Lohengrin

Constantin Trinks
Men’s Chorus of the Bulgarian National Radio
Chorus and Orchestra of the Sofia Opera and Ballet
Date/Location
13 June 2024
Opera and Ballet Sofia
Recording Type
  live  studio
  live compilation  live and studio
Cast
Heinrich der VoglerBiser Georgiev
LohengrinKostadin Andreev
Elsa von BrabantTsvetana Bandalovska
Friedrich von TelramundVentseslav Anastasov
OrtrudGabriela Georgieva
Der Heerrufer des KönigsAtanas Mladenov
Vier brabantische EdleAngel Antonov
Rosen Nenchev
Nikolay Petrov
Nikolay Voynov
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Reviews
onlinemerker.com (I)

Am 13. Juni wurde in Sofia das Richard-Wagner-Festival mit einer Neuinszenierung von „Lohengrin“ unter der Regie des Intendanten Plamen Kartaloff eröffnet. Der erfahrene Wagner-Regisseur brachte eine visionäre Interpretation auf die Bühne, die nicht nur die musikalische Sprache Wagners respektierte, sondern auch die zeitgenössische gesellschaftliche Relevanz des Werks betonte. Faszinierend führte Kartaloff die Zuschauer in die tiefgründige Welt Wagners ein und zeigte, wie dessen Musik als prophetische Stimme der Zukunft fungierte.

Plamen Kartaloff stellte die Frage, ob das heutige digitale Zeitalter und die darin stattfindenden Prozesse mit den psychologischen Theaterelementen und Leidenschaften, die in Wagners Musik verankert sind, vereinbar seien. Seine Antwort darauf war ein klares „Ja“. Für Kartaloff repräsentiert Lohengrin in Wagners Musik das „Licht des Denkens“, das die Menschen erweckt und zur Erkenntnis der inneren Kraft führt. Lohengrin bringt die Idee des Glaubens an das Positive, das die Zukunft aufbaut. Diese Botschaft spiegelt sich in jeder musikalischen Phrase wider, die die „wahre Vortrefflichkeit des richtigen Lebens“ ausdrückt.

Kartaloffs Inszenierung von „Lohengrin“ war reich an symbolischen Elementen, die eine tiefere Bedeutung für das Bühnenbild und die Handlung trugen. Drei zentrale Komponenten prägten die Bühne: der Baum des Lebens, die Amphitheater-Tribünen und die Hauptarena. Der Baum des Lebens, eine Eiche, symbolisierte die Verbindung zwischen Himmel und Erde. Anders als die majestätische, laubreiche Eiche, die man erwarten könnte, zeigte Kartaloff den Baum kahl und leidend, mit zum Himmel gestreckten Zweigen, die um Erlösung baten. Der Baum wurde von bösen Mächten und Intrigen angenagt und diente als Zentrum der Transformation und der Handlung. Er war Tempel und Golgatha zugleich, wobei Lohengrins Abschied von Elsa durch die Spaltung des Baumes symbolisiert wurde. Diese Spaltung und die Auferstehung von Gottfried repräsentierten den Sieg des Lichts über die Dunkelheit und die Hoffnung auf ein neues Leben.

Die Amphitheater-Tribünen erinnerten an das antike griechische Theater und boten Platz für die beiden Chöre – die Brabanter und die Sachsen. Diese Chöre fungierten als kollektiver Charakter, der die Ereignisse kommentierte und an der Handlung teilnahm. Ihre Platzierung im Bühnenraum war entscheidend für die dramaturgische Struktur und die emotionale Tiefe der Inszenierung. Die Hauptarena, in der die zentralen schauspielerischen Aufgaben ausgeführt wurden, war durch eine physische und spirituelle Verbindung mit dem Baum des Lebens geprägt. Diese Arena war der Ort, an dem das irdische Leiden und die himmlische Sehnsucht nach Erfüllung aufeinandertrafen. Zusätzliche symbolische Elemente wie Schwanenfedern und Schwanenflügel im ersten Akt sowie ein Dornenfeld im letzten Akt verstärkten die emotionalen und thematischen Aspekte der Inszenierung. Die Schwanenfedern und -flügel, die vom Himmel herabfielen, symbolisierten das Erscheinen einer höheren Macht und die Rettung der unschuldigen Elsa. Im Gegensatz dazu repräsentierte das Dornenfeld die zerstörerische Macht des Neids und den Fluch von Ortrud und Telramund. Kartaloff weiß hervorragend Stimmungen zu erzeugen, die immer im Einklang mit der Musik sind. Faszinierend sind die Farbgebungen in Blau, Rot und Violett. Auch in der Personenführung zeigt sich Kartaloff als Meister der feinen Details. Ein Beispiel: im Brautgemach werden Elsa und Lohengrin von den Brabantischen Edlen als auch von Telramund und Ortrud permanent beobachtet. Der Zuschauer wird Zeuge, wie Lohengrins späterer Überfall ausgeheckt wird. Bühnenbildner Hans Kudlich schuf dazu atmosphärisch dichte Bühnenbilder, die durch die Kostüme von Mario Dice gut kontrastiert wurden. Die Lichtgestaltung ist bei diesem Werk von besonderer Bedeutung und Zach Blane hatte dafür eine kreative Hand.

Ein einzigartiges Element dieser Inszenierung war die Referenz auf Kartaloffs frühere „Parsifal“-Inszenierung im Orchestervorspiel von „Lohengrin“. Diese Verbindung unterstrich die Kontinuität der göttlichen Botschaften und die spirituelle Reise, die Lohengrin als Sohn Parsifals antreten musste. Das Vorspiel, wie von Burton D. Fisher beschrieben, stellte die mystische Natur und Heiligkeit des Grals dar und rahmte die spirituellen Ideale des Helden der Oper ein.

Besondere Unterstützung erhielt Kartaloff durch die weltberühmte Kammersängerin Anna Tomowa-Sintow. Die erfahrene Sopranistin, die selbst oft die Rolle der Elsa in verschiedenen „Lohengrin“-Produktionen interpretiert hatte, brachte ihre immense Expertise und Inspiration in die Produktion ein. Tomowa-Sintow arbeitete eng mit den Künstlern der Sofia-Oper zusammen und widmete viel Zeit der Vorbereitung der Gesangsinterpretationen.

Die Titelrolle sang Kostadin Andreev, der eine etwas uneinheitliche Leistung bot. Er war ein leidenschaftlicher und offensiver Schwanenritter, wie er an deutschen Bühnen nicht anzutreffen ist. Sein Gesang wirkte im Forte zuweilen wild, bei sehr offenen Vokalen. Bei seinen (immerhin!) vielen Piano-Versuchen verlor seine Stimme den Fokus und musste zuweilen Zuflucht im Falsett suchen, was nicht überzeugend gelang. Hinzu kam seine mangelhafte Artikulation, die Konsonanten vermied, wie der Teufel das Weihwasser! Dabei sind gerade bei Wagner die klingenden Konsonanten eine ganz wesentliche Hilfe für einen ökonomischen Stimmansatz. Zudem hatte er im dritten Aufzug mit erheblichen konditionellen Problemen zu kämpfen, was sich vor allem in eher gerufenen als gesungenen Tonhöhen zeigte. Das Publikum reagierte z. T. enttäuscht, sodass es doch leider ein paar deutliche Buhrufe für ihn gab. Auch die Elsa von Tsvetana Bandalovska gefiel nicht allen im Publikum. In der Darstellung war sie glaubwürdig und verinnerlicht. Gesanglich war sie an diesem Abend nicht in der Lage, die gebotenen Lyrismen zu realisieren. Ihre dynamische Skala bewegte sich zwischen Forte und Fortissimo. Ein um das andere Mal klang ihre Stimme gefährdet. Weniger Druck und mehr Aufmerksamkeit in der Dynamik würden ihre Darbietung wirkungsvoller gestalten.

Der Trumpf des Abends waren die Ortrud mit der alle überragenden Gabriela Georgieva und dem Telramund von Ventseslav Anastasov. Erstmals sang die Georgieva eine deutsche Oper und dann gleich die Ortrud. Ihr Debüt war spektakulär in jeglicher Hinsicht! Mit beeindruckender szenischer Präsenz dominierte sie das Bühnengeschehen. Ihre sprechende Mimik und ihre dominante Darstellung machten diese Ortrud zum Elementarereignis. Eine echte hochdramatische Sopranistin. Weltweit gibt es kaum Sängerinnen, die derart souverän diese schwere Partie realisieren. Hocherfreulich war zudem ihre gute Artikulation und Verständlichkeit. Sie war die einzige Sängerin, der es gelang, den vielschichtigen Text wissend zu gestalten. Eine herausragende, ja geradezu umwerfende Leistung! Zu Recht erhielt sie vom Publikum gewaltige Ovationen! Ohnehin gefiel der zweite Aufzug dem Auditorium derart gut, dass es viermal in die Musik applaudierte. Vor allem nach dem fulminanten Vortrag von „Entweihte Götter“ schrien die Zuhörer entzückt auf. An ihrer Seite war Venetslav Anastasov ein Telramund mit raumgreifender, wuchtiger Stimme, der diese immens schwere Partie ausgezeichnet sang. Sängerisch war das auf hohem Niveau. Wenn es ihm noch gelingt, den Text deutlicher zu artikulieren und vor allem die vielen faszinierenden Akzente zu setzen, dürften ihm auch an anderen großen Bühnen die Türen weit offen stehen. Bereits nach seinem „Durch dich musst ich verlieren“ gab es für ihn spontanen, tosenden Szenen-Applaus. Biser Georgiev war König Heinrich und litt ein wenig zu deutlich an den Herausforderungen seiner Partie. Seiner Stimme fehlt es an der notwendigen Sonorität, um den König als Gestalt glaubwürdig erscheinen zu lassen. Im Spiel wirkte er unsicher und in der Tiefe kaum hörbar. Er hat das Potenzial, diese Partie adäquat zu gestalten. Dafür müsste er an szenischer und stimmlicher Sicherheit zulegen. Auch sollte er an seiner nuscheligen Artikulation arbeiten. Atanas Mladenov war ein stimmstarker Heerrufer mit guter Textverständlichkeit.

Der „Lohengrin“ gilt als eine der schwersten Choropern. Doch der große Opernchor entledigte sich seiner schwierigen Aufgabe sehr gut. Sonor und ausdauernd waren die zahlreichen Sängerinnen und Sänger ein ganz wesentlicher Aktivposten. Die Choreinstudierung lag in den Händen von Violeta Dimitrova und Ljubbomira Dimitrova, die mit dieser Arbeit ihre beeindruckende Kompetenz unterstrichen.

Constantin Trinks dirigierte das Orchester der Nationaloper Sofia. Orchester und Dirigent schufen fortwährende Glanzpunkte. Es war faszinierend zu erleben, wie gut Trinks das Orchester vorbereitet hatte. Dessen Ausdauer, Stilsicherheit waren bemerkenswert und die Tempi ausgewogen. Mit feiner Klangqualität in allen Spielgruppen gelang Trinks ein bewegendes Dirigat, bei welchem keinerlei Wünsche offen blieben. Vorbildlich war auch die Begleitung und die Balance zwischen Bühne und Orchestergraben. Am Ende gab es stürmischen Beifall, über den sich auch Hausherr und Regisseur Plamen Kartaloff freuen konnte.

Kartaloffs Inszenierung von „Lohengrin“ versprach, ein tiefgreifendes und emotional bewegendes Erlebnis zu sein, das Wagners musikalische und dramaturgische Meisterschaft in den Vordergrund stellte. Durch die geschickte Nutzung symbolischer Bühnenbilder und die Einbindung psychologischer und philosophischer Überlegungen schuf Kartaloff eine Inszenierung, die sowohl den traditionellen Wagnerianern als auch neuen Zuschauern ein reichhaltiges und ergreifendes Erlebnis bot. Kartaloff gelingt das, woran Regisseure deutscher Opernproduktion nahezu immer scheitern: mit heutigen technischen Mitteln eine Inszenierung zu zeigen, die mit der Musik gemeinsam das Beste aus einem Werk herausarbeitet und in eine zeitlose Aussage übersetzt, die einem heutigen Publikum es leicht macht, sofort zu erkennen, in welchem Stück es sich befindet. In Sofia war dieser „Lohengrin“ ein heftig gefeiertes Ereignis.

Dirk Schauß | 14. Juni 2024

onlinemerker.com (II)

Beeindruckende Bilder

Nachdem er seit 2010 im Vorjahr bereits zum zweiten Mal mit beachtlicher Attraktivität den „Ring des Nibelungen“ und danach „Tristan und Isolde“, „Parsifal“ sowie den „Fliegenden Holländer“ an der Sofia Opera and Ballet in Szene gesetzt hat, widmete sich ihr Generaldirektor Prof. Plamen Kartaloff mit Assistenz von Yulia Krasteva nun Wagners romantischer Oper „Lohengrin“ zu. Gestern war Premiere vor ausverkauftem Haus. Es waren sogar Vertreter des Wagner-Verbandes Washington da. Und auch diesmal gab es wieder einen großen Erfolg, wie mit dem neuen „Ring“ im Vorjahr! Kartaloff blieb mit dem Bühnenbildner-Team Hans Kudlich, Nela Stoyanova und Kristyan Stoyanov, in Zusammenarbeit mit Sven Jonke und Gudrun Geiblinger aus Linz seiner Devise treu, einem zumal nicht besonders Wagner-erfahrenen bulgarischen Publikum – oft waren es Erstaufführungen an der Sofia Opera – eine Wagners Ideen und Intentionen nahestehende Lesart zu vermitteln. Dieser Inszenierungssstil geht hier auf dem Balkan noch voll auf, und das Regieteam bekam einhelligen Applaus.

Man konnte wieder einmal merken, wie sehr Wagners herrliche romantische Musik Wirkung entfaltet, wenn sie in Einklang mit dem Stück steht und dieses nicht gegen sie oder zumindest ohne Rücksicht auf sie behandelt wird wie in der Salzburger Neuinszenierung von Wieler/Morabito/Viebrock aus dem Jahre 2022, die kürzlich auch an der Wiener Staatsoper zu sehen war. Kartaloff sieht sich ganz bewusst als Verfechter eines aus der Partitur (die er auch lesen kann) und der Thematik heraus konzipierten Inszenierungsstils. Damit positioniert er sich klar gegen das derzeit immer mehr und scheinbar von den Intendanten auch immer unkontrollierter aus dem Ruder laufenden Wagnerschen Regietheater in Mittel- und Westeuropa.

Zentraler Themenschwerpunkt ist in Sofia die Gerichtseiche, die ja zentral im 1. Akt ist und im weiteren Verlauf in immer variierender Form, auch durch effektvolle Beleuchtung von Zach Blane, in vielen Varianten erscheint. Damit werden intensive und stets zur Musik passende Momente erzeugt, die auch eine ständige Spannung des Geschehens aufrecht erhalten. Auch wenn einige Tableaus mit dem auf über 60 Personen verstärkten Chor der Sofia Opera and Ballet mit dem Chor des Bulgarischen National-Radios, exzellent von Violeta Dimitrova und Ljubomira Alexandrova einstudiert, bisweilen etwas statisch wirkten. Die Kostüme von Mario Dice waren vielfältig, wenn auch nicht immer ganz schlüssig zum Thema passend, was den Chor betrifft.

Glanzvolle sängerische und darstellerische Leistungen brachten die Sofioter Sieglinde Tsvetana Bandalovska als Elsa und die hochdramatisch agierende Gabriela Georgieva, die unglaublicherweise an diesem Abend mit der Ortrud ihre erste Wagnerrolle sang. Auch Ventseslav Anastasov, überwiegend im italienischen Fach zu Hause, konnte mit einer starken Leistung als Telramund überzeugen, nicht immer ganz wortdeutlich. Atanas Mladenov lieferte, wie immer mit hoher Qualität, einen ausgezeichneten Heerrufer. Kostadin Andreev hingegen konnte als Lohengrin mit seinem zwar kraftvollen, aber nicht immer zielführend und oft zu laut zu Gehör gebrachten tenoralen Material wenig überzeugen, ebenso wie Biser Georgiev als König Heinrich, der für die Rolle nicht in vollem Umfang das wünschenswerte Bassfundament mitbringt. Darstellerisch machten beide ihre Sache gut.

Constantin Trinks dirigierte mit großem Engagement das in bester Qualität aufspielende Orchester der Sofia Opera and Ballet mit bisweilen zu langsamen Tempi, die den Sängern auch manchmal etwas zu schaffen machten. Es war aber eine auch musikalisch sehr gute Darbietung und das Orchester ließ hören, dass es sich mittlerweile seit 14 Jahren sehr gut mit Wagner angefreundet hat. Vor 2010 gab es ihn hier fast gar nicht!

Klaus Billand | 14. Juni 2024

nmz.de

Frauliches Kräfteringen

Viermal gab es im zweiten Akt zu den imposanten Duett- und Solostellen des dunklen Paars Ortrud und Telramund lauten Szenenapplaus. In Richard Wagners Heimatregion, dem deutschsprachigen Mitteleuropa, gilt das als unfein und Wagners Gesamtkunstwerk-Idee abträglich. Aber im nahen Opern-Osten gehörte es in der Premiere von Richard Wagners „Lohengrin“ an der Nationaloper Sofia berechtigterweise zum guten Ton. Auf diese folgt beim Wagner Festival der Oper Sofia bis 20. Juni noch eine zyklische Gesamtaufführung von Wagners „Ring“ (Premiere 2023) und am 23. Juni eine weitere „Lohengrin“-Vorstellung. Intendant Plamen Kartaloff führte Regie, Constantin Trinks dirigierte und Gabriela Georgieva sang eine phänomenale wie sensible Ortrud.

Intendant Plamen Kartaloff ist nicht nur Regisseur, sondern auch Autor eines Buchs über Richard Wagner. Er nähert sich dem Kosmos der Mythologien und Sujet-Verdichtungen des Musikdramatikers mit einer klaren Anwendung von Dualismen. Den Gralsritter in der 1850 unter Liszt in Weimar uraufgeführten „romantischen Oper“ betrachtet Kartaloff als Inkarnation göttlich reinen Lichts. Hans Kudlich baute einen gespaltenen Baum mit Astgruppen wie Engelsflügel auf die Bühne. Die beträchtlichen Chormassen der Nationaloper Sofia und der Männer aus dem Bulgarischen Nationalen Rundfunkchors (geleitet von Violeta Dimitrova und Lubomira Alexandrova) stehen auf Amphistufen. Die Geschichte über das Erschüttern des Vertrauens Elsas von Brabant gegen ihren Retter Lohengrin vor dem Heerzug gen Osten ereignet sich menschlich plausibel und sinnfällig. Die Chorgruppen bestehen aus farbenfrohen, in bunte Phantastik enthobenen Landsern und einer Gruppe von Kapuziner-Klerikern. Betreffend ihres autoritären Auftretens kommen Biser Georgiev (König Heinrich der Vogler) und Publikumsliebling Atanas Mladenov (Heerrufer) allerdings eher von der lokalen Gendarmerie als aus der hochfeudalen Militärzentrale – trotz weißroter Schärpe auf blauer Uniform.

Doch in Sachen Stimmmaterial erfüllen sich alle Erwartungen betreffend slawische und bulgarische Stimmen, sogar die überzogenen. Kartaloff gibt zwar ein formales Szenengerüst vor, dialektische Tiefe gewinnt dieser bildkräftige und kurzweilige „Lohengrin“ zwangsläufig durch die musikalische Durchdringung. Wie die hohen Streicher im berüchtigten Vorspiel zum ersten Akt ansetzen, hat ganz hohe und berückende Qualität. Nicht zu leise, singend und schwelgend. Constantin Trinks fährt in dem 1921 gebauten und 1953 renovierten Theaterbau schwerere Klanggeschütze auf als in Deutschland bei Wagners nationalistischem Rumpelgetöne statthaft wäre. Das kann man ihm aber schwerlich zum Vorwurf machen, weil das Orchester immer wieder in geschmeidig weiche, wenn auch lautstarke Opulenz abbiegt und dann vor allem die beiden Frauen-Hauptbesetzungen Wagners Licht-Schatten-Dramaturgie stark und überaus eindrucksvoll differenzieren.

Gabriela Georgieva als Ortrud hat beim Stilcoaching durch Anna Tomava-Sintow, welche vor 2000 eine Weltkarriere an die großen Bühnen führte, genau aufgepasst. Georgieva erlaubt es sich, trotz aller Dämonik und deklamatorischem Nachdrucks immer schön zu singen. Dabei findet sie einen Charakter, der mit Spannung und Tiefgang zur Figur passt und sängerisch fast zur Sympathieträgerin wird: eine individuelle und packende Gestaltung auf Basis langer Erfahrung im hochdramatischen italienischen Fach. Als Elsa darf Tsvetana Bandalovska durch das Geschehen wallen, Hände ringen und innig affektive Diva sein. Stimmlich setzt Bandalovska neben großer Legato-Linie auch leichte Schärfen, was der Figur und ihrer Gestaltung zum Vorteil gerät. Als Lohengrin ganz in Weiß war Kostadin Andreev – er singt auch beide „Siegfriede“ im folgenden „Ring“ – immer wieder durch eine Indisposition gebremst. Ventseslav Anastasov gibt einen angemessen starken und nachdrücklichen Herausforderer Telramund.

Die letzte „Lohengrin“-Premiere an der Nationaloper Sofia war – abgesehen von einer konzertanten Aufführung 2009 – im Jahr 1968. Dass dort innerhalb von zwei Jahrzehnten gleich zwei „Ring“-Inszenierungen herauskommen, gibt der bulgarischen Wagner-Pflege einen ordentlichen Schub. Budapest, gewiss mit einer weitaus dichteren Wagner-Tradition, und Sofia gleichen sich in ihrem Stolz, die schweren Wagner-Musikdramen weitgehend ohne internationale Gastsänger, mit eigenen Ensemblemitgliedern aufzuführen. Das Resultat ist, vor allem bei den Frauen- und tiefen Stimmen, zutiefst beeindruckend. Die Deklamation unterscheidet sich bei guter Textverständlichkeit von der Mitteleuropas und Amerikas durch ansatzweise weichere Konsonanten und einer bei Wagner eher seltenen Gewichtung auf Vokale. Überdies gelang es, das Premierenpublikum mit Spannung in hohe Aufmerksamkeit zu schlagen und nicht nur an Aktenden zu euphorisieren.

Roland H. Dippel | 14.06.2024

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Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 48.0 kHz, 449 MByte (MP3)
Remarks
In-house recording
A production by Plamen Kartaloff (premiere)