Lohengrin

Jac van Steen
Opernchor und Extrachor des Theaters Dortmund
Dortmunder Philharmoniker
Date/Location
6 December 2009
Opernhaus Dortmund
Recording Type
  live  studio
  live compilation  live and studio
Cast
Heinrich der VoglerStephan Klemm
LohengrinMarco Jentzsch [act 1]
Charles Kim [act 2/3]
Elsa von BrabantSusanne Schubert
Friedrich von TelramundAnton Keremidtchiev
OrtrudSzilvia Rálik
Der Heerrufer des KönigsSimon Neal
Vier brabantische EdleStephan Boving
Min Lee
Hans Werner Bramer
Marko Špehar
Gallery
Reviews
Online Musik Magazin

Kein Wunder

„Welch’ seltsam Wunder“: Wenn der Chor den fremden Ritter begrüßt, der für die des Brudermordes bezichtigte Elsa im Gottesgericht kämpfen will, dann erscheint ein silbrig glänzendes Muskelpaket wie aus einem Comic, mehr Kampfmaschine als Held. Natürlich gewinnt er das Duell gegen Telramund, doch danach erweist er sich als ziemlich untauglicher Heilsbringer für eine militante Gesellschaft in grauen Fantasiekostümen. Als Liebhaber und Gatte ist er vollends ungeeignet. Ein wahrlich seltsames Wunder also, an das Regisseurin Christine Mielitz nicht glauben mag.

Foto kommt späterGerichtsverhandlung: Elsa (Susanne Schubert in Altrosa), umgeben von König Heinrich (Stephan Klemm, links), Telramund (Anton Keremidtchiev), Ortrud (Szilvia Rálik, hinten) und dem Heerrufer (Simon Neal, ganz rechts) Angesiedelt ist die Geschichte irgendwo zwischen Fatasy, Science Fiction, Historiendrama und Gegenwart, ist also zeitlos, aber auch ein wenig verloren im tristen grauen Bühneneinerlei (Frank Fellmann) mit hohen Plexiglaswänden und beständigem Auf und Ab der Hebebühne. Auch die etwas umständlichen Kostüme (Renate Schmitzer) tragen nicht unbedingt zur Klärung bei. Vor allem aber macht die viel zu eindimensionale Zeichnung des Lohengrin die Geschichte unglaubwürdig – warum sollte Elsa dieses seelenlose Monstrum lieben und heiraten wollen? Auf dem Papier ist der Gedanke, den vermeintlichen Helden kritisch hinterfragen zu wollen, ja ganz plausibel, aber etwas differenzierter dürfte er dann doch dargestellt werden. Zumal durch diese plumpe Überzeichnung gerade das verloren geht, was die Inszenierung an anderen Stellen auszeichnet, nämlich der genaue und fein schattierte Blick auf die Personen. So sind Ortrud und Telramund keineswegs einfach nur böse, und der vielleicht bewegendste Moment der Inszenierung ist Ortruds Trauer um den getöteten Gatten. Genau das fehlt aber der Lohengrin-Figur.

Elsa ist kein ganz junges Mädchen mehr; mit hochhackigen Schuhen und kurzem Kleid (das erinnert ein wenig an die Regisseurin selbst) ist sie eine ziemlich moderne Frau, und ihr Verhältnis zu Ortrud, wo auch Bewunderung für die handlungsfähigere Rivalin mitzuschwingen scheint, bleibt ambivalent. Leider bleibt da manches nur unscharf angedeutet und wird vom bedeutungsschweren Kostümschinken erdrückt. So macht die Inszenierung trotz einiger schöner Momente nicht recht glücklich.

Glanzvoll ist aber die musikalische Seite. Ganz hervorragend spielen die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Jac van Steen, der sehr plastisch die unterschiedlichen Klangfarben der Partitur herausarbeitet, die den einzelnen Szenen ihre eigene Aura verleiht. Das Orchester setzt hier die Akzente und lässt doch immer den Sängern den Vorrang – und die sind hervorragend eingebettet in den sehr differenzierten, auch im Fortissimo nie harten Klang. Das alles ist sehr homogen, flüssig in den Tempi und in großen Spannungsbögen musiziert. Die zuletzt in der Region schier konkurrenzlosen Essener Philharmoniker sollten aufhorchen, welche Wagner-Konkurrenz ihnen da in unmittelbarer Nachbarschaft erwächst.

Marco Jentzsch in der Titelpartie lies sich vor der Premiere als indisponiert ankündigen. Die Verabschiedung des Schwans gelingt ihm mit seinem silbern-leichten, entmaterialisierten Tenor sehr schön, allem Irdischen entrückt. Die Stimme hat Glanz und Höhe, für die dramatischen Stellen scheint die Substanz dann aber doch etwas dünn – ganz ähnlich war der Eindruck bei Jetzsch’ Kölner Debüt als Stolzing in den Meistersingern gewesen (unser Bericht). Die Indisposition dann aber doch schlimmer als zunächst angenommen: Im zweiten Aufzug erschien plötzlich Charles Kim, der mit Jentzsch in der Titelpartie alterniert, am Bühnenrand und sang fortan (erst zum dritten Akt reichte Regisseurin und Intendantin Christine Mielitz den Krankheitsbefund nach). Kim ist von völlig anderem Charakter, weniger ein „deutscher” als vielmehr ein „italienischer” Tenor, sehr viel erdverbundener als Jetzsch. Auch seine Stimme ist nicht übermäßig groß, hat aber Intensität (mit vergleichsweise starkem Vibrato), Standvermögen und Höhe. (In der Gralserzählung hätte man doch gerne den entrückten Klang von Marco Jetzsch gehört.)

Vom Stimmcharakter recht ähnlich sind Susanne Schubert als Elsa und Szilvia Rálik – beides schlanke (aber nicht zu leichte), helle Stimmen. Hier soll nach Aussage des Dirigenten auch musikalisch die Nähe der beiden Frauen unterstrichen werden, was mehr szenisch als musikalisch (wo der reizvolle Kontrast zwischen einer „hellen” Elsa und einer „dunklen” Ortrud verloren geht) plausibel ist. Allerdings singen beide eindrucksvoll. Susanne Schubert hat ein betörendes, sehr intensives Pianissimo für Elsas ersten Auftritt, scheint zerbrechlich, entwickelt dann aber dramatisches Format. Szilvia Rálik ist eine agile, bewegliche Ortrud mit klar fokussierter, leicht scharfer (aber nicht greller) Stimme.

Auf schlanke Stimmen setzt van Stehen auch bei den Männern. Etwas blass bleibt trotz sicherer Höhe und markanter Artikulation der Telramund von Anton Keremidtchiev, dessen Stimme ein wenig die klangliche Substanz fehlt. Stephan Klemm ist ein solider König ohne jede altväterliche Attitüde, Heinrich, Simon Neal nicht weniger überzeugend als Heerrufer; auch diese beiden Stimmen sind recht ähnlich. Mit großer Zuverlässigkeit singen Chor und Extrachor (Einstudierung: Granville Walker), mit weichem Klang in den Frauenstimmen, mitunter etwas eng und angestrengt im Tenor.
FAZIT
Musikalisch ein großer Wagner-Abend, dem auch die Indisposition des Lohengrin kaum etwas anhaben kann. Szenisch steht sich Christine Mielitz mit einem hölzernen Konzept leider selbst im Weg.

Stefan Schmöe | Premiere im Opernhaus Dortmund am 6. Dezember 2009

Westfalenpost

Kaputte Helden

Krieg ist, und mehr Krieg wird es geben. Der ersehnte Erlöser erweist sich selbst als heilsbedürftig. Dortmunds Opern-Intendantin Christine Mielitz inszeniert Richard Wagners „Lohengrin” jetzt als Gewalt-Parabel voller aggressiver, kaputter Figuren.

Die scheidende Dortmunder Opernchefin ist bekannt für ihre Wagner-Deutungen, die den Stoffen jegliche Kulinarik entziehen und die Beziehungen zwischen den Protagonisten mitunter schmerzhaft bloßlegen. Manchmal entstehen so verstörende, aufrüttelnde Szenen, manchmal ist Mielitz’ Sicht einfach nur aktionistisch und langweilig. Ihr „Lohengrin” hat von beiden Extremen viel.

Dass das Publikum am Schluss die Regisseurin von Herzen ausbuht, liegt vor allem daran, dass es in ihrem „Lohengrin” nicht eine einzige nette Figur gibt. Besonders Wagners weibliches Personal kommt bei Mielitz meistens nicht gut weg. So auch hier: Selten findet man eine derart unsympathische Elsa. Mielitz legt sie als nervtötende Blondine an. Auf bleistifthohen Absätzen stöckelt sie unter Ohnmachtsanfällen in die Katastrophe, beweist dabei kein bisschen Standfestigkeit und betatscht jeden, der in ihre Reichweite kommt.

Angewachsenes Schwert
Lohengrin kann sie umgekehrt nicht berühren, denn er hat keine Hände. Der Schwanenritter kommt als seltsam schief zusammengeflickter, versehrter Typ daher, eine Mischung aus Michael Jackson nach der einen Operation zu viel und Edward mit den Scherenhänden. Ein Schwert ist mit seinem Rüstungshandschuh fest verschweißt.

Jeder Versuch, zärtlich zu sein wird damit lebensgefährlich. Als Elsa ihn verbotenerweise nach seinem Namen fragt, fällt der Schwerthandschuh ab und enthüllt einen verkohlten Armstumpf: Lohengrin als Nachkriegs- Ritter, der schon erlebt hat, was den Brabantern noch bevorsteht.

Eine Projektion von Picassos „Guernica” stellt im ersten Akt klar, dass Mielitz die Geschichte in einem extrem militanten Milieu ansiedelt. Auch am Schluss hat sich nichts geändert. Die Waffen starren weiterhin, Elsas totgeglaubter Bruder Gottfried verirrt sich zwischen den Uniformierten, das Volk ist von Anfang an bereit, mutmaßlichen Helden zuerst zu Füßen zu fallen und sie dann anzugreifen.

Klaustrophobische Spiegel
Frank Fellmann entwirft dafür eine mehrstöckige Bühne mit beweglichen Spiegelwänden, die sich klaustrophobisch zusammenziehen und wieder entfalten. Der Effekt funktioniert aber nicht richtig, weil die Kulissen beim Schieben so sehr wackeln, dass das Publikum in Gefahr gerät, seekrank zu werden.

Zur Handschrift von Christine Mielitz gehört ebenfalls, dass sie die üppige Dortmunder Bühnenmaschinerie gerne bis zum letzten ausnutzt. Im „Lohengrin” fährt dauernd irgendetwas hoch und runter, nicht immer verstärkt das den Eindruck der oft sehr sprachmächtigen Bilder.

Dortmunds Generalmusikdirektor Jac van Steen interpretiert Wagners Partitur gekonnt psychologisierend. An den richtigen Stellen schwelgt das Orchester und trumpft zu Wagnerschem Klangzauber auf, doch über weite Strecken ist es ein sehr, sehr leiser und ausgesprochen langsam gehaltener „Lohengrin”, der dennoch sogar fast schmerzhaft spannend ist, weil van Steen das Unheilvolle, Drohende herausarbeitet, das nicht so oft in diesem Notentext hörbar gemacht wird.

Klingender Psychothriller
Dadurch entsteht ein unmittelbar packendes Klangbild mit vielen unerwarteten und neuen Erkenntnissen über die Oper. Die Dortmunder Philharmoniker klingen unter van Steen nach schlechten Jahren endlich wieder so sauber, präzise und delikat, wie ein A-Orchester es sollte.

Mit den Sängern hat die Produktion nicht so viel Glück. Lohengrin Marco Jentzsch war als indisponiert angesagt und agierte ab dem zweiten Akt nur noch. Seinen Part sang Charles Kim von der Seite aus. Susanne Schubert ist eine masochistische Elsa mit viel Vibrato im Sopran, kann sich aber nicht entscheiden, ob sie mädchenhafte oder leidenschaftliche Akzente setzen soll.

Szilvia Ràlik ist als Ortrud eine Domina mit dem rechten Wagner-Volumen und einer großartigen Stimme, doch sie ist manchmal noch etwas unsicher, und dann schreit sie. Anton Keremidtchiev hat einen tollen Wagner-Dämonen-Bariton, trotzdem bleibt er ziemlich blass. Aber das kann auch daran liegen, dass die Regie sich auf die Frauenfiguren konzentriert. Stephan Klemm gestaltet den König Heinrich mit wunderbar farbenreichem Bass und ist im übrigen der einzige, der textverständlich singt.

Der Dortmunder Opernchor (Einstudierung Granville Walker) überzeugt durch seine schöne Piano-Kultur.

Monika Willer | 7.12.2009

WAZ

Wagner in Dortmund – das Glück der Anderen

Ein starker Wagner-Abend: Christine Mielitz macht mit „Lohengrin” der Dortmunder Oper ein Abschiedsgeschenk von Rang

Es bleibt eine rare Theaterleistung, Wagners Bühnenmonstern ein menschliches Antlitz zu verleihen. Dortmunds scheidender Opernchefin ist es geglückt. Ein „Lohengrin” von Rang bereichert seit Sonntag das Wagner-Repertoire der Region.

Wie dringt man zu diesem düsteren Märchen vor, in dem ein Schwanenritter aufbricht in eine gefährdete Welt, die längst ausgehöhlt ist durch Kriege, Machtränke, verwaiste Führungspositionen? Mielitz erzählt vom wundersam erscheinenden Helden (Lohengrin) als Bedrohung über die Politik Brabants hinaus. Sie nimmt uns auch mit auf den Irrweg eines Erlösers, für den in dieser Welt kein Platz ist. Und da, wo die Welt ihn umarmt, beginnt: Zersetzung.

Viel stärker noch – und szenisch in der Kategorie Psychothriller anzusiedeln – ist Mielitz’ Blick auf das unselige Gegenpaar zu Lohengrin und einer ewig lächelnden Elsa, deren (Un-)Heil offensichtlich im Realitätsverlust liegt. Wie die Regisseurin den Handlungsstrang der Widersacher Ortrud und Telramund als aufwühlende Studie der Abhängigkeiten illustriert, erfahren wir schlüssig: Das Glück der Anderen ist der demütigendste aller Stachel im Fleisch des Verlierers.

Nach der meisterlichen „Tosca” weiß Christine Mielitz mit Frank Fellmann ein zweites Mal einen Bühnenbildner neben sich, der den (fulminanten) Theaterzauber einer großen romantischen Oper so souverän zu bedienen versteht wie die raschen Brüche dieser dichten, über weite Strecken hochspannenden und hochgespannten Inszenierung. Das üppige Rauschgold des Brautgemachs schrumpft urplötzlich auf die Bruchstücke der Brabanter Machtzentrale zusammen, der kaltnoble Glanz der sich abschottenden Kriegerwelt hat seine Leichen wortwörtlich im Keller. Dort hausen Ortrud und Telramund, zu sehen in einer der vielen „Fahrten” der Bühnenmaschinerie. Es sind Dramen emotionaler und politischer Hierarchie, die Mielitz und Fellmann zwischen Picassos „Guernica” und Philipp Otto Runges idyllischem Schwanen-Portalschleier ab- und tiefgründig entwickeln.

Dabei hatte der Abend unter keinem guten Stern gestanden. Marco Jentzsch, von Beginn an indisponiert, streckte die Schwanenflügel. Von der Seite sang Charles Kim seinen Part mit mehr als respektablem Elan. Jetzsch spielte stumm weiter.

Schurken bei Wagner haben immer einen Bonus. Sind sie dann noch so beklemmende gute Sängerdarsteller wie Szilvia Rálik, ist das nicht weniger als elektrisierend: Hier treffen leuchtende Mezzo-Strahlen auf die clever geführte Kehlen-Hysterie eines schwarzen Racheengels. Anton Keremidtchievs Telramund ergänzt das Albtraumpaar ohne Stereotyp mit intellektuellen Farben. Susanne Schubert (Elsa) hat im Piano ihre besten Momente, und um den prachtvoll modulierenden Potenz-Bass Stephan Klemms (König Heinrich) dürften sich die großen Häuser alsbald reißen.

Die Handvoll Buhs für die Regie darf man in Dortmund getrost politisch nennen. Der Jubel aber war groß für einen unerhört beweglichen Chor und jene Philharmoniker, die unter Jac van Steen vielleicht noch nicht die vollendete C-Dur-Sonne aufgehen lassen, aber eines unbedingt können: mitreißende Theatermusik.

Lars von der Gönna | 7.12.2009

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Media Type/Label
Technical Specifications
622 kbit/s VBR, 48.0 kHz, 931 MiB (flac)
Remarks
In-house recording
A production by Christine Mielitz (premiere)
Marco Jentzsch singing Lohengrin was announced as indisposed. For act 2 and 3, Charles Kim sang from the side while Jentzsch acted on stage.