Lohengrin

Marc Piollet
Chor und Orchester des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Date/Location
28 April 2012
Staatstheater Wiesbaden
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Heinrich der Vogler Albert Pesendorfer
Lohengrin Endrik Wottrich
Elsa von Brabant Lydia Easley
Friedrich von Telramund Thomas de Vries
Ortrud Andrea Baker
Der Heerrufer des Königs Joachim Goltz
Vier brabantische Edle Erik Biegel
Jonas Gudmundsson
Hye-Soo Sonn
Reinhold Schreyer-Morlock
Gallery
Reviews
Die deutsche Bühne

Politik und Frauenpower

Als Kirsten Harms noch Intendantin der Deutschen Oper war, waren ihr die Kritiker (auch der Verfasser dieser Zeilen) selten gewogen und die Politiker immer weniger zufrieden mit ihr, während das Publikum ihr immer mehr zuströmte. 2011 hat sie das Haus an der Berliner Bismarckstraße verlassen, nun hat sie zur Eröffnung der Wiesbadener Maifestspiele in der Ausstattung ihres ständigen Partners Bernd Damovsky Wagners „Lohengrin“ inszeniert. Es ist ihre beste Inszenierung seit langem. Man mag über Details und einige bonbonbunt-kitschige Lichtstimmungen streiten – aber Harms trifft mit bemerkenswerter Genauigkeit den dramaturgischen Kern des Werkes und lädt ihre Inszenierung mit Metaphern und szenischen Tableaus auf, die auf spannende Weise zum Nachdenken anregen.

Das politische Establishment um König Heinrich lässt sie als Riege steifnackiger Pinguine in Frack und Zylinder aufmarschieren – eine geschlossene, abgeschirmte Gesellschaft, die in einem der stärksten Bilder dieser Inszenierung eine poetisch-ironische Choreografie unter schwarzen Regenschirmen aufführt. Immer wieder spielen Szenen aber auch vor einer hohen klassizistischen Wand mit zwei Türen und einer barocken Stuhlreihe, eine Art Antichambre – und damit ein Ort der Politik par excellence also. Dieser politischen Männergesellschaft aber stehen zwei Frauen gegenüber: Elsa, die helle Lichtgestalt, die ihre Vision des weißen Schwanenritters in die Wirklichkeit zwingt und damit die Utopie einer politikfreien Gesellschaft in die Welt setzt; und Ortrud, eine schwarze Voodoo-Frau, die Telramund in ihren Bann schlägt und gegen den Männerbund der Frackträger die finsteren Mächte von Wodan und Freia beschwört. Gerade im Glauben an das Numinose aber, das zeigt Harms auf verblüffende Weise, liegt eine Gemeinsamkeit zwischen diesen beiden so gegensätzlichen, ja verfeindeten Frauen. So wie der Schwan Lohengrins transzendente Sendung beglaubigt, so bedient sich Ortrud eines getöteten Schwans als eines schamanischen Opfertiers, mit dessen Blut sie sich und Telramund beschmiert. So wie Elsa weiße Schwanenfedern als Fetisch ihrer Vision mit sich führt, so schmückt sich auch Ortrud mit solchen Federn. Und so wie Lohengrins Erscheinen von Projektionen begleitet wird, die Motive aus den Stuckaturen und Außenreliefs des Wiesbadener Staatstheaters zeigen, so werden auch Ortruds Beschwörungen von solchen Projektionen, nur ins Satyrhafte verzerrt, illuminiert.

Kirsten Harms zeigt auch ganz präzise, dass Lohengrins Frageverbot alles andere als eine Privatsuche zwischen ihm und Elsa ist. Als er sich weigert zu enthüllen, woher er „kam der Fahrt“ und wie sein „Nam’ und Art“ – da gerät die ganze sonst so stocksteife Gesellschaft in erschrockene Bewegung. In der Tat: Wagner setzt sich da sehr genau mit der politischen Ordnung des Mittelalters auseinander. Und nach der wurden Macht und Privilegien nicht erworben, sondern vererbt, so dass „Nam’ und Art“ entscheidende Kriterien der Herrschaftslegitimation waren. Lohengrin stellt also nicht nur Elsas Vertrauen auf die Probe, er provoziert die gesamte Machtordnung der Frackträger in ihrem Kern. Und als Elsas weißmagische Vision Ortruds schwarzmagischer Intrige zum Opfer fällt und Lohengrin am Ende in Gottfried den legitimen Erbfolger des Herzogtums von Brabant heraufbeschwört, da trägt auch dieses schmächtige Kind Frack und Zylinder. Elsa vermochte den numinosen Herrscher nicht zu bannen, also werden „Nam’ und Art“ und damit die konventionelle Politik wieder in ihr Recht gesetzt. Alles bleibt beim Alten – wahrlich ein trauriges Ende.

Dass Harms neben den sinnstiftenden Bildern immer mal wieder auch im dekorativen Leerlauf exzelliert, lässt sich zwar kaum leugnen. Das fällt aber auch deshalb nicht zu sehr ins Gewicht, weil Wiesbadens scheidendem GMD Marc Piollet mit dem brillant spielenden Orchester eine wunderbar facettenreiche Interpretation gelingt. Das Vorspiel nimmt er kantabel und konturenklar, auch im weiteren Verlauf entfaltet er das Klangbild weniger aus dem Schmelz der Farbwerte als vielmehr aus dem plastischen Profil der Einzelstimmen – er hört quasi Wagner mit Debussys Ohren. Und im Duktus legt er den Akzent weder auf dramatischen Drive noch auf weihevolles Innehalten, sondern auf spannungsvolle Entwicklungsbögen zwischen solchen Polen. Als Festspielstar der Aufführung präsentiert das Staatstheater Endrik Wottrich, der 1992 in Wiesbaden sein Bühnendebüt gab – und der zuletzt als Parsifal und Siegmund in Bayreuth die Kritiker nicht eben begeisterte, aber hier, wo er weniger forcieren muss, einen Lohengrin mit zwar kleiner und kaum wandlungsfähiger, aber klarer und tragender Stimme singt. Lydia Easley ist eine silberhelle Elsa mit etwas viel Vibrato und engem Piano, aber großer Ausdruckskraft. Andrea Baker und Thomas de Vries singen das finstere Paar Ortrud und Telramund mit umwerfendem Furor und markantem artikulatorischem Nachdruck, wobei der Gewinn an dramatischer Power und der Verlust an vokaler Akkuratesse einander in etwa die Waage halten. Albert Pesendorfer ist ein rau, aber machtvoll orgelnder König Heinrich und Joachim Goltz ein Heerrufer, der diesem Namen auch vokal Ehre macht. Und der von Anton Tremmel einstudierte Chor schließlich, dem Kirsten Harms mit ihren frontalen Aufmärschen das Sängerleben versüßt, ist mit präziser Durchschlagskraft am Werk. Am Ende Ovationen.

Detlef Brandenburg | 29.04.12

Gießener Allgemeine

»Lohengrin« eröffnet die Maifestspiele in Wiesbaden

Im Säulengang des Wiesbadener Staatstheaters sind am Samstagnachmittag bei Temperaturen von gut 30 Grad die 116. Internationalen Maifestspiele mit Begrüßungsworten von Wiesbadens Bürgermeister Arno Goßmann, Staatsministerin Dorothea Henzler und Intendant Dr. Manfred Beilharz eröffnet worden. Schon traditionell gab es auch eine Uraufführung von Ernst August Klötzke zu hören: »Nie sollst du mich befragen« – Variationen zum Gralsmotiv aus »Lohengrin«, dargeboten von acht Blechbläsern der Wiesbadener Musikakademie. Im Opernhaus ging es dagegen eher kühl zu – zumindest szenisch. Richard Wagners seit ihrer Entstehung um 1850 vieldiskutierte Oper »Lohengrin« stand als hauseigene Arbeit des Staatstheaters auf dem Programm.

Der dominante Chor ist eine zumeist steif symmetrisch durchchoreografierte Männergesellschaft in Frack und Zylinder, mit diversen Orden geschmückt. Der Obermeister (alias König Heinrich) hebt sich durch Körperhöhe und reichlich Goldfransen am Bauchlätzchen hervor. Selbst die Edelknaben der Elsa von Brabant sowie der nur kurz auftretende Frauenchor integrieren sich optisch, und wenn zum Schluss der wiedergefundene kleine Gottfried als neuer Führer des Herzogtums initialisiert wird, trägt er ebenfalls Frack und Zylinder.

Der Traumritter Lohengrin und die durch eine Machtintrige in bedauernswerte Lage geratene Erbin von Brabant sind Exoten: Weiß gewandet und weißblond sind sie Protagonisten einer Utopie von Reinheit und Liebe. Rabenschwarz dagegen ist Ortrud: Kämpferisch politisierend sogar mit Mitteln des Schamanismus, verkörpert sie einen effektvollen Gegenpol zur unschuldsvollen Elsa, die am Schluss nicht etwa »entseelt« umsinkt – offenes Ende. Regisseurin Kirsten Harms exponiert die beiden einzigen Frauen in ihrer Lohengrin-Sicht als Gegenpole. Symbolik und Stilisierungen kennzeichnen die drei langen Akte; teils erschließt sich das Regiekonzept von Entgrenzung, es birgt jedoch auch Geheimnisse. Der begrenzte Raum ist eine Vorderbühne für kammerspielartige Szenen; seine Wand wird durch Projektionen durchlässig gemacht. Die Motive sind diverse Masken und der Schwan, bildhauerische Details von steinernem Bauschmuck am Staatstheater, deren Bezug zur Szene nicht immer schlüssig ist.

Die Bühne von Bernd Damovsky (auch Kostüme) lässt im Zusammenspiel mit dem Licht (Thomas Märker) Raum für Assoziationen. Verspielt und konkret ist ein zum Altar mutierter Souffleurkasten, ein goldenes Medaillon schwebt zu Beginn der Vorstellung herab – nicht der Reichsadler, sondern die Taube ist’s. Im dritten Akt gibt es kein Brautgemach, sondern eine Bühnenfläche voller Lilien, von der Beleuchtung zunächst zum duftigen Märchen verkitscht. Doch das Morgenrosa täuscht: Elsa und Lohengrin belauern sich zwischen den Unschuldsblumen: Die verbotene Frage nach Namen und Herkunft des Mannes steht schon in der Luft. Deklamierende Elemente passen sich gut ein, und Elsa darf mit Ortrud handgreiflich werden, wenn die Spannung kulminiert. Schwanenfedern als zauberisches Element und Gewitterstimmung mit aufgespannten Schirmen geben Atmosphäre.

Der weiße Ritter wird von Endrik Wottrich verkörpert; er sang am Premierenabend den aus leuchtendem Bodenschacht Entstiegenen mit etwas unausgewogenem, mitunter eng geführtem Tenor. Die Regie belässt ihn insgesamt allzu unbeholfen; ungünstig für die hehre Optik der dunkle Kinnbart zum hellen Wellenlanghaar. Als Elsa mit Ausstrahlung gefiel Lydia Easley, deren weich getönte Dramatik stimmlich zu der zwischen schneidender Härte und kalkulierter Süße changierenden Ortrud von Andrea Baker konstrastierte. Mit Tragkraft der Stimme und präsenter Spielkunst gab Thomas de Vries der schwierigen Rolle des Telramund Profil. Albert Pesendorfers warm getönter Bass harmonierte mit seinem König Heinrich. Souverän auch Joachim Goltz als Heerrufer und Vermittler.

Das besondere musikalische Erlebnis fand in herausragend konzentrierter und differenzierter Form im Orchestergraben statt. GMD Marc Piollet brachte mit Dynamik und feinen Nuancen Plastizität ins Klangbild, das nie pastos wirkte, sondern das Konzept der Entgrenzung quasi auf Hörniveau brachte. Zu Recht gab es am Schluss Trampelbeifall für die Musiker des Staatstheaters; Jubel auch für den Chor, den Anton Tremmel zu machtvollem, präzisen Einsatz geführt hat. Angemessener Jubel galt den Protagonisten, besonders der präsenten Darbietung von Ortrud und Telramund. Mit Buhs durchsetzt war dagegen der Applaus für das Regieteam. Ein schwieriger Stoff – zugegeben, doch an Ansporn zum Weiterdenken mangelt es ihm wahrlich nicht.

Olga Lappo-Danilewski | 29. April 2012

Frankfurter Neue Presse

Schwanenritter in Weiß

Die Operninszenierung von Kirsten Harms blieb schwach, und auch die musikalische Seite mit Endrik Wottrich ließ im Staatstheater Wünsche offen.

Die Regisseurin Kirsten Harms hatte am Gebäude des Wiesbadener Staatstheaters Schwäne allerorten gefunden, in einem Fries, auch über der historischen “Kaiserfahrt” des Hauses: In großen Projektionen bebildern nun Ablichtungen der Figuren ihre Neuinszenierung von Richard Wagners Oper “Lohengrin”. Überhaupt setzt Kirsten Harms, bis 2011 Intendantin der Deutschen Oper Berlin, auf Bilder, die weitgehend als Ersatz für Aktion, Entwicklung, Deutung dienen müssen. Die Machtfrage in Brabant wird in einem Kabinettsraum verhandelt; der Chor trägt Frack und bleibt männerbündlerisch nahezu den ganzen ersten Akt an den Wänden stehen. Ein Bühnenaufzug hebt, einer Karikatur ähnlich, den blond-langmähnigen Gralsritter in Gestalt von Endrik Wottrich ins Geschehen. Mehr als eng gepresste, im Leisen nie tragende Tenor-Töne kann der Bayreuth-Sänger allerdings nicht zur Aufführung beisteuern (der heilige Gral steht auf dem Souffleusen-Kasten).

Die beiden Damen des Dramas erscheinen komplementär: Elsa in reinem Weiß, Ortrud in Schwarz (Ausstattung: Bernd Damovsky). Zu Beginn des zweiten Akts hat Ortrud einen Schwan gekillt, dessen Blut sie wie in einem heidnischen Parallel-Ritus kredenzt. Ein Ansatz, der, wie so vieles, inszenatorisch nicht weiter durchgeführt wird. Ohne Spannung bleibt die Szene, in der Ortrud Elsa gegen deren Retter Lohengrin aufwiegelt. Denn Kirsten Harms gelingt nicht einmal hier eine zwingende Personenführung, zumal Andrea Baker als Ortrud vor allem Kraft und Schärfe, nicht aber Verführung und Zwischentöne bietet. Lydia Easleys Elsa bleibt die vokale Lichtgestalt dieser Premiere, trotz üppigen Vibrato-Einsatzes zuverlässig und einfühlsam gestaltend.

Vor allem der dritte Akt verharrt in Kitsch und Konvention: Ein Blütenmeer dient als Brautgemach, Lohengrin ringt seinen Widersacher Telramund mit einem Riesen-schwert nieder. Thomas de Vries muss mit seinem eigentlich elegant-geschmeidigen Bariton in der Partie des geschlagenen Grafen immer wieder forcieren. Albert Pesendorfers König Heinrich und sein Heerrufer in Gestalt von Joachim Goltz, von der Regie ohne Profil belassen, geben sich vokal solide, was für die häufig herb und hölzern klingenden Chöre wiederum nur eingeschränkt gilt.

Dirigent Marc Piollet konzentrierte sich nämlich spürbar auf das fein und farbsinnlich spielende Hessische Staatsorchester, nahm dafür aber zahlreiche Ungenauigkeiten in der musikalischen Abstimmung mit der Bühne in Kauf.

Axel Ziebulski | 30.04.2012

Rating
(4/10)
User Rating
(2/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
128 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 224 MByte (MP3)
Remarks
In-house recording
A production by Kirsten Harms (premiere)