Die Meistersinger von Nürnberg
Philippe Jordan | ||||||
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Hans Sachs | Michael Volle |
Veit Pogner | Georg Zeppenfeld |
Kunz Vogelgesang | Jörg Schneider |
Konrad Nachtigall | Stefan Astakhov |
Sixtus Beckmesser | Wolfgang Koch |
Fritz Kothner | Martin Häßler |
Balthasar Zorn | Lukas Schmidt |
Ulrich Eißlinger | Ted Black |
Augustin Moser | Robert Bartneck |
Hermann Ortel | Nikita Ivasechko |
Hans Schwartz | Dan Paul Dumitrescu |
Hans Foltz | Evgeny Solodovnikov |
Walther von Stolzing | David Butt Philip |
David | Michael Laurenz |
Eva | Hanna-Elisabeth Müller |
Magdalene | Christina Bock |
Ein Nachtwächter | Peter Kellner |
Die “Meistersinger” als Schlafwandler
“Wach ich oder träum ich?” Die Frage, die in den “Meistersingern von Nürnberg” wiederholt gestellt wird, bleibt in der Neuproduktion des Richard Wagner-Stücks an der Wiener Staatsoper bis zuletzt unbeantwortet. Keith Warner inszenierte die große Oper der künstlerischen Selbstbefragung in schlafwandlerisch-assoziativen Bildern rund um starke Sängerdarsteller und erhielt vom Premierenpublikum am Sonntagabend viel Zustimmung. Gefeiert wurde Michael Volle als Hans Sachs.
Sein Traum, sein Wahn, seine Wirklichkeit: Warner lässt die Meistersinger ein Schattenspiel in Sachsens Fantasie treiben, suggeriert mit Motiven zwischen Poesie und Irrsinn, dass der seltsame Plot die schlaftrunkene Einbildung eines alternden, rastlosen kreativen Geistes sein könnte. Ein zartes Männchen mit riesigem, maskiertem Schädel geistert durch diesen Geist, komische Vögel, Figuren mit Kostümen aus gleich mehreren Jahrhunderten, Jungfrauen und Gräber, viele Dichter, einige Meister. Der Schuhmacher, Sänger und Poet Hans Sachs – wunderbar gespielt, vor allem aber fantastisch gesungen von Michael Volle – verhilft nicht nur der Liebe, sondern auch der Kunst zu ihrem Recht. Zumindest im Traum.Auf der versatilen Bühne von Boris Kudlicka holt das Opernfach zur Nabelschau aus, wird doch nicht weniger als die Regelhaftigkeit der Kunst verhandelt. Nur wenn er ein Lied nach allen Regeln der Zunft erdichtet, darf Stolzing (David Butt Philip) um seine Eva (Hanna-Elisabeth Müller) werben – den Konflikt zwischen dem wilden Aufbäumen der schöpferischen Leidenschaft und der Verneigung vor der Meisterschaft des Regelrechten löst Wagner bis zum Schluss nicht auf. Warner lässt diese Bruchlinie in Hans Sachs selbst verlaufen, dem einzigen Meister, der Stolzings Potenzial erkennt. Er stürzt ihn in die Welt der Halluzination – oder ist er doch der Zeremonienmeister einer überzeichneten Opernwirklichkeit?Neben Michael Volle kann Keith Warner auch mit weiteren spielfreudigen Charakterdarstellern rechnen, allen voran mit Wolfgang Koch als tragikomischer Beckmesser, der die durchwachsene Melodik seiner sprachversessenen Partie ebenso deutlich zum Erklingen bringt wie Michael Volle den Sachs. Georg Zeppenfeld gibt eindrücklich den Brautvater Pogner, David Butt Philip weiß als übereifriger Stolzing mit seinem Ständchen zu rühren, nimmt in Summe aber stimmlich nicht genug Raum ein, Hanna-Elisabeth Müller punktet in hohen Lagen, kommt von dort aber nicht ganz trittsicher herunter.Als bejubelten Erfolg darf Philippe Jordan, Musikdirektor des Hauses noch bis 2025, die Wagner-Neuproduktion verbuchen. Mit den Sängern hat er präzise Arbeit geleistet, in der Abstimmung und Abmischung bleiben keine Wünsche offen, das Orchester führt er kompakt akzentuiert, in der Motivik klar gearbeitet und in der Fulminanz immer beweglich durch die Partitur. Die auf den Dirigenten regnenden Blumensträuße beim Schlussapplaus mögen auch als Botschaft der Unterstützung für einen Musikdirektor gedeutet werden, dessen Position, wie kürzlich bekannt wurde, nach seinem Ausscheiden 2025 nicht nachbesetzt wird.
APA | 5. Dezember 2022
Meistersinger als tönende Traumbilder
Den ungestümen Rausch jugendlichen Überschwangs festhalten – wer wollte das nicht? Denn was der Jugend unschuldig intuitiv geschenkt ist, will später in harter Arbeit bewusst neu erlernt werden. Ihre Lebendigkeit in einem möglichst präzisen Regelwerk zu konservieren, sich Jugend damit haltbar und jederzeit wieder abrufbar zu machen, danach trachten auch Richard Wagners “Meistersinger”. Dass dies nicht gelingen kann, dass es auch der Kunst nicht möglich ist, durch ein starres Korsett Vitalität einzufangen und damit die Zeit anzuhalten, ist die Entwicklungsgeschichte dieser Oper. Es ist mit dem jungen Ritter Walther das Ungestüm der Jugend selbst, das den Meistern den Spiegel ihrer Erstarrung vorhält.
Die Wiener Staatsoper hat seit Sonntag eine Neuproduktion der “Meistersinger von Nürnberg” im Repertoire. Der ewige Generationenkreis hat Keith Warner in seiner Regie nicht so brennend interessiert, er verstellt den Blick darauf aber auch nicht. Seine Bilder kreisen um (Alb-)Traumgedanken und kulturelle Erinnerungsreisen, um die lebendige Natur, die sich wieder einen Platz in der erstarrten Kultur erobert. Da gibt es Vogelgestalten, projizierte Neuronennetze, einen grünen Kobold und aus der Zeit gefallene Plüsch- und Pastellkostüme (Kaspar Glarner) in der variablen Bühne aus drehbaren Türmen (Boris Kudelička). All diese Versatzstücke mögen wohl erdacht sein, ein schlüssiges Ganzes ergeben sie nicht.
Stimmung und Witz
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Was man Warner zugutehalten muss: Die Personenführung ist präzise und aus der Musik gearbeitet, hat Spannung, Stimmung und Witz. Die Entwicklung des Hans Sachs vom nachdenklichen Haderer zum souveränen Geburtshelfer der Erneuerung, die des Aufschneiders Beckmesser hinein in sein Scheitern, der Weg Evas vom Kind zur liebenden Frau, der Walters vom stolzen Ritter zum geprüften Mann - diese Geschichten sind in berührender Plastizität erzählt. Dass diese feine Erzählsprache erblühen kann, liegt an den hervorragenden Darstellern. Großer Wurf ist diese Inszenierung keiner - was Warner Beifall und Buhrufe bescherte.
Starke Stimmen
Getragen werden diese “Meistersinger” stimmlich und szenisch von Michael Volle als Hans Sachs. Seine melodiös elegante Strahlkraft und sein tiefes Selbstverständnis für diese fordernde Partie sind der erdende Ruhepol dieser Produktion. Wolfgang Koch ist ihm als koboldhafter wie tollpatschiger Beckmesser ein wunderbarer Gegenspieler; Georg Zeppenfeld den beiden als elegant sonorer Pogner eine wunderbare Ergänzung. Durchwachsener das junge Paar, zumindest vokal: Hanna-Elisabeth Müller hat als Eva schöne dramatische wie lyrische Momente, kann die aber nicht zu einer einheitlichen Linie schmieden, David Butt Philip überzeugt als Walther von Stolzing mit unerschrockener tenoraler Kraft und dunklem Timbre, es fehlt ihm jedoch in der Höhe an Strahlkraft. Als präsente Bühnenpersönlichkeiten überzeugen aber auch sie. Philippe Jordan – der scheidende Musikdirektor wurde schon vor dem ersten Ton ausgiebig bejubelt und zum Schlussapplaus mit einem Blumenregen bedacht – umschloss diese szenische Präsenz mit einem satten Wagner-Sound. Vor allem in den ersten beiden Aufzügen formte er aus der kompakten Partitur einen drängenden, breiten, hellen Mahlstrom an Klang, der nicht allen Motiven ihren Entfaltungsraum bot. Was seine Lesart an Poesie und Zauber vermissen lässt, macht sie durch eine fesselnd drängende Gesamtchoreografie wieder wett.
Insgesamt ein bis in die Details packend erzählter und musizierter Opernabend voller realer “Meistersinger”, dem einzig der szenische große Bogen fehlt.
Judith Belfkih | 05.12.2022
Staatsopernwürdig
Kurz nachdem der Intendant der Wiener Staatsoper angekündigt hat, den Posten des Musikdirektors nicht mehr zu besetzen, revanchiert sich der düpierte Amtsinhaber Philippe Jordan mit einer Glanzleistung bei Richard Wagners „Meistersingern von Nürnberg“. Das Publikum solidarisiert sich mit ihm.
Applaus, noch ehe ein Takt Musik erklingt: Das Publikum stellt sich demonstrativ hinter Philippe Jordan, den Musikchef der Wiener Staatsoper, nachdem Direktor Bogdan Roščić zwei Tage vor der Premiere von Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ in einem Interview mit der Tageszeitung „Der Standard“ mitgeteilt hatte, ab der Saison 2025/2026 keinen Musikdirektor mehr beschäftigen zu wollen. Dieser Ankündigung war Anfang Oktober ein kleines Scharmützel vorangegangen, als Jordan in einem Gespräch mit dem Wiener „Kurier“ gegen die Auswüchse des Regietheaters wetterte und bekannt gab, seinen Vertrag mit der Wiener Staatsoper nicht verlängern zu wollen. Roščić konterte prompt und hielt in der Austria Presse Agentur dagegen, dass er es gewesen sei, der Jordan bereits im Sommer mitgeteilt habe, dessen Vertrag nicht über die Laufzeit bis Ende der Saison 2025 zu prolongieren. Wie auch immer es sich tatsächlich zugetragen haben mag: Jordan eroberte sich die Sympathie des Publikums.
Unbeirrt von allem Drumherum ergreift der achtundvierzigjährige Schweizer Dirigent straff die Zügel, schlägt schon im Vorspiel zügige Tempi an und vermeidet damit jeden Anflug von Pathos, mit dem Wagner in den „Meistersingern“ nicht eben geizte. Stattdessen setzt Jordan auf den luziden, komödiantischen Tonfall, den die Oper zweifellos auch enthält, und animiert das ebenso leicht wie präzise spielende Staatsopernorchester immer wieder zu federndem Brio, womit auch die zweite musikalische Falle des Stücks, Sentimentalität, glanzvoll umgangen wird. Es ist der bislang überzeugendste Auftritt Jordans an der Wiener Staatsoper, wobei er sich seine Erfahrung mit der keinesfalls einfach zu interpretierenden Oper, die er 2017 auch bei den Bayreuther Festspielen dirigiert hatte, zunutze macht.
Mit Keith Warner, der mit Wagners „Meistersingern“ sein spätes Staatsopern-Regiedebüt gab, fand Jordan nun einen Partner, an dessen Arbeit er sich wohl kaum stoßen kann. Deren Grundidee wird bereits klar, als sich der Vorhang gegen Ende des Vorspiels hebt: Vor einem dunklen, blau-grauen Hintergrund sitzt, ausgeleuchtet in sattem Blau, Hans Sachs einsam in der Bühnenmitte und denkt nach. Der Chor der Gemeinde, der die nur durch ein Portal angedeutete Katharinenkirche betritt, wirkt merkwürdig ferngerückt durch die Grautöne der historisch wirkenden Kleidung (Kostüme: Kaspar Glarner). Erst als sich Eva und Magdalene aus der Menge lösen, kommt Farbe ins Spiel. Es scheint, als würde der müde Sachs die Szene nur imaginieren. Ein Traum? Eine blasse Erinnerung? Warner lässt es bewusst offen. Jedenfalls grübelt sich Nürnbergs Schuster immer wieder aus der Realität, um seine Vorstellungswelt zu entfalten.
Boris Kudlička konzipierte dafür ein sehr wandelbares Bühnenbild, das mal hermetisch wirkt, mal dekonstruiert: Drehbare, vorn mit Holz beplankte Elemente bilden den Bühnenhorizont. Auf deren Rückseite befinden sich drei durch ein Treppengewirr erreichbare Stockwerke, deren Wände mit auffällig psychedelischen Mustern tapeziert sind. Überhaupt kippt das Szenario gelegentlich in eine hyperrealistische Bühnenshow, am auffälligsten in der Festwiesen-Szene, in der Beckmesser in roter Uniform Sergeant Pepper seine Reverenz erweist. Zuvor löst sich die Bühne immer wieder in Abstraktionen auf, als etwa Schemel, Tische und Leisten aus Sachs’ Werkstatt hoch im Schnürboden schweben. Die glatte Vorderfront der Drehelemente eignet sich vorzüglich als Projektionsfläche, auf der ein Sternhimmel, Konturen einer verschneiten Berglandschaft oder ein blühender Baum sichtbar werden.
Mit diesem Setting aus Traum und Wirklichkeit, Erinnerung und konkreter Gegenwart erzählt Warner „Die Meistersinger“ erstaunlich stringent, allerdings konzentriert auf die vielen Perspektiven, mit denen Sachs das Geschehen betrachtet, das ganz Nürnberg aus den bürgerlichen Bahnen wirft. Die inhärente Künstlerproblematik interessiert den britischen Regisseur eher wenig – bloß ein allenthalben auftauchender Kobold mit mächtigem Nietzsche-Schnauzer erinnert peripher daran. Wichtiger ist Warner die Beziehung Sachs’ zu seiner verstorbenen Frau, zu Eva und zu Stolzing, dem er im Finale, als der Junker die Meistersingerinsignien krachend zu Boden wirft, eine Lektion in Sachen Geschichtsbewusstsein erteilt: Nur wer aus dem Wissen um die Tradition schöpft, kann sich künstlerisch weiterentwickeln. Mit Buchtiteln der deutschen Weltliteratur, die Nürnbergs Bürger Stolzing zeigen, bannt Warner auch die leidige Deutschtümelei des Librettos.
Ein glänzendes Ensemble komplettiert das Gelingen dieser Neuinszenierung der „Meistersinger“, kurioserweise der ersten an der Wiener Staatsoper seit 1975 (Regie: Otto Schenk): Michael Volle als überragender Hans Sachs überzeugt nicht nur mit perfekter Stimm- und Deklamationstechnik, sondern auch darstellerisch. Es bereitet großes Vergnügen, sein Zusammenspiel mit Wolfgang Koch zu verfolgen, der als Beckmesser bis zur Schlussszene jede Karikatur der Figur geschickt vermeidet. Das junge Paar ist mit leichten, frischen Stimmen besetzt, David Butt Philip als höhensicherem Stolzing und Hanna-Elisabeth Müller als Eva, deren warm timbrierter Sopran in exponierten Höhenlagen leider zu flackern beginnt. Die tadellose, stets in historische Kostüme gekleidete Meistersinger-Riege wird von Georg Zeppenfeld als famosem Pogner angeführt, die etwas dämlich mit Latzhosen samt aufgemalten Violinschlüsseln kostümierten Lehrbuben vom spitzfindigen Michael Laurenz als David. Der von Thomas Lang präzise einstudierte Staatsopernchor rundet den Abend ab. Begeisterter Applaus des Publikums am Ende und ein wahrer Blumenregen für Philippe Jordan.
Judith Belfkih | 05.12.2022
“Meistersinger” als Traumfantasie eines Schusters
Nun ist es also schon zehn Jahre her, dass an der Wiener Staatsoper eine “Meistersinger”-Aufführung der fast 50 Jahre alten Inszenierung von Otto Schenk stattfand. Inzwischen hat man andernorts, etwa bei den Bayreuther Festspielen, eine deftige Regietheater-Version von Barrie Kosky sehen können, der das Ganze in der Wagner-Villa Wahnfried und im Gerichtssaal der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse spielen ließ.
Wagners Antisemitismus und die Vereinnahmung des Werkes durch die Nazis waren da ein gewichtiges Thema, während Jahre zuvor bei den Salzburger Festspielen mehr das Fantasievoll-Märchenhafte eine Rolle spielte. Regisseur Stefan Herheim ließ die Figur des Hans Sachs gewissermaßen die Oper selbst träumend schreiben und mit bekannten Märchenfiguren die Bühne fluten.
Gestiefelter Kater
Nun also Keith Warner an der Wiener Staatsoper. Auch der Brite setzt bei Schuster Sachs auf Traum und Albtraum eines leidenden Künstlers, dessen Innenleben und Assoziationen als surreale Bühnenwirklichkeit aufblühen. Waren in Salzburg bei Herheim unter anderen die sieben Zwerge mit Schneewittchen zugegen, auch der gestiefelte Kater wie auch der Froschkönig, sind bei Warner ein Kobold, Raben, goldener Videoadler und Gestalten der Historie Elemente seiner schillernden Inszenierung.
Keith Warner wandert durch die Jahrhunderte: Figuren aus dem 16. Jahrhundert treten auf, auch Wagners 19. Jahrhundert kommt vor, und zu entdecken sind Momente jener Zeit nach 1945, nach der Katastrophe.
Äußerlich geht es natürlich um Ritter Walther, dessen Musikalität alle Regeln sprengt und doch wundersam Inspiration und Innovation vereint. Die ihn prüfenden Meister, hier sehr markant gezeichnet, werden durch den Eindringling, der Eva liebt, in ihren Grundfesten erschüttert.
Kraftlos niederknien
Ja, bei Warner wird die Geschichte erzählt. Es dominiert allerdings die Sachs-Perspektive. Es dominiert die Schilderung der inneren Kämpfe von Sachs, der zwischen Tradition und Moderne zu vermitteln versucht, zwischen Begehren und Vernunft. Sachs ist der alternde Witwer, der vor dem finalen Sangeswettbewerb im dritten Akt, bei dem sich Beckmesser lächerlich macht, plötzlich vor seinem eigenen Grab resigniert niederkniet.
Vor diesen Todesahnungen fantasiert Sachs sich aber auch Eva herbei, die er begehrt. Hier gerät die Inszenierung ins Schwärmen, mündet in eine abstrakte Traumlandschaft, in der Mädchen in Weiß Sachs umtanzen. Auch wenn die Inszenierung eher auf der heiteren und Stimmungsbilder erzeugenden Seite steht, wird der widersprüchliche, ambivalente Charakter von Sachs mit all seinen Ressentiments nicht völlig umgangen.
Wie aus dem Cover gefallen
Wenn Sachs sich am Ende zum durch die Rezeption rassistisch kontaminierten Lob auf die deutsche Kultur aufschwingt, halten ihm die Massen Kunstprodukte entgegen. Mit dabei auch Thomas Manns “Doktor Faustus”, in dem es um die Verantwortung des Künstlers geht und die – so Mann – Herbeiführung des Nationalsozialismus aus romantisch-idealistischem Denken. Etwas nebulos bleibt die Szene allerdings.
Dass Sachs als widersprüchlicher Charakter differenziert rüberkommt, ist dem phänomenalen Michael Volle zu verdanken. Er entwirft eine psychologisch tiefe und vokal charismatische Studie eines Menschen nahe der Verzweiflung, den ein Wertekonflikt plagt.
Kammerspielartig und doch imposant war das und ging nicht besser, selbiges gilt auch für Wolfgang Koch: Er zeichnet Beckmesser mit vokalen und darstellerischen Mitteln als Möchtegernpopstar, der eine Art lächerlicher Hagen (der Siegfried-Mörder aus der “Ring”-Tetralogie) sein könnte und der sich am Ende in einer Fantasieuniform präsentiert, als wäre er vom Beatles-Album “Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band” herabgestiegen.
Guter Gesang
Als quasi noblen Salonlöwen präsentiert David Butt Philip den Ritter Walther, wobei er vokal bisweilen an die Grenzen der Belastbarkeit stößt, ohne allerdings viel an Strahlkraft zu verlieren. Fast so souverän und kultiviert wie immer Georg Zeppenfeld als Evas Vater Veith Pogner; durchschlagskräftig Hanna-Elisabeth Müller (als Eva) in den Höhen, in den Tiefen fehlt es ihr aber an Substanz. Sehr komödiantisch und vokal durchdringend Michael Laurenz als David mit dem Violinschlüssel auf der Latzhose.
In Summe eine tolle, detailverliebte Inszenierung (mit guten Meistern und bis auf den Anfang gutem Chor), die maßgeblich vom Orchestergraben lebt. Dirigent Philippe Jordan und das Staatsopernorchester schaffen ein drängendes, sich selbst aufschaukelndes, bisweilen kontrapunktisches Energiefeld, das niemals an Ausgewogenheit einbüßt. Da ist Impulsivität, Akzentuierung, ein elegantes Vorwärtsdrängen abseits des Schwelgens. Poesie kommt eher vom Klang und weniger von der Phrasierung.
Nicht verlängert, aber mit Blumen
Jubel am Ende für Volle und besonders für Philippe Jordan. Da gab es sogar, was bei Dirigenten praktisch nie vorkommt, Blumenspenden. Es war womöglich auch ein demonstrativer Trost dafür, dass Jordan von Staatsoperndirektor Bogdan Roščić vertraglich nicht verlängert wurde.
Ob Jordan, der sich unlängst über das Regietheater beklagt hat, mit dieser Inszenierung glücklicher war als mit jener Barrie Koskys, bei der er in Bayreuth dirigiert hatte? Koskys Deutung führte – wie erwähnt – Wagner in den Gerichtssaal der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, was als extremes, brillantes Regietheater betrachtet werden konnte. Keine Ahnung. Dem Publikum in Wien hat es jedenfalls bis auf kleine Buhs sehr gut gefallen.
Ljubiša Tošić | 05.12.2022