Die Meistersinger von Nürnberg
Peter Schneider | ||||||
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Hans Sachs | Wolfgang Brendel |
Veit Pogner | Kurt Rydl |
Kunz Vogelgesang | John Dickie |
Konrad Nachtigall | Boaz Daniel |
Sixtus Beckmesser | Hans-Joachim Ketelsen |
Fritz Kothner | Wolfgang Bankl |
Balthasar Zorn | Cosmin Ifrim |
Ulrich Eißlinger | Benedikt Kobel |
Augustin Moser | Peter Jelosits |
Hermann Ortel | In-Sung Sim |
Hans Schwartz | Goran Simić |
Hans Foltz | Janusz Monarcha |
Walther von Stolzing | Johan Botha |
David | Herwig Pecoraro |
Eva | Anja Harteros |
Magdalene | Cornelia Salje |
Ein Nachtwächter | Walter Fink |
Von Glühwürmchen und Dachlawinen
Glühwürmchen hatte man an diesem Sonntag keine zu gegenwärtigen, nur Dachlawinen. Und weil Dachlawinen weniger poetischen Reiz ausstrahlen als Glühwürmchen, deshalb hat Wagner seine Meistersinger auch im Frühsommer und nicht im Spätwinter angesiedelt…
Aber egal, der Sachs von Wolfgang Brendel hat solche vertrackte Apologetik nicht notwendig, er verlässt sich auf die zureichende Charakterisierungskunst Wagners und schafft einen Sachs, der „in persona“ die Opernbühne erklimmt, um zwischen Midlife-Crisis und höherem künstlerischem Selbst auf die integre moralische Zielgerade seines Tun und Handelns einzuschwenken. Der Sachs Brendels besitzt intellektuelles Raffinement und verhaltene Leidenschaft, und er vermag es, über Stadt- und Weltchroniken ebenso glaubhaft zu brüten, wie den Beckmesser vorsätzlich und boshaft in die „Preislied“-Falle zu locken. Sein Sachs ist eine psychologische Meisterleistung bis ins kleinste Detail. Mag sein, dass einem die Vielschichtigkeit des Charakters, wie ihn Brendel vorstellt, schon wieder „zu viel“ ist, aber die Plastizität, die er derart einer Bühnenfigur verschafft, kommt den vertrackten Beziehungs- und Lebensverhältnissen „wirklicher” Menschen schon sehr nahe. Da geht einem Sachsens ganzer grüblerischer Zwiespalt und Liebes-Wahn erst richtig auf – und der dritte Aufzug, die Schusterstube, wenn sich seine Tragik so recht entfaltet, war denn auch eine Art von psychologischem Laboratorium, wo Brendel seine unterschiedlichen Gefühle eindringlich zur Darstellung bringen konnte.
Brendel überlässt sich dabei aber kaum dem augenblicklichen Affekt, die Ratio eines gewieften Sängers scheint noch kontrollierend über all das zu wachen, die Ökonomie des stimmlichen Einsatzes ebenso steuernd wie die nächste Handbewegung. Das mitreißende seiner Darstellung schöpft sich weniger aus einer sich unmittelbar mitteilenden Spontanität, denn aus einer ausgetüftelten Symbiose von Schauspiel und Gesang, von körperlicher Gestik und sprachlichem Ausdruck. Jedes Wort hat hier Gewicht, jede Bewegung Sinn – vorgetragen und gespielt in einem „natürlichen” Fluss, der jede „opernhafte” Allüre weit hinter sich lässt. Brendel, der die Aufführung am Drei-Königs-Tag noch krankheitshalber abgesagt hatte, befand sich auch stimmlich in prächtiger Form, einschließlich Schlussansprache.
Als Stolzing präsentierte sich Jeffrey Dowd erstmals dem Wiener Publikum. Er war für Peter Seiffert eingesprungen, der, aus welchen Gründen auch immer, alle drei Vorstellungen abgesagt hatte. Dowd – ohne ihn ungerechter Weise mit dem fulminanten Johan Botha messen zu wollen, der die erste Vorstellung gesungen hat und am Donnerstag wieder singen wird (so nichts dazwischen kommt) – zeigte sich als technisch gefestigter, aber noch zu eindimensionaler Sänger. Sein jugendlicher Tenor verfügt über Durchhaltevermögen und eine etwas tiefer liegende heldische Basis, die nicht zu verachten ist. Die Stimme selbst klingt etwas beengt und „monochrom“ und entbehrt leider jeglicher Strahlkraft in der schon schwerer erreichten Höhe. Die Staatsoper ist noch zu groß für sie. Dowd singt aber – bis auf die Höhen – durchaus unforciert und von einer sicheren Grundlage aus. Ich denke mir, dass er in kleineren Häusern ganz guten Effekt macht, und er hat die Partie in Summe auch ohne gröbere Probleme und ohne Überforderung bewältigt. Dass er insgesamt ein wenig hölzern wirkte, wird man auch leicht mit der besonderen Situation seines Debüts erklären können.
Den Beckmesser von Hans-Joachim Ketelsen habe ich nicht sehr goutiert – auch wenn man ihm grundsätzlich wenig „ankreiden“ kann. Vielleicht hat mich auch die Ernsthaftigkeit irritiert, mit der er das beamtete, flache Dasein eines Stadtschreibers herausgekehrt hat, der sich zwar in der Meistergesangs-Bürokratie auskennt wie kein zweiter, dem aber sein brautwerberisches Melos im Faszikelstaub erstickt. Ketelsen war auch nicht so darauf aus, dem Wortwitz dieser Bühnenfigur nachzujagen, und hätte auch mehr die karikaturhaften Seiten Beckmessers pflegen können.
Die Eva der Anja Harteros hat jenen sinnlich mädchenhaften Klang, den man sich beim „Evchen“ wünscht, die Grenzen zeigten sich dann aber deutlich im dritten Aufzug, wo die Stimme die Mädchenhaftigkeit schon ein wenig zum Dramatischen hin abstreifen müsste. Aber so fundamentiert scheint mir die Stimme wieder nicht zu sein. Harteros konnte im dritten Aufzug die gefühlsmäßige Spannung sehr gut deutlich machen und wie sie sich schmerzvoll dem Sachs an den Hals warf, wirkte schon sehr spontan – vielleicht war es das auch – und brachte die emotionale Krise auf den Höhepunkt.
Wer bleibt noch übrig? Die gelungene Magdalena von Cornelia Salje, der manchmal im Klang schon zu charakterscharfe David von Herwig Pecoraro, der stattliche Pogner von Kurt Rydl, der mächtige Nachtwächter von Walter Fink? Jedenfalls das Orchester unter Peter Schneider, dem der dritte Aufzug, vor allem die Schusterstube, sehr gut gelang, wo sich das Orchester und Bühne plötzlich zu einem flüssigen Spiel zusammenfanden, das auch die Streicher mit jenem romantisch weichen, warmen und dabei immer noch vollen Klang umschmeichelten, nach dem man süchtig werden kann. Davor setzte Schneider viel zu oft auf Lautstärke – und forcierte damit eine nicht immer ausgewogene Klangbalance.
Der Applaus, vor allem für Brendel, war sehr stark. Der drohende montägliche Arbeitstag trieb das Publikum gegen halb Elf aber schnell aus dem Haus – mitten in einen eher untypischen, heftigen Jännerregen hinein.
Dominik Troger | Wiener Staatsoper 11.1.2004