Lohengrin

Josep Pons
Cor i Orquestra Simfònica del Gran Teatre del Liceu Barcelona
Date/Location
17 March 2025
Gran Teatre del Liceu Barcelona
Recording Type
  live  studio
  live compilation  live and studio
Cast
Heinrich der VoglerGünther Groissböck
LohengrinKlaus Florian Vogt
Elsa von BrabantElisabeth Teige
Friedrich von TelramundÓlafur Kjartan Sigurðarson
OrtrudMiina-Liisa Värelä
Der Heerrufer des KönigsRoman Trekel
Vier brabantische EdleJorge Rodríguez Norton
Gerardo López
Guillem Batllori
Toni Marsol
Gallery
Reviews
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Fake News vom Schwan

Die Frage nach dem Wesen Lohengrins ist fast so alt wie die Oper selbst, die seinen Namen trägt. Wenige Monate nach der Uraufführung veröffentlichte Adolf Stahr, damals ein angesehener Philologe, gleich zwei Artikel, die sich mit dem Motivgefüge des Werkes beschäftigen. Lohengrin wird darin überraschend negativ als durchaus autoritär, ja kaltherzig charakterisiert. Seinen „Willen und sein Bewußtsein“ habe er „einzig in der Disziplin des Muß und in dem Stirnrunzeln eines göttlichen Kriegsherrn“. Wagner dankte zunächst für die Analyse, wies sie aber später in seiner Autobiographie bündig zurück: „Stahr hat unrecht, Lohengrin hat recht“.

Katharina Wagner ließ sich bei ihrer Neuinszenierung fürs Gran Teatro del Liceu in Barcelona vom urgroßväterlichen Diktum keineswegs einschüchtern. Ihr Misstrauen gegenüber dem Schwanenritter geht über die Mitte des 19. Jahrhunderts formulierten Vorbehalte noch weit hinaus. Das zeigt sie gleich zu Beginn als Bebilderung des Vorspiels. Unbekümmert vergnügen sich Elsa und ihr Bruder beim kindlichen Spiel am Rande eines entlaubten, düsteren Waldes. Lohengrin gesellt sich zu ihnen, lockt den Knaben tückisch zu einem brackigen Tümpel – und ertränkt ihn brutal darin.

Zugegeben: Der Einfall, den eindeutig Guten als den fraglos Bösen zu zeigen, die Wertungen also schlankerhand umzukehren, mutet in der Verweigerung von Ambivalenz zunächst einmal läppisch an. Doch im feinsinnigen, genau inszenierten Spiel der Figuren wird er überraschend beglaubigt und erweist sich als ernsthafte Auseinandersetzung der Regisseurin mit zentralen Fragen des Werkes: Was ist Wahrheit? Was Vertrauen? Und wer verdient es?

Lohengrin ist in dieser Inszenierung ein Meister der Manipulation, der die Sachverhalte stets zu seinen Gunsten zu deuten versteht: Als der Schwan, der seine Mordtat genau beobachtete, den großen Auftritt als Retter der beklagten Elsa zu stören droht, erklärt er ihn kurzerhand zu seinem treuen Gefährten: „Nun sei bedankt, mein lieber Schwan“. Ólafur Sigurdarson als Telramund warnt mit seinem eher spröden, immer ein wenig angestrengt wirkenden Bariton das Volk so nachdrücklich wie vergebens. Zu gerne glaubt man die Mär vom Erlöser. Und Elsa, der schon bald unwohl in Lohengrins Nähe wird, weil ihr, nun ja, schwant, dass er den armen Bruder um Leben und Krone brachte, lässt sich von der Menge und von König Heinrich (Günther Groissböck singt ihn mit einem etwas belegten, gleichwohl kraftvollen Bass und präziser Diktion) doch zur Folgsamkeit bereden.

Elisabeth Teige singt eine großartige Elsa
Er geleitet die zögerliche Braut in ihr neues Zuhause, das der naturwüchsig waldigen Umgebung wie ein Fremdkörper eingepflanzt wird: Kaltweiße Kuben senken sich auf hohen Stelzen zwischen den kahlen Stämmen herab (Bühne: Marc Löhrer). Hier singt Elsa den Lüften bewegend ihr Klagelied, und hier muss sie sich mit Ortrud auseinandersetzen. Das „fürchterliche Weib“ tritt indes nicht als racheschnaubende Intrigantin auf, sondern als eine energische Frau, die unbeirrbar nach der Wahrheit sucht. Den Mannen des Königs möchte sie die weinroten Uniformen, die Lohengrin ausgab, am liebsten vom Leibe reißen, so zornig macht sie die blind gläubige Hingabe der Masse. Miina-Liisa Väreläs Mezzosopran verfügt dafür über die nötige stimmliche Attacke, bleibt aber im Timbre doch zu monochrom. In ernster Sorge redet sie auf Elsa ein, doch die überspielt alle Zweifel, die ja längst in ihr nisten, und hält wider besseres Wissen fest an ihrer Illusion vom Retter und Erlöser Lohengrin. Wie Elisabeth Teige diese Figur als eine zutiefst verunsicherte junge Frau zeigt, die erst allmählich den Mut findet, den eigenen Regungen zu folgen, ist zugleich von anrührender Zartheit und großer darstellerischer Intensität.

Herrliches Dirigat von Josep Pons
Ihr dunkel grundierter Sopran trägt mit farbenreichen Obertönen auch im filigranen Piano und ist von beklemmender Trauer umflort, wenn er vom tiefen, zweifellosen Glück an Lohengrins Seite kündet. Dazu findet das Orchester unter der Leitung von Josep Pons zu einem differenzierten, immer wieder herrlich aufblühenden Spiel, das sich organischer entfaltet als während der ersten, mitunter schleppenden Szenen. Auch die Gralserzählung wird mit Sinn für klangliches Raffinement sensibel begleitet. Es sind gleichsam alternative Fakten, aus denen Lohengrin dabei seine Geschichte formt, die den mörderischen Usurpator als gottgesandten Heilsbringer darstellt.

In buchstäblich anderem Licht erscheint dabei der waldige Bühnenhintergrund plötzlich als fotografisches Negativ mit der Umkehr aller (Farb-)Werte: weiß ist das Schwarze und schwarz das Weiße (Licht: Peter E. Younes). Doch nicht als bewusste Täuschung, sondern als eigene Wahrheit entwirft Klaus Florian Vogt Lohengrins Erzählung wie eine biographische Silberstiftzeichnung von vollendetem Geschmack: Sicher in der Tongebung, vorbildlich in der Artikulation und Feinheit der musikalischen Ausformung.

Christian Gohlke | 20.3.2025

concerti.de

Nur der Schwan war Zeuge

Auf der Bühne des Gran Teatre del Liceu in Barcelona ist der Schwan in der neuen „Lohengrin“-Inszenierung von Katharina Wagner nicht schneeweiß, sondern rabenschwarz. Und nicht nur er kommt anders als erwartet daher, hat allerhand zu tun und lebt gefährlich. Am Ende wird er von Lohengrin sogar abgestochen. Der Schwan ist diesmal Zeuge eines Mordes, und Ortrud sorgt am Ende dafür, dass der auch ans Licht kommt. Lohengrins Frageverbot hat es hier tatsächlich in sich. Die Geschichte seines Rettungsauftrages, den ihm der Gral erteilt hat und die Klaus Florian Vogt mit gewohnter Schwanenritter-Extraklasse formvollendet zum Besten gibt, ist zwar ziemlich extravagant (und man kann sie glauben oder auch nicht), aber sie hat an sich nichts Kriminelles.

Der Schwanenritter will die Macht
Diesmal aber muss er sich mit dem Frageverbot schlicht und einfach vor einer Mordanklage schützen; diesmal ist das Frageverbot für ihn überlebenswichtig. Schon während des Vorspiels sieht man, wie er sich an die beiden vom Spielen müden und eingeschlafenen Geschwister Elsa und Gottfried heranmacht, Gottfried aufweckt, zum Spielen verführt und ihn dann im Teich ertränkt. Die Krone, mit der der Junge gespielt hat, versteckt er, das Wappen von seiner Jacke wirft er weg. Hier will einer skrupellos die Macht in Brabant an sich reißen.

Tatort Teich
Ein aparter Clou der Inszenierung ist der schwarze Schwan. Im düsteren Wald von Marc Löhrer wird der von seinem Hügelplatz aus nicht nur Zeuge des Verbrechens, er hilft auch aktiv bei dessen Aufklärung, kann er doch mit dem Kopf nicken und mit den Flügeln schlagen. Er verweist immer wieder auf den Tatort Teich. Bei der Aufklärung übernimmt Ortrud die Hauptrolle. Sie hat einerseits (wie immer) ihre eigene Machtagenda. Sie will lieber mit ihrem Mann über die Brabanter herrschen, als sie für König Heinrich gegen den Feind, der sie noch nie bedroht hat, in den Krieg ziehen zu lassen. Es ist schon beeindruckend, wie sie den Brabantern, die sich nach anfänglichem Zögern die Uniformen des Königs haben aufzwingen lassen, wieder vom Leib zu reißen versucht. Sie wird hier auch „beweisen“, dass sie es nicht war, die Gottfried verschwinden ließ. Hier bilden die beiden Telramunds eine Soko, die ganze Aufklärungsarbeit leistet.

Bösewicht Lohengrin?
In der Brautgemachszene überzeugen Telramund (der offenkundig sowieso eine Schwäche für Elsa hat) und Ortrud die Braut mit den gesammelten Indizien (die versteckte Krone des Opfers, das Wappen des Täters) davon, dass Lohengrin Gottfried auf dem Gewissen hat und sie ihn nur noch mit einer direkten Frage zum Geständnis zwingen muss. Geahnt hat sie das von Anfang an. Elisabeth Teige ist nicht nur eine lyrisch kraftvoll aufstrahlende Elsa, sie spielt auch durchweg überzeugend die junge Frau, die erst bedroht und dann in eine Ehe gezwungen wird. Mit einem Mann, der ihr von Anfang an irgendwie verdächtig ist und sie geradezu an seine Seite zwingt. Klaus Florian Vogt überrascht geradezu damit, dass er auch den Bösewicht glaubwürdig spielen kann, während er gleichzeitig demonstriert, dass er der Lohengrin-Sänger ist, an dem sich heute immer noch jeder messen lassen muss.

Die Ortrud der Miina-Liisa Värelä ist eine Sensation
In dieser Inszenierung zwischen düsterem Wald mit Teich und Hügel und den drei von oben einschwebenden, steril weißen Schlafzimmerboxen in der Höhe kommt es besonders auf Ortrud und Telramund an. Der Isländer Ólafur Sigurdarson fügt der exzellenten Diktion seiner Charakterstimme als Friedrich eine differenzierte innere Zerrissenheit hinzu. Ihm passt schon die Anklage Elsas vor dem Gottesgericht nicht wirklich, aber er steht da noch voll unter der zupackenden (auch erotischen) Dominanz seiner Frau.

In dieser Rolle ist Miina-Liisa Väreläeine Sensation. Mit auftrumpfender vokaler Vehemenz und darstellerischem Charisma samt glaubwürdiger Wandlung, wenn sie die eigenen Machtambitionen mit echter Hilfe für Elsa verbindet. Mit gezücktem Messer ist sie es, die Lohengrin am Ende vor den König führt, wo er erst in den Wahnsinn (der hier phantasierten Grals-Story) und dann in den Selbstmord flüchtet. Er kann noch die von Ortrud als letzten Beweis herbeigeschaffte Wasserleiche Gottfrieds geradezu zynisch zum Schützer von Brabant erklären, bevor er stirbt und Ortrud dem König herausfordernd die Stirn bietet

Komplexe Genese der Inszenierung
Man kann die Regisseurin gut verstehen, wenn sie hier zumindest für die Premiere auf dieser Ortrud-Interpretin bestanden hat. Dass dann die Schwedin Irene Theorin diese Rolle übernimmt, hat auch mit der Geschichte dieser Inszenierung zu tun. Sie war ursprünglich vorgesehen und vom Liceu engagiert, als dann vor fünf Jahren Corona dazwischen kam und die Inszenierung in die Warteschleife bugsierte, aus der sie im zweiten Anlauf auch in Leipzig nicht entkam, weil man dort technisch nicht in der Lage war, das Bühnenbild herzurichten. Kann gut sein, dass ein Teil der Buhs für das Regieteam aus dieser speziellen Vorgeschichte resultiert.

Der zupackende „Lohengrin“-Klang passt zur spannenden Inszenierung
Das Protagonistenensemble wird von Günther Groissböck als dezidiert um herrischen Auftritt bemühten König Heinrich und Jürgen Terkel als Heerrufer ergänzt. Die Katalanen übersetzten seine Rolle mit Herold – auf der Bühne gibt er leider wirklich nur noch den Rufer. Imponierend sind die Präzision und Wucht der Chöre, die naturgemäß auch hier auch mal so aufmarschieren, dass man mühelos die Truppenstärke von 80 Köpfen erfassen kann. Josep Pons leitet das Orquestra Simfònica del Great Teatre del Liceu betont präzise, unterschlägt aber auch den silbrigen Glanz etwa des Vorspiels oder die Romantik vor und während Elsas „In lichter Waffen Scheine“ nicht. Hier steigt ein betont zupackender „Lohengrin“-Klang aus dem Graben auf, der zu der spannenden Inszenierung und der detaillierten Personenregie gut passt. Und das Pro und Contra für eine ambitionierte Regie gehört bei Wagner eh dazu. Da geht es Katharina nicht anders, als es Richard ging.

Joachim Lange | 18. März 2025

deropernfreund.de

Der lange in Barcelona erwartete neue Lohengrin in der Regie von Katharina Wagner – er wurde wegen der Pandemie bis jetzt verschoben – war einmal mehr ein bisweilen krampfhaft wirkender Versuch, das Regisseurs-Theater in den Exzess zu treiben. Ähnlich wie bei Jossi Wieler, Sergio Morabito und Anna Viebrock bei ihrem Salzburger Lohengrin, den der Wiener Staatsoperndirektor trotz seiner Überzeugung, dass im Musiktheater das, was man im hässlichen Neudeutsch als Neulesung oder gar Überschreibung bezeichnet, nicht gehe, an das Haus am Ring geholt hat, wird hier die Geschichte auf den Kopf gestellt.

In dem musikalisch so herrlich zur Einstimmung auf das Stück angelegten Vorspiel wird gleich fast ein ganzer Akt hinzugefügt, der zunächst Elsa und Gottfried im Wald in geschwisterlicher Eintracht zeigt, bis Lohengrin in Jeans auftaucht und Gottfried langsam, aber sicher im Teich ertränkt. Diesmal ist also anders als in Salzburg und Wien nicht Elsa sondern sogar Lohengrin der Mörder – man kann es kaum fassen! Ein schwarzer (mechanischer) Schwan beobachtet die Mordtat und ist im weiteren Verlauf immer wieder zu sehen, ein von Lohengrin logischerweise verhasster Zeuge seiner Tat. Das bringt dem Schwan sogar einmal das Verschwinden in einer Kiste ein, von denen 40 bis 50 immer wieder vom Chor rumpelnd auf der Bühne hin und her manövriert werden, zum Abwinken!

Manches wirkt da schon wie Slapstick, wenn nicht Lohengrin während der Gralserzählung erst den Schwan liebkoste, der anstelle Telramunds unter dem Leichentuch hervorkommt, ihn dann aber noch während der Erzählung mit drei Messerstichen tötet. Das sei nun ein Beispiel für viele Momente und „Ideen“, wie massiv gegen das Stück und den Text inszeniert werden, und last but weiß Gott not least, noch heftiger gegen die Musik. Katharina Wagner macht hier mit ihrem Dramaturgen Daniel Weber eigentlich ein Theaterstück namens „Lohengrin“ und scheint selbst als Urenkelin Richard Wagners dabei zu vergessen, dass es sich um die Kunstgattung Musiktheater handelt, bzw. blendet das bei der insgesamt auch letztlich unstimmigen Dramaturgie aus. Im Vordergrund stand wohl wieder einmal der Versuch, etwas ganz „Neues“, oder wie man am Hügel oft gehört, Spannendes zu machen. Allein, es wirkte bisweilen gar langwellig!

Ein Buhorkan selbst des ansonsten nicht so sehr dafür bekannten Publikums von Barcelona war die Folge, den Katharina Wagner mit dem leading team natürlich lachend entgegennahm. In Deutschland wäre das sicher noch viel mehr gewesen, aber hier war die Ablehnung selbst bei dieser Regie und Ästhetik wirklich überraschend.

Das Sängerensemble war im Prinzip und naheliegenderweise eine Bayreuth-Auslese. Exzellent in der Titelrolle wie immer Klaus Florian Vogt mit dem für den in A-Dur agierenden Lohengrin passenden Timbre; sehr gut Miina-Liisa Värelä als Premieren-Ortrud (später singt das Irène Theorin); eindrucksvoll und souverän Günther Groissböck als König Heinrich; gut, aber nicht überragend Elisabeth Teige als Elsa und stimmlich mehr Alberich als Telramund Ólafur Sigurdarson, der auch wie Alberich behandelt wurde und eher ins Charakterfach weist, mit viel Sprechgesang. Roman Trekel als Heerufer ist weit über seinen Zenit. Ein sehr gut singender, aber schlecht choreografierter Chor unter Pablo Assante. Josep Pons sorgte mit dem Orquestra Simfònica del Gran Teatre del Liceu für einen weitgehend guten Lohengrin-Sound.

Klaus Billand | 18. März 2025

Münchner Merkur

Tatort Brabant

Nach bestem „Tatort“-Drehbuch passiert der Mord. Vier, vielleicht fünf Minuten verbreitet ätherisches A-Dur Gralsatmosphäre, da geht Lohengrin dem Herzog an die Gurgel. Gottfried wird im Teich untergetaucht, der junge Thronfolger kann sich nicht wehren. Ein Griff nach der Herrschaft von Brabant, beobachtet ausgerechnet von einem schwarzen Schwan – das possierliche Tier wird zum Kronzeugen und, man ahnt es, ein weiteres Opfer des angeblichen Ritters.

Ein Stück von rechts auf links krempeln, das ist bei Richard Wagners Urenkelin nichts Neues. Schon bei ihrer ersten Regie-Tat in Würzburg hat Katharina Wagner im „Fliegenden Holländer“ Daland als bösen Tochterverkäufer gezeigt. Hier, beim „Lohengrin“ am Gran Teatre del Liceu, ist es ein machtlüsterner Fremder, dessen weißer Roland-Kaiser-Gedächtnisanzug über seine wahre Gesinnung hinwegtäuscht. Vor fünf Jahren sollte diese Inszenierung schon in Barcelona herauskommen, Corona verhinderte dies. Ein zweiter Anlauf in Leipzig scheiterte. Die Bühnentechnik, so hieß es, war mit dem Setting (unter anderem ein tiefer, fahrbarer Teich) überfordert.

Ein Coup: Miina-Liisa Värelä als Ortrud
Warum der Titelantiheld mit Frageverboten auf Anonymität besteht, das hat Katharina Wagner offenkundig gefuchst. In vier Stunden zeigt sie die Aufklärung eines Mordes, vorangetrieben ausgerechnet von Ortrud, sonst gern als bizarre, tonkeifende Frau vorgeführt. In Barcelona übernimmt das Miina-Liisa Värelä. Die Finnin, ab Sommer 2026 unter anderem Münchens neue Brünnhilde, ist eine Hochdramatische par excellence. Mit reichem Timbre, müheloser Expansionskraft und, was in diesem Fach weniger häufiger ist, Darstellungslust. Schon ab der zweiten Aufführung wird sie in Barcelona von Iréne Theorin ersetzt. Das Haus wollte der von teils weit her eingeflogenen Premierengemeinde offenbar die Schwedin nicht zumuten – eine schräge, unverständliche Situation.

Värelä zur Seite: der stückangemessen entscheidungsschwache, umso stimmstärkere Olafur Sigurdarson als Telramund. Eine Neubewertung erfährt an dem Abend auch Elsa. Eben noch zum Galgen geführt und nach ihrem erträumten Retter barmend, wird sie von Lohengrin umklammert und in die Ehe geschleift: Der Mann braucht zur Führung in Brabant schließlich die junge Frau, der schnell Schlimmes schwant. Elisabeth Teige gestaltet das eher als herbes Gesamtkunstwerk, bei der Intonation sollte man nicht immer (Premierenstress?) zu genau hinhören.

Die Umwertung von Weiß auf Schwarz: Geht das auf? Drei Akte lang wird die (später höchst empörte) Gala-Gemeinde dieser Frage ausgesetzt. Kleiner Spoiler: Es funktioniert weitgehend. Ein paar (Libretto-)Details hängen zwar in der Luft, manches ist auch behauptet, weniger entwickelt. Die Männerchöre verharren gern in oratorischer Front. Im Grunde verfällt Katharina Wagner auf einen alten Trick. Durch die Behauptung des Gegenteils schälen sich ungeahnte, durchaus schlüssige Figurenaspekte heraus. Marc Löhrer hat dafür eine Einheitsbühne entworfen. Ein düsterer Kinowald à la „Blair-Witch-Project“, in dem Lohengrin auch die vervielfältigten Visionen des gemordeten Gottfried begegnen. Zweimal senkt sich eine Dreiraum-Wohnung herab, in der sich die so verschiedenen Szenen einer Ehe von Lohengrin/Elsa und Ortrud/Telramund aufdröseln lassen.

Nie war Klaus Florian Vogt besser
Besonders zugute kommt der Abend Klaus Florian Vogt, tenorklangtechnisch auf Lichtgestalten abonniert. Der ewige Lohengrin entdeckt nun hier die anderen, verkniffenen, härteren Seiten der Rolle. Manches ist auch bewusste Komik, wenn der allwissende Schwan, eine bewegliche Tierpuppe, von der Bühne gescheucht und später in eine Truhe gesteckt wird. Lohengrins Gralserzählung, nicht nur Ortrud weiß es, ist eine einzige Lüge. Oder vielleicht der Beleg, dass Papa Parsifal samt seinen Jüngern die Welt mit Verbrecherischem überzieht.

Dazu passt, dass Vogt seit einigen Jahren stabile Heldentöne in den Raum klotzen kann. Eine enorme Bandbreite vom Mezzavoce-Säuseln bis zur Dramatik: Nie war dieser Sänger besser in seiner Lebensrolle. Zwei Kollegen allerdings können nur schwer zum Rest-Cast aufschließen. Roman Trekel (Heerrufer) ist immerhin ein kluger Verwalter seines eng und porös gewordenen Baritons. Und Günther Groissböck ist als fieser König-Typ mit Blondscheitel und Soldatenmantel ideal, findet aber aus seiner Stimmverspannung kaum heraus. Josep Pons dirigiert unstet, ein Stop-and-go, das vor allem in seinen Verbreiterungen nicht zur Watte-Akustik des Liceu passt. Sein Orchester, nicht gerade mit übergroßer Wagner-Tradition gesegnet, schlägt sich mehr als wacker.

Nachdem Lohengrin in Akt drei an Telramund seinen zweiten Mord begeht, wird er von Ortrud mit vorgehaltenem Messer vor König und Volk gezwungen. Die Zivilermittlerin von Brabant schleift das entscheidende Beweisstück hinter sich her, gerade hat sie den toten Gottfried Teich entdeckt. Um das Konzept zu wahren, lässt Katharina Wagner ihren Schwanenritter ganz allein auf weiter Liceu-Bühne eine Vision erleiden und sich, nach Meucheln des Schwans, die Pulsadern aufschlitzen. Nix Romantik, nix Melancholie. Mit der Lust, bei den Werken ihres Uropas wider den Stachel zu löcken, hat Katharina Wagner Barcelona kaum nachlassende Premierenspannung beschert. Und die Buh-Rufer haben den „Lohengrin“ wohl missverstanden. Der bleibt schließlich Wagners erlösungsloses und damit schwärzestes Stück.

Markus Thiel | 20.03.2025

Die Welt

Katharina Wagner macht Lohengrin zum Schwanenmörder

Mein lieber Schwan! Der Vogel ist heute, in Hardcore-Regietheaterzeiten, nur noch selten als Transporttier für Gralsritter auf Freiersfüßen oder auf Jungfrauenrettungsmission bühnenpräsent. In Barcelona freilich ist er wirklich ein tierisch lebensechtes Vieh. Zumindest so realistisch wie ihn katalanische Theaterplastiker hinbekommen haben. Nur schwarz ist er.

Dabei inszeniert die Festspielhügelherrin Katharina Wagner am Gran Teatre del Liceu in Barcelona nicht „Schwarzschwanenreich“, die gruselige Tierwandlerparabel ihres Großvaters Siegfried. Sie hat sich vielmehr mit erstaunlich quietschfreier Konsequenz den „Lohengrin“ des Urgroßvaters Richard konzeptionell zurechtgebogen..

„Lohengrin“ ist das einzige Stück aus dem Familienrepertoire, das Katharina bereits einmal ausgedeutet hat. 2004 war das, am Erkeltheater, dem zweiten Staatsopernhaus in Budapest. Damals, Schauplatz war ein Parlamentsplenarsaal, ging es in ihrer erst zweiten Regiearbeit sehr politisch zu. Deshalb sollte es 2016 am Nationaltheater Prag eine mehr privat-dynastische Familienaufstellung werden. Der desolate technische Zustand der tschechischen Bühne verhinderte das. Stattdessen zeigte sie ein kurioses Reanactment des „Lohengrin“, den ihr Vater Wolfgangs 1967 auf dem Grünen Hügel angerichtet hatte.

Einen zweiten Anlauf gab es im März 2020 am Gran Teatre de Liceu in Barcelona, nicht nur die Wagnerhochburg Kataloniens, sondern ganz Spaniens. Dessen Premiere wurde zwei Wochen vorher von der Pandemie ausgebremst. Und auch die für 2022 geplante Koproduktion mit der Oper Leipzig kam nicht zustande: Die in Barcelona nicht ganz fertig gewordenen Kulissen konnten nicht mehr komplettiert werden.

Also gingen deren Container zurück ans Mittelmeer, ein neuer Premierentermin wurde am ziemlich unflexiblen Stagione-Haus erst 2025 gefunden. Immerhin hatte Katharina Wagner in der Zwischenzeit Muße, ihr „Lohengrin“-Konzept noch etwas abzuschmecken und zu verfeinern.

Allerdings sind auch einige der damals schon verpflichteten Sänger fünf Jahre älter geworden. Das wirkt sich besonders beim Heerrufer von Roman Trekel aus, von dessen Bariton man fast nichts mehr hört. Aber auch beim eigentlich verlässlichen Günther Groissböck als eher zurückhaltendem König Heinrich ist ein deutlicher Volumenverlust bei eingeschränkter Höhe bedenklich erkennbar.

Schon bei geschlossenem Vorhang sucht sich Herzog Gottfried mit Holzschwert und Kinderkrone an den Samtbahnen entlang und mit Elsa im Schlepptau seinen Weg in den dann grauen, kahlstämmigen Märchenwald mit Echtwasserteich. Marc Löhrers zauberisch vernebelte Bühne sieht ein wenig aus wie die historische Wandeldekoration im ersten „Parsifal“ außerhalb Bayreuths. Den sah man hier am 1. Januar 1914 um 00.01 Uhr, 30 Jahre nach Richard Wagners Tod. Da war die Schutzfrist abgelaufen, die das Stück exklusiv für die Festspiele reservierte. Cosima Wagner war sehr verärgert.

Schnell geht es im heutigen „Lohengrin“ sehr kriminell zu: Noch während des sich langsam ausdünnenden Vorspiels schläft Elsa ein, Gottfried wird von einem sich nähernden Fremden, Lohengrin, ins Wasser gelockt und ertränkt. Freilich beobachtet vom ebenfalls schon anwesenden Schwan, der sich aufgeregt plustert. Er wird im Folgenden immer wieder Lohengrin als Menetekel und personifiziertes schlechtes Gewissen erscheinen. Um ihn mit der Erinnerung an seine Untat zu quälen.

Katharina Wagner, die bohrend fragt, woher Lohengrin kommt und was er wirklich will, stürzt nicht nur das Denkmal vom unbefleckten Helden. Sie beschmutzt auch den makellosen Rollenruf von Bayreuths blonder Tenorstütze Klaus Florian Vogt, der hier mit Wonne – und zum Kummer so mancher Anhängerin – den machtgierigen Widerling gibt.

Lohengrin geht über Leichen
Dieser Lohengrin geht über Leichen. Fürstentochter Ortrud und ihr Lover Telramund – gesungen von der famos dramatisch Flüche speienden Miina-Liisa Varälä im rotgeschlitzten Samtkeid und dem kumpelhaften, doch auch trompetend auftrumpfenden Ólafur Sigurdarson – steigen schnell zu den Stars der Anti-„Lohengrin“-Show auf. Weil sie gar nicht böse sind, sondern was wissen wollen, dem unsympathischen Gralsritter auf der Spur sind. In ihrer großen, sinister-düsteren Szene am Anfang des zweiten Akts steckt ihnen der Schwan so einiges zu, und auch Gottfrieds Krone fischen sie nach eifrigem Schlammstochern aus dem trüben Teich.

Nun findet Josep Pons mit seinem Orquestra Simfòniqua del Gran Teatre del Liceu endlich einen richtig ausbalancierten Wagner-Tonfall, ist nicht, je nach Laune, ohne Folgerichtigkeit mal zu schnell, mal zu langsam. Der reaktionsbereite, gern an der Rampe sich aufbauende Chor gefällt. Im dritten Akt strahlen Vogt und Elisabeth Teige (Elsa), die vorher vokal etwas eingetrübt war und nicht ihren besten Sopranistinnentag hatte, am schönsten und intensivsten.

Die Parabel mutiert zum Tiermordkrimi, wenn Lohengrin ausdauernd auf den lieben Schwan einsticht und sich so sehr höhnisch-zynisch bedankt. Doch irgendwann schneidet er sich reumütig und sühnebereit die Pulsadern auf. Ein letzter Rest von Gralsritter-Gentleman steckt eben doch noch in ihm. Dafür gibt es einige Publikumsproteste; aber auch Beifall.

Was aber soll Katharina Wagner auf so kontaminiertem Gralsburggelände machen? Die Benediktinerabtei Santa Maria de Montserrat, Kataloniens Nationalheiligtum, in der Heinrich Himmler 1940 in Hitlers Auftrag den heiligen Gral suchte, liegt etwa 40 Kilometer nordwestlich von Barcelona. Im Dom von Valencia soll noch ein angeblicher Gralskelch stehen. Und zur „Lohengrin“-Generalprobe kam aus Mallorca sogar Katharina Wagners Cousin, Onkel Wielands Sohn. Nach dessen Ziehonkel Adolf, dessen Kosename „Wolf“ war, ist er Wolf-Siegfried benannt. Zum Glück für ihn wird er nur Wummi gerufen.

Da kann man eigentlich nur zum „Lohengrin“-Mord auf offener Bühne schreiten. Und den hat diese gern lustvoll gedisste Regisseurin gar nicht so schlecht ausgeführt. Auch wenn sie darauf neun Jahre warten musste.

Manuel Brug | 21.03.2025

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Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 493 MiB (MP3)
Remarks
Broadcast (Catalunya Música)
A production by Katharina Wagner (premiere)
Miina-Liisa Värelä replaces Iréne Theorin as Ortrud.