Lohengrin

Andris Nelsons
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Date/Location
27 July 2012
Festspielhaus Bayreuth
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Heinrich der Vogler Wilhelm Schwinghammer
Lohengrin Klaus Florian Vogt
Elsa von Brabant Annette Dasch
Friedrich von Telramund Thomas J. Mayer
Ortrud Susan Maclean
Der Heerrufer des Königs Samuel Youn
Vier brabantische Edle Stefan Heibach
Willem Van der Heyden
Rainer Zaun
Christian Tschelebiew
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Reviews
Online Musik Magazin

Die drei Wahrheiten im Lohengrin

Nachdem Hans Neuenfels’ Inszenierung vor zwei Jahren mit den zahlreichen Ratten auf der Bühne das Publikum noch polarisiert hat, ist die Aufregung im dritten Jahr völlig verflogen und man kann annehmen, dass diese Produktion einen ähnlichen Kultstatus erreicht wie Herheims Parsifal-Inszenierung, da sie über die Ratten-Metapher den Blick auf den Kern der Erzählung nicht verschließt und selbst eingefleischte Wagner-Anhänger, wenn man dem frenetischen Schlussapplaus Glauben schenken darf, zugeben müssen, dass das Werk hier nicht gegen den Strich gebürstet wird, selbst wenn sich auch im dritten Jahr nicht jeder Regieeinfall erschließt. Hans Neuenfels’ Ansatz, Lohengrins Erscheinen als ein Experiment zu betrachten, in dem für eine bessere Welt gestritten wird, geht im Großen und Ganzen auf. Folglich ist es konsequent, die Handlung in ein steriles Versuchslabor zu verlegen, in dem durchnummerierte Ratten die Versuchsobjekte darstellen. So lässt Neuenfels Lohengrin schon während der Ouvertüre vor einer verschlossenen weißen Tür stehen und Einlass in dieses Labor suchen, was ihm zunächst aber nicht gelingt, bis er die Laborwand einfach nach hinten schiebt und so ein weißer Raum im Bauhausstil sichtbar wird. Erst jetzt öffnet sich die Tür und Lohengrin entschwindet im gleißenden Licht.

Selbst der Schwan bleibt erhalten, auch wenn sein jeweiliges Erscheinen nicht ganz den Vorstellungen eines sich nach Werktreue sehnenden Publikums entsprechen dürfte. So ist es bei Lohengrins erstem offiziellen Auftritt nicht der Schwan, der Lohengrin in einer Barke an Land bringt, sondern Lohengrin, der voranschreitet, während der Schwan von einigen Ratten in einer schwarzen Barke, die mehr an einen Sarg erinnert, hinterher getragen wird. Soll an dieser Stelle bereits angedeutet werden, dass das Experiment zum Scheitern verurteilt ist? Der gerupfte Vogel, der nach Lohengrins Sieg über Telramund aus dem Schnürboden herabgelassen wird, lässt dies vermuten. Noch besteht allerdings Hoffnung, und so befindet sich in Elsas Gemach eine anmutige riesige Schwanenfigur in weißem Glanz, die allerdings von Ortrud geknickt wird. Auch in den Kostümen von Reinhard von der Thannen wird die Schwanen-Metapher wieder aufgegriffen, wenn Elsa in einem weißen wallenden Federkleid mit großen Federn als Fächer vor den Altar treten will und Ortrud in einem schwarzen Gegenstück, gewissermaßen als schwarzer Schwan, in Elsa Misstrauen und Zweifel aufkeimen lässt. Bevor dann im dritten Akt Elsa Lohengrin die verbotene Frage stellt, erscheint im Ehebett die schwarze Barke aus dem ersten Akt, dieses Mal allerdings ohne Schwan, was Elsas Zweifel deutlich macht. Wenn Lohengrin dann resigniert seinen Namen preisgibt, taucht die Barke erneut auf, dieses Mal mit einem großen Ei, wahrscheinlich einem Schwanenei, wenn man dem schwarzen Tuch mit dem Schwan, das das Ei bedeckt, Bedeutung zumessen darf. Dem Ei entschlüpft Gottfried als eine Missgeburt, was deutlich macht, dass das Experiment gescheitert ist. So sinken am Ende auch alle mit Ausnahme von Lohengrin und Gottfried leblos zu Boden. Lohengrin nimmt nach Verklingen der letzten Töne wieder seine Ausgangsposition ein, jetzt allerdings nicht mehr in Weiß sondern in Schwarz gewandet, und das Licht verlischt.

Ebenso stimmig sind die Videoeinspielungen von Björn Verloh, die im ersten und dritten Akt die “drei Wahrheiten” im Lohengrin ankündigen, auch wenn mancher Zuschauer sie als störend oder ablenkend empfindet. Zum ersten Mal wird die Leinwand herabgelassen, wenn Telramund seine Wahrheit verkündet, beziehungsweise das, was er durch Ortruds Einflüsterungen für die Wahrheit hält. Die Projektion zeigt zunächst eine Ratte, die längs in drei Teile unterteilt wird. Dabei korrespondieren die drei Farben Weiß, Schwarz und Rosa mit den Kostümen der Ratten auf der Bühne, Schwarz für die Männer, Weiß für die Frauen und Rosa für die Kinder. Das Video konzentriert sich anschließend auf eine weiße Ratte, in deren Kopf eine rosafarbene Krone aufblitzt, Elsa, die nach Telramunds Meinung nach der Macht strebt, die ihrem Bruder Gottfried zusteht, was letztendlich dazu führt, dass die weiße Ratte, die rosafarbene Ratte in der Krone angreift und tötet. Aus dem herabfallenden Blutstropfen entsteht eine neue Krone. Elsa nimmt in ihrer “Wahrheit” diese Erzählung wieder auf. Während Lohengrins Kampf für Elsas Ehre sieht man plötzlich eine zweite weiße Ratte, die mit rosafarbenen Augen nach der Macht giert, Ortrud. Sie ist es, die die rosafarbene Ratte tötet, während die andere weiße Ratte, Elsa, hilflos zusieht. Bei aller Stimmigkeit dieser Bilder muss man allerdings auch eingestehen, dass diese Projektionen durchaus eine gewisse Überfrachtung des Bühnengeschehens darstellen, weil sie die Konzentration von dem Geschehen auf der Bühne ablenken. So ist man beim Betrachten der Videoeinspielung nahezu überrascht, dass Telramund plötzlich besiegt auf dem Boden liegt, da man den Kampf zwischen Lohengrin und Telramund gar nicht richtig mitbekommen hat.

Was ist aber die dritte “Wahrheit”, die im dritten Akt eingeblendet wird, kurz bevor Lohengrin seine Identität preisgibt? Man sieht zunächst eine Masse von schwarzen Ratten, die alle in die gleiche Richtung laufen. Aus dieser Masse entwickelt sich ein schwarzer Hund, der eine Krone als Halsband trägt. Doch während dieser Hund läuft, fällt eine Ratte nach der nächsten von dem Körper des Hundes herab, bis bloß noch das Skelett übrig bleibt, das schließlich kraftlos zusammenbricht. Ohne die Ratten als Masse funktioniert das System nicht und ist zum Scheitern verurteilt. Obwohl die Laborratten im letzten Akt nicht nur ihre Rattenkostüme abgelegt haben, das tun sie auch vorher in der Inszenierung bereits, sondern auch keine Rattenfüße und -hände mehr haben, also zum Mensch geworden sind und mit dem großen weißen L auf der Vorderseite ihrer Kostüme und dem Schwan-Emblem auf der Rückseite Lohengrin als ihren Retter feiern, wird mit der Offenbarung des Namens und der Missgeburt in dem Schwanenei klar, dass das Experiment gescheitert ist, so dass alle zusammenbrechen, so wie die Ratten eine nach der anderen von dem laufenden Hund herabfallen und schlussendlich auch das Skelett zusammenbricht. Das eingeblendete Fragezeichen, wenn Lohengrin die Beantwortung der Frage ankündigt, und das Ausrufezeichen, wenn er die Antwort gegeben hat, wirken im Gegenzug zu den vorher eingespielten Videosequenzen allerdings etwas platt.

Unklar bleibt, was die verunglückte Kutsche zu Beginn des zweiten Aktes soll, die von den Ratten geplündert wird, bevor es zur Auseinandersetzung zwischen Telramund und Ortrud kommt. Auch wird nicht verständlich, wieso Telramund den Anschlag auf Lohengrin im dritten Akt im Rattenkostüm verübt, zumal Neuenfels ansonsten während des ganzen Stückes bei den Hauptfiguren auf jegliche Ratten-Attribute verzichtet. Ob man das Schlussbild in einem solch abstoßenden Ausmaß präsentieren und Gottfried auch noch seine Nabelschnur wie Weißwürste auf die liegenden Menschen werfen lassen muss, ist sicherlich ebenfalls diskutabel und führt bei dem einen oder anderen Zuschauer zu Unverständnis beziehungsweise Ablehnung, die aber nur außerhalb des Festspielhauses geäußert wird. Innerhalb des Festspielhauses erlebt man einen tosenden Applaus, der bereits einsetzt, bevor die Sänger vor den Vorhang treten. Dass die musikalische Umsetzung nahezu keine Wünsche offen lässt, dürfte an dem frenetischen Applaus allerdings einen erheblichen Anteil haben. So glänzt einmal mehr der von Eberhard Friedrich exzellent einstudierte Chor durch Homogenität und Präzision und lässt die Chorpassagen zu einem wahren Klangerlebnis werden. Andris Nelsons findet mit dem Orchester der Bayreuther Festspiele einen in jedem Moment packenden Zugang zum Werk und wird dem Festspielniveau in vollem Umfang gerecht.

Samuel Youn wächst als Heerrufer mit baritonalem Glanz über sich hinaus, wobei ihm sein erfolgreiches Holländer-Debüt in Bayreuth in diesem Jahr sicherlich noch einen weiteren Motivationsschub verliehen haben dürfte. Wilhelm Schwinghammer liefert stimmlich mit solidem Bass einen König Heinrich, der die ihm von der Personenregie auferlegte Schwäche glaubhaft umsetzt, als König daher aber nicht ganz ernst zu nehmen ist. Thomas J. Mayer überzeugt mit kräftigem Bariton als Friedrich von Telramund und gibt mit Susan Maclean als Ortrud ein herrlich böses Paar ab. Dabei macht Maclean mit dramatischem Mezzo und eindringlichem Spiel deutlich, dass ihr in dieser Beziehung der überlegene Part gebührt. Schade ist nur, dass man von Macleans Text leider fast gar nichts verstehen kann. Stefan Heibach, Willem Van der Heyden, Rainer Zaun und Christian Tschelebiew gefallen ebenfalls durch eindringliches Spiel. Ein regelrechtes Traumpaar bilden optisch und stimmlich Annette Dasch und Klaus Florian Vogt als Elsa und Lohengrin. Dasch lotet mit ihrem lyrischen Sopran die Vielschichtigkeit der Figur hervorragend aus und überzeugt darstellerisch sowohl als leidendes Opfer im ersten Akt als auch als vom Zweifel und Misstrauen getriebene Frau im dritten Akt. Im Zusammenspiel mit Vogt entwickelt sie im dritten Akt eine Ausdrucksstärke, die absolut glaubhaft macht, dass die Situation auf die Katastrophe zusteuern muss. Zu Recht wird sie vom Publikum mit tosendem Applaus gefeiert, den sie regelrecht bescheiden und überwältigt entgegennimmt. Ob es momentan einen besseren Lohengrin-Interpreten als Klaus Florian Vogt gibt, ist in Frage zu stellen. Mit seinem lyrischen, nahezu ätherischen Tenor verleiht er dem Gralsritter eine überirdische Aura, die auch von seiner optischen Erscheinung noch getragen wird. Dabei ist seine Diktion so klar und deutlich, dass bei ihm die in Bayreuth fehlende Übertitelung auch für die Zuhörer kein Problem sein dürfte, die des Wortlauts des Librettos nicht so mächtig sind. Von daher musste man bei dem tosenden Applaus mit Händen und mit Füßen schon fast fürchten, dass der Boden im Festspielhaus nachgeben würde.

FAZIT

Standing Ovations erlebt man in Bayreuth nicht jeden Tag. Bei einer solch hochkarätigen musikalischen Umsetzung ist diese Begeisterung allerdings gerechtfertigt.

Thomas Molke | Aufführung im Festspielhaus Bayreuth am 08.08.2012

ConcertoNet.com

Getting Over the Rats

One tendency in Bayreuth’s recent history has seen the premiere of a controversial new production that everybody seems to hate morphing into an effort that is accepted and eventually even beloved. Patrice Chéreau’s centennial Ring of 1976 set the standard, but Hans Neuenfels’s Lohengrin, famous for the chorus’s rat costumes, is the latest production in this category. Its introduction in 2010 was denounced as “Eurotrash” par excellence. Last year’s revival was still greeted with widespread disbelief. But its third outing this summer seems to have put it on the fast track to becoming really beloved. The not very German word “Super” was the one most frequently heard upon exiting the Festspielhaus after the final curtain came down.

To be sure, the musical performance must have had something to do with this. For two summers running, the star tenor Klaus Florian Vogt was the only soloist in all five productions to receive a standing ovation. A lithe, sparkling voice lost none of the title role’s ethereal heroism while sustaining a voluble contribution to lore of Wagnerian performance history. Paired with Annette Dasch’s superb Elsa, delivered with a seemingly effortless charm and innocence, it was a fine effort, indeed. The villains of the opera were in every vocal and dramatic sense the equals of its heroes. Thomas J. Mayer’s Telramund forcefully reminded us of his successful performances as Wotan on European stages. The role’s understated difficulty, especially its demanding descending scales, fell before this compelling singer’s superb musicianship. It is tempting to sing the beguiling part of Ortrud, who must tempt Elsa into woe and doubt, with an overdone upper range shrillness at the expense of vital subtlety. The accomplished mezzo Susan Maclean deftly avoided this with a full bodied projection that recalls the intense studies of the great Margarete Klose. Wilhelm Schwinghammer’s King Henry could have been louder, but Samuel Youn, in the role of the King’s Herald, sang a beautiful reminder of how excellently he performed the Dutchman in this summer’s new production. The opera’s fine choruses were sung to superhuman perfection by Bayreuth’s chorus, arguably the world’s best. Warmly deserved plaudits rained down on chorus master Eberhard Friedrich. Andris Nelsons, who turns 34 this year, brilliantly conducted with an absorbing intensity that drew wild cheers.

Neuenfels’s production is often breezily dismissed as “Lohengrin with rats,” but this does not capture the essence of his message. Indeed, the close moments between the principal human characters unfold with an alluring intimacy. If the chorus appears in rat costume, it is because the larger concept presents the opera as a scientific experiment in which nebulous human concepts of loyalty, trust, discretion, and leadership are placed under observational study. At many turns in the plot, technicians in sanitary costumes enter to direct the action, place crucial props, and form the challenges that drive the opera. Video projections show rats charging forward in inexorable herds, inhabiting human brains, and attacking each other over crowns and other symbols of power. Since the plot ultimately ends in a series of failures – Telramund’s failure to seize power, Lohengrin’s failure to dispel doubt, Elsa’s failure to remain steadfast in faith, – it makes sense that the entire cast except Lohengrin dies at the end of what can only be a scientific failure. One imagines a frustrated researcher somewhere in the wings of the Festspielhaus still grasping at what makes humanity work. The fetus that represents the restored Gottfried, whose disappearance launched the whole opera, goes a bit too far, but the suggestion appears to be that something new and different will replace a corrupted humanity.

Paul du Quenoy | 07/27/2012

Rating
(6/10)
User Rating
(4/5)
Media Type/Label
Premiere 8600
Technical Specifications
128 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 186 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast from the Bayreuth festival
A production by Hans Neuenfels (2010)