Lohengrin

Alexander Soddy
Chor und Orchester des Nationaltheaters Mannheim
Date/Location
17 April 2017
Nationaltheater Mannheim
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Heinrich der Vogler Sung Ha
Lohengrin Daniel Johansson
Elsa von Brabant Ludmila Slepneva
Friedrich von Telramund Thomas Jesatko
Ortrud Heike Wessels
Der Heerrufer des Königs Thomas Berau
Vier brabantische Edle David Lee
Raphael Wittmer
Valentin Anikin
Philipp Alexander Mehr
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Reviews
Rhein-Neckar-Zeitung

Wagners “Lohengrin” am Mannheimer Nationaltheater ausgebuht

Aus Leibeskräften übertönte das Publikum die festliche Opernvorstellung

geglättet über Tilman Knabes umstrittene Inszenierung von Wagners “Lohengrin” am Mannheimer Nationaltheater. Bei der Festlichen Vorstellung mit namhaften Gaststars war der Publikumszorn umso hemmungsloser. Die ausinszenierte Ouvertüre zum 3. Aufzug erfüllte ein minutenlanger Buhsturm, wie man ihn heutzutage selten erlebt. Tapferer Alexander Soddy am Pult, der das Orchester weiter dirigierte, wenngleich von der Musik nichts mehr zu hören war und der Buh-Orkan das Fortissimo des Orchesters übertönte. Tapferer Thomas Berau als Heerführer, der sich nicht beirren ließ und heftig die vor ihm auf dem Tisch liegende Elsa im hochgeschobenen Brautkleid weiter rammelte. Wie man zu der Inszenierung auch stehen mag: Bei einem “Festlichen Opernabend” sind solche drastische Szenen wohl eher nicht geeignet. Das Publikum will schöne Stimmen erleben, viele Besucher sind aus dem Ausland dafür angereist. Nicht jede Sopranistin von Weltrang gibt sich dafür her, in solch heikler Rollenmission aufzutreten. Annette Dasch machte es. Wohlgefühlt hat sie sich sicher nicht in ihrer Rolle, das konnte man spüren und hören. Etwas eingezwängt wirkte sie in ihrem schweinchenrosafarbenen Jackett, und ihre Stimme klang im ersten Akt noch ein wenig dünn und mädchenhaft. Erst im zweiten Aufzug fand sie eine lyrische Beseeltheit und schmiegsam weiche Kantabilität, die ihre eigentliche Klasse klarmachte. Eine Bilderbuch-Elsa war das freilich nicht, dafür stand die Regie zu sehr im Wege, die echte Innigkeit verbietet und dafür Zynismus einer gefühlskalten Herrscherin einfordert. Mit einer imposanten Gestaltung der Titelpartie ist Stefan Vinke als Gast zurückgekehrt an sein ehemaliges Haus. Jugendlich strotzende Kraft gab der Heldentenor seinem Schwanenritter, der wie eine Kleistsche Gestalt die Bühne betritt. Auch für das Lyrische fand er eingebungsvolle, kantable Töne. Wolfgang Koch als dritter Gast des Abends trumpfte klangstark auf als Telramund. Insistierende, wilde Klagen stimmte er mit glühender Kraft an. Heike Wessels gab der Ortrud große dramatische Insistenz und Durchschlagskraft. Sung Ha mit markantem Bass war ein gut singender König Heinrich. Nur das Quintett im ersten Aufzug ging allgemein ziemlich daneben, intonatorisch. Großartig der Chor und Extrachor des Nationaltheaters, das Orchester steigerte sich im Laufe des Abends von der Gefälligkeit zu einer intensiven Leistung.

Rainer Köhl| 21.02.2017

deropernfreund.de

Elsa, die skrupellose Machtpolitikerin

Im Rahmen der Festlichen Opernabende kam am Nationaltheater Mannheim Wagners „Lohengrin“ zur Aufführung. Wenn man geglaubt hatte, die bereits 2011 aus der Taufe gehobene Inszenierung von Tilman Knabe im Bühnenbild von Johann Jörg und den Kostümen von Kathi Maurer hätte sich inzwischen beim Publikum durchgesetzt, sah man sich getäuscht. Das Buhkonzert beim Schlussapplaus war nicht von schlechten Eltern. Dabei gehört diese Produktion zum Besten, was die Rezeptionsgeschichte des Werkes zu bieten hat. Wer bereit war, sich unvoreingenommen auf Knabes außergewöhnliche Sicht einzulassen, wurde mit einem hoch spannenden, mitreißenden und äußerst kurzweiligen Opernerlebnis belohnt. Knabe hat sich über das Stück hervorragende Gedanken gemacht und sie mit Hilfe einer ausgefeilten, stringenten Personenregie auch trefflich umgesetzt. Dass das, was er auf die Bühne gebracht hat, nicht jedermanns Sache war, steht auf einem anderen Blatt.

Ein Gralsmärchen und jede Art von Wunder finden bei Tilman Knabe nicht statt. Diese Begriffe unterzieht der Regisseur einer radikalen Umdeutung. Zauber ist hier nichts weiter als fauler Zauber und „Wunder“ haben mit Wundern überhaupt nichts mehr zu tun. In dieser Inszenierung ist für Romantik kein Platz. Für Knabe ist der „Lohengrin“ ein ausgesprochen politisches Stück mit zeitloser, auch unsere Gegenwart betreffender Problematik. Dem entspricht, dass sich die Handlung in einem halbzerstörten Parlamentsgebäude abspielt. Von einem Rednerpult aus halten die unterschiedlichen Parteivertreter ihre Ansprachen. Dabei werden sie unablässig von einem Reporterteam belagert und gefilmt. Klar wird, dass wir es hier mit einer ausgemachten Mediengesellschaft zu tun haben. Darüber hinaus werden sämtliche Konflikte vor den Augen der Öffentlichkeit ausgetragen. Eine Privatsphäre scheint nicht zu existieren. Einem außenpolitischen Konflikt, der Mobilmachung gegen Ungarn, korrespondiert ein innenpolitischer, nämlich die Etablierung einer neuen Herrschaft in Brabant. Dabei stellt Knabe die Frage, welche Regierungsform vorzuziehen ist: Die vom Volke ausgehende Demokratie oder die Herrschaft eines einzelnen. Der Heerufer, der während des gesamten Geschehens die Fäden in der Hand hält, plädiert für das letztere. Zu den Schlusstakten setzt er mit Hilfe von Sturmtruppen den demokratischen Strukturen ein gewaltsames Ende und lässt sich zum neuen Monarchen im königlichen Gewand ausrufen.

Eine gewichtige Ursache für den Unmut des Auditoriums dürfte Knabes äußerst negative Sicht der Elsa gewesen sein, die ihr kleines Lied „Euch Lüften, die mein Klagen“ total betrunken singt und sich später auch mal erbrechen darf. Sie wird als skrupellose Machtpolitikerin vorgeführt, die schonungslos Eigeninteressen verfolgt. Das ist eine in hohem Maße verkommene Frau, die ganz genau weiß, was sie will und eine große medienwirksame Show abzieht, um das Mitleid der Bevölkerung zu erlangen. Dieser berechnende, Julia Timoschenko nachempfundene weibliche Drachen schreckt vor nichts zurück, um die Alleinherrschaft in dem patriarchalisch geprägten Brabant zu erlangen. Dafür braucht sie eine männliche Gallionsfigur. Mit Hilfe des Heerrufers und König Heinrichs holt sie den stark misshandelten Guantanamo-Häftling Lohengrin aus dem Kerker, um ihn, von ihr im Hintergrund streng geführt, dem manipulierten Volk als neue Leitfigur zu präsentieren. In recht anrüchiger, indes auch effektvoller Art und Weise wird hier ein Anführer etabliert und zum Heilsbringer ausgerufen. Parallelen zu charismatischen Führungspersönlichkeiten zur Zeit der Premiere im Jahre 2011 werden offenkundig.

Nichtsdestotrotz ist Lohengrin nichts weiter als eine Marionette, ein Spielball der Herzogstochter und des Heerrufers. Elsa fühlt sich nur der Oberschicht verbunden und hat für den der Unterschicht entsprungenen Lohengrin lediglich Verachtung übrig. Sogar in der Brautgemachszene, die Knabe als Inszenierung für die Öffentlichkeit deutet, legt sie Lohengrin gegenüber eine bitterböse Ironie an den Tag. Sie tritt ihn mit Füßen und spuckt ihn an. Diese Ehe hat mit Liebe nichts mehr zu tun und besteht nur auf dem Papier. Es verwundert doch sehr, dass der Held mit dieser bitterbösen Frau tatsächlich die Ehe vollziehen will. Immer ungestümer wirbt er um sie. Die darob nicht sehr erfreute Elsa kann sich dem nur dadurch entziehen, dass sie zu guter Letzt die verbotene Frage stellt. Zur Erreichung ihrer fragwürdigen politischen Ziele setzt sie gekonnt ihre weiblichen Reize ein und zeigt sich zu Beginn des dritten Aufzuges auch mal im Unterkleid. Mit Heinrich dem Vogler hat sie ein kleines Techtelmechtel. Nur den Heerrufer liebt sie wirklich. Die große Sexszene zwischen den beiden während des Vorspiels zum dritten Aufzug wurde von den darob erbosten Zuschauern mit einem lautstarken Buh- und Pfeifkonzert sowie empörten Zwischenrufen begleitet. Da war sogar die Musik für kurze Zeit nicht mehr zu hören. Hier wird offensichtlich, dass Elsa nicht immer ein schlimmes Weib war. Jetzt Täterin, scheint sie in der Vergangenheit auch einmal Opfer gewesen zu sein. Der Fakt, dass sie zu echter Liebe fähig ist, macht bei Knabe einen ihrer wenigen menschlichen Züge offenkundig.

Aber das Böse in ihr überwiegt. Hier hat sie ihren Bruder wirklich ermordet. Wenn sich Elsa während der Ensembleszene vor dem Münster im zweiten Aufzug jäh daran erinnert, wie sie Gottfried aus purem Machtstreben mit einem Messer bestialisch niedergestochen hat, gehört das zu den eindrucksvollsten Bildern von Knabes großartiger Regiearbeit. Der Mord wird dem Publikum mit Hilfe von zwei Statisten, die in einem auf dem rechten Rand der Bühne angebrachten Glashaus agieren, vor Augen geführt, während sich Elsa ihre blutigen Hände an ihrem schicken Hosenanzug abzuwischen versucht. Sie kann sich von ihrer großen Schuld aber nicht reinwaschen, das Blut ihres Bruders wird auch weiterhin an ihr kleben.

Man sieht: Telramund hat mit seiner Anklage recht. Sein und Ortruds Widerstand gegen die mörderische Elsa ist nur zu berechtigt. Links ausgerichtet versuchen sie vergeblich, sie zu stürzen. Hier wird auch beim Gottesgericht im ersten Aufzug betrogen. Da hat Ortrud ebenfalls recht. Der Zweikampf zwischen Lohengrin und Telramund wird von Knabe als von Stroboskoplicht untermaltes Rednerduell interpretiert, in dem der Graf nur aufgrund eines Giftanschlags des Heerufers den Kürzeren zieht. Zu guter Letzt findet das hier gänzlich unschuldige Paar Telramund und Ortrud die Leiche Gottfrieds und präsentiert sie gleichsam als Corpus Delikti Elsa im Brautgemach. Auf sie haben sie es abgesehen, nicht auf Lohengrin. Als Telramund sich auf Elsa stürzt, wird er von dem Gralsritter kurzerhand mit seiner eigenen Pistole erschossen. Der Heerrufer deklariert das Ganze anschließend als Selbstmord des brabantischen Grafen. Zu Beginn der Schlussszene unternimmt seine Witwe Ortrud einen letzten verzweifelten Versuch, die Bevölkerung über Elsas verbrecherischen Charakter und Lohengrins Rolle in dem anrüchigen Spiel aufzuklären. Ihr ist indes kein Erfolg beschieden. Sie wird gefangen genommen, gefoltert und schließlich in der gleichen Weise niedergemetzelt wie die vier brabantischen Edlen, die sich über die Fragwürdigkeit der Kriegsvorbereitungen ganz im Klaren sind und sich nachhaltig von diesen distanzieren. Wenn Knabe unter die Krieger auch Frauen mischt, wirft er gekonnt die Problematik von weiblichen Soldaten auf. Auch Brecht’schen Elementen huldigt er, wenn er im letzten Bild den Zuschauerraum in seine Deutung einbezieht. Insgesamt war seine Inszenierung wieder einmal sehr sehenswert.

Insgesamt zufrieden sein konnte man auch mit den gesanglichen Leistungen. Stefan Vinke, früher Ensemblemitglied des Nationaltheaters, war ein darstellerisch tadelloser, intensiver Lohengrin. Stimmlich wartete er mit einem variablen Sitz seines Tenors auf. In der Mittellage saß sein Tenor in der Maske, in der Höhe produzierte er dagegen oft auch schön im Körper sitzende Töne. Leider rutschte ihm am Ende der Gralserzählung nach etlichen Höhenaufschwüngen einmal ein tiefer Ton aus der Fokussierung. Annette Dasch hatte sich Knabes Konzeption der Elsa trefflich zu eigen gemacht und ging bereits schauspielerisch voll in ihrer Rolle auf. Vokal beeindruckte sie insbesondere in der Mittellage mit ihrem gut fokussierten, gefühlvollen Sopran. Die Spitzentöne der Partie hätte sie allerdings etwas besser in die Legatolinie einbinden können. Der mit kernigem, profundem und ausdrucksstarkem Bariton-Material gesegnete Wolfgang Koch lief in der Rolle des Telramund spätestens im zweiten Aufzug zu ganz großer Form auf und hinterließ einen vorzüglichen Eindruck. Ohne Zweifel haben wir es hier mit einem der besten Rollenvertreter zu tun. Einen profunden, sauber geführten Mezzosopran brachte Heike Wessels für die Ortrud mit. Der König Heinrich von Sung Ha zeichnete sich durch bassigen, trefflich fundierten Wohlklang und eine gute Bewältigung der unangenehm hohen Tessitura der Partie aus. Den Heerrufer sang mit wohlklingendem lyrischem Bariton Thomas Berau. Bei den vier brabantischen Edlen von Valentin Anikin, David Lee, Philipp Alexander Mehr und Raphael Wittmer gefielen die tiefen Stimmen besser als die recht dünnen Tenöre. Prächtig präsentierte sich der von Dani Juris einstudierte Chor des Nationaltheaters Mannheim.

Eine gute Leistung erbrachte Alexander Soddy am Pult. Zusammen mit dem insgesamt gut disponierten Orchester des Nationaltheaters Mannheim erzeugte er ein schwebendes, feines und dynamisch fein abgestuftes Klangbild von großer Poesie und Differenziertheit. An keiner Stelle setzte er auf reine Lautstärke, es dominierten leise Klänge und viele Zwischentöne. Leider kam es im ersten Aufzug bei einer Stelle des Heerrufers einmal zu einem Patzer bei den Bläsern. Schade war, dass die Aufführung im Gegensatz zur Premiere 2011 im dritten Aufzug einen größeren Strich aufwies. Die Weissagung Lohengrins wurde den Zuschauern an diesem insgesamt gelungenen Abend unterschlagen.

Ludwig Steinbach | 19.2.2017

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Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 462 MByte (MP3)
Remarks
In-house recording
A production by Tilman Knabe (2011)