Lohengrin
Antonio Pappano | ||||||
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Heinrich der Vogler | John Tomlinson |
Lohengrin | Roland Wagenführer |
Elsa von Brabant | Melanie Diener |
Friedrich von Telramund | Jean-Philippe Lafont |
Ortrud | Gabriele Schnaut |
Der Heerrufer des Königs | Roman Trekel |
Vier brabantische Edle | Michael Howard |
Arnold Bezuyen | |
Attila Jun | |
Jyrki Korhonen |
Rettungslose Liebe in finsterer Welt – Beklemmende Neuinszenierung des Lohengrins
Für die diesjährige Neuinszenierung konnte mit Regisseur Keith Warner und Dirigent Antonio Pappano ein Team erstmals in Bayreuth verpflichtet werden, das bereits mit einigen gemeinsam erarbeiteten, hochwertigen Produktionen auf sich aufmerksam machte. Auch in Sachen Wagner war Warner schon wiederholt erfolgreich tätig. Pappano sammelte zudem seit mehreren Jahren als Assistent von Daniel Barenboim in Bayreuth Erfahrung. Beste Referenzen weisen beide also vor, dementsprechend anspruchsvoll nun das Ergebnis, das in Bayreuth Premiere hatte.
Warner zeichnet seinen Lohengrin als dunkle, beklemmende Fabel der scheiternden Liebe. Da läßt er den Schwan gleich zu Beginn abtauchen in einen dunklen Tümpel. Düster, bedrohlich ist die Stimmung von Anfang an, es hellt sich zu keiner Zeit auf, auch nicht mit dem Auftreten Lohengrins. Sein Erscheinen vollzieht sich denkbar unspektakulär, betont lapidar, aber gerade das weiß Warner besonders wirkungsvoll in Szene zu setzen. Das Volk, der Chor als eine Seelenmasse sich sehnend nach einem Wunder, reckt sich dem plötzlich vorhandenen, geheimnisvollen riesigen Quader zu, der sich öffnet und unglaubliches Licht im Inneren birgt. Dabei übersieht es aber den, der da kommt: eine unauffällige Figur, zaghaft seinen Weg sich bahnend. Keine Lichtgestalt, kein weiß oder silber kleidet diesen Lohengrin, von himmlischem Gebaren keine Spur. Ein schwarzes Gewand trägt er, dunkel eingehüllt wie alle in Brabant. Es wird ein Lohengrin sein, so gibt Warner schon hier zu verstehen, der außer im Zweikampf an der Waffe nichts ausrichten kann, der kein Glück für sich und Elsa schaffen kann.
Mit Zurückweisung der üblichen Stärke und Strahlkraft des Lohengrins, kommt in Warners Inszenierung die Figur der Elsa stärker heraus. Das Spiel, das hier vorgeführt wird, kreist um Elsas Geschick. Wir sehen sie nicht glücklich, zu keinem Moment. Es geht um eine Liebe, die nie eine erfüllte war und werden konnte. So läßt Warner im zweiten Akt auch sinnfällig eine Mauer auf der Bühne zwischen Elsa und Lohengrin errichten. Diese Beiden, die ihre Hochzeit erwarten, sie sitzen voreinander aber die Mauer des Schweigens bleibt zwischen ihnen, verhindert wird jede echte Berührung – so nah und doch so fern. Zu Lohengrin kann Elsa nicht gelangen in dieser Szene. Allzumenschlich ist es daher, daß es die Gequälte so stark zu Ortrud hinzieht, zu der Frau, die den Zweifel sät oder wohl eher den vorhandenen nur zu schüren braucht. Die einzige Farbe im düsteren, morastigen Grau von Brabant ist das Rot des Gewandes der Ortrud, und vollständig rot verfärbt sich auch der Himmel schließlich, vor dem Elsa und Ortrud in großer Geste sich die Hand reichen.
So zeigt sich hier, daß bei der Abwehr jeglicher Erlösungshoffnung und bei aller wohltuenden Verweigerung einer Lohengrin-Verherrlichung der Regisseur dennoch nicht die großen dramatischen Szenen scheut. So auch sein Umgang mit dem Chor, der wie üblich in einer Lohengrin-Inszenierung als großer Block aufzieht und staunt, beobachtet, klagt. Er wird von Warner allerdings immer wieder recht bewegt als eine Masse modelliert. Die zahlreichen Soldaten, die der König mitbringt, werden ebenfalls mit einem mächtigen Bild verbunden, dabei aber durchaus über das Übliche hinausgehend leicht verfremdet von oben als statischer Block hinabgefahren, um den oberen Teil der Bühne einzunehmen. Das vermeidet zum einen angenehmerweise scheppernde Auf- und Abtritte und gibt, in silbriges Dämmerlicht getaucht, einen gewissen unwirklichen Touch, eine leicht ironische Distanz. Der besondere bühnentechnische Kniff verstärkt zudem den Eindruck der düsteren Unterwelt von Brabant. Ein durchaus gelungenes großes Bild also.
Der Weg zum Münster zeigt sich anschließend mit Hilfe eines großen Bühnenaufbaus als ein gewaltiges Kreuz. In der Mitte dieses Tableaus steht Elsa, umgeben von denen, die sie angehen. Vor ihrer Traukirche steht sie gequält und zerrissen im Mittelpunkt des Machtgefechtes, das sich an ihr entzündet. Besonders dicht wird hier die Beziehungsstruktur von den Sängerdarstellern entwickelt. Lohengrin kommt Elsa nicht zur Hilfe, nur stumpfe verzweifelte Wut gegen Telramund beutelt ihn und zeigt ihn machtlos, fast erbarmungswürdig. Elsa wendet er sich nicht zu, sondern fordert sie erst richtig, quälend, vorwurfsvoll. Er wendet sich ab von ihr, sie reckt die Hand nach ihm, doch er gibt sie nicht.
Auch für den letzten Akt wurde ein entsprechender Aufbau entworfen: eine sich langsam drehende, leere Fläche (sich drehende Objekte sind nicht selten zu sehen in Bayreuth) bildet das Brautgemach. Dramatisch spitzt sich hier das Geschehen zu, zweifellos intensiviert durch die erbarmungslose, schwindelnde Bewegung.
Große Szenen werden also aufgeboten von Warner, um die von Anfang an schon unendlich finster angesetzte Stimmung immer weiter zu verdichten. In dem Stil der Bilderfindung, der mächtigen Atmosphärensprache ist die Umsetzung des Lohengrins daher vielleicht nicht so ganz neu, wie es zunächst scheinen mag, sondern gewohnt großflächig und monumental, wie es in Bayreuth und generell bei Wagner Inszenierungen immer wieder zu sehen ist. Dennoch aber ist diese Lohengrin-Inszenierung von Warner auch ein anderes, ein neues Werk. Denn das Märchen vom Schwanenritter wird schonungslos erzählt, so radikal verdunkelt, wie es sicher selten zu finden ist. Verweigert wird jede lichte Emphase, statt dessen die Unfähigkeit zu Gefühlen und die Aussichtslosigkeit ihrer Entfaltung bloßgelegt. Dies ist packend, ehrlich, verstörend. Überwältigend gerät die Diagnose durch die treffenden dramatischen, leidenschaftlichen Bilder.
Dem Gestus der Inszenierung entspricht vollauf das Dirigat Pappanos, hier zeigt sich die enge Zusammenarbeit des eingespielten Teams Warner/Pappanos. Unter Pappanos Leitung erklingt das Orchester makellos, absolut konzentriert. Der Dirigent findet mit seinen Musikern einen Ton, der immer wieder auch etwas zurückgenommen bleibt, fast nüchtern ist mitunter. So versagt Pappano sich, so könnte man meinen, das letzte Auskosten der Strahlkraft, die der Musik innewohnt. Dann aber wiederum, ebenso entsprechend zur Inszenierung, führt sein Dirigat leidenschaftlich in große atmosphärische Klangbilder hinein – keine völlig neue, nie gehörte Lohengrin-Interpretation also von Pappano, aber genaues Nachspüren des Geschehens auf der Bühne im absolutem Einklang mit der Regiearbeit.
Getragen wird diese genaue Zusammenarbeit von einem leistungsstarken, konzentrierten Team von Sängern, die das tragische Personengeflecht der Fabel genau entwickeln. Melanie Diener als Elsa und Roland Wagenführer als Lohengrin geben ein hervorragendes Stimmpaar ab und gestalten eindrucksvoll das Duett im Brautgemach. Wagenführer erbringt zwar nicht ganz die große überstrahlende Stimmkraft, das paßt aber verblüffenderweise ausgezeichnet zur Inszenierung. Herausragend ist vor allem Melanie Dieners Elsa: kindlich aufbegehrend, ja jugendlich trotzig, verzweifelt. Ganz Meisterin ihrer wohltönenden, klaren Stimme, zeigt Diener sich sicher in ihrer Partie agierend. Ein vielversprechender Neuzugang ist diese junge Sängerin für Bayreuth! Gabriele Schnaut als Ortrud macht überwältigende Kraft des Bösen hörbar, und kann dabei die Szene wirkungsvoll beherrschen. Kein Raum bleibt da für Zwischentöne, die aber werden von ihr wohl auch nicht angestrebt. Klangwirksam gibt sich John Tomlinson als König und zufrieden stellen auch Jean-Phillipe Lafont als Telramund und Roman Trekel als überraschend differenziert gesungener Heerführer. Fantastisch erklingt der Chor unter der Leitung von Norbert Balatsch. Ein großer Abend wurde also von allen Beteiligten gegeben, von Regie und Dirigat überzeugend geleitet und ausgezeichneten Stimmen umgesetzt. Großen Anklang fand die Produktion beim Bayreuhter Publikum.
Meike Nordmeyer | Bayreuther Festspiele (II) 31. Juli 1999
Schafft Neues, Kinder!
“Lohengrin”, Bayreuths letzte Neuinszenierung bis 2000, zeigt, wie tot das Regietheater ist
Brabant nach einem Luftangriff. Düstere Ruß- und Kraterlandschaft, der Boden ist rissig und schrundig, hier und da ragt ein verbrannter Baumstumpf auf. In der Bühnenmitte ein Tümpel, wie ein mit Wasser vollgelaufener Bombentrichter. Zum Vorspiel des “Lohengrin” steigt aus der schmutzigen Pfütze ein weißer Schwan auf, possierlich und aus Plastik wie eine Badewannenente. Lohengrin spielt damit. Über ihm schwebt – aus einstweilen ungeklärten Gründen – ein Würfel. Und am Bühnenhimmel geht ein Wonnemond auf, Sinnbild jener Romantik, die uns der Regisseur vorher mit seinem Kosovo-Brabant so gründlich ausgetrieben hat.
Mit Lohengrin, dem Schwanenritter, der die des Brudermords bezichtigte Elsa erst rettet, dann heiratet und schließlich wieder verläßt, weil sie sich nach seiner Herkunft erkundigt, mit dieser hochromantischen Oper ist in den letzten Jahren viel versucht worden – und wenig gelungen. Robert Wilson bot in Zürich und New York kühles Design unter der Zeitlupe, Ruth Berghaus verlegte sich in Graz auf abstrakten Symbolismus, Harry Kupfer versuchte 1996 in Berlin ein psychoanalytisches Traumspiel, und Peter Konwitschny gab letztes Jahr in Hamburg ein Beispiel radikaler Aktualisierungs-Metaphorik: Lohengrin in einem Klassenzimmer des 19. Jahrhunderts – die Gralsritter in der Feuerzangenbowle.
In Bayreuth wurde seit 1987 die naiv märchenhafte Inszenierung von Werner Herzog gegeben. Auf ihn folgt nun Keith Warner. In Deutschland heißt es, er sei in England weltberühmt. In England ist man sich da nicht so sicher. Auf jeden Fall verpflichtete Festspielleiter Wolfgang Wagner den Briten als Regisseur für die letzte Bayreuth-Premiere in diesem Jahrhundert, nachdem Willy Decker kurzfristig abgesagt hatte. Was ist Warner eingefallen, um in diesem von einer komplexen Rezeptionsgeschichte überwucherten Rätselwerk eigene, unverwechselbare Akzente zu setzen? Um es kurz zu machen: nicht viel.
“So laß’ ich mir moderne Opernregie gefallen”, schwärmte in der Pause eine Publikums-Brünnhilde. Das muß man als Alarmzeichen deuten. Keith Warner macht alles ein bißchen und nichts richtig. Ein bißchen Psychoanalyse, ein bißchen Aktualisierung, ein bißchen historische Werktreue, ein bißchen Designer-Bühne, ein bißchen Rampensingen. Der Eklektizismus der Kostüme ist exemplarisch. König Heinrichs Soldaten lassen sich auf einer zweiten Bühne in mittelalterlichen Ritterrüstungen aus dem Bühnenhimmel herab. Lohengrin hat ein zeitloses Phantasiekostüm. Und Ortrud wirkt in ihrem violetten Seidentaft samt Kopfputz wie eine Likör-Oma der Jahrhundertwende.
Glücklicherweise ist die Ortrud von Gabriele Schnaut ein musikalisches Ereignis. Von Akt zu Akt steigert sich der diabolische Furor ihres Mezzosoprans. Immer lauter lodert die Stimme, ohne zu verglühen. Höhepunkte sind das Duett mit der lyrisch-leiser gestimmten Elsa (Melanie Diener) im zweiten Akt, und Ortruds höhnischer Haß in der letzten Szene. Roland Wagenführer blieb im Vergleich als Lohengrin blaß. Stimmstar des Abends war – wie fast immer in Bayreuth – der von Norbert Balatsch einstudierte Chor.
Dirigent Anthony Pappano begann sein Bayreuth-Debüt enttäuschend und endete vielversprechend. Im ersten Akt gab es noch allzu viele Koordinationsschwierigkeiten zwischen Bühne und Orchestergraben, rhythmische Wackler und Schwammigkeiten. Im zweiten Akt steigerte er sich, kostete lyrisch-leise Momente ebenso lustvoll aus wie die naturereignishaften Klanggewalten der prallen Partitur.
Die Inszenierung verstärkt im zweiten Teil ihr Metaphern-Gewitter. Der Schelde-Tümpel entwickelt sich zum freudianischen Symbol-Speier: Mal wirft er Waffen und Ritterrüstungen zutage, dann wieder kreist über ihm der Würfel, in den Lohengrin gesperrt ist wie ein Tiger in den Käfig. Wie Zitate ziehen in dieser Inszenierung noch einmal die Klischees des modernen Regietheaters der letzten dreißig Jahre vorbei: Elsa und Lohengrin sitzen im zweiten Akt auf Stühlen gegenüber, getrennt von einer Wand. Damit ja keine Romantik aufkommt, nehmen sie gruppendynamisch ihre Beziehungskiste auseinander – gut, daß wir darüber gesprochen haben.
Der Himmel ist blau und kalt. Später wirft Elsa die Wand nieder und der Himmel färbt sich in ein leidenschaftliches Liebesrot. Irgendwann wird der ins überdimensionale gewachsene Gefängniswürfel Lohengrins aufgeklappt und zum Liebeslager – wohlgemerkt, als schiefe Ebene, denn die beiden haben ja keinen beständigen Grund unter den Füßen. Zum Hochzeitsmarsch schließlich wickelt Elsa, politisch korrekt, weiße Schleier um die Schwerter der Krieger. Die Botschaft ist klar: Make love, not war. Und während die beiden der Minne Macht erliegen, will einem Robert Gernhardt nicht mehr aus dem Sinn: “Mein Gott ist das beziehungsreich, ich glaub’ ich übergeb’ mich gleich.”
Keith Warners “Lohengrin” ist ein Potpurri der Postmoderne. Lustlos reproduziert es die Bilder und Bilderstürme der Avantgarde von gestern. Die Oper über den Schwanenritter wird so zum Schwanengesang auf das Regietheater selbst. Festspiele sind Röntgenbilder der kreativen Potentiale und Entwicklungen des Musiktheaters.
Vorbereitet durch Wieland Wagner in den fünfziger und sechziger Jahren, legten die immer wichtiger werdenden Interpretations-Regisseure immer neue Tiefenschichten der Werke frei. Höhepunkt waren die siebziger Jahre, als Harry Kupfer in seinem “Fliegenden Holländer” (1978) und Patrice Chereau in seinem Jahrhundert-“Ring” (1976) durch radikale Aktualisierung und Psychologisierung das über die Jahrzehnte Verstaubte entstaubten, es farbiger und nuancenreicher machten. In den achtziger Jahren wurde dieses Regietheater auf oft hohem Niveau gepflegt, in den neunziger Jahren fiel es in Agonie. Auch aus Bayreuth bleibt keine wirklich prägende, innovative Inszenierung dieser Zeit in Erinnerung. Der große kreative Wurf blieb aus, aber zum Sängertheater oder zum Wagner mit Wald und Trinkhorn fehlte auch der Mut.
Als ob es noch eines Beweises bedürfe, schließt sich am Ende des Jahrhunderts auch auf dem Grünen Hügel der kreative Kreis: Das Regietheater ist tot. Und Wagners Appell hallt ins nächste Millenium: Schafft Neues, Kinder!
Schafft Neues, Kinder! ruft seit Jahren beständig und immer schriller auch Nike Wagner, die Cousine des bald achtzigjährigen Komponistenenkels. Sie würde gerne selbst die Macht übernehmen und die Festpiele für andere Komponisten öffnen. Seit vielen Jahren sorgt der Familienstreit der Wagners für den lautesten Theaterdonner. Wer wird Wolfgang Wagners Nachfolger und wann? Das dominierte auch diesmal viele Pausengespräche. Zum aktuellen Stand: Wolfgang bleibt wohl länger als erwartet, Giuseppe Sinopoli hat als künstlerischer Leiter derzeit die beste Perspektive, weil er am längsten unauffällig geblieben ist. Der Dirigent könnte mit Gudrun und Katharina Wagner – Wolfgangs Frau und Tochter – ein Triumvirat bilden. Nike ist gänzlich ohne Chancen.
Ein Freund Alban Bergs soll sich einmal über Richard Wagner beklagt haben: schlechter Charakter, fiese Ideologie, dubiose Ästhetik. Worauf Berg seufzte: Sie haben’s gut, Sie sind kein Musiker. Musiker und Musikbegeisterte tanzen auch hundertsechzehn Jahre nach Wagners Tod nach dessen Pfeife: warten Jahre lang auf Karten, reisen von Tokio oder Tonga für ein paar Tage in die fränkische Kleinstadt, sitzen stundenlang auf harten Stühlen in einem erstickend schwülen Raum und reden sich bis tief in die Nacht über ein Regiedetail oder einen Spitzenton die Köpfe heiß.
Warum auch sollten diese monomanischen, herrlich einseitigen Festspiele, die seit eineinviertel Jahrhunderten dem Werk eines einzigen Komponisten huldigen, warum sollte diese Einzigartigkeit so werden wie so viele Festivals landauf landab schon sind: offen und austauschbar?
Richard Wagner hatte schon recht: Schafft Neues, Kinder! Aber von Theodor Fontane wissen wir ja: Das wirklich Neue ist manchmal das ganz Alte.
Mathias Döpfner | 27. 7. 1999
Dumpfe Recken im Morast
Bayreuther Festspiele: Der neue “Lohengrin” von Keith Warner und Antonio Pappano
Brabant ist ein wüstes Land. Überall Morast, Baumstümpfe, totes Geäst.
Kein Leben, kein Licht. Die Sonne will gar nicht mehr aufgehen über diesem unwirtlichen Ort. Als schwache gelbe Funzel nur leuchtet sie manchmal von ganz weit her. Düster ist die Welt, leer sind die Seelen der Menschen, die hier leben. Und dann kommt Lohengrin! Aber er ist nicht der überirdische Heilsbringer, die blau schimmernde Lichtgestalt, der Retter von Brabant.
Tristes Schwarz trägt er, wie alle anderen. Ohne Schwan tritt er aus einem rätselhaften schwarzen Kubus unter die Menge. Ein unnahbarer Krieger, mit dem die Sonne auch nicht heller wird.
Das ist die Idee, die hinter diesem neuen Bayreuther Lohengrin steht: Wagners Werk als hoffnungsloses Stück zu zeigen, von Anfang an. Der Regisseur Keith Warner glaubt weder an das politischutopische Potential der Oper, die Wagner 1846/47 mitten im revolutionsknisternden Vormärz geschrieben hat, noch an die Märchenkraft der Schwanenrittersage. Wie ausgeglüht wirkt seine Lohengrin-Welt, imaginiert vom Schluss der Oper her: den “Weh”-Rufen der Männer und Frauen, den harschen Schlussakkorden, dem desperat gebrochenen Moll. Sogar das Orchestervorspiel, dieser geheimnisvoll und betörend aufglimmende Vorschein einer großen Sehnsucht, interpretiert er als Geste der Vergeblichkeit: Im Schattenriss sieht man als stumme Szene zur Musik Lohengrin mit ausgestreckten Armen an einen kleinen Tümpel mit Brackwasser schreiten, aus dem, von Licht umschimmert, ein weiß glänzender Miniaturschwan auftaucht und gleich wieder verschwindet. Schon bevor die Oper richtig begonnen hat, wird da die naive Ludwig-II.-Romantik, die dem Lohengrin auch stets anhaftet, kurz vorgezeigt und auf Nimmerwiedersehen versenkt.
Aber die frühe Desillusionierung hat auch ihre Tücken: Wer das Stück bereits am schwärzesten Punkt beginnen lässt, muss um die dramatische Spannung für die nächsten Akte fürchten und um die Fallhöhe der Konflikte. Und deshalb überbietet sich Keith Warner im Verlauf des Abends mit immer neuen, immer großformatigeren Metaphern der Entzauberung und der Ernüchterung. Wenn Ortrud zu Beginn des zweiten Akts ihre Rachepläne schmiedet, fährt eine schwarze Wand hoch zwischen Elsa und Lohengrin, die sich stumm auf einem Kampfplatz in Kreuzform gegenüberstehen. Wenn der Zweifel am Frageverbot in Elsas Kopf zu nagen beginnt, bricht eine apokalyptische Sonnenfinsternis über das sowieso schon dunkle Brabant herein. Und wenn Elsa die verhängnisvolle verbotene Frage gestellt hat, kippt die Spielfläche in extreme Schräglage, und das Wasser, das die beiden als offenbar liebespendendes Element umgab, rauscht in einem spektakulären Sturzbach in den Abgrund. Grobe, effektheischende Bilderfindungen für ganz fragile Stimmungslagen.
Warner richtet seinen Blick bevorzugt aus der Totalen auf das Stück. Die inneren Nöte der Figuren, vor allem der Frauen, die Triebkräfte, die in Elsas erotischen Traumwahnvorstellungen wirken, oder der Urgrund von Ortruds dämonischem Furor interessieren ihn kaum. Elsa verharrt über weite Strecken nur als ein apart arrangierter Lichtpunkt im opulent düsteren Endzeittableau.
Die musikalische Empfindsamkeit, die ihr die Wagner-Debütantin Melanie Diener mit ihrer nicht sehr großen Stimme und ihren weichen Phrasierungen verleiht, findet keine szenische Entsprechung. Gabriele Schnaut gibt die Ortrud voll angestrengt hochgestemmter Dramatik ohne jeden Zwischenton, während die Regie sie als Abziehbild der bösen Verführerin in die Szene rückt, mit rostrotem Haar und tanzenden Flämmchen auf der Hand. Lohengrin (Roland Wagenführer mit robustem Tenor, dem die heldische Strahlkraft fehlt) ist ein eher leidenschaftsloser Held und Telramund (Jean-Philippe Lafont) beinahe die Karikatur des ewig nach Vergeltung dürstenden Opernschurken.
Viele Grauwerte offenbaren die Figurenentwürfe. Kaum etwas ist zu sehen vom filigranen Seelendrama, von dem Wagners Musik immer wieder so beredt kündet.
Stattdessen hält der Ausstatter Stefanos Lazaridis die Bayreuther Bühnenmaschinerie mit Aplomb in Bewegung. Da fährt ein mächtiger schwarzer Kubus auf und nieder. Da senkt sich vom Schnürboden ein Breitwandpodium für König Heinrichs waffenstarrende Truppen herab. Da werden bedeutungsschwanger lange Stege herabgelassen und wieder hochgezogen. Kalte, leere, technische Symbolik, die die zu Beginn postulierte Kargheit der Szenerie wieder zurücknimmt und dem Stück einen unangenehmen Zug ins Monumentale verleiht.
Die waffenklirrenden Massenaufmärsche, die dröhnenden Heilsrufe des leicht verführbaren Volkes, gehören sowieso zu den prekärsten Aspekten jeder Lohengrin-Interpretation. Warner und Lazaridis sind dumpfem Reckentum und einem kraftmeiernden Lederwams-Pathos nicht ganz abgeneigt. Fünf Reihen hoch gestapelt sind Heinrichs armierte Mannen. An Lanzen befestigte Eisenfäuste recken sie in die Luft. Schwer schleppen auch die Brabanter an ihren Schwertern, tragen sie als Kreuzsymbol in geduckten Prozessionen vor sich her. Massengepränge, das kaum je kritisch gebrochen ist und musikalisch von Norbert Balatschs Chören rauhkehlig und martialisch zugespitzt wird. Auch der Dirigent des Abends, Antonio Pappano, ebenfalls Debütant am Grünen Hügel, agierte ohne klar konturierte Interpretationslinie: Mal schien er den frenetischen Tonfall bewusst zurückzunehmen, dann wieder, vor allem im zweiten Akt, forderte er einen schneidenden, stählernen Klang mit Vehemenz ein. Vieles blieb merkwürdig undifferenziert in seiner Deutung, grau in grau, mit manchen starken lyrischen Momenten.
Seltsam, wie die Bayreuther Produktionen der vergangenen Jahre immer wieder zum großen Schaueffekt tendieren, zum üppig dimensionierten szenischen Arrangement, dass es ihnen – mit Ausnahme des Tristan von Heiner Müller – gerade an der genau beobachteten, Tiefenschichten offenbarenden Personenregie mangelt. Manche Aufmarschordnung im neuen Lohengrin hätte auch von Wolfgang Wagner selbst stammen können. Ein Neu-Alt-Bayreuther Stil. Er wird uns noch eine Weile erhalten bleiben.
Claus Spahn | 29. Juli 1999
Alles ist durch
König Heinrich, dem noch ein großer Sieg bevorstehen soll, ist schon recht zauselig. Die festen Worte zur Begrüßung der Brabanter spricht er von seinem Thron herab, aus dem er sich, amfortasgleich verkrümmt, schon nicht mehr erheben kann. Für deutsches Land das deutsche Schwert kann er nur noch bis Kniehöhe heben; das Gottesgericht hält er ab, weil ihm zu eigenem Urteil die Kraft fehlt; während der Vorbereitung zum Kampf wäscht er sich die Hände in Unschuld. Auch die Stimme (John Tomlinson) klingt schon etwas angestrengt. Seine Sachsen sind, was das Nachlassen der Lebenskräfte anlangt, noch weiter: Sie werden wie er selbst von einer Beleuchterbrücke heruntergefahren, mehr eine silberglänzend gefüllte Rüstkammer als Menschen, ein Bild glorreicher Vergangenheit, vielleicht auch eines der Zukunft: der technisierten, dehumanisierten Macht. Für den Fortgang der politischen Entwicklung bedeutet das aber kein Hemmnis. Der Heerrufer ist in die freie Stelle eingetreten. Längst beschränkt er sich nicht mehr darauf, des Königs Wort und Willen kundzutun, sondern treibt selbst die Politik. Roman Trekel gibt den in Gestalt und Stimme schlanken, geschmeidigen Politiker. Den langen Mantel effektvoll gelb ausgefüttert, links noch eine Armschiene als Erinnerung an seine kriegerische Vergangenheit, ist er in der Substanz ganz der überlegene Zivilist. Er macht die Stimmung, und während das Volk seine Hochs! und Heils! und Sieg! ausbringt, verschwindet er bereits; er weiß ja, wie so etwas gemacht wird und hat sicher noch viele andere Dinge zu erledigen. Die Welt, in der Lohengrin und Elsa ihr trauriges Schicksal erleben, ist nicht die des poetisch verklärten Mittelalters, nicht der Aufgang der sich bildenden Macht der Sachsenkaiser. Verbraucht wie Heinrich I. ist die Natur, eine öde Mondlandschaft, zwei Baumstümpfe sind Zeichen früheren Lebens, die Schelde im ersten Akt noch eine Erinnerung, schmutziger Tümpel, der bis zum letzten Akt austrocknen wird und einen Krater zurückläßt, in den Lohengrin herabsteigt. Selbst der Mond, der sein bleiches Licht auf die nächtliche Szenerie wirft, ist ein abnehmender. Die Farben sind Schwundstufen: schwarz, grau, silber, auch Lohengrins Erscheinung sticht nicht glänzend hervor. Wenn es mit Monsalvats noch etwas auf sich hat, dann strahlen Glanz und Wonne jedenfalls nicht mehr bis unter die Irdischen. Der Regisseur Keith Warner, der recht kurzfristig für Willy Decker einsprang, hat den Bayreuther “Lohengrin” als eine Geschichte ohne Hoffnung inszeniert. Nicht nur fehlt der traurigen Geschichte die Verklärung, die für alle anderen Wagnerschen Musikdramen typisch ist. Warner hat auch das mögliche utopische Potential verneint. Als Wagner Ortrud als “Reaktionärin” bezeichnete, gab er einen Hinweis auf die mögliche geschichtsphilosophische Hoffnung. In einer Welt ohne partikularistische Selbstsucht, einer denkbaren Welt der Zukunft, wäre die bedingungslose Anerkennung der Liebe und der Kunst möglich. Daß hieße, daß Elsa und Lohengrin an dem aktuell unvollkommenen Gesellschaftszustand scheitern, und in der Tat macht der Gesangstext deutlich, daß Ortud und Telramund, die Elsas Zweifel aufstacheln, einer älteren, bornierten Stufe der Menschheit angehören. Dem steht aber die früh gemachte Beobachtung entgegen, daß ihre Musik die ästhetisch fortgeschrittenste ist. Warner und sein Bühnenbildner Stefanos Lazaridis antworten darauf mit der Verlegung des Werkes in eine Zeit, die alles hinter sich hat. Noch die letzte Hoffnung, die Rückkehr des jungen Herzogs, wird zur Desillusionierung: Der Knabe trägt den toten, zerrupften Schwan im Arm, und selbst ist er gleichfalls dem Leben verloren: gerade zum Herzog ausgerufen verschwindet er in jene Aureole, aus der während des Vorspiels Lohengrin kam. Es ist eine Qualität der Inszenierung, ein doppeltes Bild für den abgewirtschafteten Zustand der ersten Hälfte des 10. und der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu zeigen. Gegen die zerstörte Natur Brabants steht die technisierte Lohengrins und Elsas. Der Schwanenritter erscheint in einem dunklen Kubus, der sich gleißend hell öffnet. Auf dessen Boden vollzieht sich das Unglück Elsas. Es ist die Filmästhetik der Science-fiction, die dem Werk implantiert wird: Hier ist man mit allem durch. Der Kälte der menschlichen Mondlandschaft entspricht die Kälte der Gralswelt. Die Gebrechlichkeit der menschlichen Dinge trifft auf die Fremdheit des Lohengrin-Futurismus. Die schönere Menschlichkeit liegt allein bei Elsa. Melanie Diener befreit die Figur aus dem Gänschenhaften: Nach anfänglicher Unsicherheit gibt sie mit schöner, wohl etwas zu kleiner Stimme die selbstbewußte, selbstbewegte Frau. Ihr “Nimm mich hin” ist nicht Dienstbereitschaft gegenüber dem Mann, sondern emanzipierte Sinnlichkeit. Das ist Wagner von seiner stärksten Seite aufgefaßt. Lohengrin (Roland Wagenführer) tut in dem Desillusionierungskonzept etwas zu viel, insofern Spiel und Stimme etwas matt geraten. Auch Telramund und Ortud sind darstellerisch nicht sehr ausgeformt, Gabriele Schnaut allerdings kraftvoll, was bei der Premiere gut ankam. Die Zufriedenheit war zuletzt allgemein, obgleich musikalisch doch manches haperte. Namentlich im ersten Akt wackelte es zum teil mächtig, die Koordination zwischen Bühne und Orchester stimmte nur sehr ungefähr, auch die Chöre ließen ihre berühmte Präzision vermissen. Antonio Pappano folgte einem flächigen Klangideal, auch die dramatischen Höhepunkte sollten nicht zugespitzt, sondern als in Bewegung geratene Klangflächen gezeigt werden. Aber in der heiklen Akustik des Festspielhauses führte das zu einem vagen Eindruck. Das zweite Frageverbot ließ die schneidende Eindringlichkeit, die Angst, die in dieser Szene schon liegt, ganz vermissen. Im Liebesduett war die Phrasierung so undeutlich, daß die Dramatik, das heißt innere Notwendigkeit, mit der Lohengrins Forderung scheitert, im ungefähren Und dann Und dann verschwimmt. Berühmtere Dirigenten als Pappano sind mit den Problemen der Bayreuther Akustik nicht zurechtgekommen, Igor Markevich oder Lorin Maazel beispielsweise. Auch Solti hatte wohl solche Probleme, als er die von ihm angeregte “Ring-Inszenierung” von Peter Hall schon im zweiten Jahr nicht mehr dirigieren wollte. Die Inszenierung aber ist animierend. Gelegentlich ist Regisseur und Bühnenbildner vielleicht zu viel eingefallen, manche Motive scheinen noch nicht recht integriert. Das aber kann in den kommenden Jahren verbessert werden. Dieser “Lohengrin” lohnt die Weiterarbeit.
Stephan Speicher | 27.07.1999