Lohengrin

Stefan Soltesz
Opernchor und Extrachor des Aalto-Theaters
Essener Philharmoniker
Date/Location
28 February 2001
Aalto Musiktheater Essen
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Heinrich der Vogler Marcel Rosca
Lohengrin Thorsten Scharnke
Elsa von Brabant Martina Serafin
Friedrich von Telramund Claudio Otelli
Ortrud Ildikó Szönyi
Der Heerrufer des Königs Heiko Trinsinger
Vier brabantische Edle Bernhard Schwarz
Arnold Bezuyen
Attila Jun
Jyrki Korhonen
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Online Musik Magazin

Der Erlöser der Puppenstube

Was die Erlösungsbedürftigkeit angeht, ist der Lohengrin zeitlos aktuell. Helden, die aus dem Nichts kommend für das Gute kämpfen und gleichzeitig militärische wie politische Führungsaufgaben übernehmen können, die kämen in etlichen Krisenregionen unserer Welt gerade recht. Warum also den Gralsritter nicht einmal nach Tschetschenien oder nach Sarajevo schicken? Vielleicht nicht gerade als Blauhelm, aber als charismatische Lichtgestalt mit Herz für die Unterdrückten?

Vielleicht wollte Regisseur Anselm Weber in Essen einen solchen Ansatz verfolgen. Immerhin gibt es auf der Bühne ein mehrstöckiges, teilweise zerstörtes Haus mit vielen realistischen Details wie zerborstenen Scheiben zu sehen, und es laufen Gestalten mit hässlichen Wunden herum. Wäre die Bühne (Raimund Bauer) nicht im Modellbahn-Look gehalten, wären die farblich delikat abgestimmten und mit Designer-Schmutz eingetönten Kostüme (Bettina J. Walter) nicht gar zu niedlich, wären die Wunden von den Maskenbildnern nicht maßlos übertrieben bluttriefend gestaltet, dann hätte das ein beeindruckendes Bild ergeben können. So sind die Spuren des Krieges auf Puppenstubenformat gestutzt. Keine guten Voraussetzungen für das Erscheinen eines echten Helden.

Obwohl der Chor wild gestikulierend ins Publikum starrt, sitzt Lohengrin plötzlich mitten auf der Bühne und schäkert mit seinem Schwan. Mit lässigem Hemd und flippigem Anzug tritt er auf wie ein Schlagersänger, und spätestens bei der Gralserzählung (Licht aus, Spot an – Ilja Richter hätte seine Freude gehabt) fehlt dann nur noch das Micro. Der Chor ist choreographiert wie einst bei Wieland Wagner, demonstrativer Aktionismus der Choristen unterstreicht nur die fast durchweg streng symmetrische Grundanordnung. Und so realistisch es einerseits zugeht, so unbeholfen wirken viele sorgsam einstudierten Gesten.

Es sind aber nicht (nur) die etlichen, teils haarsträubenden handwerklichen Schwächen des Regieteams, die jeglichen Inszenierungsansatz im Keim ersticken, es ist auch kein Konzept erkennbar. Es reicht ja nun keinesfalls, mit ein paar assoziativen Bildelementen den Rahmen abzustecken, die Geschichte will auch in diesem Rahmen erzählt sein. Wer aber ist dieser Lohengrin? Wer ist der König? Welche Funktion haben sie? Und Elsa? Die betritt die Bühne quasi aus dem Nichts, ist dann aber doch Bewohnerin des Hauses? Erst recht aber bleiben die Beziehungen der Figuren untereinander unbeleuchtet. Man hat mitunter den Eindruck, jeder im Ensemble steht neben seiner Rolle. Man sieht nicht Lohengrin, man sieht eine Opernkompagnie, die versucht, Lohengrin zu spielen. Und was helfen die schrecklichsten Blutungen, wenn das Volk fidel ist wie in der Verkauften Braut?

Eine einzige wirklich starke Szene gibt es, das ist das Brautgemach. Hier bekennt Weber ein einziges Mal Farbe, entmythologisiert die Szene vollständig: Man sieht ein junges Brautpaar, sehr profan mit Elektroheizung und Morgenmantel ausgestattet, im ersten ehelichen Disput. Sie will ihn längst im Bett haben, doch er redet, redet, redet (der Rest ist bekannt). Melanie Serafin, ansonsten eine ziemlich hysterische Elsa mit blecherner Stimme, monotonem Vibrato und manirierter musikalischer Ausgestaltung, gewinnt hier ganz erheblich an Profil und Bühnenpräsenz. Leider ist der spannende Moment von kurzer Dauer, denn Telramund will Lohengrin allen Ernstes mit einem Schwert ins Jenseits befördern. Überhaupt sind Schwerter bei Weber schwer in Mode. Und zum großen Finale entpuppt sich Ortrud dann, es ist nicht zu fassen, tatsächlich als echte keltische Möchtegern-Zauberin. So endet alles Bemühen um Aktualität letztendlich doch im mythischen Sumpf.

“Die Inszenierung stört mich überhaupt nicht” verkündet ein mitteilsamer Herr nicht nur seinen nächsten Parkettnachbarn. Unrecht hat er, auch wenn er auf die famose Orchesterleistung anspielt. Die Essener Philharmoniker haben einen wunderbar samtenen Streichersound und exzellente, sehr präsente und doch nicht “knallige” Blechbläser. Allein ein paar Wackler in den Holzbläsern trennen sie an solchen Tagen von der orchestralen Weltklasse. Stefan Soltesz geht die Partitur an wie eine riesige dreisätzige Symphonie, in der die Sänger sich unterzuordnen haben. Mit Effekten geizt er nicht, und selbst der Ortrud stiehlt er im zweiten Akt mit bisher unerhörten Begleitfiguren die Show. Keine Frage: Stefan Soltesz ist derzeit der absolute Superstar der nordrhein-westfälischen Opernszene.

Der ohrenbetäubende Jubel, der Soltesz stets umgibt, verdeckt aber auch die Schattenseiten. Soltesz betont einerseits die konservativen Elemente des Werkes, die im Lohengrin ja noch an allen Ecken und Enden hervor scheinenden Strukturen der romantischen Oper in der Nachfolge Carl Maria von Webers, rückt die Musik andererseits auch in die Nähe Strauss’scher Rosenkavalier-Süßlichkeit. Der Wagner des Rings dagegen ist vollständig ausgeblendet. Das ist zwar höchst delikat, aber wenig aufregend. Schwerer wiegt jedoch, dass die Sänger kaum eine Möglichkeit haben, sich gegen dieses permanent in schönsten Tönen auftrumpfende Orchester zu profilieren – sie werden an vielen Stellen zu Begleitstimmen. Aber die schwache Inszenierung – und deshalb irrt unser Parkettbesucher – nimmt ihnen auch die Chance, sich szenisch zu behaupten.

Jeffrey Dowd kämpft sich wacker durch die Titelrolle, aber ein echter Lohengrin ist er vom Timbre her nicht, dazu fehlt die Leichtigkeit und auch das Strahlen. Ein Tenor für solche Partien fehlt der Essener Oper seit Jahren. Martina Serafin behauptet sich als Elsa wie erwähnt erst im dritten Akt. Mit Claudio Otelli (Telramund), Karl-Heinz Lehner (König Heinrich), Ildiko Szönyi (Ortrud) und Heiko Trinsinger (Heerrufer) sind die weiteren Rollen solide besetzt.

FAZIT Wer hier wen hätte erlösen sollen, das weiß vermutlich nicht einmal der Regisseur. Aber ob Bosnien oder Brabant, in Essen zählt derzeit nur das Orchester und Chefdirigent Stefan Soltesz. Und die machen große Musik symphonischen Gepräges, egal, was auf der Bühne passiert.

Stefan Schmöe | Rezensierte Aufführung: 25. Oktober 2000

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Media Type/Label
HO 748
Technical Specifications
256 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 363 MByte (MP3)
Remarks
A production by Anselm Weber