Gral, und das Wunder ist, gottlob, mit rechten Dingen zugegangen. Der Schwan wird vor aller Augen entkostümiert, und siehe da, was an ihm Schwan war, ist „in Wirklichkeit“ nur eine gefiederte Hülle. Schmächtig, unbedeutend steht der Knabe Gottfried, kein in Gold und Silber gewandeter Ritter, in seinem Unterzeug auf der Bühne herum; der banale Alltag hat die Brabanter wieder.
„Vereisung der Herzen“ nennt Werner Herzog den Ausgang der Oper, schon beim ersten Hören dieses Schlusses habe er ein Kältegefühl gehabt. Und er glaubt an die Wirkungen dieser Musik wie der Opernnarr Fitzcarraldo in einem seiner Filme; aus derselben demütigen Ehrfurcht vor der Musik Wagners wagt Herzog in seiner Inszenierung kaum mehr, als die intuitiven Bilder, die sie ihm eingegeben hat, getreulich widerzugeben. Ohne die Kenntnis anderer Wagner-Inszenierungen, ohne Sekundär-Literatur. Ohne irgendeine Entwicklung der Wagner-Rezeption fortsetzen zu wollen. Und so sind denn die meisten Bilder, die er zusammen mit seinem Bühnenbildner Henning von Gierke fand, alles andere als sensationell; gleichwohl sind sie auf eine einfache Art stimmig: Als das Wunder seine Macht über sie verloren hat, als sie es endlich wissen, was sie wissen mußten, hocken die am Strand Zurückgelassenen im fahlen Halblicht, und kauern sich enger zusammen. Da beginnt es zu schneien, als bräche eine Eiszeit an.
Was haben sie getan? Wofür werden sie so bestraft? Herzog hat sich auf diese Fragen keine Antwort ausgedacht (und dafür muß man ihm nach so vielen ausgedachten Antworten auf Wagner gewiß dankbar sein). Daß bei ihm alle gleichmäßig bestraft werden, daß Strafe da wie ein Naturereignis über alle gemeinsam hereinbricht, ebendies läßt sie zusammenrücken. Eine nur erst ahnbare Annäherung der großen Kontrahentinnen Ordtrud und Elsa deutet sich an, bevor der Vorhang fällt. Alle haben verloren, alle tragen Schuld. Erst von diesem Schluß her sind die vorhergehenden Akte zu verstehen, denen hier auf so merkwürdige Weise die Dramatik fehlt, das Für und Wider, das Gut und Böse. Ordtrud (Gabriele Schnaut) ist keine rachsüchtige Furie; gelassen, aber bestimmt versucht sie, ihrem Volk und König die Augen zu öffnen, sie aus ihrer romantischen Glotzäugigkeit zu erwecken, eine aufgeklärte Person, die nach Tatsachen und Beweisen fragt, und sich nicht scheut, gegen den neuen Wunderglauben mit etwas unlauteren Mitteln zu Felde zu ziehen, eine recht „moderne“ Frau und auf ihre Weise ebenso im Recht oder Unrecht wie Elsa.
Für die erkrankte Nadine Secunde aus Amerika sprang ganz kurzfristig Catarina Ligendza ein. Was Herzog mit dieser Figur vorhatte, läßt sich nach der Premiere kaum sagen. Immerhin gelang es Frau Ligendza nach einer kurzen Absprache, den Part zu übernehmen, was für ihr Einfühlungsvermögen, aber auch für eine Inszenierung spricht, die nicht den Ehrgeiz hatte, etwas besonderes Eigenes neben der Musik herlaufen zu lassen.
Das besondere Eigene suchte Werner Herzog im Habitus seiner Sänger zu entdecken und behutsam hervorzuheben. So entstanden auf unaufwendige Weise deutliche Charaktere. Ein Telramund (Ekkehard Wlaschiha), der offenbar um Wahrheit oder Unwahrheit dessen, was er vertritt, nicht allzusehr besorgt ist. Ein unbelehrbarer Ideologe der Sache, die ihm nützt: ein Mann wie du und ich. Seine mitunter etwas grobe Intonation kam dem dumpfen Charakter entgegen. Als Bayreuth-Debütant sang Paul Frey den Lohengrin mit etwas engem, doch reinem, klarem Timbre. Dieser Lohengrin hatte kaum diesseitige, geschweige denn heldische Züge, seine Erscheinung blieb stets das Unwirkliche, das Unzugehörige, das Gefährdete unter jenen Menschen, die ihm bald ihr blindes „Heil!“ entgegenriefen, ihn bald mit Argwohn verfolgten. Manfred Schenk als König Heinrich vertrat die Instanz der Macht und gab kaum persönliche Regungen zu erkennen.
Jeder scheint in den eigenen Kreisen so befangen, daß gegenseitiges Vertrauen die Ausnahme bleibt. Hier kann der Wunderbare, der Vertrauen braucht, um nicht schwach und gewöhnlich zu werden wie sie, hier kann er nicht bestehen.
Das hat so alles seine Logik, nur kommt sie leis daher, ist nicht mit Gängen und Gesten forciert. Herzog läßt, was vorgeht, den „Akteuren“ eher zustoßen, läßt es ihnen eher geschehen, als daß er es als deren willentliche Tat kenntlich machte. Die wenige Bewegung auf der Bühne hat etwas Unwillkürliches, Fließendes, gleicht eher Naturvorgängen als menschlichen Willenshandlungen. „Es“ treibt sie, zieht sie, „es“, das Schicksal, „es“, die Musik. Die kommt ja auch entsprechend mystisch aus dem Wagnerschen Orchestergraben, mit wogender Intensität, wenn auch kaum durchhörbar (musikalische Leitung: Peter Schneider). Um so auffälliger die eigenwillige Dramatik und spontane Direktheit der Ensembles (von Norbert Baiatsch einstudiert).
So, wie er nur die Musik als Bewegerin der Szene gehen läßt, zeigt Herzog die Menschen als Abhängige, als größeren Gesetzen Unterworfene, er zeigt sie als Naturwesen, eingebunden in das größere Naturgeschehen um sie herum. Da sind die erd- und wasserfarbenen Kostüme des Chores, die ihn zum Teil der Landschaft machen. Da ist diese Unbewußtheit, Beiläufigkeit, mit der man auftritt, mit der es einen auf die Bühne weht (was allerdings mitunter komisch wirkt), da sind die ineinanderfließenden Farben der Gewänder von Lohengrin und Elsa (deren regenbogenes Hochzeitsgewand allerdings an Baghwan-Partnerlook erinnerte). Naturgeschehen wird groß gemacht; das alltägliche Wunder eines klaren Sternenhimmels, einer mählich wandernden grauen Wolkenmasse, eines fast unmerklichen Tagesanbruchs. Die Menschen unter diesem Bayreuther Riesenhimmel, die sich dem Wunder, dem Staunen, dem Glauben verschließen, werden entsprechend klein.
Manchmal macht sie sich lächerlich, diese Naturbesessenheit der Inszenierung, wenn Ordtrud und Telramund einen dunklen Fels derart umschließen, daß sie erst unterscheidbar werden, als sie sich bewegen, wenn Telramunds Schergen sich als Grasnaben aus dem Boden heben. Dennoch: Zuletzt bleibt die Erfahrung, daß es im Land dieser Ungläubigen nur einmal und nur versuchsweise Frühling wurde – in der Hochzeitsnacht des irdischen mit dem idealen Wesen. Da ist auf dem sonst vereisten Boden wirklich Gras gewachsen, ein freilich schmutziges, braun-grünes Gras, dem nicht viel Leben zuzutrauen ist. Inmitten dieses zweifelhaften Grases steht das Hochzeitsbett gleißend und eisigkalt aus Stahl und Plastik, ein Grals-Bett vielleicht, zur irdischen Liebe ungeeignet.
Was sonst an Romantischem, Caspar David Friedrich entlehntem Interieur zu sehen war, störte weder, noch wirkte es eben bedeutungsvoll. Es paßte nur halt recht genau zu jener Vorstellung, die sich der Bayreuth-Neuling von den Handlungsorten dieser Oper gemacht hatte. Und Bayreuth-Neulinge sind ja nicht die wenigsten der Zuschauer.
Freilich: Operngeschichte ist das nicht. Es ist eher die Verweigerung, Operngeschichte zu machen. Es scheint, als wollte Herzog nicht denselben Fehler machen wie die ungläubigen Brabanter. Musik, und wie sie auf uns wirkt, das ist ja auch so ein Wunder. Und er hat recht getan, diesem Wunder zu trauen anstatt es zu deuten, ihm Sinn zu geben, es zu enträtseln.
Dem Wunder selbst, dem Erscheinen Lohengrins, dessen Musik für Herzog den Charakter von Licht hat, widmet er den größten technischen Aufwand, um es so unerklärlich, so „wunderbar“ wie möglich erscheinen zu lassen: Es ist ein blauer Laser-Strahl in einem Rauchtrichter, eines jener trivialen Wunder, die uns, die wir Sonne, Mond und Sterne ja nicht mehr bestaunen wollen, noch ein „Aaah“ und „Oooh“ entlocken können.
Ein Schaubudenwunder. Ein technischer Hokuspokus. Sollte Elsa, so fragen wir uns zuletzt, doch recht gehabt haben mit ihrer Skepsis gegen den blassen steifen Herrn aus der anderen Welt? Gegen seine Unnahbarkeit, seinen metallisch kühlen Schneid? Gegen diese verchromte Liebes-Lagerstatt? Könnte es sein, daß sie gelernt hat, ihren Erlösungs-Träumen, die den Fremden riefen, zu mißtrauen?
Keine der innigen Umarmungen, die Wagners Spielanweisungen vorsehen, finden auf Herzogs Bühne statt. Man bleibt auf Distanz bis auch die letzte Illusion auf eine Rettung von außen zerstoben ist. Erst als die neue Eiszeit anbricht, rückt man, notgedrungen, zusammen, und Elsa wagt diesen vorsichtigen ersten Schritt auf diese so ganz andere zu. Die letzte Hoffnungslosigkeit erst öffnet diese letzte Chance.
Martin Ahrends | 31. Juli 1987