Lohengrin
Daniel Barenboim | ||||||
Chor der Deutschen Staatsoper Berlin Staatskapelle Berlin | ||||||
Date/Location
Recording Type
|
Heinrich der Vogler | Siegfried Vogel |
Lohengrin | Johan Botha |
Elsa von Brabant | Emily Magee |
Friedrich von Telramund | Falk Struckmann |
Ortrud | Deborah Polaski |
Der Heerrufer des Königs | Roman Trekel |
Vier brabantische Edle | Andreas Schmidt |
Peter Bindszus | |
Bernd Riedel | |
Bernd Zettisch |
Elsa ist Leda
Eine besondere Neigung hatte Harry Kupfer nicht zum “Lohengrin”. Von allen Werken Wagners ist es das heikelste. Der unbedingte Reflex der brabantischen Mannen, zum aktuell Mächtigsten umzuschwenken, hat etwas Unangenehmes, das in der Geschichte der Oper ja auch nach Kräften aktualisiert wurde. Und aus dem Frageverbot, das die Ungreifbarkeit Lohengrins gegenüber der Frau sichert, kann man eine Autoritätsgeste herauslesen, wie es Heinrich Mann getan hat. Von dieser Oper fühlt sich Diederich Heßling in allen Untertaneninstinkten tief bestätigt. Trotzdem wollte Daniel Barenboim den “Lohengrin” an der Staatsoper zeigen, und wahrscheinlich hat er recht. Denn über alle Popularität hinaus hat das Werk Substanz. Der Konflikt zwischen dem Leben in seiner Immanenz, der irdischen Bedrücktheit, und der Hoffnung auf eine Öffnung zum Besseren wird so scharf gestellt wie in keiner anderen Arbeit Wagners. Das Leben, wie es ist, ist furchtbar. “In düsterem Schweigen richtet Gott.” Wo nun die Transzendenz einbricht, scheint die Hoffnung auf ein besseres Leben auf, aber sie wird nicht erfüllt. Ohne Lohengrin wäre Elsa den Intrigen ihrer Gegner politisch erlegen. Mit Lohengrin scheitert sie als Liebende. Weil Barenboim den “Lohengrin” für sein Haus wollte, und weil der ganze Wagner aus einem Guß sein soll, ließ sich Kupfer zuletzt wohl vom Systemzwang beugen. Die Vorbehalte gegen das Werk hat er nicht überwunden. Er hat sie eher zitiert als bearbeitet. So treiben die Kostüme (Buki Shiff) das Klischee der Figuren hervor. Elsa in weiß und blond – tugendliche Reine. Ortrud in violett und mit hochgesteckter Frisur – Stiefmutter. Telramund schwarz, der König weiß wie der Hofmarschall im Weihnachtsmärchen. Die Szene zitiert das Olympiastadion und eine moderne Mehrzweckhalle – die Manipulation der Massen. Doch weiter ist dem sonst so erfindungsreichen Hans Schavernoch nicht viel eingefallen. Das Volk nimmt regelmäßig auf einer Stahlrohrtribüne Platz, so ist die Aufführung jedenfalls der Peinlichkeit einer realistischen Chorregie enthoben. Und Kupfer selbst hat sich manches ersparen wollen, indem er das Werk als den erotischen Traum Elsas inszenierte. Urheber der Idee ist offenbar Friedrich Dieckmann mit einem früheren Essay, den er für das Programmbuch bearbeitet hat. Danach fließen die Gestalten Lohengrins und des Schwans, der Elsas Bruder ist, ineinander. Der Schwan, erotisches Symbol seit der Geschichte von Zeus und Leda, steht für den Wunsch nach inzestuöser Beziehung Elsas zu ihrem Bruder. Um sich dies verbotene Begehren nicht einzugestehen, imaginiert Elsa ihren Bruder in anderer Gestalt, der des Ritters. Die Täuschung wird gesichert durch das Frageverbot. Der Traum, der nur verkappt von den Leidenschaften sprechen darf, reduziert Lohengrin zur Projektion. Nicht als Mensch betritt er die Szene, sondern als Büste wird er auf einer Kanzel heraufgefahren. Ein Mann ohne Unterleib, doch mit allerhand Phallussymbolen ausgestattet, Vorstellung einer unreifen Sexualität. Mit ihm ist in Momenten ein Tänzer, der den Schwan gibt. Nach diesem verzehrt sich Elsa, das Gefieder erregt sie, den Sänger auf seiner Kanzel schaut sie kaum an. Die Auflösung der Verwirrung ist die Zerstörung der Illusion, das blutige Schwanengefieder bleibt zurück, das Bild des Bruders ist zerstört. In der Kupferschen Inszenierung stecken eine Vielzahl von Raffinessen, der vieldeutige Schluß ist die größte. Aber das Traumspiel auf dem Musiktheater ist längst zum Gemeinplatz geworden und völlig abgetreten. Vor allem verkennt es, daß das Kunstwerk immer schon Loslösung von der Welt ist. Und was speziell im Lohengrin den Traum so unfruchtbar macht: Elsa hat als Gstalt zu wenig Gewicht. Seit holdes Magdtum nicht mehr hoch im Kurs steht, ist es schwer, an den gänschenhaften Zügen vorbeizusehen. Alle Wagner-Heroinen sind Schwestern der Emma Bovary. Aber Elsas Sehnsucht zerschlägt nicht die Normen der Gesellschaft, sondern übererfüllt sie. Und die Inszenierung, durchaus konsequent, betont die unreifen Züge. Elsa, ein Bravo-Girl mit Lohengrin-Starschnitt im Spind. Der Haken, der gewählt wurde, trägt ein so schweres Werk wie den “Lohengrin” nicht.
Barenboim jedenfalls wußte, warauf er sich einließ. Er dirigierte eine straffe, zum Teil zügige Aufführung, die Staatskapelle und der ausgezeichnete Chor (Einstudierung: Ernst Stoy) sind die Helden des Abends. Die Aufführung ist belebt ohne Manierismen, das Orchester glänzend in Form. Mit dem Recht der Unfairneß seien die Blechbläser hervorgehoben, im Orchester mit weichem, runden Ansatz, wie ihn Barenboim als deutschen Klang schätzt, in der Bühnenmusik auch mit grell-scharfer Attacke. Man fragt sich, ob das Klangideal nicht in Richtung Chicago Symphony Orchestra, dem anderen Ensemble des Chefs, mutiert. Doch wenn es so ist, zeigt es sich als zugewonnene stilistische Bandbreite. Den Lohengrin sang Peter Seiffert mit mehr Kraft als Differenzierung. Die heldischen Momente glänzten, im Piano und an den lyrischen Stellen war der Eindruck schwächer. Emily Magee gab mit leichter, runder Stimme eine sehr jungmädchenhafte Elsa, als Rollenporträt unter den gewählten Bedingungen treffend. Ihre Gegnerin Ortrud war mit der Hochdramatischen Deborah Polaski zu üppig besetzt. Siegfried Vogel als König hatte das Bieder-Durchschnittliche, das der Rolle nicht schlecht ansteht; der Heerrufer Roman Trekel war an diesem Abend vielleicht etwas zu schmal. Die stimmlich stärkste Erscheinung war Falk Struckmann in der allerdings auch dankbaren Rolle des Telramund. Das enge Vibrato, der metallische Glanz schuf einen Typus, der mehr ist als ein Werkzeug seiner Frau. +++
Stephan Speicher | 17.12.1996
Wagner einmal beim Wort genommen
Dunkelheit – verblüffte Stille –, herzliche, empörte Buhs.Am Sonntag abend in der Berliner Staatsoper war die Ablehnung der „Lohengrin“-Inszenierung Harry Kupfers unüberhörbar. Kupfer hat aus der Märchenoper Ludwigs II., aus dieser Kinderoper mit dem Schwanenmann und der frommen Elsa, eine schwarze Tragödie gemacht, deren Draußen hatte es vorher noch Weihnachtsmarktstimmung gegeben, die gebrannten Mandeln hatten geduftet, und ein frierender, aber tadellos in Smoking gekleideter, junger russischer Sänger hatte unmittelbar neben dem Operneingang irgend etwas sehr Unwagnerisches sehr schön gesungen – gegen Kleingeld. Gegen Großgeld gab es die Karten drinnen – viele üppige Abendkleider, Sekt und Brezeln, Billettabreißer mit rotschwarzem Paletot, was will man mehr?
Und dann eine Spielverderberinszenierung. Kupfer hat die helle Tradition dieser Oper, die noch im letzten Bayreuth-„Lohengrin“ von Werner Herzog mit seinem Eis und Schnee gewahrt blieb, gekontert wie das Negativ eines Fotos. Er hat Wagners Einschätzung, dies sei eigentlich seine traurigste Oper, beim Wort genommen.
Kupfer setzt eine Prämisse, ein augenfälliges Ausgangsbild: das gemeinsame Liebeslager Elsas und ihres Bruders Gottfried, einen Geschwisterinzest, der Elsa in Unruhe versetzt, für dessen Entsühnung sie sich Lohengrin herbeiphantasiert.
Lohengrin also nicht mehr als Befreiungsheld für eine höfische Gesellschaft im allgemeinen und Elsa im besonderen, sondern Lohengrin hier bei Kupfer als steifer Zombie, der zu seinen Gesangspassagen hereingerollt wird auf einer Art hoher Kanzel, ein Ritter ohne Unterleib, durch den ein neonscharfes Schwertkreuz hindurchsticht, ein Deus ex machina, der nur in Elsas Kopf existiert…
Elsa ist eine staunende, somnambule Alice im Wunderland, die die Anschuldigung, ihren Bruder und künftigen Herrscher Brabants beseitigt zu haben, nicht in ihrer politischen Dimension aufnimmt. Der Hof Brabants wird vom Bühnenbildner Schavernoch im Berliner Olympiastadion angesiedelt – zackige, schwarze Soldaten auf zackigen, silbernen Tribünen. Elsa bleibt ständig durch Gazevorhänge von der Realität dieser Gesellschaft getrennt, sie zwingt sich ihren Helden kraft Imagination herbei. Ihr Fixpunkt bleibt das Geschwisterlager mit dem Schwanenflügel, der weißen Helle, der sperrigen Weichheit.
Die einzige Person, von der sie zu einem realen Kontakt gezwungen wird, ist Ortrud, die „politische“ Frau mit Machtambitionen, die Intrigantin, die heidnische Zauberin. „Ein politischer Mann ist widerlich; ein politisches Weib aber grauenhaft“, hatte Wagner in einem seiner reaktionären Anfälle inmitten revolutionärer Barrikaden der 48er Jahre an Liszt über diese Ortrud geschrieben. Gleichzeitig zollte er ihr deutlichen Respekt: Sie sei „furchtbar großartig“. (Wie oft hat sich das in Aufführungen auch sängerisch bewahrheitet, indem die Darstellerin der Ortrud die der Elsa an die Wand sang – wie weiland Christa Ludwig die Elisabeth Grümmer…)
Im Zwiegesang der beiden Frauen kam es zu den brillantesten Momenten des Abends, zu den intimsten. Ortrud senkt das Gift des Zweifels in Elsas Herz. Sie wickelt Elsas Brautschleier, in dem diese eine einsame Hochzeit ohne Mann gefeiert hat, schließlich wie eine Zwangsjacke um Elsa und zwingt sie zum Zuhören. Elsa kann sich kein Wachs in die Ohren träufeln wie Odysseus, sie bricht das „Nie sollst du mich befragen“-Verbot an Lohengrin, dringt auf Klarheit, an der sie stirbt.
Zusätzlicher Schlußeklat bei Kupfer: Er läßt den Bruder Gottfried, dessen Verschwinden ja Anlaß der gesamten Handlung ist, eben nicht zurückkehren – kein rührender, blonder Junge als die Zukunft Brabants, kein staatstragendes Finale, sondern er zeigt die von Telramund und Ortrud triumphierend hereingeschleppte, blutige Schwanenhülle, ecco!
Man muß diese strenge Neuinterpretation Kupfers nicht mögen, aber sie geht auf. Das Orchester der Staatsoper unter Daniel Barenboim wäre öfter leiser und filigraner zu wünschen gewesen; Peter Seiffert als Lohengrin war stimmlich nahezu makellos; Emily Magee als Elsa und Deborah Polaski als Ortrud – beide sind zu ihrem Rollendebüt zu beglückwünschen.
Sabine Zurmühl | 17.12.1996
Mein lieber Schwan- ist dieser “Lohengrin” anders
Ein noch unerkannter neuer Stern an Wagners Schwanenhimmel ging bei der “Lohengrin”-Premiere an der Staatsoper auf. Trotz massiver Proteste an Harry Kupfers Regie: Diese Inszenierung wird Operngeschichte schreiben! Kupfer löste die Oper aus ihrer staubigen Märchen-Romantik, rückt die Handlung größtenteils in die Traumwelt der Elsa. Lohengrin ist für sie nur der ersehnte und unwirkliche Traumheld: stets entrückt, unbeweglich auf einer riesigen Kanzel mit weißem Neon-Kreuz, nicht in die Handlung eingreifend. Elsa flüchtet auf ihre Märchenwiese mit einem Schwanenkleid für ihre (inzestuösen) Phantasien. Das Bühnenbild von Hans Schavernoch verlegt die mittelalterliche Handlung mit Spiegeleffekten in ein modernes Technik-Stadion als Gerichtssaal für das Urteil über Elsa. Damit läßt Kupfer seine Neufassung des Wagner-Epos zunächst konsequent erscheinen, verwirrt jedoch durch den überraschenden Tod des in einen Schwan verzauberten Bruder Ottfried” . Dem Hagel an Buhrufen für Kupfer stand heftigster Applaus für die hervorragenden Leistungen von Sängern und Orchester unter Daniel Barenboim entgegen. Die Titelpartie des Lohengrin sang mit ausgereifter Tenor-Brillanz Peter Seiffert anstelle des erkrankten Johan Botha. Die Sopranistin Emily Magee überzeugte stimmlich und schauspielerisch als verträumte Elsa. Sonderbeifall für Bariton Falk Strukmann, der trotz Fußverletzung mit Krückstock auftrat und wahren Hörgenuß bot. Als fiese Ortrud bewies Deborah Polaski erneut ihre Mezzosopran-Qualitäten als feinste Wagner-Interpretin.
tom | 17.12.1996