Die Meistersinger von Nürnberg
Marcus R. Bosch | ||||||
Chor und Orchester des Staatstheaters Nürnberg | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Hans Sachs | Albert Pesendorfer |
Veit Pogner | Guido Jentjens |
Kunz Vogelgesang | Christoph Wittmann |
Konrad Nachtigall | Kurt Schober |
Sixtus Beckmesser | Jochen Kupfer |
Fritz Kothner | Martin Berner |
Balthasar Zorn | Martin Platz |
Ulrich Eißlinger | Philip Carmichael |
Augustin Moser | Martin Nyvall |
Hermann Ortel | Yong Jae Moon |
Hans Schwartz | Vladislav Solodyagin |
Hans Foltz | Daeyoung Kim |
Walther von Stolzing | Michael Putsch |
David | Tilman Lichdi |
Eva | Michaela Maria Mayer |
Magdalene | Leila Pfister |
Ein Nachtwächter | Randall Jakobsh |
Shakespeare blinzelt durch die Mittsommernacht: David Mouchtar-Samorai inszeniert, Marcus Bosch dirigiert Wagners „Meistersinger“ in Nürnberg
Lange Jahre, ich möchte behaupten seit den besten Tagen von Hans Gierster, war das Orchester der Nürnberger Oper nicht mehr in solch exzellenter Form zu erleben, wie bei der „Meistersinger“-Premiere unter seinem neuen GMD Marcus Bosch, als – nomen est omen – zur Staatsphilharmonie Nürnberg aufgewerteter Klangkörper. Der Tag der offenen Tür in Nürnberg fiel zusammen mit der Eröffnungspremiere dieser Spielzeit, und so wurden die Türen zum Opernhaus virtuell geöffnet als ein Public Viewing auf dem Sebalder Platz. Und auch szenisch hat die Oper der mittelfränkischen Metropole nunmehr Staatstheaterniveau erreicht.
David Mouchtar-Samorai, mehr im Schauspiel zuhause als in der Oper, kehrte in seiner Inszenierung die Nähe von Wagners zweiter heiterer, wenn auch nicht dezidiert komischer Oper hervor. Ist doch die Johannis-Nacht des zweiten Aufzugs nichts anderes als die Mittsommernacht, wie in Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“, der in Martin Wielands Übersetzung auch „Ein St. Johannes Nachts-Traum“ heißt. Mit dem hilfreichen Kobold, den Hans Sachs im dritten Aufzug anspricht, könnte also durchaus auch Puck gemeint sein, – und der tritt in der Nürnberger Neuinszenierung leibhaftig in Erscheinung, poltert mit anderen Kobolden in weißen Trikothosen und bläst Sachs’ blauen Iglu ebenso weg, wie die nur schematisch angedeuteten Hausdächer der Nürnberger. Die heidnisch-christliche Fürbitte des Nachtwächters (Randall Jakobsh) wird optisch eingelöst durch drei vorübertanzende Baum-Nymphen. Diese Dryaden erscheinen dann erneut, wenn Stolzing – mit Bezug auf die Nürnberger – konstatiert: „welch’ toller Spuk!“
Der von Wagner betonten Nähe seiner Opernhandlung zum antiken „Satyrspiel“ folgt der Einsatz von Böcken und Faunen am Ende des zweiten Aufzuges. Am Kulminationspunkt des Mittsommernachtstraums kullern mythische Liebespaare über den Boden, eine Nymphe reißt einem Satyr den gigantischen Phallus aus und verprügelt ihn damit, während Puck sich genüsslich zusammenkauert und während Shakespeare – als Projektion – dem Treiben durch die virtuellen Wipfel der Bäume zusieht.
Der Bezug zu den bei Shakespeare in der Schauspielkunst dilettierenden Handwerkern und den singenden Handwerkern bei Wagner wird trefflich herausgearbeitet. Bei Mouchtar-Samurai ist die Sangeskunst der Meistersinger durchaus auch eine szenische, eurhythmisch angehauchte Präsentationsform. Bei der Verlesung der Tabulatur gehen die Meister rabiat mit dem Eindringling Walter von Stolzing um, zwingen ihn wie einen Gefangenen in den Bewegungskanon ihrer Vereinsregeln.
Die von Wagner als „heilig“ beschworene (deutsche) Kunst ist für Mouchtar-Samorai aber stets auch bildende Kunst, und so assoziiert das Bühnenbild von Heinz Hauser, angereichert durch realistische und psychedelische Projektionen, pointilistische Farbsegmente à la Roy Liechtenstein, über einem mit grauen und schwarzen Punkten überzogenen Boden und allerlei zumeist kreisförmigen Durchblicken auf der luftigen Szene. Bezüge zu Nürnberger Kunstwerken werden gespielt (die Kreuzigung von Altdorfer) oder weiter entwickelt, wie die der auf dem Hauptmarkt realisierte Stuhlberg von Olaf Metzel, als legitimierende Projektion und reeller Nachbau, bereits in der Singschul’, wo Tänzer (als Lehrbuben) darauf turnen.
Der Bezug zur politisch fatalen Rezeptionsgeschichte dieser Oper wird in der im Heute angesiedelten Handlung nicht ausgeklammert. Beckmesser trägt auf seinem Jackett eine gelbe, den Judenstern assoziierende Blüte, und er steckt sich den Davidsstern im dritten Aufzug auch wirklich an, zumal er in Sachs’ rotem Schmuckkästchen einen solchen findet, neben einem muslimischen Gebetsteppich, einem Kreuz und dem (Nathanschen) Ring.
Der Besucher dieser Aufführung erlebt zahlreiche neue, zum Teil ganz zauberhafte und durchwegs sympathische Ideen. Wenn Magdalena ihrem David vorwirft, er habe sie in der Kirche eingeschlossen, wird ein Küster mit Schlüsselbund sichtbar. Sachs ist auch Chiromantiker, der Eva aus der Hand liest. Er ohrfeigt nicht nur David zum Gesellen, sondern auch Stolzing, als den Schöpfer einer neuen Weise, auf dem Wege zur Meisterschaft. Wenn Sachs bei seinem frustrierten Ausruf „Ich merk’: mach deine Schuh’“ Evas Brautschuhe wie Eselsohren an seinen Kopf hält, nimmt dies erneut Bezug auf die Handwerker-Ebene und die Figur des Zettel in Shakespeares „Sommernachtstraum“ als einer uneingestandenen dramatischen und dramaturgischen Vorlage Wagners zu seinen „Meistersingern von Nürnberg“.
Das Quintett wird hier als eine Komposition von Sachs gedeutet: der Schuhmacher und Poet verteilt Notenblätter an die Beteiligten. Das Volk auf der Festwiese wird zum heutigen Albtraum eines deutschen Volkes im Zeichen von König Fußball, – und in Nürnberg des 1. FCN, wie auch des traditionellen Faschings: schwarzrotgolden gewandet, ebenso geschminkt und Fahnen schwingend, das Treiben bei der Fußballweltmeisterschaft assoziierend. Auch die Tänzer, die die Aktionen der Zunftdarbietungen mimen (Choreographie: Joshua Monten), sind nun schwarz-rot-golden gekleidet.
Bei Sachs’ auf Drängen Cosimas von Wagner nachkomponiertem antifranzösisch- teutonischer Warnung, „Habt Acht, uns dräuen üble Streich’“, wendet sich das Volk von ihm ab, und Pogner (Guido Jentjens) will ihm Einhalt gebieten. Aber dann kehren die Festbesucher für den Refrain „Ehrt eure deutschen Meister“ doch zurück, nunmehr mit Europaflaggen, um das Schlussensemble im Disco-Stil zu vertanzen.
Bei aller Heutigkeit originell sind die Kostüme von Urte Eickert. Die Meister haben sich beim nächtlichen Spuk ihre schwarzen Mäntel über die weiße Nachtwäsche angezogen, am Morgen des Johannistages tragen Sachs und Walter Frottee-Bademäntel über ihrer Unterwäsche. Nicht nur Eva, auch Magdalena stechen mit ihren Bautkleidern auf der Festwiese ab. Einwandfrei bis großartig gesungen wird von den zahlreichen Solisten und dem von Tarmo Vaask trefflich einstudierten Chor und Extrachor des Staatstheaters Nürnberg. Besonderen Genuss bietet die souverän, die Partie des Hans Sachs in allen Facetten stimmlich ausleuchtende Interpretation des Bassisten Albert Pesendorfer.
Einen David auf dem Wege zum Stolzing bietet Tilman Lichdi; das Lied „Am Jordan St. Johannes stand“, mit meistersingerlichen Bewegungen und auch mit Luftsprüngen vorgetragen, wird zu einem neuartigen Erlebnis. Jochen Kupfer intoniert Beckmessers Ständchen zum pantomimischen Lautenspiel (und der dazu merklich verstimmt ertönenden Beckmesser-Harfe) und das karg begleitete Preislied belcantistisch, wie schubertschen Kunstgesang. Sehr jugendlich besetzt sind Eva mit Magdalena Maria Mayer und Magdalena mit Leila Pfister. Der amerikanische Tenor Michael Putsch als Stolzing gefällt mit verhaltenen Bravourtönen und ungewöhnlicher Spilastik bei den Strophen seines Preisliedes in der Schusterstube.
Bei der dritten Strophe von Stolzings Bewerbungslied im ersten Aufzug lässt Marcus Bosch die anderen Stimmen als Begleitmusik zurücktreten und rückt jenen Abgesang, der die Zentralidee aus Wagners unvertontem Drama „Wieland der Schmied“ aufgreift, deutlich in den Vordergrund. Bereits in der Ouvertüre bilden satte, überaus leuchtende Klänge ein Plädoyer für den offenen Orchestergraben und legen nahe, dass der Komponist die Orchestrierung seiner Partitur überarbeitet hätte, wenn er sie noch selbst – wie beabsichtigt – aus dem Bayreuther verdeckten Graben hätte erklingen lassen.
Sauberen, voluminösen Bläserchören im Vorspiel zum dritten Aufzug folgen als besonderer Höhepunkt die impressionistisch gedeuteten Nachklänge der Johannisnacht in Hans Sachs’ Wahn-Monolog – und spannen damit den Bogen zur szenischen Neuinterpretation.
Für zusätzliche Bewegung neben der lebendigen Personenführung sorgt am Premierenabend eine ferngesteuerte Kamera, die auf einer Schiene am Orchestergraben permanent hin und her fährt. (Der Premierenmitschnitt soll bereits im kommenden Monat auf DVD erscheinen.)
Große Begeisterung des Premierenpublikums, nur wenige Buhrufe für den Regisseur einer sehr lebendigen, in ihren Details überaus sympathischen Neuinszenierung von Wagners Oper am Ort ihrer gespielten Handlung.
Peter P. Pachl | 16.10.2011
Premiere, HO |
A production by David Mouchtar-Samorai
Also available as commercial video realease.