Die Meistersinger von Nürnberg

Philippe Jordan
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Date/Location
28 July 2018
Festspielhaus Bayreuth
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Hans Sachs Michael Volle
Veit Pogner Günther Groissböck
Kunz Vogelgesang Tansel Akzeybek
Konrad Nachtigall Armin Kolarczyk
Sixtus Beckmesser Johannes Martin Kränzle
Fritz Kothner Daniel Schmutzhard
Balthasar Zorn Paul Kaufmann
Ulrich Eißlinger Christopher Kaplan
Augustin Moser Stefan Heibach
Hermann Ortel Raimund Nolte
Hans Schwartz Andreas Hörl
Hans Foltz Timo Riihonen
Walther von Stolzing Klaus Florian Vogt
David Daniel Behle
Eva Emily Magee
Magdalene Wiebke Lehmkuhl
Ein Nachtwächter Tobias Kehrer
Gallery
Reviews
Online Musik Magazin

Dekontaminiert

Die Meistersinger von Nürnberg machen es selbst eingefleischten Wagnerianern nicht leicht. Auf dem Werk und seiner Aufführungsgeschichte lasten einige Hypotheken, die überzeugende Inszenierungen immer wieder erheblich erschwert haben. Da ist es zuerst der von Wagner selbst ursprünglich intendierte Charakter als komische Oper, welcher aber den Meistersingern nur schwer zu entlocken ist. In seiner auch heute noch lesenswerten Kritik des Werks anlässlich der Wiener Erstaufführung 1870 hat detailreich schon Eduard Hanslick ihm Mangel an Humor attestiert – wenn auch vielleicht zum Teil als Retourkutsche, hatte doch Wagner unzweifelhaft den peniblen Stadtschreiber Beckmesser als böse Karikatur auf die Kritikerzunft und nicht zuletzt auf Hanslick persönlich gemünzt.

Und dann der Schluss: Wenn Hans Sachs gegen “welschen Tand” herzieht und von der “heil’gen deutschen Kunst” monologisiert – da liegt doch Chauvinismus-Verdacht auf der Hand. Und der fiel auf fruchtbaren Boden, als der braune Geist in Deutschland Kulturhoheit gewann und in den Meistersingern die “Inkarnation unseres Volkstums schlechthin” zu erkennen meinte. Beckmesser wurde zum jüdischen Kritikaster gemacht und auf dem Parteitag der Rassegesetze von 1935 wurde die Oper bei einer Aufführung “in Anwesenheit des Führers” und unter Furtwänglers Leitung im Nürnberger Opernhaus zum “Festspiel der Reichsparteitage für alle Zeiten” erhoben. So kam sie auch (Winifred Wagner sei Dank) geschmückt mit Hakenkreuz- und SS-Bannern in Bayreuth auf die Bühne des Festspielhauses zwecks moralischer Aufrüstung der herbei gekarrten Soldaten und Arbeiter. Bis diese Zeiten zehn Jahre später endlich zu Ende waren und in derselben Stadt Nürnberg über die Nazi-Barbarei Gericht gehalten wurde.

Bevor Katharina Wagner 2007 einen ersten, noch sehr vorsichtig kritischen Blick auf das Werk warf, blieb all dieser ideologische Ballast in den Bayreuther Inszenierungen hinter Butzenscheiben versteckt. Es musste erst ein australischer Regisseur kommen, Jude zudem, der das Werk in einer Neuproduktion 2017 historisch dekontaminierte. Barry Kosky gelang dabei nicht nur eine streckenweise komische, vor allem aber eine kluge und aufrichtige Auseinandersetzung mit dem vielleicht schwierigsten aller Werke des Bayreuther Wagner-Kanons (siehe unsere Premierenkritik von 2017).

Kosky nutzt sein Händchen für das leichte und komische Metier vor allem im szenischen Arrangement des Vorspiels, wenn, wie der Meister es liebte, im Hause Wahnfried eines seiner Stücke zelebriert wird. Man schreibt das Jahr 1875 und die Meistersinger stehen offenbar auf dem Plan einer häuslichen Privataufführung. Anwesende Gäste werden zu Mitwirkenden umkostümiert und neue Akteure kriechen aus dem Klavierkasten, viele von ihnen gedoubelte Richards, denn in einigen Rollen sieht Wagner eigenes Wesen verwirklicht – in Stolzing den genialischen Neuerer, in David den Anwalt traditioneller Regeln, vor allem natürlich in Hans Sachs die Inkarnation seiner selbst. So ist und bleibt Michael Volle auch als Sachs den Abend über immer zum großen Teil auch der Komponist. Nur der ebenfalls anwesende Hermann Levi (als Jude nur unwillig von Wagner mit der Parsifal-Uraufführung betraut) wird in diesem Spiel wegen Verweigerung christlicher Konventionen zum Außenseiter und so in die Rolle Beckmessers gezwängt, widerwillig zwar, aber letztlich doch ergeben. Cosima (mit einem Migräneanfall herrlich parodiert) wird zu Eva, welche Richard nach eigenem Bekunden eh immer in seiner Frau gesehen haben will. Noch viele weitere geistreiche Anspielungen schärfen den intelligenten Witz dieser Szene.

So federnd leicht das oben inszeniert ist, so unpathetisch erklingt die Musik aus dem Graben. Keine Spur von einem “Stahlbad in C” (Ernst Bloch), zu dem es Furtwängler einst vor Rüstungsarbeitern gemacht hatte. Philippe Jordan nimmt die Musik transparent und klar, dabei wunderbar leicht und in der Lautstärke dosiert, dass auch später die Solisten gut durchkommen. Nie wird die Musik bombastisch oder pompös, nur wo es sein soll klingt sie groß und hat das gehörige Volumen. Dass in den Meistersingern auch viel Lyrisches steckt, hebt Jordan mit dem wie stets exzellent spielenden Orchester eindrucksvoll hervor.

Komik stellt Kosky auch in vielen kleinen Gesten seiner Darsteller heraus, was von den Protagonisten dankbar und ungemein spielfreudig ausgekostet wird. Michael Volle als Sachs und Johannes Martin Kränzle als Beckmesser werden zu Antagonisten mit doppelbödigen Witz von spöttelnder Stichelei bis hin zur bitteren Fehde. Zum Kabinettstück subtilen Musiktheaters gelingt den beiden die Schusterstubenszene im 2. Akt, wenn Sachs selbst zum kritischen Beobachter des mit seinem verliebten Ständchen dilettierenden Merkers wird. Dabei singen beide Bassbaritone exzellent und überaus textverständlich.

Dann aber kippt die Stimmung in der Prügelszene, denn hier zeigt Kosky auf, was als Konsequenz auf antisemitische Ausgrenzung, Verspottung und Hass folgt: das Pogrom. Plötzlich steigt in der Kulisse der riesige Kopf eines “Stürmer”-Juden auf und weitere kleine antisemistische Fratzen nehmen Beckmesser drohend ins Visier.

Im 3. Akt kommt die Inszenierung schließlich dort an, wo das geschichtliche Urteil gefällt werden soll, im Nürnberger Verhandlungssaal der Kriegsverbrecherprozesse. Zuerst noch der Monolog Sachsens, außer sich über den Wahn, der eben geschah. Danach gilt’s der Kunst: als Walther von Stolzing übt sich Klaus Florian Vogt mit dem Preislied souverän im Meistergesang. Lyrisch ausschwingend mit vokalem Glanz präsentiert sich Vogt wieder einmal als der Sänger dieser Rolle mit Referenzcharakter.

Ausgelassen fröhlich lässt es Kosky auf der Festwiese zugehen, ein Volksfest zum Schunkeln wird das, kein weihevoller Moment. Und dann der Clou am Schluss: Für das nationale Preislied auf die “heil’ge deutsche Kunst” erlaubt Kosky nur das Konzert, zu dem der Chor und ein imaginäres Orchester auf die Bühne gefahren werden. Pathos wird nur vorgeführt, nicht behauptet. Sachs, nun wieder ganz Wagner mit Samtkappe, dirigiert diese Musik als eine Art Oratorium, eine Ausstellung des Werks vor Publikum, ganz losgelöst von der Handlung der Oper. Er dirigiert es vom Zeugenpult aus, von dem aus im Nürnberger Prozess die Wahrheit ermittelt werden sollte. Ob nun Wagners Meistersinger schuldig sind oder nicht, bleibt aber offen.

Das bewährte Ensemble des Premierenjahres agierte auch in der diesjährigen Aufführungsserie fast unverändert. Die von der Regie als schlichte Geister wunderbar geführten Meistersinger, unter denen einzig Veit Pogner einigen Schliff besitzt (großartig: Günther Groissböck), waren allesamt wieder in den zitierten Kostümen der Traditionsaufführungen früherer Zeiten mit von der Partie, ebenso Daniel Behle als spielfreudiger und vokal gar nicht leichtgewichtiger David und Wiebke Lehmkuhl als solide Magdalene. Neu waren nur in der kleinen, aber nicht unwichtigen Rolle des Nachtwächters Tobias Kehrer und Emely Magee als Eva alias Cosima. Die amerikanische Sopranistin ist in Bayreuth keine Unbekannte. Bereits vor 19 Jahren sang sie schon einmal die Eva. In diesem Jahr aber blieb sie blass. Im Kostüm der ältlichen Cosima konnte sie stimmlich die jugendliche Eva kaum glaubhaft machen. Schade – der einzige Wermutstropfen in dieser sonst alles in allem überaus geglückten Produktion.

FAZIT

Auch wer mit den Meistersingern fremdelt, wird dieser Produktion viel abgewinnen.

Christoph Wurzel | Festspielhaus Bayreuth am 17.08.2018

klassik-begeistert.de

Klaus Florian Vogt, Michael Volle und Günther Groissböck sind die Meistersinger von Bayreuth

Live ist Wagner am besten. Es geht nichts über die superbe Akustik im Großen Festspielhaus in Bayreuth. Wer am Samstag dabei war bei der zweiten Aufführung der „Meistersinger von Nürnberg“, durfte sich glücklich schätzen. Es war ein phantastischer, sinnlicher und stimmungsvoller Abend auf dem Grünen Hügel – diesen Sound und dieses Bühnenspiel kann kein Kino und kein Livestream (wie bei der Premiere am Mittwoch) bieten.

klassik-begeistert.de verfolgte die 4,5 Stunden dauernde Oper in Reihe 26 im Parkett. Und muss die Worte vom Vorjahr wiederholen: Die Solisten und der Chor waren die Stars des Abends. Der Chor war von Eberhard Friedrich, dem Chordirektor der Oper Hamburg, ganz hervorragend vorbereitet worden. Stimmlich und schauspielerisch war das eine Weltklasse-Leistung!

Das Orchester der Bayreuther Festspiele musizierte unter Philippe Jordan auf Weltklasse-Niveau in flüssigen, zügigen Tempi mit sehr viel Spielfreude. Es war eine große Freude, allen Orchesterteilen zuzuhören – genau so geht Wagner! Leider herrschte beim herausragenden, hochromantischen Vorspiel zum dritten Aufzug nicht absolute Ruhe.

Noch einen Tick besser als im Vorjahr war der Tenor Klaus Florian Vogt als Ritter Walther von Stolzing. Vogt sang makellos. Rein. Frisch. Herausragend. Weltklasse! Besser kann man den Stolzing nicht singen. Klar, fein, in den Höhen atemberaubend sauber und kraftvoll. Bis zum Ende überzeugte der 48-Jährige mit bombastischer Kondition, mit Klangschönheit und –fülle. Herr Vogt, das war – wieder einmal – eine Sternstunde in Bayreuth. Möge Ihre gesegnete Stimme die Menschen noch viele Jahre verzaubern.

Herausragend war auch die Leistung des Baritons Michael Volle als Schustermeister Hans Sachs. Der Facettenreichtum seiner Stimme war zutiefst beeindruckend. Macht- und kraftvoll, souverän und mit phantastischen Zwischentönen. Weltklasse! Nur ganz zum Schluss im dritten Aufzug war zu spüren, dass Volle vollends an seine Kraftreserven gegangen war an diesem denkwürdigen Abend. Die ganz hohen Töne sind seine nicht mehr so ganz. Trotzdem: Besser kann man den Schuster Hans Sachs nicht singen: Weltklasse! Mailand, London, New York, Berlin, München und Bayreuth: Michael Volle ist nur an den besten Opernhäusern der Welt zu hören.

Auch der Bass Günther Groissböck als Goldschmied Veit Pogner lieferte wie bei der Premiere eine Weltklasseleistung ab. Er zog die Zuhörer und Zuschauer mit seiner väterlichen Stimme in den Bann. Amazing! Auch im höheren Register überzeugte er mit einem tollen Timbre. Seine Kernkompetenz ist aber der mittlere und tiefere Bereich: Kernig und volltönend! Sehr entspannend. Der Österreicher war an diesem Abend der Sänger mit dem größten Magie-Faktor, mit der größten energetischen Ausstrahlung. Dieser Ausnahmesänger sollte in Bayreuth schleunigst noch größere Partien singen!

Einen sehr guten David gab der Tenor Daniel Behle. Sehr präsent und sehr präzise sang der gebürtige Hamburger (Jahrgang 1974) als Lehrbube von Hans Sachs – immer wieder berührte er mit ganz herausragenden Passagen und wunderbarer Strahlkraft, wobei ich ihn im Vorjahr noch stärker fand.

Sehr gut, nuancenreich, mit viel Spielwitz und Stimmenreichtum agierte auch der Bariton Johannes Martin Kränzle als Stadtschreiber Sixtus Beckmesser. Es war aber nicht sein allerbester Tag, im höheren Register leistete er sich einige Fehltöne. Möge er in den folgenden Aufführungen an seine grandiose Leistung des Vorjahres anknüpfen.

Gewaltig aufhorchen ließ vom ersten Ton an die Mezzosopranistin Wiebke Lehmkuhl, Evas Amme: in der Höhe brillant und mit sehr angenehmem Timbre auch in der Tiefe. Sie hat sich im Vergleich zum Vorjahr noch einmal verbessert und ist auch bestens geeignet für größere Aufgaben.

Die einzige Fehlbesetzung des Abends war – wie im Vorjahr die Sopranistin Anne Schwanewilms – die US-Amerikanerin Emliy Magee als Eva, Pogners Tochter. Ihr fehlte jeglicher jugendlicher Glanz und jegliche Frische in der Stimme. Die 52-Jährige bekam denn auch den dezentesten Beifall des Publikums und keine Bravi. Einige Töne sang sie falsch an, von Strahlkraft in der Höhe keine Spur. Oft klang Magee sehr gepresst und nicht frei im Ausdruck. Auch war die Artikulation der renommierten Sängerin, die nur an wirklich bedeutenden Häusern singt, sehr undeutlich und schwammig. Ihr Text war gar nicht zu verstehen, ja, es blieb unklar, in welcher Sprache die Sopranistin sang. Ihre Leistung fiel im Vergleich mit den anderen hervorragenden Sängern deutlich ab. Die Bayreuther Festspiele können sicher spielend deutlich bessere Sängerinnen engagieren.

Die Inszenierung des Australiers Barrie Kosky, Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper Berlin, ist die beste, agilste, vitalste und packendste der letzten Jahre auf dem Grünen Hügel. Ein Meisterwurf. BR-Klassik schrieb im Vorjahr trefflich: „Barrie Kosky inszeniert eine Reise durch den Wahn. Der Wahn wohnt in einem Charakterkopf, auf dem ein schwarzes Samtbarett sitzt. Wagner liebte solche Kappen. Damit sah er fast wie Rembrandt aus. Nicht weit vom Festspielhaus, in der Villa Wahnfried, kann man heute in den rekonstruierten Räumen die originalen Mützen des Meisters bewundern. Dort, bei Wagners Zuhause, beginnt auch Koskys Meistersingerinszenierung. Schon während der Ouvertüre bevölkert sich der Raum. Schwiegervater Franz Liszt greift in die Tasten. Gattin Cosima hat Migräne. Und dann kommt auch noch Dirigent Hermann Levi zu Besuch, den Wagner als Künstler achtet und als Menschen quält, weil er Jude ist. Man spricht ein neues Werk durch, singt und spielt: die Meistersinger.

Wagner, der solche Privataufführungen liebte, verteilt die Rollen. Liszt verwandelt sich in Pogner, Cosima in Eva. Wagner selbst steht mehrfach auf der Bühne. Als junger Mann ist er Stolzing, als alter Sachs. Diese ersten Minuten sind grandios. Temporeich, treffsicher und bitterböse – etwa, wenn alle niederknien, um die deutsche Kunst anzubeten. Nur der Jude Levi wird ausgeschlossen, fremd gemacht, ins Abseits gestellt. Klar, dass ihm die Buhmann-Rolle des Beckmesser zufällt.“

Andreas Schmidt | 29. Juli 2018

Rating
(6/10)
User Rating
(3/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 48.0 kHz, 622 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast from the Bayreuth festival
A production by Barrie Kosky (2017)