Lohengrin
Omer Meir Wellber | ||||||
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Heinrich der Vogler | Tareq Nazmi |
Lohengrin | Piotr Beczala |
Elsa von Brabant | Camilla Nylund |
Friedrich von Telramund | Tomasz Konieczny |
Ortrud | Nina Stemme |
Der Heerrufer des Königs | Clemens Unterreiner |
Vier brabantische Edle | Wolfram Igor Derntl |
Juraj Kuchar | |
Johannes Gisser | |
Jens Musger |
Liebesdrama im Lodenjanker
Für eine letzte Vorstellungsserie holt Lohengrin an der Wiener Staatsoper den Lodenjanker aus dem Schrank, bevor in der kommenden Saison eine Inszenierung, die schon bei den Osterfestspielen in Salzburg 2022 zu sehen war, im Haus am Ring übernommen wird. Wirklich warm geworden ist das Wiener Publikum mit der Inszenierung von Andreas Homoki in den vergangenen Jahren allerdings ohnehin nicht, wobei sich mir doch immer die Frage stellt, woran das eigentlich lag.
Denn die Inszenierung ist mangels allzu ausgeflippter Ideen auch in einem Repertoirebetrieb mit kurzfristigen Einspringern praktikabel und beleidigt in ihrer Trachten-Dorfgasthaus-Ästhetik wahrlich kein Auge. Darüber hinaus ergibt die Verlegung in ein Dorf mit rivalisierenden, alteingesessenen Familien, bigotter Frömmigkeit und dem Glauben an Wunder sowie einer Abneigung gegen unbekannte Fremde auch inhaltlich durchaus Sinn: In wohl jedem kleinen Ort (auch in der heutigen Zeit!) käme es zu allerhand Intrigen, Gerüchten und Verleumdungen, wenn die Dorfschönheit dem Bürgermeister den Brautstrauß vor die Füße wirft und nach dem unerklärlichen Verschwinden ihres Bruders plötzlich einen Mann heiraten will, über dessen Herkunft und Vergangenheit niemand etwas weiß.
Der Papierform nach hätte dieser Abend eine Sternstunde werden können, tatsächlich überzeugte aber nur Piotr Beczała in der Titelpartie auf ganzer Linie. Obwohl er nicht über einen metallischen Heldentenor-Kern in der Stimme verfügt, ist sein Timbre für den Schwanenritter geradezu ideal und verströmte vom ersten Ton an eine mystisch-entrücket Aura. Hinzu kam die traumwandlerische Sicherheit in Bezug auf all die technischen Anforderungen der Partie: egal ob strahlendes Forte im Gottesgericht, zurückgenommenes Pianissimo bei der Gralserzählung (für einen Moment hielten hier beim Wort „Taube” sogar die hartnäckigsten Huster im Publikum andächtig die Luft an) oder lange Legatobögen – für Beczała scheinbar keine Herausforderung. Während es Camilla Nylunds Sopran phasenweise an Volumen und Substanz mangelte, bestach ihre Stimme in den zarten Passagen dafür umso mehr mit warmem Klang und eleganter Reinheit des Tons, wodurch sie den bis zur Naivität unerschütterlich optimistischen Charakter der Elsa betonte. Zu einem Höhepunkt des Abends wurde dadurch auch „Das süße Lied verhallt”, wobei sich die Stimmen von Beczała und Nylund wunderbar sanft verbanden und silbrig glänzend die Hoffnung auf ein Happy End der Geschichte weckten.
Für Nina Stemme bedeutete ihre jahrelange Wagnererfahrung an diesem Abend gewissermaßen Fluch und Segen. Denn einerseits profitierte sie natürlich von ihrer Routine und brachte eine dreidimensionale Figur auf die Bühne, der sie sowohl mit vielschichtigen Farben in der Stimme als auch mit einnehmender Bühnenpräsenz Facettenreichtum verlieh; andererseits kann ihre Interpretation der Ortrud im Vergleich nicht mit ihren – mittlerweile zurückgelegten – Paraderollen Isolde und Brünnhilde mithalten. Auch haben die dramatischen Partien der Vergangenheit merklich Spuren an ihrem Sopran hinterlassen, einige Spitzentöne gerieten beinahe schrill und die Stimme wirkte zuweilen deutlich angestrengter, als man es von ihr gewohnt war. Tomasz Konieczny polterte als Telramund energisch drauflos und zeichnete die Figur mit schier endloser stimmlicher Kraft als beleidigten Macho. Sein Bariton hat mit der zuweilen hoch angesetzten Tessitura der Partie keinerlei Probleme, die Höhen gelangen ebenso strahlend wie die Tiefen dunkel brodelten. Das Manko seiner Interpretation blieben allerdings mangelnde Wortdeutlichkeit und eine Einheitsemotionsklangfarbe; dass es sich eigentlich um einen zerrissenen Charakter handelt, erschloss sich daher nur bedingt. Clemens Unterreiner konnte sich zwar auch als würdevoller Heerrufer sein typisch exaltiertes Spiel nicht ganz verkneifen, bot aber eine exzellente stimmliche Leistung mit fließendem Ton und karamelligem Timbre. Tareq Nazmi wirkte als König Heinrich darstellerisch hingegen reichlich unauffällig und vermochte es auch nicht so recht, ehrfurchtgebietend zu klingen, obwohl sein Bass mit satter Tiefe ausgestattet ist.
Am Dirigat von Omer Meir Wellber schieden sich hörbar die Geister – so mischten sich bereits nach dem ersten Aufzug sowohl viele Bravo- als auch vereinzelte Buh-Rufe in den Applaus. Seine Interpretation der Partitur war, neben einigen Abstimmungsproblemen mit dem Staatsopernorchester, auch wirklich eine Geschmacksfrage, denn er setzte ab dem ersten Ton des Vorspiels auf zupackendes Drängen und irdische Schwere. Darüber hinaus reizte er sowohl Dynamik als auch Tempo zuweilen bis an die oberste Grenze aus, wodurch aus der romantischen eher eine forsche Oper wurde. Ich persönlich hätte mir etwa im ersten Aufzug viel mehr verklärte, überirdisch-entrückte Momente voll silbrigem Schwirren gewünscht, wodurch auch der Kontrast zu den brodelnden Klangwelten des zweiten Aufzugs stärker gegeben gewesen wäre. Allerdings ist das Staatsopernorchester per se eine sichere Bank und bot auch an diesem Abend nach anfänglichen Unsauberkeiten durchaus hohe Qualität – etwa in Form des farbenreichen Streicherklangs und elegant phrasierten Holzbläsern – wenn auch der Dirigent keinesfalls das Maximum aus dem Klangkörper herauszuholen vermochte. Dass die Abstimmung zwischen Orchester und Bühne einwandfrei funktionierte, schien überdies der Verdienst eines Mannes im Hintergrund gewesen zu sein, denn die Koordination der Sänger überließ Meir Wellber an diesem Abend auffallend oft dem Maestro suggeritore. So viele aus der Box gegebene und dabei für das Publikum deutlich zu sehende Einsätze sind selbst angesichts der an der Staatsoper traditionell kurzen Probezeiten für Repertoirevorstellungen selten.
Isabella Steppan | 23 April 2023
LOHENGRIN mit Ernennung von KS Nina Stemme zum Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper
Das war ein Abend dreier ganz großer Stimmen, und eine von ihnen bekam nun die Auszeichnung, die sie wahrlich nach 20 Jahren Gesang am Ring verdient hat: KS Nina Stemme wurde vom Direktor der Wiener Staatsoper und einem Vertreter der Regierung in Anwesenheit aller Mitwirkenden auf der Bühne, des Orchesters der Wiener Staatsoper und des gesamten Publikums im ausverkauften Haus zum Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper ernannt. Die Auszeichnung wurde bisher nur wenigen zuteil. Vom Juwelier Wagner bekam sie auch den entsprechenden goldenen Ring angesteckt.
Der Staatsoperndirektor hob in seiner Laudatio hervor, dass Nina Stemme in den 20 Jahren an weit über 100 Abenden in 16 verschiedenen Rollen aufgetreten ist. Ihr Debut war die Senta im „Fliegenden Holländer“ unter der musikalischen Leitung von Seiji Ozawa im Jahre 2003. Aus diesem Grunde bekam sie das gerahmte Abendprogramm jener Aufführung als Erinnerungsgeschenk überreicht. Nina Stemme hob in ihrer Dankesrede hervor, wieviel sie in all den Jahren an der Staatsoper gelernt und dass sie hier ein zu Hause gefunden habe. Sie richtete ihren Dank an alle Kollegen und Kolleginnen auf und unter der Bühne sowie an das Staatsopernorchester und das „großartige Wiener Publikum“, welches auch sehr langen und herzlichen Applaus spendete. Ein Teil ihrer Rede ging auf Schwedisch an ihre gesamte Familie, bei der sie sich wahrscheinlich unter anderem für die langen Zeiträume bedankte, die sie immer wieder abwesend war.
Zuvor hatte Nina Stemme eine Ortrud der Extraklasse gesungen und auch gespielt. Seit Waltraud Meier kann ich mich nicht an eine solch intensive Rolleninterpretation erinnern. Wie Pfeile schoss sie ihre Spitzentöne los, die nie den Eindruck einer Überanstrengung machten. Alles blieb bei guter Diktion immer wunderbar in der hochdramatischen Gesangslinie. Es gibt wohl derzeit keine Sängerin, die „Entweihte Götter…“ im 2. Akt und „Fahr heim…“ am Schluss mit größerer Verve und solch vokaler und mimischer Intensität singen können. Eine Weltklasseleistung!
Eine solche war auch von Piotr Beczala und Camilla Nylund zu hören. Er hatte einen phantastischen Abend mit einem tenoralen Schmelz, der viel italienisches Flair in seinen Gesang bringt. Gleichwohl konnte er auch mit guter Attacke und einem in tieferen Lagen leicht abgedunkelt und klangvoll ansprechenden Timbre glänzen. Die Gralserzählung wurde schlicht zum Gustostückchen. Wie er die „Taube“ hauchte, war etwas ganz Besonderes! Hinzu kam auch eine mit der vokalen Qualität stets in Einklang stehende darstellerische Leistung.
Camilla Nylund arbeitet sich nach ihrer Isolde und den Zürcher Brünnhilden nun immer mehr äußerst kompetent in das Wagnerfach ein. Es ist ein Genuss, ihre stets gesangsbetonte Stimmführung bei guter Diktion auch bei der Elsa zu erleben, wo in jedem Takt viel Emotion und innerliche Bewegung mitschwingt. Auch sie kann aber, wie sie im 3. Akt bewies, eine starke Attacke fahren – kurzum, eine Elsa aus dem Bilderbuch!
Tomasz Konieczny gab wie immer einen kämpferischen und äußerst agilen Telramund mit bestechenden Höhen seines Heldenbaritons. Jedoch war aber auch an diesem Abend wieder die leicht gaumig-nasale Tongebung zu vernehmen, die die gesangliche Leistung doch etwas schmälerte. Clemens Unterreiner sang einen prägnanten und sehr präsenten Heerrufer. Tareq Nazmi blieb als König vor allem darstellerisch zu unbeteiligt und somit uncharismatisch und hatte auch Höhenprobleme. Der Chor und Extrachor der Wiener Staatsoper war sängerisch großartig und konnte die vielen Steigerungen, zumal im 1. Akt beim Erscheinen Lohengrins, eindrucksvoll umsetzen. Omer Meir Wellber dirigierte das Wiener Staatsopernorchester mit viel Verve, manchmal vielleicht etwas zu ungestüm und damit auch zu laut. Man vermisste etwas die für die „Lohengrin“-Musik spezifische A-Dur Aura, was aber letztlich zu dieser rustikalen Inszenierung von Andres Homoki aus Zürich, die 2014 ihre Premiere erlebte, passte.
Die gesamte „Lohengrin“-Thematik, die ohnehin immer schwer zu inszenieren ist, weil Realität auf Märchen stößt, wird von Homoki auf eine Art bayerische Schankwirtschaft heruntergezoomt. Man sieht in ein Einheitsbühnenbild über alle drei Akte von dem auch für die bajuwarischen Kostüme zuständigen Wolfgang Gussmann, das an Einfallslosigkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Es ist eine – für die Sänger allerdings akustisch ideale – holzgetäfelte Schuh-Box mit vielen Tischen und Stühlen, die immer wieder in Unordnung geraten, folglich unter störender Lärmentwicklung gleich neu gruppiert werden müssen und auf die man auf- und absteigt, so oft wie möglich. Vielmehr ist es nicht, und der Chor muss sich stets hinten herumquetschen. Aber eine immer noch gute Personenregie und hochklassige Sänger retten das Stück in dieser Optik, wie auch wieder an diesem Abend. Bald soll es ja eine Neuinszenierung geben. Wenn es die von den Osterfestspielen Salzburg 2022 werden sollte, wage ich schon jetzt zu sagen, dass Wien seit dem Herz-„Lohengrin“ mit dieser romantischen Oper Wagners auf Kriegsfuß zu stehen scheint…
Klaus Billand | 23. April 2023
Sängerfest in Lederhosen und Dirndln
Es ist die letzte Aufführungsserie von Andreas Homokis Interpretation von Richard Wagners „Lohengrin“ an der Wiener Staatsoper. Diese Inszenierung hat das Publikum eigentlich nie so richtig begeistert, denn in seiner Deutung aus 2014 hat er die märchenhafte, romantische Geschichte vom Schwanenritter kurzerhand vom flachen Brabant in ein ländliches Bergdorf des 19. Jahrhunderts,irgendwo in Bayern platziert. In einem hässlichen Holzkasten, er soll der Innenraum eines Gasthauses sein mit rohen Stühlen und Tischen lässt er alle Protagonisten und den Chor in Trachten auftreten. Und dort schauen die Mannsbilder schon recht zünftig aus, mit ihren kurzen, krachledernden Hosen, ihren schmucken Jankern, den groben Wollstutzen, den genagelten Bergschuhen und ihren Hüten mit Gamsbart oder Federn. Fesch sind die Weiberleut’ in ihren bunten Dirndln und ihren geflochtenen Haarreifen (Ausstatter: Wolfgang Gussmann). Da wird Bier getrunken und geschunkelt und so mancher Konflikt ausgetragen. Aber bald fragt man sich nach dem Sinn dieser Konzeption, die der Oper keine neuen Perspektiven bringt, ihr alles Edle und Erhabene und vor allem viel an Wirkung nimmt und einfach nicht Hand und Fuß hat. Beim Erscheinen des Schwans führt der Chor jeweils ein händerhobenes Verzückungsritual durch, bei dem ein Plastikschwan herumgereicht wird, mit dem Ergebnis, dass Lohengrin im Büßerhemd wie ein Embryo zusammengekauert am Boden liegt, kein strahlender Held sondern ein schwacher Mensch wie jeder andere.
Ab April kommenden Jahres wird man hier an der Staatsoper stattdessen die Regiearbeit von Sergio Morabito und Jossi Wieler sehen, die man schon den Salzburger Osterfestspielen 2022 kennt und in welcher die Geschichte als Kriminalfall gezeigt wird. Man wird sehen, wie diese vom Publikum hier in Wien angenommen wird.
Doch ist die sängerische Besetzung an diesem Abend so gut, dass die Inszenierung eigentlich fast zur Nebensache wird, ja man kann sogar von einem wahren Sängerfest sprechen: Allen voran ist Piotr Beczala der Glückfall eines Schwanenritters, den er gerade eben erst an der Metropolitan Opera in New York gesungen hat. Da passt jeder Ton, jede Nuance, jede glutvolle oder innige Leidenschaft. Er bewältigt die Partie mühelos mit allen Spitzentönen und dass obwohl er die Gralserzählung teils am Boden liegend oder kauernd singen muss. Ihm in nichts nachstehend ist Nina Stemme eine dämonische, böse, akzentreiche, mit großer Suggestionskraft ausgestattete Ortrud zum Fürchten. Tomasz Konieczny singt den Friedrich von Telramund stimmgewaltig sowie fassettenreich und beeindruckt auch szenisch. Etwas zurückhaltend aber mit mädchenhafter Innigkeit singt Camilla Nylund die Elsa von Brabant. Tareq Nazmi ist ein nobler aber etwas zu wenig präsenter König Heinrich der Vogler. Clemens Unterreicher singt den Heerrufer sehr kernig. Stimmgewaltig und klangschön und meist eines Sinnes mit dem Orchester hört man den Staatsopernchor (Einstudierung: Thomas Lang).
Der Musikdirektor der Wiener Volksoper Omer Meir Wellber steht am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper. Er setzt bei seinem überwiegend aufpeitschenden und großgestischen Dirigat weniger auf das Mystische und Verklärte, sondern auf südländische Glut, auf Tempo und Lautstärke, was es den Sängern nicht immer leicht macht.
Großer, uneingeschränkter Jubel im Publikum!
Dr. Helmut Christian Mayer | 22. April 2023
Wagners Lohengrin als Lederhosen to go
Jetzt heißt es also, Baba zu sagen zu Andreas Homokis Deutung des Lohengrin. Wirklich warm damit geworden ist das Wiener Publikum in den letzten zehn Jahren nicht. Der Regisseur und Intendant des Zürcher Opernhauses hat Brabant ins Alpenland verpflanzt, genauer: in einen holzverkleideten, fensterlosen Veranstaltungsraum.
Dort findet Lohengrin in einem unblutigen Geburtsakt Eingang in eine Gesellschaft mit hohem Lederhosen- und Dirndlaufkommen. Homokis Lohengrin in Lodengrün ist kein Geniestreich.. Aber wird man dieser Inszenierung vielleicht dennoch nachtrauern?
Ab April kommenden Jahres wird man an der Staatsoper stattdessen eine Salzburger Regiearbeit von Jossi Wieler und Sergio Morabito sehen, in der Richard Wagners romantische Oper als Krimi präsentiert wird. Zum Vorspiel entsorgt Elsa ihren Bruder, den Thronfolger Gottfried, in einem Kanal. Lohengrin wird als flapsiger Antiheld gezeichnet, der Elsa zur Ablenkung von ihrer Mordtat gerade recht kommt. Aber hat Wagner die Herzogstochter tatsächlich als Gewaltverbrecherin und den Gralsritter als unbedarften Nerd charakterisiert?
Südländische Glut
Omer Meir Wellber präsentiert den Lohengrin am Samstagabend mit südländischer Glut. Das schwebende Gralsmotiv zu Beginn lässt der Musikdirektor der Volksoper behände und mit körperlicher Sinnlichkeit musizieren, bar jeder Metaphysik; Wagners Utopismus der Reinheit geht dabei flöten. Das Staatsopernorchester spielt stimmungsstark und leidenschaftlich auf, nur der Beginn des dritten Aufzugs gerät etwas platt und gehetzt. Auch der agile Chor beglückt mit einer enormen emotionalen Bandbreite. Mitreißend das “Gesegnet soll sie schreiten” zur Hochzeit. Da muss es reichlich Proben gegeben haben.
Bei Piotr Beczała ist jeder Ton glückbringende Perfektion, der glutvolle Lohengrin des Bayreuth-Erprobten passt zur leidenschaftlichen Lesart Wellbers. (Klaus Florian Vogt präsentiert die Titelpartie mehr als reine Unschuld vom Gralsritterlande.)
Als routinierte und etwas gleichförmige Elsa verleiht Camilla Nylund der Jungfrau eine mütterliche Komponente. Mehr scharfkantige Dämonie hätte man sich von Nina Stemmes Ortrud gewünscht, dringlich Tomasz Koniecznys Telramund, nobel Tareq Nazmis König Heinrich. Heftiger Jubel, nur bei Wellber einige Buhrufe.
Stefan Ender | 16.4.2023
Veristische Romantik
Deftig geht es zu, wenn die alpenländischen Erbhofbauern und -bäuerinnen einander in die Haare geraten. Der Saal eines schmucken Dorfgasthofs wird dann schnell zum Schlachtfeld demagogischer Umtriebe und heuchlerischer Verstellung. Ob das noch etwas mit Richard Wagners „Lohengrin“ zu tun hat? Spannend war es auf jeden Fall.
Allein schon Nina Stemme im schmucken Dirndl, die bei ihrem Auftritt im ersten Aufzug gleich alle Blicke auf sich zog: Des Friesenfürsten Spross hat es in die alpenländischen Trachtenregionen des Südens verschlagen, nach Oberammergau oder nach Berchtesgaden. König Heinrich muss auch in die Irre geleitet worden sein, wenn er Brabant in der Nähe das Watzmanns vermutet – und wo wohnen nur die Dänen? (Die Dänen haben zwar Telramund zu einiger Reputation verholfen, sind aber wirklich nur eine Fußnote der Handlung.) Immerhin hat es diese Inszenierung von Andreas Homoki laut Abendzettel inzwischen auf 31 Aufführungen gebracht. Doch kommenden Sonntag schlägt ihr das letzte Stündlein – und nächste Saison wird sich die Staatsoper einen neuen „Lohengrin“ zulegen. (Wer einen Blick in die Saisonvorschau wirft, die nach der Vorstellung in den Foyers verteilt wurde bzw. im ganzen Haus gratis aufliegt, ahnt allerdings Schlimmes.)
Aber bevor ich den Faden verliere, Ortruds finale „wilde Verzückung“ (Regieanweisung Richard Wagners) wird das Publikum zu aller erst von dieser Vorstellung mit nach Hause genommen haben: Nina Stemme erfüllte Ortruds vermeintlichen Sieg mit der dunkelgereiften Glut des Götterdämmerungschen Walhallbrandes. Schon im zweiten Aufzug hat sie Elsa mit loderndem Hass bis aufs Blut gepeinigt, zwang sie Elsa beinahe in die Knie. Und nicht jede Elsa, so vermute ich, hätte diesem Sturm so fest standhalten können wie Camilla Nylund, die zwischen Selbstaufgabe und Beharrlichkeit versuchte, allen Zweifeln Herrin zu werden, wo doch Ortruds Aufbegehren wie ein Rammbock an ihre von der Liebe zu Lohengrin entflammten Herzkammern krachte.
Die feine Klinge verführerischer Psychologie hat Stemme nicht ausgepackt, die mit dieser Aufführungsserie ihr Wiener Rollendebüt als Ortrud gegeben hat. In Anbetracht ihres Gemahls wäre das auch die falsche Strategie gewesen. Dem stimmmarkigen Telramund von Tomazs Koniecny konnte Ortrud nur mit brutalem Machtanspruch entgegentreten – und diesbezüglich schenkten sich beide nichts: ein grimmiges Ehepaar mit raumfüllender gesanglicher Ausstrahlung, dem die schachtelartige Bühnenkonstruktion noch einen zusätzlichen Lautstärkeschub verpasste. Koniecnys Telramund hätte mit Leichtigkeit ganze Heerversammlungen auf freiem Feld aufwiegeln können. Mächtig, mit brachialem Forte, hat er gleich am Beginn gegenüber König Heinrich argumentiert, der im Vergleich einen viel zu blassen Lehensherrn abgab.
Die historische Stellung des deutschen Königs im Spiel der politischen Kräfte war oft genug eine „fragile“, aber Tareq Nazmi war ein darstellerisch und stimmlich zu blasser Herrscher, was seinem umtriebigen, bürokratisch gewappneten Heerrufer (Clemens Unterreiner) im Gegensatz zur hierarchischen Seinsordnung zu viel Gewicht verlieh. Insofern fehlte dieser „Lohengrin“-Aufführung das würdevolle Haupt, und somit auch ein wenig die mit ihm verknüpfte „Gottesurteilslogik“. (Was allerdings in Anbetracht der Inszenierung eigentlich nur konsequent ist, die wirklich die ganze Handlung in einem alpenländischen Gasthaussaal spielen lässt.)
Wie angemerkt, Camilla Nylunds Elsa schwankte zwischen Standhaftigkeit und Verzweiflung. Die verträumte „Magd“ des ersten Aufzugs lag ihr stimmlich schon zu fern, ist Nylund in ihrem Wagner-Repertoire doch inzwischen bei der Brünnhilde angekommen. (Diesbezüglich eifert sie der Ortrud dieses Abends nach.) Vom silbernen Straussschimmer ihres Soprans war kaum mehr etwas zu bemerken, aber was ihr an messianischer Lohengrin-Verzückung abging, stützte mit mehr abgeklärtem Erlösungsverlangen im zweiten und dritten Aufzug Elsas Widerständigkeit und Selbstbewusstsein. Dadurch wurde die Basis für spannende Auseinandersetzungen mit Ortrud und letztlich auch mit Lohengrin gelegt, als Elsa leidenschaftlich in die Falle des Frageverbots tappte.
Lässt sich aus den bisherigen Anmerkungen schließen, dass an diesem Abend nicht die geheimnisvolle Metaphysik des Grals die Geschichte vom „Lohengrin“ bestimmte, sondern vor allem stimmgetriggerte Leidenschaft? Auch der Lohengrin von Piotr Beczala suchte sein Glück nicht im Glanz überirdischer Verzückung. Seinen Tenor regierte eine bronzen getönte Mittellage, die seit seinem etwas verhaltenen Wiener Lohengrindebüt vor drei Jahren deutlich an Durchsetzungskraft gewonnen hat. Im ersten Aufzug war stimmlich phasenweise noch einige Anstrengung herauszuhören, ab dem zweiten Aufzug klang die Stimme gefestigt und verlieh dem Gralsritter eine erzerne Aura, die ihn mehr mit einer irdischen, weniger mit einer göttlichen Rüstung wappnete. Die Gralserzählung war demnach nicht das „Highlight“ des Abends, gingen ihr doch gerade diese strahlenden Töne ab, dieses Hereinleuchten einer allmächtigen, erlösungversprechenden Göttlichkeit in die trübseligen Verwirrungen irdischer Existenz. Sein Tenor dürfte insgesamt den früheren Höhenglanz mit einer zunehmenden Gewichtung der Mittellage getauscht haben. Dort allerdings ist dieser Lohengrin fest verankert und schielt wohl schon ein wenig auf den Parsifal, der sich den entrückten Glanz erst erwirbt, während er dessen Sohn als Erbteil wie selbstverständlich umstrahlen müsste.
Omar Meir Wellber am Pult stützte nun ebenfalls mehr die irdische Perspektive, zum Teil sehr flott unterwegs, ließ er erst gar kein Pathos aufkommen. Schon nach dem sich zu einem lauten, „robusten“ Höhepunkt aufschwingenden Vorspiel wusste man, dass das kein Abend verklärter „Lohengrin“-Romantik werden würde. Insofern wurden Erwartungshaltungen nicht eingelöst, was vielleicht erklärt, warum von der ersten Aufführung divergierende Publikumsreaktionen das Dirigat betreffend berichtet wurden. Für diesen, auch in den Chören zupackenden, mehr „weltlich-emotionalen“ als „romantisch-ätherischen“ „Lohengrin“ spendete das Publikum starken, rund zwölf Minuten lang währenden Beifall.
Dominik Troger | Wiener Staatsoper 20. April 2023