Lohengrin
Ralf Weikert | ||||||
Chor und Orchester der Oper Zürich | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Heinrich der Vogler | Matti Salminen |
Lohengrin | Gösta Winbergh |
Elsa von Brabant | Lucia Popp |
Friedrich von Telramund | Rolf Haunstein |
Ortrud | Anja Silja |
Der Heerrufer des Königs | Rodney Gilfry |
Vier brabantische Edle | ? |
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Linke Drehung, 86 Grad
Es klappt mal wieder perfekt. Da gibt es in einer Zürcher Galerie die obligatorischen Zeichnungen zur Inszenierung mit den feinen Schattierungen, einem senkrechten Balken hier und einem waagrechten Balken dort – schwungvolle Signatur: Robert Wilson ’91.
Und da gibt es ein paar neue Stühle. Für Elsa von Brabant ein filigranes, metallisch glänzendes Gesitz mit einer Rückenlehne, die in die Höhe züngelt wie eine Flamme; für Heinrich den Vogler, den deutschen König, eine solidere Konstruktion, die mehr einer Trittleiter als einem Thron ähnelt. Robert Wilson in Zürich mit „Lohengrin“: Es klappt perfekt.
Denn Wilsons Zeichensprache ist universal. Sie paßt in jedes Land, in jedes Opernhaus, zu jeder Oper. Ganz gleich, ob er in Hamburg den „Parsifal“, in Paris die „Zauberflöte“ oder in Zürich den „Lohengrin“, ob er ein Singspiel oder ein Musikdrama, Rezitative und Arien oder eine durchkomponierte Partitur inszeniert: Die Menschen, die Wilson auf der Bühne anordnet und bewegt, agieren streng formalisiert, mit abgezirkelten Gesten, Schritten, Drehungen. Landauf, landab, gestern, heute und wahrscheinlich auch morgen.
Wilsons Menschen bewegen sich so stereotyp wie die Roboter, die bei Ikea im Lager arbeiten oder (im Kunsthandwerk etwas pfiffiger): bei Interlübke. Mit einem kleinen Unterschied allerdings: Die Roboter surren, die Menschen auf seiner Bühne aber singen. Die Roboter bewegen sich in einer Halle, um Paletten zu heben oder Kartons zu stapeln – die Menschen bewegen sich in Wilsons zeitlosem Raum nur, um Gefühle zu transportieren. Sie transportieren, sonst nichts. Denn Wilson will die Opern nicht interpretieren, er verweigert jeden Kommentar, zur schönsten Zauberei genauso wie zur fiesesten Verschwörung.
„Richard Wagners Lohengrin in Robert Wilsons Vision“ heißt die Überschrift im neuesten Zürcher Opernmagazin. Mit diesem Titel bekommt die Inszenierung einen religiösen Atem eingehaucht, und aus dem Regisseur wird ein Heiliger. Mit seinen Werken setze man sich bitte nicht mehr intellektuell auseinander, soll das wohl heißen, denn an Visionen muß man glauben. Und die Requisiten, die Stühle also, die Wilson unablässig schöpft, werden zu Fetischen stilisiert.
Da Robert Wilson ein Visionär mit professionellem Anspruch ist, der mit Ausdauer jedes Detail akribisch probt, gibt es auf seiner Bühne auch keine Zufälle und damit auch keine Lebendigkeit. Jeder Kubikzentimeter vom Boden bis hinauf zum Schnürboden ist in jeder Sekunde exakt definiert, die Beleuchtungs-Crescendi und -Decrescendi verdanken ihre Präzision den steuernden Mikrochips. Und die Menschen in diesem Spiel sind zu Vektoren degradiert: Auftritt Lohengrin von rechts bis zur Bühnenmitte, Drehung links, circa 86 Grad (geschätzt), Botschaft: „Nun sei bedankt, mein lieber Schwan!“ Oder am Schluß, nach langen viereinhalb Stunden: „Seht da den Herzog von Brabant! Zum Führer sei er euch ernannt!“, Drehung rechts, circa 94 Grad (geschätzt), Abtritt rechts.
Die Opernarbeiten von Robert Wilson sind einseitig, weil sie nur einer optischen Dramaturgie gehorchen. „Das wichtigste Element im Theater ist das Licht“, predigt Wilson – die Menschen sind nur noch Objekte der Zeremonie, die Musik ist lediglich ritueller Stimulus. Wer nur eine Produktion von Wilson gesehen hat, der mag fasziniert sein von der Suggestion der Bilder, von dieser technizistischen Ästhetik und der schauspielerischen Disziplin der Sänger. Wer aber die Arbeiten des Amerikaners verfolgt, der erschrickt über das immer gleiche Korsett, in das die Sujets, die Menschen und die Musik gezwungen werden. Der Wilson-Stil entpuppt sich als Zeitgeist-Masche – und die Sponsoren stehen stramm. Denn die aseptische Perfektion auf der Bühne paßt zur metalliclackierten Luxuslimousine, zum kühl-glänzenden Brillantenkollier, zum kosmetikverwöhnten Teint der Hautevolee.
Ein Trost bei all der visionären Langeweile waren die hervorragenden Leistungen der Musiker und Sänger. Ralf Weikert dirigierte äußerst differenziert und mit viel Gespür für Schattierungen und die Raffinessen der Instrumentation, für die großen Steigerungen und die kleinen Ereignisse in den Mittelstimmen. Und er unterstützte immer selbstlos die Sängerprominenz auf der Bühne: Gösta Winbergh, den exzellenten Mozart-Interpreten, der als Lohengrin debütierte mit einer weichen, bewußten und auch in den Höhen lockeren Stimme, die fast kontrapunktisch wirkte zu dem arisch-heldischen Aussehen, das ihm Wilson und die Kostümbildnerin Susanne Raschig verpaßten; oder Lucia Popp als Elsa mit ihrer zwar nicht wagnerisch-raumgreifenden Stimme, aber mit vielen interessanten Farben und selbstverständlicher Musikalität; den souverän-herrschaftlichen Baß von Matti Salminen und die indisponierte, aber trotzdem ausdrucksstarke Anja Silja. Und dann die Musiker der Oper Zürich: Sie spielten konzentriert und engagiert, voller Elan und Intensität – eben lebendig. Ein Glück, daß sich Wilson für die unsichtbaren Musiker im Orchestergraben nicht interessiert.
Eckhard Roelcke | 27. September 1991