Die Meistersinger von Nürnberg

Hermann Bäumer
Chor und Extrachor des Staatstheater Mainz
Philharmonisches Staatsorchester Mainz
Date/Location
19 July 2015
Staatstheater Mainz
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Hans Sachs Derrick Ballard
Veit Pogner Hans-Otto Weiß
Kunz Vogelgesang Max Friedrich Schäffer
Konrad Nachtigall Johannes Held
Sixtus Beckmesser Heikki Kilpeläinen
Fritz Kothner Peter Felix Bauer
Balthasar Zorn Christopher Kaplan
Ulrich Eißlinger Karsten Münster
Augustin Moser Scott Ingham
Hermann Ortel Manos Kia
Hans Schwartz Georg Lickleder
Hans Foltz Stephan Bootz
Walther von Stolzing Alexander Spemann
David Michael Pegher
Eva Cornelia Ptassek
Magdalene Linda Sommerhage
Ein Nachtwächter Peter Felix Bauer
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Online Musik Magazin

Grün ist die Ordnung, die Ordnung ist grün…

Eine neue Produktion der Meistersinger von Nürnberg ist immer ein Ereignis, insbesondere, wenn sich ein nicht ganz so großes Haus an dieses gewaltige Werk wagt. Das bedeutet meist besonderes Engagement und viel eingebrachte Begeisterung, die sich in der Aufführung von der Bühne in den Zuschauerraum überträgt und einen ganz besonderen, zusätzlichen Reiz ausmacht. So auch im Staatstheater Mainz, in dem Wagners Festoper in ganz eigenen Farben beleuchtet wird.

Regisseur Ronny Jakubaschk und Ausstatter Matthias Koch haben für sich die Quintessenz aus den Meistersingern destilliert und diese optisch umgesetzt. Dabei gehen sie davon aus, dass das Regelwerk des Meistergesangs ganz Nürnberg mit einer Ordnungsliebe überzogen hat, die durch allgegenwärtiges Grün sichtbar gemacht wird: In den (biedermeierlichen) Kostümen, in den Requisiten (z. B. Sachsens Leisten im zweiten Akt, Brezel, Schere und Schuh als Papp-Symbole für die Zünfte auf der Festwiese) und im Bühnenbild, dessen dunkelgraue Steinwände, über die im ersten und dritten Akt zuweilen leuchtende, schnurgerade grüne Schläuche gespannt sind, die im zweiten Akt zerstückelt und wirr an den Wänden hängen. Während Stolzing die erste Strophe seines Probeliedes im ersten Akt singt, leuchten die Wände geradezu bedrohlich magentafarben auf. Da stört jemand die Ordnung, da ist etwas Neues, dass nicht in die Regeln passt – genauso wenig wie seine kastanienbraune Kleidung nebst gleichfarbiger Perücke, was ihn doch recht unvorteilhaft aussehen lässt – um es vorsichtig auszudrücken. (Evas Haare sind übrigens zunächst poppig grün, doch das wächst sich strähnen- und aktweise zu einem knalligen Rot aus). Während Stolzings Preislied auf der Festwiese, die zunächst ganz der grünen Ordnung verschrieben ist, mischt sich die magentafarbene Beleuchtung zwischen die grün aufleuchtenden Schlauchstreifen und beide erstrahlen nebeneinander in (farbkombinatorisch gewöhnungsbedürftiger) Eintracht. Das Alte und das Neue bilden ein neues Ganzes. Das ist umso bedeutungsvoller, wenn man weiß, dass Stolzing sein Preislied exakt und ohne jede Abweichung nach den Regeln der Tabulatur gedichtet hat. Neu ist lediglich die Melodie. Die Kombination von beidem ist das Geniale, das allgemeine Begeisterung erntet. Das wird deutlich, ja deutlich genug. Der magentafarbene Konfettiregen ist da zuviel, das Herabschweben des von Stolzing besungenen „Wunderbaums“ viel zu viel.

Das Farbenspiel ist im wahrsten Sinne einleuchtend und verständlich. Aber reicht diese Idee für eine ganze Meistersinger-Produktion? Sind die Meistersinger nicht noch viel mehr, vielschichtiger, tiefsinniger, heiterer, ironischer und vor allem vielfarbiger? Dass David mit der sehr viel älteren Magdalene liiert ist, dass Pogner seine Tochter als Preis auslobt, dass die Nürnberger in der Prügelfuge übereinander herfallen und sich heftigst beschimpfen und vieles mehr zeugt doch auch von einer gewissen Vielfalt und einer zumindest in Teilen sympathischen Un-Ordnung – ganz im Gegensatz zum hier eingefügten szenischen Leitmotiv der Lehrbuben-Wischmopp-Brigade, die immer wieder den Bühnenboden reinigt und in ihrer uniformen Kostümierung an chinesische Arbeiter erinnert. Des Grau-Grünen wird man schnell überdrüssig und ein das Bild möglicherweise interessant machen könnendes uhrenartiges Bühnenelement, das bei der Nennung des Merkers sichtbar wird, hat zwar vielfältige Einsatzmöglichkeiten, erklärt sich aber nicht wirklich. Im ersten Akt und auf der Festwiese ist diese „Merkeruhr“ von vorn zu sehen, in den anderen Szenen von hinten. Dort dient sie – begehbar – als Versteck für Eva und Stolzing, als Balkon für die als Eva verkleidete Magdalene und als Podest für David, der Beckmesser dort oben prügelnderweise den Rest gibt und für den Nachtwächter, der hier kein anderer ist als der Bäcker Fritz Kothner im Nebenberuf.

Der bühnenbildnerischen Öde wird im ersten Akt auch von der Personenregie (und leider auch musikalisch) nicht allzuviel entgegengesetzt. Das mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass die meisten Sänger der kleineren Partien, mit selbigen schon genug beschäftigt (und an ihre Grenzen geführt) sind. Es ist durchaus löblich, wenn Regisseur und Dirigent darauf Rücksicht nehmen, aber es geht eben auch viel verloren. Kurz gesagt: Der erste Akt war überwiegend langweilig. Warum die Tuch-, Spange-, Buch-Suche so altbacken und unlogisch gestaltet ist, bleibt ebenso fragwürdig, wie die bebrillten Zylinder der Meistersinger und die rituellen Hand- und Armhaltungen beim Eingangschor und zum Verlesen der Tabulatur. Ebenso unlogisch und unsinnig bleibt das Auftreten Evas als verkleideter Meister in der Singschule. Sie legt als einzige weder Umhang noch Zylinder ab und selbst, wenn man davon ausgeht, dass sie auf dem sonst leer gebliebenen Stuhl des erkrankten Niklas Vogel Platz nimmt, sind selbst die verschrobensten Meistersinger nicht dumm genug, das nicht zu durchschauen. Zumindest der als Schopenhauer karikierte Hans Schwarz hätte das weise erkennen müssen. Das ist so eine Regie-Idee… Eine von vielen, die irgendwie neu sein sollen, aber nicht überzeugen können. Aber es gibt in der Personenregie auch Elemente, die durchaus überzeugen und auch Spaß machen. Zum Beispiel Kothners Herzkasper, als Stolzing vom Singestuhl aufspringt und Beckmessers formvollendete Verabschiedung von Stolzing, nachdem dieser mit seinem Probesingen gescheitert ist.

Glücklicherweise bekommt die Inszenierung im zweiten und dritten Akt die vorher vermisste Lebendigkeit, Spielfreude, den Elan und Witz. Köstlich, wie Sachs Stolzings stolz ausgestrecktes Schwert zum Kleiderständer degradiert, wie er mit geradezu diabolischer Freude Beckmessers Fehler nicht nur auf den Leisten schlägt, auf dem fragwürdiger- wie unsinnigerweise kein Schuh steckt, sondern auf alles, was Schläge aushalten kann und wie er am Ende der Prügelfuge, nachdem er alle Personalien geordnet und gerade noch verhindert hat, dass David mit Magdalene mitgeht, ein erleichtertes „Puh“ ins Publikum stöhnt. Stöhnen dürfte das Volk in dieser Nacht auch. Zwar haben sie sich nicht gegenseitig, sondern nur in ihre eigenen Kissen geboxt, aber sie haben selbige nebst Betttüchern auf der Bühne zurückgelassen, was ihnen einen unbequemen Schlaf bescheren dürfte. Unbequem war der vorher aber auch schon, denn alle scheinen mit ihrer Kleidung ins Bett gegangen zu sein. Vielleicht hätte die Anschaffung von einigen Dutzend Nachthemden aber auch einfach nur das Mainzer Kostümbudget gesprengt.

Zu Sachsens Meditation über die vorangegangenen Ereignisse und das Leben als solches zeigt die Drehbühne ein lebendes Bild einer allgemeinen Prügelei, die so nicht stattgefunden hat, sondern nur zwischen David und Beckmesser ausgetragen wurde. Die dann folgende Szene Beckmesser/Sachs ist ein Kabinettstückchen fein gearbeiteter Personenregie. Eva erscheint im langen weißen Kleid mit roten Streifen und zum (wunderschön gesungenen) Quintett steht Sachs zwischen dem grünen und dem roten Paar. Nach der oben beschriebenen Schlussszene sucht Stolzing Beckmesser und reicht ihm versöhnlich die Hand. Den verschmähten Meisterhut bekommt David. Sachs ist es zufrieden.

Gerade über Sachs ließe sich schier Unzähliges anmerken. Das liegt sicher an der Personenregie, aber vor allem an Derrick Ballard, der ohne jeden Zweifel zu den derzeit besten Besetzungen des Schusterpoeten gezählt werden kann und der auch szenisch sicher viel von seiner Erfahrung eingebracht haben dürfte. Mit traumwandlerischer Sicherheit beherrscht er die Partie, stößt an keinerlei stimmliche Grenzen und kann so auch gestalterisch, stimmlich wie szenisch aus dem Vollen schöpfen. Selten hört man gleichermaßen vollendete stimmliche Zartheit neben kernig markanten Tönen. So schwebt der „Vogel, der heut’ sang“ in schwereloser Zartheit durch den Raum (zu dezenter, magentafarbener Beleuchtung versteht sich) und nach der gewaltigen Schlussansprache hat man den Eindruck, dieser außergewöhnliche Sängerdarsteller könnte die ganze Partie gleich noch einmal singen. Und man würde sie auch gern gleich noch einmal hören. Alexander Spemann scheint den Stolzing farbenfroh mit mehreren Stimmen zu singen, wovon eine traumhaft schön ist und glücklicherweise auch bei den Probe-, Dicht- und Preisliedern Einsatz findet. Seine kraftvollen, strahlenden Höhen beeindrucken dabei ganz besonders. Vida Mikneviciute erinnert mit ihrem stählernen Sopran und trompetenartig hervorgestoßenen Spitzentönen ein bisschen an Anja Silja. Sie kann aber auch leise – dann allerdings mit viel Vibrato. Als Beckmesser steht Heikki Kilpeläinen mit kultiviertem Schöngesang auch stimmlich als Verfechter der alten Ordnung in der Mitte der ansonsten ordentlich singenden bis leicht überforderten Meisterriege. Als David lässt Michael Pegher einen leichten, jugendlichen Tenor hören, der jedoch mit den hohen Passagen der Partie überfordert ist. Wunschlos glücklich macht Linda Sommerhage als Magdalene und wertet diese undankbare Partie mit wunderschön timbriertem, warmem Mezzo auf.

Stimmgewaltig, sangesfreudig und dabei im Klang ausgewogen mit einer nicht selbstverständlichen üppigen Besetzung der Männerstimmen klingen Chor und Extrachor, auch wenn nicht alle Einsätze gemeinsam erklingen und gerade der Beginn des „Wach auf!“-Chores eher individuell gestaltet zu nennen ist. Dennoch: Chapeau für die Gesamtleistung und das Zusammenführen verschiedener Chöre der Region. GMD Hermann Bäumer kann nach dem eher vorsichtig klingenden, rücksichtsvoll dirigiertem, aber eben auch wenig spannungsvollen ersten Akt im zweiten und dritten Akt dann doch den Zauber hervorlocken, der diese Musik so außergewöhnlich und berührend sein lässt. Das schwelgt und blüht und Spannungsbögen dürfen sich entfalten. Das Orchester folgt ihm engagiert, aber nicht unfallfrei.

FAZIT

Eine überwiegend brave Inszenierung mit einigen eigenwilligen Ideen, aber auch vielen schönen Details in der Personenregie und einem roten, nein grünen Faden, der für eine Meistersinger-Produktion aber doch etwas zu dünn ist. Musikalisch und sängerisch mit Licht und Schatten. Derrick Ballard ist ein fantastischer Sachs.

Bernd Stopka | Premiere im Großen Haus des Staatstheaters Mainz am 26. April 2015

Frankfurter Neue Presse

Da qualmt es mächtig

Am Staatstheater Mainz hatten Richard Wagners „Meistersinger“ Premiere. Die Aufführung überzeugt eher musikalisch als szenisch. Regisseur Ronny Jakubaschk bekommt die Feinheiten der Oper nicht in den Griff.

Würstchen gibt es, auch Eis: Überhaupt geht vor dem Mainzer Staatstheater das kulinarische Angebot weit über das hinaus, was in den Festspielpausen auf Bayreuths Grünem Hügel feilgeboten wird. „Die Meistersinger von Nürnberg“ starten, da sie annähernd sechs Stunden dauern, auch in der Domstadt mitten am Nachmittag. Und da läuft zumindest am Premierentag das Volksfest samt verkaufsoffenem Sonntag auf Hochtouren, während drinnen, im Großen Haus des Staatstheaters, die mit mehr als 5000 Takten umfangreichste aller Wagner-Opern beginnt.

Man weiß in Mainz um den Lokalbezug der heitersten aller Opern Wagners. Das Vorspiel hat der Meister schließlich am gegenüberliegenden Rheinufer komponiert, 1862, im heutigen Wiesbadener Stadtteil Biebrich. Dass der Mainzer Generalmusikdirektor Hermann Bäumer eben dieses Vorspiel hinsichtlich der Lautstärke kaum ausdifferenzierte, überraschte zunächst. Denn insgesamt sollte dem Philharmonischen Staatsorchester Mainz eine auf Zusammenhänge blickende, eher zügige und motivklare Interpretation gelingen. Dass Bäumer das „Prügelfugen“-Chaos am Ende des zweiten der drei Akte bis an die Grenze der Unspielbarkeit beschleunigte, blieb punktuell fragwürdig; ein permanentes Ärgernis waren die unzähligen Fehleinsätze der Hörner.

Festspielwürdig

Ganz groß, wenn nicht sogar festspielwürdig gelang Derrick Ballard die Ausgestaltung der Riesenpartie des Hans Sachs. Der 1974 im amerikanischen Colorado geborene Bassbariton, der in Mainz dem Opernensemble angehört, war ein klang- und charaktervoller, unglaublich ausdauernder und vokal elegant strömender Schustermeister: Wie wunderbar inwendig tönten sein „Flieder“- und sein „Wahn“-Monolog! Auch die Partie des nach Nürnberg kommenden und dort die konservative Meistersinger-Riege aufmischenden Junkers Walther von Stolzing kann Mainz aus dem Ensemble besetzen, mit Alexander Spemann, der seinen eher höhensicheren und strahlkräftigen als farbvariablen Tenor einbringt.

Regisseur Ronny Jakubaschk, der in Mainz bereits Gioacchino Rossinis „Barbier von Sevilla“ in der szenischen Belanglosigkeit einer Aquariumswelt versinken ließ, bleibt seinem naiven Erzählstil in den „Meistersingern“ treu. Gewiss: Jakubaschk versteht, lebendig, abwechslungsreich und mit solider Personenführung nachzuerzählen, wofür ihm Ausstatter Matthias Koch eine Bühne mit Rohren, Streben und ähnlichen variabel platzierten Versatzstücken gebaut hat. Grün dominiert und ist auch eine bevorzugte Kleidungsfarbe der Meister. Grün leuchtet zunächst der Schopf der Meistertochter Eva, die als Preis im Meistersinger-Wettbewerb ausgelobt und dort von Stolzing auf der natürlich grünen Festwiese des Schlussbilds erobert wird. Schade, dass Vida Mikneviciute diese Hauptpartie aufs metallisch Durchschlagende reduziert.

Simple Farbenlehre

Eine rote Perücke trägt dagegen der Außenseiter Stolzing, rot-violett färben sich zu seinem Gesang die Bühne und schließlich auch Evas Haare ein: Das ist eine arg simple „Meistersinger“-Farbenlehre. Komplexe Charaktere wie den Meister Hans Sachs, der mit sich ringt, um seine eigenen Hoffnungen auf Eva aufzugeben, bekommt Januschke mit solch einfachen Mitteln nicht in den Griff.

Auch andere Ideen bleiben nicht mehr und nicht weniger als Accessoires: Das stilisierte Räderwerk der bühnenhohen Maschine der Kritiker-Karikatur Sixtus Beckmesser, den Heikki Kilpeläinen zuverlässig bis neutral singt, qualmt mächtig, als es Beckmesser in der Prügelszene ans leibliche Wohlergehen geht. Eva hatte sich im ersten Akt inkognito unter die zwölf Meister gemischt, unter denen Peter Felix Bauer als ihr Vater Fritz Kothner eine vokal herausragende Figur abgibt – doch szenisch wird diese Einmischung überhaupt nicht weiterverfolgt. Und die Festwiese im dritten Akt bringt ein Kompendium schlichter Details, mit Scheren- oder Brezel-Symbolen für die Zünfte und strammen Mädchen aus Fürth. Fehlen nur noch die Butzenscheiben, zumal es sich Jakubaschk auch mit dem heiklen Schlusslied des Hans Sachs auf die deutsche Kunst zu einfach macht. Da schaut Stolzing kurz und irritiert seine Eva an, schüttelt dann dem gerade noch vor dem ganzen Volk blamierten Beckmesser die Hand. Und alles ist gut? In Mainz gab’s danach jedenfalls uneingeschränkten Jubel für alle, auch für die opulente Menge von Chor, Extrachor und Mitgliedern des Mainzer Domchors.

Axel Zibulski | 28.04.2015

Frankfurter Rundschau

Die rosarote Variante

„Die Meistersinger von Nürnberg“ von Richard Wagner am Staatstheater Mainz: Imposant gesungen, unbefangen erzählt, mit einer Ausstattung, die mehr verspricht, als sie halten kann.

Der 3. Akt von der „Meistersinger von Nürnberg“ besteht aus zwei Stunden der Wahrheit. Am Staatstheater Mainz zeigte sich dabei jetzt Folgendes:

Erstens bewiesen die Sänger weit mehr Stehvermögen, als es selbst an größeren Häusern häufig der Fall ist: Den hauseigenen Stolzing, Alexander Spemann, schien es nicht zu stören, die Strophen seines Wettbewerbsliedes ein ums andere Mal zu singen, und als er beim sechsten Mal doch etwas mehr Druck auf die Stimme geben musste, war man geradezu erleichtert. Dem Hans Sachs des Amerikaners Derrick Ballard waren die Strapazen der vorangegangenen Strecke nicht anzumerken. Der Wahn, die Meisterverteidigung und der unsägliche Schluss gestalteten sich nicht nur angstfrei für das Publikum und hoffentlich auch ihn, sondern von unalltäglichem, teils anrührendem Wohlklang.

Zweitens kippte der Regisseur des zutiefst munteren Abends, Ronny Jakubaschk, so viel rosarotes Licht und fliederfarbene Papierschnipsel auf den berüchtigten Schluss, dass dieser einfach daherkam, als könne er kein Wässerchen trüben: eine Möglichkeit, ein Inszenierungstrend, nämlich wieder entspannter nach dem Erzählgehalt von Wagner-Opern zu schauen und weniger auf die Politik.

Stolzing: „Hä?“

Ob es gerade hier funktionierte, war durch Reste von Unentschlossenheit nicht ganz zu entscheiden: Wollte Jakubaschk jetzt auch ironisch sein oder lieber doch versöhnlich? Im allgemeinen Rosarot bat jedenfalls der Aristokrat Stolzing das Volk nach vorne, das sich mit der üblichen Zähigkeit einer Masse mit den Meistersingern vermengte. Und er zog auch den blamierten Beckmesser wieder auf die Bühne. Schön: Spemanns lebhafte Mimik, als Sachs sich gegen die Welschen wendet, zeigte ein sehr modernes, sehr lässiges „Hä?“

Insgesamt sind die neuen Mainzer „Meistersinger“ ein musikalisch am Schluss aus guten Gründen regelrecht bejubelter Abend: Zu Ballard und Spemann kommt Vida Mikneviciute als glühende, geradezu unterbeschäftigte Eve mit einem für das Mainzer Haus zu groß werdenden Sopran. Erforderliche Nuancen stehen ihr aber zu Verfügung. Wie überhaupt die Finesse der Beteiligten aus dem Quintett der Liebenden und Guten (die Genannten mit Michael Pegher als David und Linda Sommerhage als Lene) die „Rosenkavalier“-Qualitäten herauslockte.

Heikki Kilpeläinen schließlich ist ein keineswegs geduckter Beckmesser, ein Mann mit gutem Friseur und mit strahlender Stimme, die hören ließ, dass sein eigenes Wettbewerbslied keine Lächerlichkeit ist, und auch seine, sagen wir mal: ihrer Zeit vorausgehende Interpretation des Stolzing-Liedes von einigem Reiz. Dieser Beckmesser ist ein Schnösel & Connaisseur, aber eine Karikatur ist er nicht.

Denn fabulierend, nicht wertend hat Jakubaschk seine Inszenierung angelegt. Das ist zumal im ersten Akt packend, der, als der Vorgang sich öffnet, die Bühne voller Chor zeigt. Man ist in einem seltsamen Handhaltungsritus begriffen, der Stolzings Fremdheit in diesen bürgerlichen Kreisen gleich herausstellt.

Das Haarwunder

Hier hofft man auch noch, dass sich das vage futuristische Bühnenbild des Ausstatters Matthias Koch, mit leuchtenden Röhren und einer aparten Apparatur zur optischen Täuschung im Laufe der Zeit erklären und die Handlung voranbringen wird.

Das ist aber nicht der Fall, und das gilt auch für die kleidsamen, unverstaubten Kostüme. Sie versprechen für die Meistersinger einen Futurismus nach Art von Jules Verne, für Stolzing & Eve gar Science-Fiction auch von unserer Zeit aus betrachtet (inklusive der Außergewöhnlichkeit, dass Eves Haare von Akt zu Akt von Grün nach Rosa sich färben, mehr in Richtung Stolzings Rotschopf, eine Wahlverwandtschaft, wie sie Goethe noch nicht eingefallen wäre). Letztlich entscheidet sich Jakubaschk aber für eine konventionelle Personenführung.

Im 2. Akt scheint er das Inszenieren sogar für eine Weile einzustellen, das erst bei der großen Schlacht wieder einsetzt. Eine Kissenschlacht, aber eine, die es in sich hat. Die Freude eines Regisseurs daran, einen Chor in große Bewegung zu setzen, zahlt sich beim Zuschauen fast immer aus. Das prächtige Schlachtengemälde mit Plumeau wiederholt sich im 3. Akt als lebendes Bild. Hier ist auch die Personenführung wieder intensiver.

Das Orchester unter Hermann Bäumer spielt einen unbefangenen, unbelasteten, gutgelaunten Wagner. Auch hier, wie für die Regie (eine Seltenheit bei einer Wagner-Produktion) ausschließlich froher Beifall. Der größte aber für die Sänger.

Judith von Sternburg | 27.04.2015

Rating
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User Rating
(3/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 48.0 kHz, 621 MByte (MP3)
Remarks
In-house recording
A production by Ronny Jakubaschk (2015)