Lohengrin

Jaap van Zweden
Groot Omroepkoor
Radio Filharmonisch Orkest
Date/Location
2 February 2008
Concertgebouw Amsterdam
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Heinrich der Vogler Ronnie Johansen
Lohengrin Klaus Florian Vogt
Elsa von Brabant Anne Schwanewilms
Friedrich von Telramund Eike Wilm Schulte
Ortrud Marianne Cornetti
Der Heerrufer des Königs Geert Smits
Vier brabantische Edle Stefan Heibach
Amand Hekkers
Hugo Oliveira
Dennis Wilgenhof
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Sternstunde des Belcanto

Der orkanartige Applaus am Ende der Vorstellung – der schon nach dem 2. Aufzug stürmische Dimensionen angenommen hatte – mag als Indikator dienen: Dieser von der Zaterdag Matinee aufgeführte konzertante ‚Lohengrin’ im Amsterdamer Concertgebouw unter Leitung von Jaap van Zweden und mit dem Radio Filharmonisch Orkest war eine (vor allem gesangliche) Offenbarung. Ein Opernfest der Luxusstimmen: Anne Schwanewilms als traumverhangene Elsa, Klaus Florian Vogt als auch optisch attraktiver Gralsritter, Marianna Cornetti als explosive Ortrud und Eike Wilm Schulte als belcantesker Telramund. Die gesangliche Leistung aller Beteiligter war ein Trost für alle, die in der laufenden Musiktheatersaison bei De Nederlandse Opera bislang nicht ganz auf ihre Kosten gekommen sind mit Monteverdi und Rameau. Statt intimen Ziergesangs gab’s mit diesem ‚Lohengrin’ – endlich – richtig ‚vette’ Oper, wie man auf Holländisch so schön sagt. Orgiastische Klangentladungen, wie sie nur bei Wagner möglich sind, vom dankbaren Publikum mit Bravo-Jubel quittiert, als handle es sich um Pubertierende bei einem Popkonzert. (Man kann schon fast von hysterischem Beifall sprechen, dem der Rezensent sich willig anschloss; ein Beifall, wie ich ihn seltsamerweise noch nie bei DNO gehört habe.) Die Sänger zeigten sich von solchen Ovationen überrascht und teils gerührt. Oper als Volksfest, hier ward’s möglich. Und hier wurde es von allen genossen, auf und vor dem Podium. Dass die Zaterdag Matinee im Rahmen ihrer Opernserie eine so rundum prominent besetzte Wagner-Aufführung besorgen konnte, ist ungewöhnlich und erklärt sich damit, dass finanzkräftige Partner gefunden werden konnten. Denn dieser ‚Lohengrin’ wurde auch live beim TV-Kanal Cultura übertragen und wird am 17. Februar in Auszügen auf Nederland 2 als Dokumentarfilm zu sehen sein (Wiederholung am 18. Februar um 23.40 Uhr). Eine neuerliche komplette Ausstrahlung der Aufführung im holländischen Radio 4 findet am Dienstag um 20 Uhr statt. Sie sei all jenen empfohlen, die Wagner nicht als teutonisches Gebelle schätzen, sondern als echten Gesang mit einem Touch italianitá. Eigentlich ist die Zaterdag Matinee ja berühmt für ihre Aufführungen italienischen Belcanto-Opern. Sie brachte diese Italienerfahrung nun ein in den ‚Lohengrin’, der davon stark profitierte. Am deutlichsten wurde das mit der Besetzung der Ortrud mit dem amerikanischen Mezzo Marianne Cornetti. Sie sang bei der Zaterdag Matinee zuletzt die Prinzessin von Bouillion in Cileas ‚Adriana Lecouvreur’, sonst gehören Rollen wie Eboli und Amneris zu ihrem Repertoire. Sie gestaltet hier die Ortrud in der Tradition von Elena Nicolai, die die Rolle 1954 neben Renata Tebaldi in Neapel sang, wovon eine Aufnahme existiert. Das war eine echte Ausnahmeleistung, damals in Neapel und nun hier in Amsterdam. Ich muss gestehen, dass ich noch niemals live die ‘Entweihte Götter’-Rufe mit solch elektrisierender Wirkung gehört habe, mit solchem italienischen ‚Peng’. Und mit solchem Glanz, gepaart mit durchschlagender Kraft. Ein Triumph, auch wenn Cornetti als Ortrud die Dämonie fehlt, die diese Rolle idealerweise auch haben sollte. (Man kann halt nicht immer alles haben.) Ebenfalls ganz im italienischen Stil sang Eike Wilm Schulte den Grafen von Telramund. Klangvollendet, mit leuchtenden Höhen, und mit ausgeglichenem Legato, als wäre Telramund ein Bruder des Conte di Luna. Diese Art von Verdi/Wagner-Verbindung kann man als überaus glücklich bezeichnen. Anne Schwanewilms sang die Elsa mit lyrischem Jungmädchen-Ton, wundervollen, herrlich altmodischen Portamenti und zart blühenden, anrührenden Tönen (z.B. bei ‚Hoch über alle Zweifel soll meine Liebe steh’n’ im Finale II). Die Höhen hatten dabei vielfach eine gleißende Qualität, schwebten strahlend durch den Saal und klangen berückend. Ich würde Schwanewilms sofort zur perfekten Elsa ausrufen, in einer Linie mit Sängerinnen wie Elisabeth Grümmer, wenn sie sich künftig entschließen könnte, ihren Texte besser zu artikulieren. Er bekäme dadurch auch mehr Aussagekraft. So war diese Elsa vor allem eine engelsgleiche Erscheinung und rein passiv am Geschehen Teilnehmende. Das ist sie aber laut Libretto nur teils. Gerade im Liebesduett, wo Elsa von Wahnvorstellungen geplagt wird und Lohengrin in ihrer Verzweiflung die verbotene Frage stellt, wäre ein deutlicheres Sprechen der Konsonanten (etwa bei Worten wie ‚ent-ri-s-s-en’) hilfreich beim Vergegenwärtigen des Dramas, ohne das dadurch der wundervolle Klangfluss unterbrochen werden muss. (Grümmer hat das mustergültig vorgemacht, Tebaldi auf ihre Weise auch.) Der Titelheld schließlich, Klaus Florian Vogt, beeindruckte durch ein einschmeichelndes mezza voce. Verführerisch weiche Kantilenen waren seine Stärke, die er voll ausspielte. Die Spitzentöne gerieten dennoch kraftvoll, die Textverständlichkeit und -gestaltung war vorbildlich. Überhaupt war es – um das einmal grundsätzlich zu sagen – eine Freude, ein Ensemble aus überwiegend deutschen Sängern zu hören, die die deutsche Sprache mit größtmöglicher Natürlichkeit bzw. Selbstverständlichkeit benutzen. Man musste sich bei niemandem über seltsame anglo-amerikanische Vokalfärbungen ärgern oder befürchten, dass jemand über zu viele germanische Konsonanten stolper könnte. (Hervorragend, wenn auch nicht ganz so außergewöhnlich, waren die anderen Rollen besetzt mit Geert Smits als kraftvollem Heerrufer und Ronnie Johansen als König Heinrich.) Das Radio Filharmonisch Orkest bot zu diesem Sängerfest eine solide und verlässliche Begleitung, teils mit fulminanten Lautstärke-Steigerungen. Dabei fehlte es den Streichern zwar etwas an Glamour, den ein vollkommener ‚Lohengrin’ haben sollte, auch waren die Akzente teils nur vage gesetzt. Aber vermutlich kann man bei einer einmaligen konzertanten Aufführung mit einem Orchester, das diese Oper nicht im Repertoire hat, nicht mehr verlangen. Vielleicht hat Jaap van Zweden auch nicht die Autorität, um beim ersten Anlauf dem ‚Lohengrin’ den Stempel des orchestral Außergewöhnlichen aufzudrücken? Er sorgte dennoch dafür, dass alles reibungslos ablief, der Groot Omroepkoor seine vertrackten Aufgaben bravourös erledigte (mit schönen Chorsoli übrigens). Und das alles sich zu einer Sternstunde der Oper in Amsterdam zusammenfügte, die Maßstäbe setzt. Kurz: Es war ein ‚Lohengrin’, der hoffentlich nach der Radioausstrahlung am Dienstag den Weg auf CD finden wird. Denn die Besetzung ist von kaum zu überbietender Ausgewogenheit und dennoch Individualität. (Ein Lob für den Casting Director der Zaterdag Matinee: Mauricio Fernández!) Einen derart und rundum belcantesken ‚Lohengrin’ habe ich zuvor nur gehört auf der CD mit Gabriele Santini, der das Stück mit Tebaldi/Penno/Nicolai/Guelfi in Neapel aufführte. Damals auf Italienisch. Die Zaterdag Matinee bewies nun, dass man solch eine Leistung auch auf Deutsch erbringen kann. Insofern war diese Aufführung auch eine Ermahnung an Bayreuth, dass es anders geht. Und dass dieses ‚Anders’ sehr überzeugend ist. Man könnte sagen: richtungsweisend.

Kevin Clarke | Het Concertgebouw, 02.02.2008

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Media Type/Label
Premiere, PO
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 500 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast (Radio 4) of a concert performance
Also available as telecast