Die Meistersinger von Nürnberg
Daniel Barenboim | ||||||
Chor der Staatsoper Berlin Staatskapelle Berlin | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Hans Sachs | Wolfgang Koch |
Veit Pogner | Kwangchul Youn |
Kunz Vogelgesang | Graham Clark |
Konrad Nachtigall | Gyula Orendt |
Sixtus Beckmesser | Markus Werba |
Fritz Kothner | Jürgen Linn |
Balthasar Zorn | Siegfried Jerusalem |
Ulrich Eißlinger | Reiner Goldberg |
Augustin Moser | Paul O’Neill |
Hermann Ortel | Arttu Kataja |
Hans Schwartz | Franz Mazura |
Hans Foltz | Olaf Bär |
Walther von Stolzing | Klaus Florian Vogt |
David | Stephan Rügamer |
Eva | Julia Kleiter |
Magdalene | Anna Lapovskaja |
Ein Nachtwächter | Jan Martinuk |
Die Brigade “Alte Recken” zieht in den Sängerkrieg
Deutschlandfahnen und Gay-Pride-Wimpel: Auch Berlins Staatsoper scheitert an Richard Wagners “Meistersinger von Nürnberg” – trotz Daniel Barenboim am Dirigentenpult und einer wirklich schönen Idee.
Die Kanzlerin fehlte. Dabei hatte man es sich so schön für sie ausgedacht. Beginn erst um 20.30 Uhr, nach sämtlichen Einheitsfeiern. Auf dass der zweite Akt freilich später enden müsste als bei Vorstellungen dieses Sechsstünders sonst üblich, sofern dieser in einem Rutsch aufgeführt wird. Der dritte Akt folgte erst am Mittag danach, als Nachschlag. Mit der leicht faulen Ausrede, man wolle die Zeit der Handlung – siehe Walther von Stolzings Arie “Morgendlich leuchtend” – in der Zeit der Aufführung einholen. Hans Sachs war Spätaufsteher!
Naja. Sängererschöpfung, ick hör dir trappsen! Durch den Zerfall der Premiere in zwei Teile (die folgenden Vorstellungen werden durchgespielt) dürfen vor allem die Protagonisten endlich einmal ausschlafen. Und kommen hier erstmals in den Fall, den grausam langen Schlussakt ausgeruht singen zu können. Nun aber: das Deutschlandfähnlein entrollt!
Die Wiedervereinigung hat wirklich stattgefunden!
Der Gottesdienst findet in einem großstädtischen Allzweckkonferenzraum statt, zu dem Daniel Barenboim mit der Staatskapelle festtäglich positiv, ja, hymnisch dankbar aufspielen lässt. Auf der Homepage der Staatsoper weist er selbstbewusst darauf hin, die Arbeit an der Staatsoper nach der Wende habe gezeigt, “dass die Wiedervereinigung Deutschlands wirklich stattgefunden hat”.
Dem ist wohl so. Denn auch die Berliner Staatsoper funktioniert seit der Wiedervereinigung als Gastierbetrieb mit internationalen Sängern. So wie jedes andere große Haus im In- und Ausland. Das war vorher anders.
Hut ab zum Wagner-Gebet. Nach einleitenden Meistersang-Lektionen des Lehrbuben David (charaktertenorös feingestrahlt: Stephan Rügamer) erfolgt der Auftritt einer Starparade besonderer Art. Es ist eine Art “Wagner-Brigade ‘Alte Herren'”. Als besonderen Gag hat sich Daniel Barenboim eine Riege legendärer Wagner-Sänger von einst eingeladen – für die sogenannten Kleinmeister. Einige ehemalige Siegfriede sind mit dabei: Siegfried Jerusalem (75) als inzwischen fast tonloser Balthasar Zorn. Auch ein Retro-Mime aus Bayreuth: Graham Clark (74), durchdringend wie eine Fahrradhupe (als Kunz Vogelgesang).
Einige gehen bereits am Stock. Ex-Klingsor Franz Mazura als Hans Schwarz ist 91 Jahre alt und vermutlich Deutschlands dienstältester aktiver Wagner-Sänger. Andere tönen liedhaft (Olaf Bär, 57, der Harald Schmidt immer ähnlicher wird, als Hans Foltz). Reiner Goldberg (75), ehemals selbst ein bedeutender Stolzing an der Berliner Staatsoper (und Georg Soltis Wunsch-Siegfried für Bayreuth) pikst in der Rolle des Ulrich Eisslinger sein “Hier!” so kurios steil in die dicker werdende Luft des Schiller-Theaters, als wolle er sagen: “Na also!”
Der Rentnerclub macht sich rüstig lustig
Recht hat er. Wenn Kwangchul Youn als ergrauter Pogner einmal den Text vergisst, wird ihm die fehlende Zeile von den umsitzenden Altmeistern lachend zugeraunt. Sie können das alles auswendig. Auch über Klaus Florian Vogt, der als Stolzing wie eine Oboe im Waldhornwald klingt, macht sich der Rentnerclub lustig. Das ist durchaus reizvoll angesichts der Tatsache, dass in Wagners Libretto ein Gesangsneuling vor einem Verein alter Säcke bestehen muss.
Leider steckt der Regieansatz von Andrea Moses im Gutgemeinten fest. Sie macht nicht genug aus diesem Kapital. Die Meister lässt sie als schwäbische Unternehmer vorm rotierenden Mercedes-Stern auftreten. (Oder ist hiermit das Europa-Center im alt-neuen West-Berlin gemeint? Oder beides?!) Im zweiten Akt sehen die Punks vom Breitscheidplatz so aus wie der Entertainer Harald Juhnke, wenn er einen auf cool machen wollte. Grundsätzlich: Punks auf der Bühne sollten mittlerweile verboten sein – so abgestanden sind sie.
Die leitmotivische Deutschlandfahne, in der sich Stolzing mit seiner Eva (enttäuschend textblass: Julia Kleiter) versteckt, bleibt bloße Behauptung. Auch die Mauerfallfeier einschließlich Gay-Pride-Fahnen, so wie man das hier am Ende der Prügelfuge sieht, steht unvermittelt im Raum herum. Überhaupt sieht diese deutsch bewimpelte, von Adriana Braga Peretzki großzügig kostümierte Produktion aus, als solle sie nach den Einheitsfeierlichkeiten gleich wieder entsorgt werden. Verfallsdatum: Morgen.
Hans Sachs, der – vor der Lichtreklame seiner Firma – eigentlich ein Stuttgarter Schuhimperium verkörpern müsste, schlägt trotzdem einen echten Latschen über den Leisten. Markus Werba als Beckmesser – mit liedhaft gepresster Lyrik – zieht für sein Ständchen ein puffhosiges Mittelaltergewand an. In der Gegenwart dieser Börsenwelt hat dies eigentlich nichts verloren. Es bleibt inkonsequent und unausgegoren.
Hans Sachs ist beinahe nicht mehr zu besetzen
Schon vor der etwas buchstabiert klingenden Prügelfuge im zweiten Akt war es musikalisch oft drunter und drüber gegangen. In Jan Pappelbaums scherenförmig auseinanderklaffendem Bühnenbild könnte kein Dirigent die Partitur koordinieren. Schwierige Voraussetzungen, zumal wenn man bedenkt, dass die Besetzung des Hans Sachs jede “Meistersinger” vor schier unlösbare Aufgaben stellt.
Die letzten richtig guten Sänger dieser Partie waren Friedrich Schorr und Paul Schöffler – und die sind bereits seit vielen, vielen Jahrzehnten tot. Bei Wolfgang Koch als Berliner Sachs-Debütant – er singt sonst Barak, Telramund, auch Wotan – fehlt es an stimmlicher Tiefe. Schade, dass sich der wunderbare René Pape noch immer nicht zu einem Sachs durchringen kann. Und dass für einen Spitzensänger wie Bryn Terfel offenbar das Geld fehlt. Oder die Connection.
Einen großen Moment hat Wolfgang Koch immerhin in Sachs’ Fliedermonolog, wenn Daniel Barenboim alles Tempo und alle Klanggewalt unversehens drosselt, herausnimmt und auf Tempo null schaltet. Da schenkt er dem Sachs einen stillen, lyrisch endlosen Moment.
Klaus Florian Vogt singt und strahlt und wird gefeiert
Ganz klar ist, dass Klaus Florian Vogt, der Stolzing, als festeste, deutsche Tenor-Bank und Basis jeder geretteten Wagner-Aufführung einmal mehr prunkt. An Vogts Knabentimbre scheint jeder Stimmbruch abgeprallt. Auf der Festwiese – vor dem Berliner Schloss – verwandelt er das Preislied in eine Lehrstunde hell-schönen Wagner-Gesangs. Wobei gerade die Altmeister staunen. Sie wirken zu diesem Zeitpunkt wie eine gigantisch vergrößerte Muppet-Loge voller Waldorfs und Statlers.
Vogt singt’s, strahlt und lässt sich anschließend mit Daniel Barenboim feiern. Der hatte im dritten Akt noch einmal mit der bläserselig schütteren Staatskapelle ein Wunderwerk deutsch-orchestraler Drechslerkunst vorgelegt. Barenboim weiß: Auf den letzten Akt kommt es an, den Rest hat man wieder vergessen. Also: Feierstunde. Einzelne Buhrufer rechnen die Wagner-Eintracht mit Schwarz-Rot-Gold offenbar in ein Bekenntnis zum Nationalismus um. Was verfehlt ist. Barenboim will, mit Wagner, die Superiorität der Kunst feiern. Aus politischem Anlass.
Zahlt selbst, fehlt selten – Angela Merkel
Die Kanzlerin war auch beim zweiten Teil der Aufführung nicht da. Dagegen schwänzten etliche Prominente, die am ersten Tag noch ausgehalten hatten, den letzten Akt. Übrigens zählt gerade Angela Merkel zu jenen regelmäßigen Staatsopernbesuchern, um deren Wagner-Kenntnisse man sich nicht sorgen muss. Sie zahlt ihre Karten selber, wie man hört.
Und geht nicht gerne in die Mailänder Scala, weil man sie dort nicht selbst zahlen lässt. Solange das so ist, ist es um die Goethe-Nation, die in Wirklichkeit längst eine – kritisch reflektierende – Wagner-Nation geworden ist, nicht übel bestellt. Da kann einem das Gelingen oder Misslingen von Einheits-“Meistersingern” eigentlich egal sein.
Kai Luehrs-Kaiser | 06.10.15
Wink- statt Denkelemente
Daniel Barenboim dirigiert an zwei Tagen der Einheit die „Meistersinger“ im Schiller Theater. Die Produktion wird wohl lange überdauern – jedoch nicht, weil sie das Publikum begeistert.
In keiner seiner Opern wird der zutiefst widersprüchliche Charakter Richard Wagners so deutlich wie in den „Meistersingern von Nürnberg“. Da ist der berüchtigte Monolog von Hans Sachs, in dem er vor „welschem Dunst mit welschem Tand“ warnt, einen Gegensatz aufmacht zwischen tiefsinniger deutscher Kunst und französisch-italienischer Unterhaltungsflachware. Doch tatsächlich gehören alle Sympathien des Komponisten dem Tenor Walther von Stolzing, diesem Ritter-Rocker, der mit seinem Hang zum Regelbruch die Nürnberger Handwerker und Freizeitdichter vor den Kopf stößt.
Wagner komponiert hier ein Plädoyer für die romantische Ausdruckskunst, bei der dem Interpreten das Gefühl vom Herzen direkt auf die Stimmbänder drängt – weshalb er sich von kunstvoller Künstlichkeit lösen muss. Und dann bricht Wagner, der Radikalste unter den Avantgardisten seiner Zeit, im Schlusstableau doch wieder eine Lanze für die Spießer, die sich an ihre Traditionen klammern. „Ehrt eure deutschen Meister“, ruft Sachs: Macht euch nicht lustig über die Korinthenkacker und Erbsenzähler, denn sie sind Buchhalter der Kunst, die in ihrem So-haben-wir-es-schon-immer-gemacht-Furor eben auch ein Erbe schützen, das zu bewahren sich lohnt.
Über all das lässt sich trefflich nachdenken, während die neue „Meistersinger“-Produktion der Staatsoper im Schiller Theater am Betrachterauge vorbeizieht. Denn Regisseurin Andrea Moses verzichtet auf eigene interpretatorische Ansätze. Optisch dominieren Deutschlandfahnen. Sie tauchen in jedem Akt auf, ohne jedoch jemals vom Wink- zum Denkelement zu werden. So bleibt es bei der Gardinenfunktion, zum Beispiel im 2. Aufzug, wenn sich Stolzing mit seiner Eva hinter einem schwarz-rot-goldenen Vorhang versteckt.
Praktikable Produktion für Intendanten – aber es fehlt die Magie
Es ist eine Inszenierung, wie Intendanten sie lieben. Handwerklich grundsolide, in konsensfähiger zeitgenössischer Optik – der erste Akt spielt in einem holzgetäfelten Sitzungssaal, der zweite auf dem Dach von Sachs’ Schuhfabrik, der dritte in drangvoller Enge vor dem fertig rekonstruierten Berliner Stadtschloss (Bühnenbild: Jan Pappelbaum). Geradlinig wird der Plot nacherzählt, sodass sich im Alltag des Repertoirebetriebs Umbesetzungen leicht einarbeiten lassen. Diese praktikable Produktion dürfte sich darum lange im Spielplan halten.
Wenn vor Beginn der Vorstellung der Vorhang bereits offen ist, wenn die Darsteller vom Parkett aus über den Orchestergraben hinweg die Bühne betreten, in ihrer Aufmachung kaum von den Zuschauern zu unterscheiden (Kostüme: Adriana Braga Peretzki), wenn sie wie bei einem Festakt Platz nehmen mit Blick in den Saal, dann scheint der Abend eine aktuellpolitische Richtung nehmen zu wollen: Wer schaut hier wen an, wer wird zum Akteur werden, wer passiver Konsument bleiben?
Doch nachdem die von Daniel Barenboim als kernig-fröhliche Lebensfeier zelebrierte Ouvertüre vorbei ist, senkt sich ein Kreuz herab, der Chor macht eine 180-Grad-Wende, aller Gegenwartsbezug verfliegt und das Spiel beginnt librettogetreu in der Nürnberger Katharinenkirche. Wirklich aufregend aber ist bei dieser Premiere – deren erster Teil am Samstagabend gegeben wird, während der Finalakt am Sonntagmittag folgt – letztlich nur die Besetzung der Nebenrollen. Weil die Handwerksmeister von einem Altstar-Ensemble verkörpert werden: Da zieht der 91-jährige Franz Mazura die Blicke auf sich, da sind mit Siegfried Jerusalem und Reiner Goldberg zwei der großen Wagner-Tenöre des späten 20. Jahrhunderts dabei, da leiht der legendäre Graham Clark dem Kunz Vogelgesang sein Trompetenorgan, und auch Olaf Bär ist mit von der Partie.
Es fehlt der magische Moment
Für Daniel Barenboim ist es die 20. Wagner-Neuinszenierung, die er an seiner Staatsoper leitet. Mit einer Souveränität, die sich längst Lässigkeit erlauben kann, führt er durch die Partitur, hält die kunstvolle, so genialisch Spieloperngestus mit barocker Rhetorik verbindende Musik stetig im Fluss, auf die selbstverständlichste, absolut natürlich wirkende Weise. Prachtvoll leuchten die Klangfarben der Staatskapelle, die Sänger wie der von Martin Wright vorbereitete Chor dürfen sich bei diesem Maestro in wohltuender Sicherheit wiegen.
Spitzenkräfte sind auf der Szene versammelt, Klaus Florian Vogt als strahlender Stolzing, die Eva-Debütantin Julia Kleiter, Wolfgang Koch als sehr direkter, geradliniger Hans Sachs, Kwangchul Youn als milder Pogner. Stephan Rügamer vermag den David trotz peinlicher Topfschnittperücke vor der Lächerlichkeit zu retten, und auch Markus Werba macht den Beckmesser nicht zur Witzfigur, agiert als Gralshüter wie als Liebender vielmehr anrührend hilflos und nimmt zudem mit seinem frei flutenden Bariton für den Stadtschreiber ein.
Nur eines fehlt bei all der aufgebotenen Qualität: der magische Moment, eine Szene, in der sich Unerhörtes ereignet, eine Passage der besonderen Innigkeit, ein Monolog von ergreifender Dichte. Festlich geht diese Aufführung über die Bühne – und ist sofort wieder aus dem Ohr. Eine hochkarätig besetzte Pflichtübung, wie die alljährlichen Staatsakte am 3. Oktober.
FREDERIK HANSSEN | 05.10.2015
Wagners “Meistersinger” als Wiedervereinigungsoper
Hier wehen viele Flaggen: Zum Tag der Deutschen Einheit wird Wagners Werk zu einer Nationaloper stilisiert. Das geht nicht immer auf.
Die Staatsoper eröffnet ihre neue Saison mit einem Festakt. Das echte Publikum im Saal schaut auf ein Publikum, das auf der Bühne sitzt, und umgekehrt. Auf der Bühne sieht es aus wie im Saal, nur hängt dort eine riesige deutsche Fahne. Es herrscht feierliche Stimmung im Schiller-Theater. Aufgeführt wird die Ouvertüre zu Wagners Oper “Die Meistersinger”.
Wagnerdirigent Hans Richter nannte die Musik einmal ein “Stahlbad in C-Dur”. An diesem Abend aber dirigiert Daniel Barenboim. Er lässt sich weniger auf alles Staatstragende, Pompöse ein. Die Ouvertüre, mit der die Premiere am Sonnabend gegen 20.30 Uhr beginnt, verspricht Leidenschaft, Verspieltheit und einen Hauch Melancholie.
Eine Premiere in zwei Tagen
Barenboim und seine Regisseurin Andrea Moses haben sich tatsächlich vorgenommen, zum 25-jährigen Jubiläum der Wiedervereinigung eine Art Nationaloper auf die Bühne zu bringen. Moses hatte im Vorfeld gesagt, die “Meistersinger” seien neben Webers “Freischütz” die zweite deutsche Nationaloper.
Und Barenboim versicherte, man müsse Wagner von der Nazi-Missbrauchsgeschichte trennen. Die Nazis werden in dieser Wiedervereinigungsoper einfach vernachlässigt. Es tut der Premiere, die wegen der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit einmalig auf zwei Tage verteilt wurde, gut.
Nürnberg ist überall, auch in Berlin
Es gibt einiges zu lachen in dieser Premiere. Andrea Moses betont, wenn es sich anbietet, das Komödiantische, die Leichtigkeit, und sie ist eine Meisterin der Personenregie. Gleich anfangs verwandelt sich der Festsaal in die Katharinenkirche. Der Geistliche sieht aus, als sei er dem Mittelalter entsprungen, vermutlich der Reformator selbst.
Schließlich naht ja auch das große Reformationsjubiläum. Die Kirchbesucher wirken eher, als würden sie im Anschluss noch Champagner im KaDeWe trinken wollen. Nürnberg ist überall, auch in Bonn oder Berlin.
Fans von Hertha BSC und Union sind auch dabei
Das Ganze spielt in einer Zeit, in der es Leuchtreklame und Laptops gibt und die Lehrbuben der Meistersinger aussehen wie die Beatles im Smoking. Andrea Moses gelingt es, Bilder zusammenzubringen, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören.
Es ist ein historisch-bunter Bilderreigen. Am Ende des zweiten Akts, in der großen nächtlichen Prügelszene, finden schließlich alle Beteiligten auf der Straße zusammen. Die Reichen und die Armen, die Etablierten und die Punks. Fans von Hertha BSC treffen auf Union-Fans.
Vogt brilliert – als Vogt
In der Katharinenkirche traf zuvor der Fremde auf Eva, die Tochter des Goldschmieds Pogner. Er will sie, und sie will ihn. Er erfährt, dass er sie bekommt, wenn er am Tag darauf das Wettsingen gewinnt. Sie ist der Preis. Der Fremde wirkt verunsichert. Aber in Ritter Walther von Stolzing schlummert ein genialer Künstler, einer, der die festgefahrene Musikwelt verändern kann. So wollte es der geniale Wagner. Der verarmte Junker singt um seine Bürger- und Meisterrechte und vor allem um Eva.
Klaus Florian Vogt tut es auf wunderbare Weise. Mit tenoraler Strahlkraft und aller Direktheit, die dieser Heldenfigur den nötigen Schneid verleihen. Vogt tut das, was er auf brillante Weise immer tut, er gibt den Klaus Florian Vogt. Dafür wird er am Ende bejubelt. Spitzentenöre haben es in mancher Hinsicht leichter. Die Eva von Julia Kleiter verzichtet auf das allzu Mädchenhafte. Das Lyrische ihres vibrato-starken Soprans gerät bei ihr immer wieder in Zugzwang.
Wer hier bei den Meistern sitzt, hat es geschafft
Ein wundersames Typenkabinett lässt die Regisseurin auflaufen. Die alten Meister tragen ihre Namen wie etablierte Markenzeichen vor sich her. Der reiche Pogner, den Bassist Kwangchul Youn in sonorer Stattlichkeit vorführt, weiß sich in erlauchter Runde. Wer in dieser Runde mitredet, hat’s geschafft. Barenboim hat sich eine rundum stattliche Meisterschar verpflichtet, man kann nur staunen.
Graham Clark singt den Kürschner Kunz Vogelgesang, Siegfried Jerusalem den Zinngießer Balthasar Zorn, Reiner Goldberg den Gewürzkrämer Ulrich Eisslinger, Olaf Bär den Kupferschmied Hans Foltz. Stephan Rügamer weiß dem Lehrbuben David viel jungenhafte Leichtigkeit mit auf den Weg zu geben. Einer, von dem man weiß, dass er irgendwann in die erlauchte Runde gehört.
Keiner Figur wird weh getan
Die Schusterwerkstatt des Hans Sachs entpuppt sich im dritten Akt, der am Sonntag um 12 Uhr beginnt, als bürgerliche Gelehrtenstube. Es ist seine Firmenzentrale. Später tragen darin der alterszornige Sachs und der jungspornige Stolzing ihre Eifersucht um Eva aus, in dem Raum schreibt Sachs schließlich Stolzings Traumlied auf. Es wird von Beckmesser gestohlen.
Markus Werba singt den bekanntesten Erbsenzähler der Operngeschichte. Stadtschreiber Beckmesser hat etwas Exaltiertes und steckt voller Unsicherheit. Werba singt ihm die tragische Unvollkommenheit auf den Leib. Darüber kann man staunen und herzhaft lachen, ohne sich gehässig zu fühlen. Das ist ein Plus dieser Inszenierung, dass keiner Figur wehgetan wird.
Warum auch immer, das Publikum jubelt
Die Festwiese mit viel Schwarz-Rot-Gold findet schließlich vorm Berliner Stadtschloss statt. Es ragt im Hintergrund düster mächtig auf. Im Programmheft findet sich noch ein Statement des 1996 verstorbenen Architekturkritikers Julius Posener, der sich gegen den Wiederaufbau ausgesprochen hatte. Die Zeit ist über alle Einwände hinweggegangen. In der Oper kommt es hingegen, wie es kommen muss. Beckmesser scheitert mit seinem Gesang, Stolzing gewinnt.
Aber der Testosteron-gesteuerte Wagnertenor greift nur nach der schicken Eva und weist die Meisterwürde zurück. Sachs singt ihm daraufhin die berühmte Mahnrede, die deutschen Meister ja nicht zu vergessen. Stolzing wird bekehrt. Am Ende verschwindet das Stadtschloss und eine grüne Wiese nebst Wolken taucht auf. Warum auch immer: Das Publikum jubelt. Am Sonntag gegen 14.15 Uhr sind “Die Meistersinger” vollbracht.
Volker Blech | 04.10.15