Lohengrin
Heinrich der Vogler | Anthony Robin Schneider |
Lohengrin | Daniel Behle |
Elsa von Brabant | Malin Byström |
Friedrich von Telramund | Thomas Johannes Mayer |
Ortrud | Martina Serafin |
Der Heerrufer des Königs | Björn Bürger |
Vier brabantische Edle | Christiaan Peters |
François Soons | |
Harry Teeuwen | |
Jeroen de Vaal |
Des Erlösers Menschwerdung
Kein Schwan, wieder nicht. Dieser Lohengrin kommt, Horn und Schwert zur Seite baumelnd, über das erlösungsbedürftige Volk von Brabant wie eine Verlegenheit. Und wie eine Negation all der Wunder, von denen das Vorspiel, das Lorenzo Viotti annähernd dal niente aus dem weit offenen Graben beachtlich unverschwommen realisiert, klingend eine Ahnung gegeben hatte. Franz Liszt, der die Uraufführung des „Lohengrin“ 1850 in Weimar dirigierte, fand in diesen 75 Takten „gleichsam nur eine magische Formel, die, wie eine mysteriöse Einweihung, unsere Seelen für ungewöhnliche Dinge, die von höherer Bedeutung sind als unser irdisches Leben, vorbereitet“.
Christof Loy ist Psychologe
Genau dies aber, Einweihung in höhere Mysterien, Abkehr von den Dingen des irdischen Lebens, interessiert einen Regisseur wie Christof Loy natürlich nicht, sondern ebendies: das Irdische. So betörend schön die Musik alle Herrlichkeiten um den „Gral“ als Vorklang von Erlösung hervorzaubert: Zu sehen ist er nur auf den herangezoomten Gesichtern des hier divers und heutig gedachten Volks, als Erwartung. Loy ist ein Psychologe der kleinen Gesten, er will wissen, was die Menschen treibt und was sie unglücklich macht. Wenn die Musik es erlaubt, lässt er Tänzerinnen und Tänzer über die fast immer leere Bühne rennen, junge Paare, sie setzen die Flüchtigkeit und Widersprüchlichkeit alles Zwischenmenschlichen in Gesten und Bewegung um, wie eine Vervielfältigung des Dramas von Elsa und dem unbekannten Ritter, das vom ersten Moment an ein Endspiel ist.
„Lohengrin“ erzählt von der Begegnung des Numinosen mit dem Menschlichen und dass sie nicht gelingt. Es ist Wagners pessimistischstes Stück, aber hatte der erst masseneuphorisch begrüßte, mutmaßliche Retter der des Brudermords bezichtigten Elsa und Erlöser des Volks von Brabant je einen traurigeren Abgang als hier Daniel Behle, klang das finale, kollektive „Weh!“ wuchtiger, schmerzhafter? Viel hängt dabei an diesem außerordentlichen Sänger, der kein Stentor-strahlender Mann vom Gral ist, aber auch keine Fiktion knabenhafter Reinheit. Behle, der die Partie zum ersten Mal 2019 in Dortmund probiert und sich anverwandelt hat, setzt seinen Schmelz, seine Kunst der farbigen Piani und Voix-mixte-Zaubereien ein für eine anrührend wahrhaftige Menschendarstellung. Ein Melancholiker, einer, der den Zweifel schon mitbringt, nicht erst wenn Elsa fragt, was sie nicht fragen soll. „Elsa, ich liebe dich“: In das scheue erste Miteinander schlagen die drei großen Worte bestürzend schnell ein, es ist auch die Bitte um absolutes Vertrauen, eine schöne Idee – und eine schwere Hypothek. Es geht ja dann, nachdem die süßen Hochzeitsklänge verhallt sind, sehr schnell gar nicht gut.
Die schwedische Sopranistin Malin Byström singt Elsa mit dunklem Timbre, schön strömend, gelegentlich auf Kosten der Wortverständlichkeit, doch macht sie eindrucksvoll klar: Das hier ist ihr Drama, und ihre Transformationen sind mehr als Kostümwechsel: von der verhuschten Außenseiterin im Trenchcoat, versteckt hinter Sonnenbrille und Kopftuch zu Beginn, verspielt im roten Kleid, als alles Glück möglich scheint, schreitend im weißen Brautkleid mit überlanger Schleppe, und am Ende ein Déjà-vu des Anfangs. Lohengrin stirbt, er schafft es nicht mehr zurück in den öden Wintermärchenwald, aus dem er in diese Welt gekommen war, der jugendliche Gottfried steht als neuer Anführer ratlos vor den Leuten von Brabant; der Nächste bitte, es hört nie auf, weh.
Anthony Robin Schneider, König Heinrich, dröhnt nicht. Bjorn Bürger wertet die Partie des Heerrufers auf, stimmlich stark und als ein rätselhaft teilnehmender, ja obsessiver Beobachter. Und das Gegenpaar? – Thomas Johannes Mayer als Telramund muss hier und da in die Deklamation retten, was an sängerischer Durchschlagskraft fehlt; Martina Serafin singt eine gut fokussierte Ortrud, begabt mit den Künsten der Verführung zum Finsteren, wo es sein muss, auch schneidend. Die Bühne, entworfen von Philipp Fürhofer, ist riesig und leer, eine Industriehalle von sakraler Düsternis, Variationen in Bleigrau wie von Anselm Kiefer. Die Rückwand erscheint ein wenig perforiert, eine Ahnung von Licht. Wenn Lohengrin erscheint, fährt die Wand hoch, es ist ein Fenster der Gelegenheit, mehr nicht, und schließt sich wieder.
Es ist Lorenzo Viottis erster Schritt ins Wagnerfach, und das Nederlands Philharmonisch Orkest folgt seinem jungen Chefdirigenten engagiert bis in die Feinheiten der Partitur. Nicht weniger als sensationell: der von Edward Ananian-Cooper vorbereitete Chor. Dieser „Lohengrin“ hat Flow und Struktur, Viotti nimmt sich Zeit, pflegt schwelgerischen Wohlklang gerade im Zarten und facht dann wieder, im ersten und dritten Finale, einiges Feuer an. Wer ihm in den sozialen Medien folgt, oberkörperfrei auf dem Lotterbett, mag Viotti für einen Poseur halten oder hat keine Ironiesignale entdeckt. Auch an diesem Abend sehen wir einen Hang zur eleganten, großen, dann wieder demonstrativ winzigen Geste, dann zur ostentativen Musik- und Weltumarmung. Doch wäre es kurzsichtig, das Selbstmarketing des Dirigenten Viotti mit dem klingenden Resultat seiner Arbeit zu verwechseln. Amsterdam kann sich über einen szenisch intelligenten, musikalisch erstklassigen neuen „Lohengrin“ freuen.
Eine Andeutung von Schwan gibt es doch: ein als lebendes Bild choreographiertes Flügelpaar. Schön, aber nur eine Idee. Damit geht’s nicht nach Montsalvat.
HOLGER NOLTZE | 14.11.2023
So langsam kam der Lohengrin noch nie
Christof Loy gilt als Regisseur mit Vorliebe fürs psychologische Entkleiden von Opernhandlungen. In Amsterdam hat er sich jetzt Wagners „Lohengrin“ vorgenommen. Einen Schwan gibt es mal wieder nicht, dafür famose Fieslinge. Und einen in Instagram verliebten Dirigenten.
Christof Loy ist ein großer Nivellierer. Sein minimalistisch bohrender Personalstil kärchert die historischen wie nationalen Spezifika der meisten Opern hinweg, um stattdessen ein psychologisch ausreichend ausgekleidetes Handlungsskelett zu präsentieren.
An der Dutch National Opera in Amsterdam, wo er schon öfters äußerst glücklich inszeniert hat, überrascht der Regisseur diesmal allerdings mit einem allzu plan geradlinig abrollenden, weitgehend geheimnislosen „Lohengrin“. Sollte der Feinzeichner zarter Verismo-Mädchenseelen ausgerechnet bei Wagners schweren Helden so wenig zu sagen haben? Dabei ist der Schwanenritter doch noch der Sensibelste der Bayreuther Recken …
Erstmals arbeitet Loy immerhin mit dem Bühnenbildner Philipp Fürhofer zusammen, der sich freilich auf den üblichen Einheitsraum beschränken musste – eine schmucklos graue Scheune mit aufgestelztem Satteldach und Fensterrosette. Hinter drei brüchigen Rolltoren verbirgt sich ein stilisierter Winterwald als semitransparentes Panorama, so wie sie Führhofer als bildender Künstler gern in Lichtkastenform fabriziert. Der freilich zeigt sich nur als gebrochen romantischer Moment beim Auftreten und Entschwinden Lohengrins, der selbstverständlich ohne Schwan kommt, aber von zwei stilisierten, durch Tänzerarme gebildeten Flügeln singbegleitet wird.
Obwohl: Abgehen tut Lohengrin eigentlich nicht. Er fällt und stirbt vermutlich zu den letzten Operntönen. Elsa, ihm immer noch zugetan, eilt hin und bemerkt nicht, dass sich die schon wieder tückische Ortrud nach kurzer, kreischiger Umnachtungsanverwandlung neuerlich dem urplötzlich wieder aufgetauchten Knaben Gottfried nähert – sicher nicht in guter Absicht. Der „Führer“ von Brabant, wie er in Holland heißt im Gegensatz zum Grünen Hügel, wo auf „Schützer“ ausgewichen wird, könnte nach diesem offenen Zweifelende also bereits wieder Hilfe gebrauchen.
Vorher aber wird ziemlich brav am Libretto entlang inszeniert. Natürlich trägt der vorzügliche, von Edward Ananian-Cooper einstudierte Chor zeitlos graue Kleider. Das Militärpersonal erscheint in Anzug und Stiefeln – der jugendlich-schlanke König Heinrich von Anthony Robin Schneider und sein alert trompetender Heerrufer Björn Bürger eingeschlossen. Lohengrin steckt in schwarzer Hose, Anzugweste und weißem Hemd, später in blauem Konfirmandenanzug mit Fliege; Schwert und Horn hat er immer griffbereit.
Zum Vorspiel werden die noch hinter einem grauweißen Lamellenvorhang ausharrenden Choristen per Video als bangende, harrende Individuen vorgeführt. Die von Lorenzo Viotti und Nederlands Philharmonisch Orkest dazu produzierte Musik klingt volltönend und strukturklar, kapellmeisterlich glatt, ist aber mit wenig interpretatorischem Eigensinn aufgeladen.
Kaum Blicke für die Sänger
Viotti, bei dem man immer noch nicht genau sagen kann, ob er Dirigent ist oder nur ein in Instagram verliebter Dirigentendarsteller, dirigiert seinen ersten Wagner professionell, nicht viel mehr. Er hält auf seiner beherzten Entdeckung der „Lohengrin“-Langsamkeit gekonnt alles zusammen, viele Blicke für die Sänger hat er nicht übrig.
Und so ähnlich inszeniert diesmal auch Christof Loy mit großer Allfresco-Geste in den Tableaux, die durch zehn meist nur ungläubig erstaunt herum eilende Tänzer und gekonnt feinzeichnende, intimere Momente aufgelockert werden, die aber weder über Elsa und Lohengrin noch über Ortud und Telramund wirklich Neues erzählen.
Marlin Bystöm, zunächst mit Staubmantel, Schaltuch und Sonnenbrille, dann in Rot, schließlich in üppigstem Brauttaft mit sogar noch die Münsterorgel verzierendem Endlosschleier (Kostüme: Barbara Drosihn) debütiert wie Viotti. Der langjährige Mozart-Tenor Daniel Behle hat seinen ersten Lohengrin schon in Dortmund hinter sich gebracht.
Eine ganz famose Fieslingsshow
Er nimmt die Partie leuchtend lyrisch, die Stimme hat aber auch Breite und Kern. Ähnlich textgenau singt er gerade auf seiner 19. Soloplatte (!), die den beiden „Richard“ – Wagner und Strauss – gewidmet ist, auch Walters Preislied und Tannhäusers Romerzählung. Das ist intelligent entwickelte Karriereplanung. Byströms etwas verschattet mulmiger, leider auch wenig wortdeutlicher Sopran passt dazu hochsympathisch.
Arg unbequem muss das rollig aufgeladenen Intrigantenpärchen seinen düsterbösen Zweiter-Akt-Verschwörungsauftakt auf einem wackeligen Gästeklappbett absolvieren. Ortrud, vorher noch im grauen Kostüm, trägt jetzt Brunnenvergifterinnenlila. Martina Serafin (noch ein Debüt) und Thomas Johannes Mayer sind zwar längst Stimmschrapnelle, aber mit ihren üppig scharfen Vokalresten ziehen sie eine famose Fieslingsshow ab. Denen schaut man gern zu.
Während das lyrische Paar durch seine fragile Unschuld das begeisterte Amsterdamer Publikum in dieser niemanden irritierenden, aber auch keinen herausfordernden Wagner-Zurichtung durchaus zu rühren vermag. Wer freilich von Loy mehr erwartete, der hätte im Oktober zur weit dystopisch-spannenderen Serebrennikov-Inszenierung nach Paris fahren müssen.
Manuel Brug | 04.12.2023
UITGELICHT KOOR VAN DNO GEEFT GEWONE MENSEN EEN STEM IN ADELIJKE WAGNER-OPERA
Een enigszins verwarrende ervaring: in één week zag ik twee opera’s die sprekend en ook zingend op elkaar lijken: Richard Wagners Lohengrin uit 1850 bij De Nationale Opera en Das Wunder der Heliane uit 1927 van Erich Wolfgang Korngold bij de Nederlandse Reisopera. Tussen de eerste opvoeringen zit 77 jaar verschil, maar in beide opera’s staat een bijna heilige, kuise, koninklijke vrouw centraal, met daarnaast een raadselachtige vreemdeling, een strenge koning, een gemene oudere vrouw, grootse koren en een enorm orkest, met op het hoogtepunt bijna komische rijen schetterende trompettisten vanaf het eerste balkon.
Daardoor ben ik geneigd achteraf die Heliane-opera niet meer zo serieus te nemen. Wilde Korngold ons in de maling nemen door heel serieus een Lohengrin-pastiche te maken waarin liefde en dood op z’n Wagneriaans absurd nadrukkelijk en onlosmakelijk met elkaar verbonden zijn? Een verschil is in elk geval dat we de opera van Korngold volstrekt niet kennen en we moeite hebben het te interpreteren. Terwijl het verhaal van Lohengrin, die in een bootje met een zwaan aan komt varen om Elsa von Brabant van de dood te redden, overbekend is.
De Bruiloftsmars uit de opera kan iedereen mee-hummen. Toch zien we ook de opera van Wagner zelden. Zoals bij zoveel van zijn werk is het na het nationaalsocialisme en de Tweede Wereldoorlog lastig grote koren te horen zingen over Duitsland voor en Duitsland na, al snappen wij dat de jonge, revolutionaire Wagner daar in het versnipperde Duitsland van 1848 iets anders mee bedoelde dan wat wij er nu in vrezen te horen.
De voorstelling die DNO van Lohengrin geeft is in elk geval scènisch en muzikaal grandioos. De (nog altijd) jonge dirigent Lorenzo Viotti leidt in zijn eerste Wagner-opera het Nederlands Philharmonisch Orkest in ongekend grote bezetting prachtig door ragfijne, soms bijna doodstille passages. De solisten zijn allen sterk.
Het Koor van de Nationale Opera zingt onder koordirigent Edward Ananian-Cooper niet alleen weer als vanouds, het staat ook in volle sterkte centraal in de enscenering van regisseur Christof Loy. De mannen en vrouwen van het koor zijn hedendaags, in grijs en zwart gekleed (door Barbara Drosihn) en vormen zo vaak ook het stemmige decor. Maar ze worden er al in het Voorspel in video’s van Ruth Stofer uitgelicht, alsof het verhaal over oorlogen en strijd niet alleen over adel en koningen gaat, maar ook over gewone mensen, die immers zo vaak het slachtoffer zijn van die oorlogen.
Decorontwerper Philipp Fürhofer zet alles in een grote, donkere fabriekshal, je kan het ook zien als een vervallen kerkruimte of onttakeld kasteel. Er komt geen bootje en geen zwaan aan te pas. Tien dansers suggereren effectief de bewegingen van een zwaan. De choreografie is van Klevis Elmazaj.
Kleding en decor plaatsen deze Lohengrin uitdrukkelijk in het nu. Het verhaal zelf werkt daarbij niet altijd mee, het speelt niet alleen in het Duitsland van de tiende eeuw van Heinrich I, maar Lohengrin (een heel menselijke Daniel Behle) is wel nadrukkelijk de reddende ridder, al is het niet op een wit paard, en Elsa von Brabant is wel heel naïef en goedgelovig, of het nu haar prins betreft of de intriganten om haar heen. Malin Byström zingt prachtig en heeft blijkens interviews met regisseur Loy gezocht naar momenten dat Elsa wat minder passief is en zelf handelend optreedt, maar ik heb niet gezien dat zij die ook heeft gevonden, in tegendeel: zij valt voortdurend flauw.
Aan het einde vertrekt de graalridder Lohengrin niet naar de verte, maar valt dood neer, net als Elsa. Haar broertje Gottfried komt uit het niets om haar op te volgen. Als de gemene Ortrud (een vervaarlijke Martina Serafin) er tenminste niet alsnog een stokje voor kan steken. Dat blijft in het ongewisse.
Max Arian | 13 november 2023