Lohengrin

François-Xavier Roth
Chor und Orchester der Bayerischen Staatsoper München
Date/Location
3 December 2022
Nationaltheater München
Recording Type
  live  studio
  live compilation  live and studio
Cast
Heinrich der VoglerMika Kares
LohengrinKlaus Florian Vogt
Elsa von BrabantJohanni van Oostrum
Friedrich von TelramundJohan Reuter
OrtrudAnja Kampe
Der Heerrufer des KönigsAndrè Schuen
Vier brabantische EdleLiam Bonthrone
Granit Musliu
Gabriel Rollinson
Roman Chabaranok
Gallery
Reviews
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Elsa, womit verkehrst du da?

Das Informationsangebot für Neuproduktionen an der Bayerischen Staatsoper ist enorm: Neben dem Programmbuch versprechen Podcasts, Dossiers und Trailer einen Einblick in die Gedanken des Produktionsteams. Doch wohin uns der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó mit seiner zwischen Psychologie und Symbolismus changierenden Inszenierung von Richard Wagners „Lohengrin“ führen möchte, bleibt nebulös. Das irritierte Premierenpublikum spendet dem Regieteam höflichen Applaus, durchsetzt mit deutlichen Buh-Rufen.

Mundruczó verlegt die Geschichte vom gralsgesandten Schwanenritter in „eine posthumane Welt, in der eine Gruppe von Überlebenden voller Angst und voller Fragen auf Erlösung hofft.“ Durchaus folgerichtig kommt bei dieser dystopischen Grundannahme der vermeintliche Retter nicht aus dem Reich der Metaphysik, sondern eher zufällig aus dem im Turn- und Regencape uniformierten Volk. Doch dann? Im Gotteskampf gehen Lohengrin und Friedrich von Telramund mit einer schwertähnlichen Eisenplatte und einem Rotationsschleifer funkensprühend aufeinander los, während der Chor, die weißen Overalls zu einer Rolle gedreht, den Propeller macht. Massen schreiten bedeutend durch ein Portal. Elsa gönnt sich einen Joint. Der Heerrufer versucht, den sonst um keine Erlösungsgeste verlegenen Chor zu einem im rechten Winkel geknickten Hitlergruß zu bewegen. Was aber letztlich die Hauptfiguren antreibt, ja warum letztlich diese Geschichte überhaupt erzählt wird, bleibt in dieser handwerklich zweifelhaften und bei aller glaubhaften Verehrung für Wagner auch ziemlich unmusikalischen Inszenierung unklar.

Musikalisch ist der Abend hingegen mehr als lohnenswert. Das liegt in erster Linie an François-Xavier Roth, dem Generalmusikdirektor der Stadt Köln und ab 2025 Chefdirigenten des SWR Symphonieorchesters. Zusammen mit dem Bayerischen Staatsorchester präsentiert er einen erfrischend anderen, fein nuancierten und vor allem durchhörbar gestalteten Wagnerklang. Ihm gelingt es, seine Erfahrungen aus der historisch informierten Aufführungspraxis mit der philharmonischen Tradition des Staatsorchesters synergetisch zu verbinden. Statt Pathos, Überwältigung und Rausch lässt Roth im Vergleich zu seinen dirigierenden Kollegen viel eleganter phrasieren; er setzt seine Ideen nicht punktuell um, sondern entwickelt sie über eine längere Strecke hinweg. Doch diese „Kunst des Übergangs“, um einen Begriff Wagners zu gebrauchen, gefällt nicht allen: Auch Roth muss ein paar deutliche Ausrufe des Missfallens einstecken.

Klaus Florian Vogt ist immer noch herausragend
Über Klaus Florian Vogt, den ewigen Lohengrin, ist bereits viel geschrieben worden. Er kennt die Partie auf dem Effeff – und vielleicht ist gerade deshalb seine Leistung am Premierenabend durchwachsen. Die wichtigsten Momente seiner Rolle bringt er, trotz unbeholfenen Zwischenatmens, auf den Punkt, doch dann gibt es Passagen, in denen er allzu routiniert und unkonzentriert scheint. Man begreift seine musikalische Rhetorik nicht, versteht nicht, warum unbedeutende Worte mit einer Betonung aufgeladen sind, während zentrale Schlüsselwörter wie Beiwerk klingen. Wegen mangelnder Stütze in den leisen Stellen bricht dann auch noch jede Gesangslinie vor dem Phrasenende ab. Um nicht missverstanden zu werden: Vogt ist immer noch mit seiner hellen, kaum gealterten Tenorstimme herausragend, an seine Leistung bei den Bayreuther Festspielen im vergangenen Sommer reicht dieser Abend allerdings nicht heran.

Beglückend ist Johanni van Oostrum als Elsa von Brabant. Der südafrikanischen Sopranistin gelingt sowohl musikalisch als auch darstellerisch mit Abstand das eindrücklichste Rollenprofil: ein physisch wie psychisch sich komplett entäußerndes, gestörtes Wesen, dass in der „posthumanen Welt“ keinen Frieden findet. Stets geht sie auf volles Risiko; ungemein farbenreich und rund ist ihre jugendlich-frische Sopranstimme. Mögen sich auch gegen Ende Konditionsprobleme einstellen, hier ist eine Sängerin zu bestaunen, die in dieser Partie noch vollends aufblühen wird.

Johan Reuter als etwas zu eleganter Friedrich von Telramund fehlt jene tiefschwarze Abgründigkeit, die Anja Kampe in ihr gelungenes Rollendebüt als mächtig böse Ortrud legt. Auch Mika Kares als König Heinrich und – was für ein Luxus – Andrè Schuen als Heerrufer werden mit langanhaltendem Applaus bedacht. Kräftig, wenngleich etwas wackelig sind die Chöre. Offenbar sucht man an der Bayerischen Staatsoper einen neuen Chordirektor; für „Lohengrin“ zeichnet nun der Chordirektor der Oper Frankfurt Tilmann Michael verantwortlich, der nebenbei bemerkt zeitgleich auch die Neuproduktion von Peter Tschaikowskys „Zauberin“ in seinem Stammhaus zu verantworten hat. Wie eng getaktet die Probezeiten sein mussten, lässt sich erahnen.

Während der Gralserzählung senkt sich in Zeitlupe ein riesiger Meteor herab, eine der wenigen wirklich poetischen Momente in der Inszenierung. Doch während Meteore in der Regel irgendwo einschlagen, kommt er in München, mit Nebelmaschine und violettem Licht ausstaffiert, etwa zwei Meter über dem Boden zum Stehen – und hebt sich wenig später wieder. Warum ausgerechnet Elsa den extraterrestrischen Stein, womöglich das Transportmittel in das Reich des Schwans, besteigt? Geschenkt. Der in der letzten Minute erscheinende Knabe Gottfried von Brabant blickt ratlos, verdutzt und verunsichert auf die vom Meteor tödlich getroffene Menschheit. Wie sympathisch, man kann es nachfühlen.

FLORIAN AMORT | 7. Dezember 2022

concerti.de

Mein lieber Schwan, mein lieber Meteroit

Musikalisch ist die jüngste „Lohengrin“-Premiere an der Bayerischen Staatsoper in München ein echtes vorweihnachtliches Schmankerl. Als szenische Interpretation allerdings eher eine etwas härtere Nuss. Wobei die Orchesterverpackung für dieses Fest der Stimmen schon sehr robust geraten ist. Nicht nur weil Francois-Xavier Roth die königlichen Blechbläser des Bayerischen Staatsorchesters in die Rangloge links neben der Rampe verfrachtet hat und der Orchestergraben so hoch gefahren ist, dass man vom Parkett aus die Köpfe einiger Musiker sieht. Er hat auch keine Hemmungen, zuzulangen und beispielsweise den Hochzeitsmarsch richtig krachen zu lassen. Im ersten Akt fällt das noch nicht so auf, aber im Zweiten wirkt es irritierend, wenn sich einzelne Instrumentengruppen hörbar in den Vordergrund drängen. Natürlich hat ein zupackend diesseitiger Orchestersound auch mal seine Vorzüge im Vergleich zu den ätherischen Gralsmusik-Exerzitien im verdeckten Bayreuther Graben. Aber man kann es eben auch übertreiben.

Referenzverdächtige sängerische Qualität: von den Edelknaben und dem Chor bis zu Klaus Florian Vogt
Es gehört zu den (wohl nicht beabsichtigten) Wundern dieser Produktion, dass man diesen Einwand für sich genommen machen kann, ohne ihn mit der Klage zu ergänzen, dass die Sänger dadurch ernsthaft beeinträchtigt oder überdeckt werden. Denn das ist tatsächlich nicht der Fall. Die von Tilman Michael einstudierten Chöre natürlich eh nicht. Aber auch die Protagonisten folgen unbeirrt ihrem Stern in Richtung einer wirklich referenzverdächtigen Qualität. Das fängt schon im Kleinen an. Was die vier Burschen des Tölzer Knabenchores als Edelknaben vom Balkon über dem Portal im zweiten Akt beisteuern, macht ihren Rollennamen alle Ehre. Der Witz kindlichen Rumalberns erheitert; der standfeste Gesang überzeugt. Auch die anderen Vier, die brabantischen Edlen (Liam Bonthrone, Granit Musliu, Gabriel Rollinson und Roman Chabaranok) verdienen Erwähnung. Ins stimmliche Luxussegment geht es dann mit dem Heerrufer von André Schuen, der mit tadelloser Eloquenz an der Seite seines Chefs, dem profunden Mika Kares als König Heinrich, bleibenden Eindruck hinterlässt.

Beim finsteren Paar hat Anja Kampe als eine abgründig kämpferische Ortrud eindeutig die Führung. Imponierend, wie sie nach ihren Brünnhilden beim jüngsten „Ring“ an der Berliner Staatsoper unter den Linden hier eine Gegenspielerin Lohengrins liefert, wie man sie lange nicht live auf der Bühne erleben konnte. Aber auch Johan Reuter bleibt seinem Friedrich Telramund nichts schuldig. Was die beiden anderen, also Lohengrin und Elsa betrifft, so mag es abgegriffen klingen, aber beide sind wirklich ein Traum(paar), das einen auf die Stuhlkante treibt. Obwohl es fast schon ein Klischee ist, Vogt als den Lohengrin unserer Tage zu bezeichnen, er ist es wirklich und in München besser als je zuvor. Irgendwie altert seine Stimme nicht, bleibt in ihrer knabenhaft lichten Färbung eben gralskompatibel wie kaum ein andere. Johanni van Oostrum ist die mittlerweile dazu haargenau passende Elsa. Ein wunderbar runder Ton, herrliche Piani und mühelose Aufschwünge. Dazu hat sie nicht nur vokal, sondern auch darstellerisch, eine jugendliche Aura, wie man sie selten erlebt.

Eine tief traumatisierte Elsa und ein alberner Adventskalender
Dass ihre Elsa in der mit dem Shanghai Grand Theatre koproduzierten Inszenierung des Ungarn Kornél Mundruczó auf eine traumatisierte, im Grunde nicht zu rettende junge Frau festgelegt ist, bewältigt sie auch darstellerisch fulminant. Es ist schon eine Klasse für sich, wenn sie im ersten Aufzug von lauter gegenwärtig wirkenden, im hell gekleideten Einheitslook, aber gläubig auf ein Wunder Wartenden bedrängt wird und ihre Kontrahenten mit kurzen Gesten einer angedeuteten aggressiven Abwehrbewegung in die Flucht schlägt. Was Mundruczó als brabanter Gesellschaft in Erwartung des deutschen Königs anbietet, ist eine Art Gemeinschaft der Gleichen (mit dem König und seinem Heerrufer als Spielführer, Therapeuten, vielleicht sogar Gurus), die sich einen Heilsbringer imaginieren, auf den sie dann – nach ein paar Fehlversuchen – mit dem ausgestreckten Zeigefinger zeigen.

Für den Chor hat sich der Regisseur überhaupt ein ganzes Repertoire von Zeichen ausgedacht, wobei er ihn sonst mit eher unbeholfenen Tableauaufmärschen auf Trab hält. Richtig albern wird das im zweiten Aufzug vor dem Münster. Da öffnen sich um das üppige Portal im Zentrum herum wie in einem Adventskalender 26 Fenster, aus denen die Brabanter mit weißen Lilien und roten Bändern das bevorstehende Hochzeitsambiente aufhübschen. Samt Konfettiböllern und einem Hochzeitskleid für Elsa, das die zu einem goldenen Rad um sich herum auffächert. Um im dritten Aufzug wie verunglückt in diesem Etwas eingeklemmt zu hängen. In der Bühne für den Dritten Aufzug – nüchtern, weißer Raum mit zunächst verschlossener Tür, die Elsa von innen nicht öffnen kann – finden sich die Grünpflanzenelemente aus dem Ersten wieder. Elsa verfällt in ihr Trauma zurück. Dessen Ursache bleibt offen – wahrscheinlich die Anschuldigung, ihren Bruder ermordet zu haben. Entspannt und irgendwie bei sich ist sie nur während der trügerischen Kumpanei, die Ortrud ihr im zweiten Aufzug vorgaukelte, während sie zusammen mit ihr ein „Tütchen“ raucht.

Gruppendynamik mit Gewaltausbrüchen
Dass es der Regie vor allem um eine Gruppendynamik geht, die auch Gewaltausbrüche einschließt, wird im dritten Aufzug besonders deutlich. Was Lohengrin mit dem „Zum ersten Mal allein“ einleitet, das vollzieht sich hier in aller Öffentlichkeit. Es ist nicht die erste Kollision von Text und Szene – aber die wird mit hörbarem Gelächter im Publikum quittiert. Obwohl es den nächsten Widerspruch dieser Art konstituiert, ist es immerhin nachvollziehbar, wenn der Chor Telramunds Auftauchen im Brautgemacht mit einer kollektiven Steinigung quittiert.

Auf nach München!
Über den Meteroiten, der sich dann bühnenraumfüllend in Zeitlupe zur (himmlisch gesungenen) Monsalvat-Erzählung Lohengrins aus dem Schnürboden senkt und die XXL-Ausgabe der Steine ist, die zuvor schnell in erhobenen Händen waren und ebenso schnell wieder fallen gelassen wurden, wundert man sich dann kaum noch. Der Rest? Wie mittlerweile üblich gehen alle, inklusive Ortrud und Lohengrin, zu Boden. Nur Elsa nicht, die reist auf dem Meteoriten wer weiß wohin. Und Jung-Gottfried staunt über diese verlassene Welt, der er, ganz wagnertexttreu, ein Führer sein soll. Für die Liebhaber erstklassigen Wagnergesangs ist die Antwort klar: auf in die nächste Münchner „Lohengrin“-Vorstellung.

Roberto Becker | 5. Dezember 2022

Neue Zürcher Zeitung

Richard Wagner war eben doch ein Italiener

Die Bayerische Staatsoper kämpft mit den Folgen der Pandemie. Bei der Premiere des «Lohengrin» gelingt ihr ein Befreiungsschlag. Wesentlichen Anteil hat daran das Münchner Operndebüt des Dirigenten François-Xavier Roth, der Wagners Musik neu beleuchtet.

Die schlechten Nachrichten rund um die Bayerische Staatsoper reissen nicht ab. Kürzlich hat deren Intendant Serge Dorny mitteilen lassen, dass die für Mai geplante Erstaufführung von Toshio Hosokawas «Matsukaze» um ein Jahr verschoben werden muss. Als Grund werden steigende Produktions- und Energiekosten infolge des Ukraine-Kriegs sowie Personalmangel genannt. Im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk räumte Dorny zudem ein, dass er «radikal anders geplant» hätte, wenn er von den noch immer spürbaren Nachwirkungen der Pandemie im Theaterbetrieb gewusst hätte.

Für das Haus in München, künstlerisch wie budgetär eine der bestausgestatteten Opernbühnen weltweit, sind solche Nachrichten ungewohnt, ja ein Schock. Hinter den Kulissen hängt der Haussegen offenbar schief. Umso erfreulicher erscheint jetzt die Premiere von Richard Wagners «Lohengrin»: Sie kommt zur rechten Zeit und wirkt wie ein Befreiungsschlag. Dies ist zuvörderst das Verdienst des französischen Dirigenten François-Xavier Roth. Bei seinem Operndebüt am Nationaltheater gibt er dem Münchner Hausgott Wagner ein überzeugendes neues Profil.

Deutscher Belcanto
Mit wohltuend fliessenden Tempi macht Roth exemplarisch hörbar, wie diese Musik zwischen kammermusikalischer Intimität und grossflächiger dramatischer Verdichtung changiert. Mit dem schlicht überragend musizierenden Bayerischen Staatsorchester und dem sich stetig steigernden Staatsopernchor entfaltet Roth zugleich einen fast südländisch anmutenden Klang, hell, schwebend und wunderbar entschlackt. Damit agiert Roth durchaus im Sinne der historisch informierten Aufführungspraxis, aus der er auch als international profilierter Konzertdirigent schöpft.

Nicht zuletzt im Gesangsstil wird bei Roth deutlich, wie sehr Wagner eine Art deutschen Belcanto im Sinn hatte: angelehnt an den Stil des von ihm hoch geschätzten Vincenzo Bellini mit seinen charakteristisch weit gespannten Melodiebögen. Das gilt zumal für die Titelpartie: Gegenwärtig gibt es stimmlich wohl keinen passenderen Interpreten für die Rolle als Klaus Florian Vogt.

Sein strahlend helles, leichtes, glasklares Timbre veranschaulicht die Idee eines Wagner-Belcanto mustergültig, besonders eindringlich in der sehr klangsinnlichen «Gralserzählung». Mit dynamischen Reduktionen bis in das fragilste Piano wagen Vogt, Roth und das Orchester ein Ausmass an Differenzierung, wie man es live nur selten erlebt. Schon seinetwegen hat sich dieser neue «Lohengrin» gelohnt.

Als im Juli 2009 unter Kent Nagano die Vorgängerproduktion am Nationaltheater Premiere hatte, debütierte Jonas Kaufmann in der Titelrolle, sozusagen Vogts ewiger Konkurrent im Wagner-Fach. Über Kaufmanns baritonal gefärbten Tenor liess sich seinerzeit vortrefflich streiten. Dennoch wurden er und Anja Harteros als Elsa damals medienwirksam zum neuen «Traumpaar der Oper» zusammengespannt. Vogt setzt gemeinsam mit Johanni van Oostrum als Elsa jetzt wohltuend eigene Akzente, und auch Oostrum zeichnet mit ihrer hellen und agilen Sopranstimme ein anderes Rollenporträt der Elsa.

Noch im ersten Aufzug wirkt diese Elsa mit ihrem auffälligen Kurzhaarschnitt optisch emanzipierter und burschikoser, als es die Rolle normalerweise erlaubt. Schon im zweiten Aufzug aber verfällt sie, wohl unter dem Eindruck des charismatischen Schwanenritters, in eine fast schon kindliche Naivität. Kein Wunder, denkt man, dass diese Elsa das böse Spiel der Ortrud von Anja Kampe nicht durchschaut. Doch in der Begegnung der beiden Frauen prallen Welten aufeinander: die bedingungslos, aber keineswegs blind liebende Frau gegen die von Hass getriebene Intrigantin. Das wird auch gesanglich zu einem Höhepunkt der Aufführung, ja der jüngeren Aufführungsgeschichte dieser Oper.

Oostrum und Kampe durchleuchten dabei jedes einzelne Wort und legen auch die verborgenen Intentionen ihrer Charaktere offen. Roth unterstreicht den Gegensatz mit einer differenzierten Farbgebung im Orchester, die den Kontrast zwischen der hellen Unschuldsstimme von Oostrum und Kampes unheilvoll verdüsterter Ortrud noch deutlicher macht. Gleichzeitig zeichnet Kampe die Ortrud nicht einfach als böses Weib: In ihrer verhärmten Bitterkeit wirkt sie mitunter genauso bemitleidenswert wie der von ihr instrumentalisierte Telramund von Johan Reuter. Sie bilden das perfekte Gegensatz-Paar zu Lohengrin und Elsa.

Das Private im Totalitären
Die Regie von Kornél Mundruczó greift das subtil auf. In Hamburg hatte der ungarische Filmregisseur unlängst einen umstrittenen «Tannhäuser» kreiert, sein Münchner Hausdebüt gelingt wesentlich überzeugender. Als die Trauung von Lohengrin und Elsa vollzogen wird, geht Ortrud auf Telramund zu und umarmt ihn: als ob sie ihm wortlos sagen wollte, dass ihre Zeit noch kommen werde. Über der Bühne von Monika Pormale thront dazu eine kleine Fratze des Bösen in Gestalt eines Beelzebub in gotischem Stil.

Während der Trauung öffnet sich das von der Ausstatterin Anna Axer Fijalkowska entworfene Brautkleid Elsas zu einem sonnengleich strahlenden Reif. Zu Beginn des dritten Aufzugs steht Elsa in dem Brautkleid allein auf der Bühne, der goldene Reif sinkt nieder – und mit ihm ihr Glück.

Schon im ersten Aufzug wird deutlich, dass Mundruczó in seiner Regie ein System zeichnet, in dem König Heinrich der Vogler totalitär herrscht. Das Volk von Brabant ist uniform weiss gekleidet, Elsa wirkt darin wie ein schwarzes Schaf. Die braven Schäfchen werden vom Heerrufer – überaus einnehmend gesungen und gespielt von Andrè Schuen – stramm geführt. In dieser Lesart ist es auch kein Widerspruch, dass die Menge nach dem berühmten Brautchor auf der Bühne bleibt. «Wir sind allein, zum ersten Mal allein, seit wir uns sah’n», singt Lohengrin zu Elsa. Doch das gilt hier nicht mehr: Der totalitäre Staat greift nämlich ebenso ins Private ein, um auch diesen Raum zu kontrollieren. Einen Rückzugsort für das Ich gibt es nicht.

Eine bahnbrechende Neudeutung ist das nicht, wohl aber eine gelungene, linear erzählte und ansprechend illustrierte Regie. Sie ist zudem weitaus ergiebiger als der vormalige Münchner «Häuslebauer-Lohengrin» von Richard Jones, bei dem sich Lohengrin und Elsa ihr bieder-trautes Heim zimmerten. Selbst wer die Oper nicht kennt, wird sicher und flüssig durch den Stoff geleitet: gut für ein breites, auch jüngeres Publikum. Auf diesem Weg muss die Staatsoper weitergehen.

Marco Frei | 4. 12. 2022

Die deutsche Bühne

Elsas Traum(a)

Ein paar kleine Freiheiten nimmt sich Kornél Mundruczó in seiner „Lohengrin“-Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper in München. Etwa die, sich bei dem zuletzt im Sommer in Bayreuth diskutierten Titel, mit dem Lohengrin den Brabantern ihren totgeglaubten neuen Herzog präsentiert, beim Wagnerschen Original zu bleiben und nicht seinen eigenen Titel eines „Schützers von Brabant“ auf Gottfried zu übertragen. Er präsentiert ihn dem staunenden Volk und der wütend verzweifelten Ortrud also als „Führer“ und nicht als „Schützer“. Wobei diese Brabanter eh nicht besonders kriegslustig daherkommen. Es hätte nicht viel in den Krieg gegen den Feind aus dem Osten zu führen gegeben.

Hier wirken die Brabanter eher wie Mitglieder einer Sekte oder Teilnehmer einer Gruppentherapie. Wie bei vielen Fachkollegen gehen sie auch bei Mundruczó am Ende allesamt zu Boden. Friedrich Telramund ist eh schon tot und mit einem blutigen Laken bedeckt. Das besondere war diesmal, das er das Opfer einer kollektiven Steinigung wurde, die Lohengrin allem Anschein nach vergeblich zu verhindern versucht hatte. Die Gruppendynamik war einfach nicht zu bremsen. Dieser kollektive Gewaltakt war möglich, da die Brautgemachsszene in aller Öffentlichkeit stattfand und so alle zu Zeugen wurden, als Elsa mit ihrer Frage nach Nam‘ und Art ihres Retters die Katastrophe komplettierte. Lohengrin behauptet dennoch, dass er ihn erschlagen hat.

Als er kurz vorher aber davon sang, dass er mit Elsa zum ersten Mal allein sei, ging dann doch ein hörbares Schmunzeln durchs Parkett. Der Widerspruch zwischen dem, was gesungen wird und dem, was man sieht, war hier auf einer zu konkreten Ebene einfach zu offensichtlich. Zu Beginn des mittleren Aktes, wenn Telramund Ortrud auffordert sich zu erheben, die aber schon steht, ließ sich das übergehen, es kann ja durchaus sein, dass das irgendwie „gemeint“ war und nur nicht klar wurde. Wie überhaupt so manches an dieser Inszenierung. Die auf den Titelhelden bezogene Wer-bin-ich-Frage jedenfalls wird über den Namen und Herkunftsort hinaus nicht wirklich geklärt und bleibt zwischen Imagination und realer Figur in der Schwebe.

Keine Hoffnung
Die drei Räume, die Monika Pormale für diese Koproduktion mit dem Shanghai Grand Theatre gebaut hat, haben durchaus ihren ästhetischen Reiz. Die eine diffuse Gegenwart behauptenden Kostüme von Anna Axer Fijalkowska eher weniger: helle Einheitsklamotten, seltsame transparente (Regen-?)Mäntel, rote T-Shirts fürs Zuschauen beim Gottesgericht, rote Winkfähnchen (die in China womöglich als Ironie durchgehen?). Hierarchien, die aus Gruppendynamik resultieren, brauchen keine Kleiderordnung, die sie kenntlich machen. Elsas dunkles Jeanszivil mit Gummistiefeln kennzeichnet sie neben ihrem traumatisierten Habitus als den Problemfall in einem Stück, das man diesmal gut und gerne „Elsas Traum(a)“ nennen könnte.

Der erste Aufzug spielt, überragt von zwei Bäumen, auf begrünten Hügeln. Ob das ein echter Raum ist oder dergleichen nur simuliert wird, bleibt in der Schwebe. Denn im dritten Aufzug findet sich ein Teil davon in einem Innenraum wieder, den Elsa zunächst nicht verlassen kann, in dem aber die Massen von außen einströmen. Und bleiben. Hier gibt es auch den optischen Coup der Inszenierung: Zu Lohengrins Monsalvat-Erzählung senkt sich langsam ein gewaltiger Meteorit in den Raum, treibt also das Geheimnisvolle, das die Gralserzählung umweht, auf die Spitze. Dort hat man offensichtlich von Schwan auf außerirdische Transportmittel für sein Personal umgestellt.

Zunächst besteigen Lohengrin und Elsa dieses Gebilde gemeinsam und er erzählt ihr etwas von Schwert, Horn und Ring. Am Ende jedoch ist Lohengrin unter den Brabantern, die allesamt (inklusive seiner Gegenspielerin Ortrud) scheinbar tot zu Boden gehen. Der kleine Gottfried ist ziemlich allein, denn seine Schwester sieht er nur aus der Ferne von unten. Keine Hoffnung für niemanden, nirgends. Wobei die Chancen für Elsa hier eh schlecht standen.

Ein Traumpaar
Anders als die Szene lässt die musikalische und vor allem die vokale Seite des Abends keine Wünsche offen. Wenn man mal davon absieht, dass Francois-Xavier Roth mit dem relativ hochgefahrenen Orchester vor allem beim Auftrumpfen zulegt, das königliche Blech in den Seitenlogen platziert hat und vor allem beim populären Hochzeitsmarsch demonstriert, wie man es besser nicht macht. Aber auch in den Momenten, wenn er es mit der Lautstärke arg übertreibt, lassen sich diese Protagonisten nicht verdecken. Was die Staatsoper hier aufbietet ist live kaum besser denkbar. Mit den von Tilman Michael einstudierten Chören, weiss die Regie zwar über Tableaus und aktionistisches Hin und Her nicht wirklich etwas anzufangen, aber sie erfüllen ihre tragende Rolle vokal mit vollem Einsatz.

Das fängt an bei André Schuen als erstklassig markantem Heerrufer und Mika Kares als dessen profundem Chef. Es geht weiter mit Johan Reuter als Friedrich Telramund und einer sensationell finster gestaltenden Anja Kampe als Ortrud (offenbar hat sie ihre jüngsten Berliner Brünnhilden zum Einsingen genutzt).

Die Krönung aber sind Elsa und Lohengrin. Johanni van Oostrum ist vom ersten Ton an eine Elsa zum Niederknien. Traumwandlerisch sichere Einsätze und Höhen, zarte Piani und ein junges Timbre. Grandios! Dass Klaus Florian Vogt der Lohengrin unserer Tage ist, hat man schon zu recht bereits öfter lesen können. Diesmal übertrifft er sich noch. Ein Ritter ohne Fehl und Tadel, der nicht nur keinen Strahlemann-Ton schuldig bleibt, sondern auch mit Piani in den Bann zu ziehen vermag. Auch wenn die Inszenierung in mehrerlei Hinsicht einen Alptraum touchiert – ein Traumpaar bietet sie allemal!

Joachim Lange | 4. Dezember 2022

Seenandheard-International.com

Strong singing in a new Lohengrin at the Bayerische Staatsoper in Munich

This is the second time after Così fan tutte that the Bayerische Staatsoper has asked a celebrated movie director for a new production. Kornél Mundruczó, celebrated at the Cannes Film Festival and on Netflix, had already given us an intense Makropoulos Case in Geneva (review here). Expectations were high, but Wagner’s operas are works of a very different nature than Janáček’s. While they last several hours, the action is concentrated in a few minutes. The art of the director consists in illustrating all those moments when time stops.

In a co-production with Shanghai Grand Theatre, Mundruczó’s basic Konzept was not without interest. Lohengrin is not a saviour fallen from the sky, but a ‘normal’ man from the crowd. But is there anything else to report? This is a production which is somewhat shallow. Who are these masses in tracksuits…? What is the hidden meaning of the stones and the references to nature…? All this is not very clear, not very interesting, a little disappointing and perhaps not all that important, either.

But we are in Munich and the musical quality is of the highest order. François-Xavier Roth was making his debut here in this pit and, I believe, his debut with an opera by Wagner. Under his baton, the orchestra displayed somewhat lighter textures in the Prelude to the first act with minimal vibrato strings. Overall, however, the ensemble was theatrical in the best sense of the word. The singers were supported with great care. The third act had a truly irrestible momentum.

The chorus was magnificent. The staging itself seemed to have little use for them, and yet they were carefully distributed on stage so that the sound came through with colour and power. The entire cast was very high class. Andrè Schuen is a Herald of great authority, who will certainly be heard again in many Wagnerian roles. Johann Reuter’s voice makes for a darkly coloured Telramund. Anja Kampe made her debut here as Ortrud. She is perhaps the Brünnhilde of our generation, but her intelligence with the text and the power of the voice more than compensated for the fact that she does not have the colours of a mezzo. The South African Johanni van Oostrum made her debut as Elsa. Her German diction was not as clear as her colleagues and she was more at ease with the lyrical than with the dramatic part of her role, but van Oostrum increasingly gained confidence over the course of the evening. The role of Lohengrin is probably ideal for Klaus-Florian Vogt, who displayed incredible vocal technique with what must be the ideal head voice it requires, while at the same time, owning the text with genuine tenorial colours. Finally, Mika Kares gave a rather extraordinary reading of King Henry. We know the power of his singing, but his performance, especially in the first act, had an authority that recalled the work of the great Kurt Moll in this part.

The audience hailed the musicians triumphantly at this premiere in a packed house. This Lohengrin will be repeated several times in December before being revived for the festival in July. Here is another reminder that it is no longer necessary to go to Bayreuth to experience Wagner at such a high level.

Antoine Lévy-Leboyer | Nationaltheater, Munich, 3.12.2022

resmusica.com

Un Lohengrin très en voix à Munich

Il y a treize ans déjà, une nouvelle production de Lohengrin à Munich consacrait le duo indépassable formé par Anja Harteros et Jonas Kaufmann, dans une mise en scène certes anecdotique de Richard Jones, mais avec un impérial Wolfgang Koch en Telramund, et surtout la direction de Kent Nagano, l’une des meilleures de tout son mandat de directeur musical à l’Opéra de Bavière. C’est aujourd’hui à Kornél Mundruczó, cinéaste et homme de théâtre, déjà expérimenté à l’opéra, que Serge Dorny a confié l’œuvre ; hélas, pas plus que Jones il ne trouve de piste véritablement convaincante pour donner vie à l’étrange parabole racontée par Wagner. Au cœur de son travail se trouve l’idée d’une communauté, d’un monde fermé et égalitaire sans que même Lohengrin en soit un élément perturbateur : fantasme de sauveur venu du cœur de la communauté, il en est comme une émanation. Au lever du rideau, cette communauté vêtue simplement de blanc attend, répartie sur deux collines surmontées chacune d’un arbre – derrière l’un d’eux se tient prostrée, seule vêtue de noir, Elsa.

Le plus beau de ce spectacle est le traitement du personnage d’Elsa, incarné par Johanni van Oostrum, qui remplace avec beaucoup moins de maniérismes Marlis Petersen annoncée initialement. Avec une voix sombre et percutante qui en fait une Kundry plutôt qu’une blonde cousine de Gretchen, la chanteuse est en phase avec la vision traumatique du personnage que développe Mundruczó, dont la direction d’acteurs compense un peu la faiblesse conceptuelle du spectacle. Le contraste entre Ortrud et cette Elsa physiquement contrainte, vulnérable, parfois violente, en devient singulier et stimulant : c’est Anja Kampe qui l’incarne ; elle qui a chanté longtemps Senta ou Sieglinde et vient d’aborder Brünnhilde le temps de trois cycles complets à Berlin garde dans la voix une clarté inhabituelle pour ce personnage. Elle compose un personnage ironique, d’une constante mobilité, très différent de la glaçante intrigante incarnée pendant longtemps par Waltraud Meier, mais qui séduit avec une sorte de condescendance chaleureuse. Son partenaire dans le mal, Johan Reuter, est tout aussi remarquable, avec une projection exemplaire et une diction limpide, qui en fait tout sauf un méchant d’opérette – lui aussi est conscient de sa supériorité et de ses droits, mais il est plus arrogant que scélérat.

Le phénomène Vogt
Klaus Florian Vogt a déjà chanté Lohengrin partout dans le monde, de Bayreuth au Met, dans un mémorable désastre londonien, avec les rats de Hans Neuenfels, et même en reprenant le T-shirt bleu du héros dans la mise en scène de Jones à Munich. On l’a donc déjà souvent entendu dans le rôle, peut-être trop souvent, mais rarement aussi en voix que pour cette première, abordant le récit du Graal avec une fraîcheur impeccable, et sans l’insistance un peu laborieuse qui marquait sa diction pendant longtemps. Toute la distribution bénéficie de la direction de François-Xavier Roth, pour ses débuts dans la fosse de l’Opéra de Bavière ; il faut passer outre le prélude de l’acte I, avec des cordes opaques et acides qui inquiètent pour la suite, mais le reste de la soirée se distingue par une efficacité théâtrale qui passe notamment par un soutien très efficace aux chanteurs. Ni le travail du son orchestral, ni le souci des couleurs instrumentales ne sont ici particulièrement frappants, contrairement à Nagano en 2009 ou à Kirill Petrenko dans d’autres opéras de Wagner, mais cette manière de focaliser toute l’attention sur le chant, sans réduire l’orchestre à un rôle de simple accompagnant pour autant, a une grande efficacité.

La beauté des décors du spectacles, l’élégance des lumières, de la gestuelle, la simplicité des costumes, tout cela livre de belles images pour accompagner la musique. Mais cette succession de rituels ne fait guère mieux qu’occuper notre regard : tous ces rituels, avec au premier rang le roi Mika Kares, un peu moins dépassé qu’en roi Marke sur la même scène, sont bien présents dans l’œuvre, mais malgré l’énergie qu’y met le héraut (Andrè Schuen, exquis Liedersänger, est un luxe absolu), tout ceci ne constitue pas une interprétation. Pourquoi nous raconter cette histoire de salut avorté ? Qui est cette communauté, qu’est-ce qui la travaille, à quoi répond ce sauveur ? On ne le saura pas.

Dominique Adrian | 6 décembre 2022

Rating
(6/10)
User Rating
(3/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 48.0 kHz, 484 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast (BR Klassik)
A production by Kornél Mundruczó (premiere)
Also available as video recording