Lohengrin

Andrew Davis
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Date/Location
2 August 2003
Festspielhaus Bayreuth
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Heinrich der Vogler Reinhard Hagen
Lohengrin Peter Seiffert
Elsa von Brabant Petra-Maria Schnitzer
Friedrich von Telramund John Wegner
Ortrud Judit Nemeth
Der Heerrufer des Königs Roman Trekel
Vier brabantische Edle Tomislav Mužek
Helmut Pampuch
Attila Jun
Alejandro Marco-Buhrmester
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Online Musik Magazin

Lohengrin entschwindet endgültig

Keith Warners Lohengrin hat seine 5 Festspielrunden heuer vollendet und meldet sich nun endgültig ab von Brabant und von Bayreuth zugleich, um in 2004 dem anderen Musikdrama vom heiligen Grale Platz zu machen und das Bühnenweihfestspiel in der Gestaltung Christoph Schlingensiefs zur Begutachtung freizugeben. Im Lohengrin waren nach vierjähriger Bekanntschaft freilich nicht mehr so viele Neuerungen zu erwarten, das singende Personal hingegen erfuhr durchaus einigen Austausch.

Die Faszination des ewigen Dunkels als Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen solche Handlung sich zutragen kann, die Verweigerung der Wunder als sichtbare Plots, die einheitliche Stimmigkeit des Ganzen, dies bleibt auch über den Abschied von der Festspielbühne hinaus als herausragende Leistung im Langzeitgedächtnis derer, die das Glück hatten, dabei zu sein.

Keith Warner betont für seine CharAufzugerisierung der Elsa eher klassisch-konservativ die mädchenhafte Naivität, die zwar beklemmende Angstgefühle angesichts einer harten Fügung des Schicksals ausprägt, nicht aber zur Durchleuchtung der Intrige taugt, deren unvermeidliches Opfer sie damit werden muss.

Lohengrin als Ortruds ideologisches Gegengewicht greift aber nie weiter helfend zu ihren Gunsten ein, als dass er wie ein Überpapa fragt: „Elsa, mit wem verkehrst du da?“, als ob es ihre Schuld wäre, wenn er so spät zur eigenen Hochzeit erscheint und bis dahin das Feld den bekannten Gegnern überlässt. In solchem Umfeld kann es nicht gelingen, Elsa als starke Frau zu formen, die zur Erkenntnis ihrer Lage gelangt und folglich die Auflösung einer absurden Konstellation der Unfreiheit fordert und neue Unmündigkeit lieber durch Aufklärung ersetzen will. Nein, Warner sieht sie anders: Ihre mythische Passivität ist Programm – und ein seinerseits schlüssiges noch dazu, auch wenn ihre Naivität manchmal hart an der Grenze zur Unerträglichkeit rangiert.

Warners Bilder stellen viel stärker den inneren Strang der Handlung heraus. Hier handelt eine von Unsicherheiten Getriebene, die nicht ahnt, welche Mächte um sie fechten und die auch im Persönlichen nicht erfasst, welches alternative Glück noch im Verzicht erreichbar wäre und wie es zu halten sei. Ergreifend ihre exponierte Verlassenheit auf dem Bühnenkreuz, an dessen jedem Ausgang jemand sitzt, der sie einengt und bedrängt und Unterschiedliches von ihr will. Angesichts solcher Verlagerung kann jene Neuerung nur genial genannt werden, wo Warner den Gotteskampf der männlichen Protagonisten hinter einem Vorhang versteckt und sichtbar stattdessen von den beiden weiblichen ausfechten lässt. Dem korrespondiert die Verlagerung der brabantischen Edlen und ihrer Zurede in Telramunds Tagtraum als unsichtbare, innere Stimmen. Die Werkstatt hat ihr gutes Werk getan!

Die Phantasmagorie dominiert bereits im Vorspiel, wo Sir Andrew Davis einen tief ergreifenden Riesenbogen malt, zu dem die Visualisierung von Elsas Traumerscheinung trefflich passt, die analog aus Grabesdunkel über das Erglühen des Teiches, Aufsteigen und Verschwinden des Schwanes in die Düsternis der brabantischen Realität zurückkehrt. Wie später Lohengrin braucht auch Elsa nicht erst herbeigerufen zu werden: sie ist schon da. Ihr „träumerischer Wahn“, der Telramund mehr Grund zur Furcht als zur Verlästerung gibt, weicht auch nicht, als Lohengrin plötzlich lossingt. Sie blickt nicht hin und verharrt in labiler Trance.

Auf- und Abgänge getreu Meisters Idee weitgehend unbemerkt und selten sichtbar zu gestalten, was bei dem Schwan und seinem Ritter auch sonst häufiger zu sehen ist und mittlerweile wohl als guter Standard gelten kann, gerät hier zum erfreulichen Dauerfall, wodurch der kaum bemerkte Auftritt der Ortrud zu Beginn des 2.Aufzuges erst aus der gleichzeitigen und doch räumlich getrennten Anwesenheit der Streitparteien erwachsen kann. Nachdem Petra-Maria Schnitzer Elsas Gesang an die Winde, deren Nichtwehen im Festspielhaus so manche Nachbarin durch schwer erträgliches Dauer-Gefächere sehr unbefriedigend zu ersetzen trachtete, super zart und geradezu sternstundenhaft schön gesungen hatte, damit ihre Traumerzählung des 1.Aufzuges noch überbietend, erzeugte der scharfe Forteton, mit dem Ortruds (Judit Nemeth) Fackelentzündung in die Generalpause knallte, einen Kontrast, der die Intention des nun Folgenden bereits vorab in einer einzigen Sekunde konzentrierte.

John Wegner tut sich offenkundig schwer damit, all den Schwachsinn glaubhaft zu vertreten, den Wagner in Telramunds Mund gelegt hat. Unfähig, über seine Lage zu reflektieren auch er, allerdings eher aus tumber Torheit! Wer geht unter solchen Voraussetzungen freiwillig in ein Duell! Wegners Stimme passt womöglich besser zu jenen „schweren“ Partien von mehr innerem Gewicht, wofür er sich zusätzlich dadurch empfiehlt, dass er die Töne nun direkt ansteuert und nicht mehr so ziehend und überhauchig anpeilt.

Roman Trekel kommt seine Rolle als Oberannunziator prima zupass, die er kantig-korrekt gestaltet und ohne erkennbare persönliche Rührung – außer der des gelegentlichen Kopfschüttelns über all das provinzielle Desaster, das die Brabanter da präsentieren, über dem der allzu resignativ-altersmüde König (Reinhard Hagen) allmählich ganz verstummt. Hier wäre etwas mehr jener herablassenden Arroganz angebracht, deren Darstellung Trekel sonst so perfekt beherrscht. Dies freilich setzte eine schärfere Trennung voraus zwischen brabantischem Wirrwarr und Voglers Armee. Letztere zeigt sich allerdings ebenso statisch starr als Reihenfassade eines gut bestückten Mittelaltermuseums mit opulenter Ritterrüstungssammlung wie ihr müder Heerführer, den augenscheinlich nicht erst die Lage seiner Westmark vom erfolgreichen Feldzug an seiner Ostfront abgehalten haben kann. Immerhin sind oben und unten klar getrennt, die Klassen- und Befehlsstrukturen also durchaus erkennbar. Erfreulicherweise leidet Reinhard Hagens Präzision nicht unter der weltabgewandten Bewegungsstarre, die die Rollendeutung ihn selbst dort nicht ablegen lässt, wo etwas mehr Regung durchaus noch denkbar wäre wie z.B. im Königsgebet, das er konzeptionstreu etwas flach, dabei aber auffällig tiefenstark gestaltete. Insgesamt geriet ihm die Partie zu sanft: so milde führt man kein Reich und keine Krieger, nicht mal kurz vor der Abdankung.

Lohengrin legt sich schwer ins Zeug, haushaltet kaum mit seinen Kräften und scheint die Frau wirklich zu lieben – kein Wunder, ist er doch real mit ihr verheiratet. Höhenstark auch an den leisen Stellen gelingt Peter Seiffert wieder manches misterioso, von dem die Partitur und gerade auch diese Inszenierung so lebt. Die Klippen seiner Partie umschifft er sicher und wie abnutzungsfrei – und vermag damit dennoch nicht Elsas Herz zu binden: Möge dem Paar in seiner bürgerlichen Existenz stabileres Liebesglück beschieden sein. Der Festspielchor, über den man sonst nie zuviel Rühmliches sagen kann und der im Lohengrin seine größte Bühnenpräsenz auskosten darf, zeigte sich diesmal nicht in gewohnt bester Verfassung, leistete er sich doch gewisse Intonationsschwächen und Tempodivergenzen, die man hier sonst gar nicht kennt. Der berauschenden Klangpracht, wenn alles richtig zusammen war, tat das freilich keinen Abbruch. Gut gelungen auch hier szenische Details, wenn etwa einige Brabanter sofort anfangen, sich gegenseitig zu metzeln, sobald man ihnen Schwerter gibt.

Davis’ Dirigat betonte die ruhig fließende Bewegung, die durchaus dynamische Akzente kennt, ohne dabei größere Schwankungen seiner durchweg mittleren Tempi zu veranstalten. Gerade der lyrische Gehalt wurde dadurch stärker hervor gekehrt, der CharAufzuger des Werkes dadurch aber auch etwas eingeengt. Bedauerlich bleibt, dass nicht einmal Bayreuth für die ungekürzte Fassung des 3.Aufzuges sich entscheiden mochte, welche auf der Bühne oder in Aufnahmen ohnehin so selten – zuletzt in Trier 2001 – anzutreffen ist.

Fazit: Eine bis zuletzt faszinierende Produktion ließ sich zum letzten Male feiern, bevor sie nun endgültig abtritt, um dem Mythos wieder Raum zu geben, zu dem sie selber werden könnte.

Ralf-Jochen Ehresmann | rezensierte Aufführung: 5. August 2003

Rating
(6/10)
User Rating
(3/5)
Media Type/Label
HO
Technical Specifications
224 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 296 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast from the Bayreuth festival
A production by Keith Warner (1999)