Lohengrin
Gergely Vajda | ||||||
Hungarian Radio Choir Hungarian State Opera Orchestra | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Heinrich der Vogler | Péter Fried |
Lohengrin | István Kovácsházi |
Elsa von Brabant | Ricarda Merbeth |
Friedrich von Telramund | Anton Keremidtchiev |
Ortrud | Linda Watson |
Der Heerrufer des Königs | Zsolt Haja |
Vier brabantische Edle | József Mukk |
László Beöthy Kiss | |
Lajos Geiger | |
László Jekl |
Verlorene Hoffnung…
In diesem Jahre wartete das mittlerweile im Budapester Frühling schon Tradition gewordene „Wagner in Budapest“ Opernfestival im Palace of Arts (MÜPA) unter der künstlerischen Leitung von Ádám Fischer mit drei Werken des Bayreuther Meisters auf: Einer Neuinszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“, einer Wiederaufnahme des „Parsifal“ aus früheren Jahren und einer des „Lohengrin“ aus dem Jahre 2011.
László Marton inszenierte das Stück vom Schwanenritter, der hier freilich keiner ist, in der akustisch exzellenten Béla Bartók National Concert Hall halbszenisch, wie es bei den Wagner Tagen ebenfalls Tradition ist. Sowohl dieser „Lohengrin“ wie auch die neuen „Meistersinger“ im MÜPA dokumentierten einmal mehr, welch theatralische Intensität bei geschickter Regie und intelligenten SängerdarstellerInnen auch mit einer halbszenischen Inszenierung zu erreichen ist. Für Marton steht im Mittelpunkt des Geschehens die Tragik Elsas, die seit ihrer Kindheit in den brabantischen Bräuchen und Gepflogenheiten gefangen ist, aber doch eine Ausbruchsmöglichkeit aus diesem retrograden Ambiente herbeisehnt. Sie will, wie Marton im Programmheft unterstreicht, aus dieser Welt befreit werden. Die Rettung kommt in Gestalt Lohengrins daher und ist für einige Zeit eine wahre Hoffnung für Elsa, offenbar aber auch für die Brabanter als Kollektiv. Lohengrin erscheint wie ein Poet aus einer anderen Welt, so wie es Andrea Chenier bei Giordano für Madeleine ist. Die elementare Kluft zwischen diesen Welten zeigen Bühnenbildner Péter Horgas und Kostümbildnerin Mari Benedek auf äußerst anschauliche und von Éva Duda plastisch choreographierte Art und Weise. Für die dazu passende Lichtregie, die das Geschehen immer wieder geschickt fokussiert, sorgt Tamás Bányai.
Zu Beginn verharren die Brabanter in nordkoreanisch anmutenden olivgrünen Militäruniformen mit Schiebermütze stocksteif auf einer Tribüne, wie bei einer dieser streng und nahezu rituell inszenierten Hommagen an den jeweiligen Führer, der hier als König Heinrich, allerdings im grauen Businessanzug, abgesetzt wird. Dann kommt durch das inständige Bitten Elsas, die in Trauerflor um ihren verlorenen Bruder langsam aus dem Zuschauersaal auf die Bühne tritt, Lohengrin aus einer Kulisse blitzender Spiegel. Eine ebenso einfache wie überzeugende Lösung – Licht kommt ins Dunkel. Schon allein durch sein unkonventionelles ziviles Outfit, weißes Hemd, schwarze Hose und salopp gebundener schwarzer Schal, wirkt Lohengrin wie aus einer anderen Welt. Unmittelbar verändert sich die Szene. Die Brabanter entledigen sich ihrer Uniformen und erscheinen nun in bunter Alltagskleidung mit größter Hochstimmung und Ausgelassenheit. Starke Bewegung kommt ins bis dahin statische Bild. Elsa tritt im 2. Aufzug wie im Traum ihrer bereits erfolgten Rettung Ortrud in einem weißen Schwanenkleid gegenüber, während diese und Telramund, ganz anders als Elsa völlig sicher in ihrem unerschütterlichen Drang nach Macht, durchgängig schwarz gewandet sind. Elsas Unfähigkeit, sich endlich aus der einengenden Brabanter-Welt zu lösen, offenbart sich schließlich in der verbotenen Frage an Lohengrin, wer er sei. Nun ist alle Hoffnung ummittelbar verflogen, die Farben und die Ausgelassenheit der Brabanter verschwinden wieder. Zurück bleiben die perspektivlos sich überlassenen und nun wieder uniformierten Brabanter mit einem ungewissen Schicksal.
Das Regieteam erzählt die Geschichte also mit relativ einfachen Mitteln angesichts der szenisch stark begrenzten Möglichkeiten des Konzertpodiums des MÜPA auf überzeugende Weise. Dabei halfen ihm aber auch sehr versierte SängerdarstellerInnen. István Kovácsházi, seit 2008/09 am Mannheimer Nationaltheater engagiert, singt einen ausgezeichneten Lohengrin, den er auch bei der Premiere dieser Produktion verkörperte. Mit seinem leuchtenden und geschmeidigen Tenor, der lyrisch timbriert ist und auch die Höhen mühelos schafft, weiß er sofort nach seinem Erscheinen für sich einzunehmen und die von Elsa so herbeigesehnte Rettung zu verkörpern. Einen ganz großen Abend hat Linda Watson als Ortrud. Mit der großen Strahlkraft und Attacke ihres hochdramatischen und etwas metallischen Soprans und einer intensiven, bisweilen an Finsterkeit unter die Haut gehenden Darstellung, beherrscht sie das Geschehen, sobald sie in Aktion tritt. Mit Leichtigkeit kommen da auch die Höhen der „Entweihten Götter“ und das so gefürchtete Finale. Die Ortrud war immer schon – ich erinnere mich an ihren Auftritt in Bologna vor etwa zehn Jahren unter Daniele Gatti – ihre Rolle, und sie ist es ganz offsichtlich weiterhin. In Ricarda Merbeth als Elsa hat sie eine Gegnerin auf Augenhöhe. Sie lässt ihren klangvollen Sopran mit perfekter Artikulation verströmen und zeichnet überzeugend die junge Frau, die sich zwar aus ihren Banden befreuen will, es aber angesichts solch finsterer Kräfte und der Beharrlichkeit des Systems nicht schaffen kann. Ihr Dialog mit Ortrud im 2. Akt ist einer der Höhepunkte des Abends. Anton Keremidtchiev singt im 1. Akt mit großem stimmlichem und darstellerischem Ausdruck sowie perfekter Diktion seines prägnanten Heldenbaritons den Telramund, der gleichwohl den Verführungen dieser starken Ortrud von Beginn an nicht gewachsen ist. Im 2. Akt bei seinem kurzen Auftritt gibt es leichte Höhenschwierigkeiten. Zsolt Haja gibt einen ebenfalls prägnanten und ebenso klangschönen Heerufer. Allein Péter Fried als König Heinrich fällt von diesem erstklassigen Ensemble stimmlich ab, mit einem etwas verquollenen, unschön timbrierten und abgedeckt klingenden Bass, den er aber kraftvoll vorträgt. Als Persönlichkeit hat Fried die entsprechende Ausstrahlung. Die vier Edlen machen ihr Sache gut.
Der von Csaba Somos einstudierte MR Chor, sowie der von Kálman Strausz einstudierte Honveder Herrenchor und Budapester Studio-Chor sind schlicht als sensationell zu bezeichnen, was Prägnanz, Transparenz und Dynamik sowie die stimmliche Ausdruckskraft dieses Ensembles angeht. Und das ist gerade im „Lohengrin“ ein enormes Plus. Sie sind aber bei „Gesegnet sollst du schreiten…“ auch zu einem betörenden Legato fähig. Der junge Gergely Vajda dirigierte das Ungarische Staatsopern-Orchester mit viel Elan und Dynamik, was sich aber – zumal in den großen Tableaus – bisweilen in einer überhöhten Lautstärke äußerte. Das Vorspiel zum 1. Akt erklang wunderbar getragen, auch die Dialoge der Protagonisten wurden detailliert und transparent ausmusiziert. Noch scheint Vajda aber nicht ganz mit den akustischen Gegebenheiten des Béla Bartók Saals des MÜPA vertraut zu sein, die bei hier erfahrenen Dirigenten einen großartigen Wagnerklang ermöglichen. Umso eindrucksvoller erklang die riesige Orgel in den Münster-Szenen – das kann man so imposant wohl in keiner Oper hören – und die herrlich gespielten Fanfaren von der Empore.
Klaus Billand | BUDAPEST/Palace of Arts: LOHENGRIN – WA am 9.6.2013