Die Meistersinger von Nürnberg
Sebastian Weigle | ||||||
Chor der Oper Frankfurt Frankfurter Opern-und Museumsorchester | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Hans Sachs | Nicholas Brownlee |
Veit Pogner | Andreas Bauer Kanabas |
Kunz Vogelgesang | Samuel Levine |
Konrad Nachtigall | Barnaby Rea |
Sixtus Beckmesser | Michael Nagy |
Fritz Kothner | Tobias Schabel |
Balthasar Zorn | Jonathan Abernethy |
Ulrich Eißlinger | Hans-Jürgen Lazar |
Augustin Moser | Andrew Bidlack |
Hermann Ortel | Sebastian Geyer |
Hans Schwartz | Anthony Robin Schneider |
Hans Foltz | Božidar Smiljanić |
Walther von Stolzing | AJ Glueckert |
David | Michael Porter |
Eva | Magdalena Hinterdobler |
Magdalene | Annika Schlicht |
Ein Nachtwächter | Kihwan Sim |
Welch Traumwahndeuterei!
Richard Wagners einzige komische Oper Die Meistersinger von Nürnberg zu inszenieren, ist wahrlich keine einfache Aufgabe. Zwischen mittelalterlich verstaubter Butzenscheiben-Romantik und Deutschtum-verherrlichender Kunst-Propaganda haftet der Oper nur allzu sehr der Ballast der Geschichte von Wagners eigenem Antisemitismus bis hin zu Hitlers Verehrung für die fränkische Heimatstadt Hans Sachsens an. In diesem Kontext bekommt selbst bei einer noch so „gut gemeinten“ Inszenierung die Schlussansprache des Schusters „Verachtet mir die Meister nicht“ einen bitteren Beigeschmack… In seinem Vortrag vom „welschen Dunst“ im „deutschen Land“ urteilt Sachs darüber, was „deutsch und echt“ sei, schließt somit jedoch auch aus, was dieses Prädikat nicht verdient hat.
Johannes Eraths Lesart an der Oper Frankfurt möchte sich nicht mit der komplizierten politischen Rezeptionsgeschichte der Oper auseinandersetzen und lässt Sachs stattdessen einen in den Johannistag mündenden Sommernachtstraum durchleben. Wie bei Shakespeare müssen sich die Paare erst finden und auch bei Wagner, so die Parallelen, wird einer zum Esel gemacht: In diesem Fall ist es Beckmesser, der Opfer der allzu üblen Scherze wird. Eraths Bildsprache ist zu Beginn überaus einnehmend und charmant, das Bühnenbild voller unterhaltsamer Details, verliert sich dann aber in allzu vielen Widersprüchlichkeiten. Von Akt zu Akt gerät seine Inszenierung überladender und seine Deutung wird unverständlicher. Er verschreibt sich immer mehr dem Wahn-Gedanken und driftet in surreale Bildwelten sowie groteske Choreographien ab. Seien es die Meister in ihren exzentrisch karierten Anzügen, die auf sich unentwegt herumfahrenden Hochsitzen autoritär über allen thronen oder die von den omnipräsenten und alles durchdringenden Regelwerk des Meistergesangs überragt und eingeengten Bürger Nürnbergs – Erath und sein Bühnenbildner Kaspar Glarner finden atmosphärische Bilder, verzetteln sich aber letztlich in der Überzahl ihrer Ideen und Ansätze.
Eva versucht sich in der Welt der Meister/Männer zu behaupten, begehrt gegen die Entscheidung ihres Vaters auf, muss sich letztlich aber geschlagen geben. So wird sie als bloßes Objekt der Begierde mehrmals objektifiziert, indem ihr jeder ihrer potenziellen Freier versucht, einen passenden Schuh gewaltsam anzuziehen und sie so ganz für sich zu vereinnahmen. Magdalena Hinterdobler vermochte ihre Partie mit spritzigem Charme und unbedarftem Trotz darzustellen. Mit großer, leuchtender Sopranstimme stellte sie zumeist eine charaktervolle, selbstbewusste Eva dar. Dennoch wäre bei ihr in den lyrischen Passagen etwas mehr Textschönheit und auch Sensibilität für eine anrührende Phrasierung wünschenswert gewesen.
Ein so junger Sachs (Anfang 30) wie bei dieser Produktion ist eine große Seltenheit und schon allein deswegen muss man Nicholas Brownlee Respekt zollen. Seine Interpretation strotzte mit seinem herben, leichtem Bassbariton von ungewohnt jugendlichem Charme. Gut disponiert und szenisch selbstbewusst meisterte er seine Rolle mühelos. Mitunter ließ auch er die so essentielle liedhafte Ausgestaltung etwas missen. Doch Brownlee wird sicherlich noch in und mit der Partie wachsen und bis zur Wiederaufnahme an seiner Interpretation feilen.
Gerade für das Wagner-Repertoire der Oper Frankfurt kann Ensemblemitglied AJ Glueckert als Glücksfall bezeichnet werden. Mit stimmlich einnehmendem, glanzvollem Tenor erarbeitete er sich zunehmend die größeren dramatischen Partien. Dass er szenisch er in der unruhigen Inszenierung jedoch stets als Außenseiter, etwas unbeteiligt und durchaus gleichgültig wirkender Darsteller wirkte, macht er stimmlich wieder wett!
Michael Nagy, der sich der Bedeutung und Komplexität seines Charakters durchaus bewusst war und Beckmesser dementsprechend vielschichtig und klischeefrei darstellen konnte, setzte stimmlich in der Partie ganz neue Maßstäbe. Mit dezidiert feinsinniger Artikulation und deklamatorisch an Perfektion grenzender Interpretation war Nagy der geheime Meister des Abends. Seine Verinnerlichung der Partie zeigt, wie er als ein mit dem notwendigen Intellekt gesegneter Sänger, sich eine Partie akribisch erarbeitet und verinnerlicht hat, nun zu wahrer Größe aufsteigen kann.
Sebastian Weigle, der mit den Meistersingern seine letzte Wagner-Produktion an der Oper Frankfurt leitete, tat dies mit in ruhigen, zugleich nicht zerdehnten Tempi. Sein sängerfreundliches Dirigat erlaubte den Solist*innen sich sprachlich bestmöglich zu entfalten. Weigle entnahm mit leichter, farbenfrohe Orchesterführung in zartem Streicherklang, prachtvoll-warmer Tongebung der Hörner und akkurat tänzelnden Holzbläsergruppen dem Werk Wagners die bedrohlich-düsteren Akzente und führte das Publikum so in seinen ganz eigenen, akustischen Sommernachtstraum. Im Zusammenspiel des Orchesters proportionierte Weigle besonders die vom Chor getragenen Szenen stets durchhörbar und transparent, blieb dabei stets im Fluss und bewies, dass die Poesie der Dichtung Wagners eben gerade durch das Klangbild des Orchesters geprägt werden kann.
Zum Schluss wird der wahnvolle Traum des Sachs zum Alptraum. Während seiner ermahnenden Ansprache, erleuchtet der Germania-Schriftzug, wie er bereits am deutschen Pavillon der Biennale in Venedig 1938 prangte, über der illustren Versammlung auf der Festwiese. Dieser schwört bereits düstere Vorahnungen herauf, erinnert der gebogene Schatten des Schriftzugs doch allzu sehr an den des Eingangs zum KZ Auschwitz („Arbeit macht frei“) und ermahnt somit, was passiert, wenn man zu sehr darauf bedacht ist, was „deutsch und echt“ ist. Ein starkes Schlussbild für die neuen Frankfurter Meistersinger.
Alexandra Richter | 06 Dezember 2022
Verkomplexizierte MeistersängerINNEN – Die Oper Frankfurt begeistert mit hauseigenem Ensemble
Was ist das Werk nicht alles? Wagners Satyrspiel nach dem epochalen „Tristan“; eine fabulöse Parabel über Kunst und ihre Entstehung; ein problematischer Lobpreis „teutschen“ Wesens; ein unsterbliches Plädoyer für Innovation inmitten von Tradition; ein befremdliches Frauenbild als Kunst-Preis; eine Idealisierung Nürnbergs undundund … Im eben gewählten „Opernhaus des Jahres“ kam noch die Inszenierung von Johannes Erath hinzu.
Ein schwarzer Bühnenraum voller Zahlen und Formeln – eventuell Beckmessers Versuch der Bändigung aller Welt; kreisende abstrakte Halbrunde mit halbgenutzten Leitern auf halbhohe, nicht betretene Brüstungen; von schwarzgesichtigen Geistern in Frack und Zylinder herein- und herausgeschobene Wohnräumwände für Sachs und Beckmesser; befremdlich bunte Herrenanzüge, darüber mal Frackteile und Zylinder; Eva von Anbeginn im weißen Brautkleid; Walther im weißen Sommeranzug wie vom Golfplatz der Cote d’Azur; die Lehrbuben im Schülerdress mit Käppi; Beckmessers Ständchen mit herabfahrenden „Blauer-Engel“-Frauenbeinen, nachdem zuvor Dürers „Betende Hände“ mal zu sehen waren; eine Halbvergewaltigung von Eva durch die Meisterriege am Ende der Prügelszene, nach der eine Kind-Eva als Opfer zurückbleibt; diese Kind-Eva taucht auch in Sachs‘ Erinnerung auf; nach der Prügel-Szene sitzen alle Meister samt Beckmesser in modernen Rollstühlen; die Festwiese als bühnenfüllender Aufmarsch von allen Popgrößen des 20. Jahrhunderts in ihrem jeweils schrillsten Outfit – bis hin zu Pavarotti, während Sachs vorne auf einer Matratze liegt; die immer wieder diskutierten Problemzeilen vom Zerfall von „Volk und Reich“ durch „falsche welsche Majestät“: Vorhang zu, Sachs singt dies davor, herausgenommen in einem Spot, zum Meisterpreis und Jubel um Sachs dann wieder Vorhang auf. Dem Bühnenteam um Regisseur Erath – Kaspar Glarner (Bühne), Herbert Murauer (Kostüme), Bibi Abel (Video), Joachim Klein (Licht) – ist nur eine weitgehende Verkomplizierung und ein problematischer Komplex-Anriss von Sachs mit Kind-Eva „gelungen“… verquaster Aufwand, ein Regie-Ego-Trip.
Aber: eine Besetzungsliste zum Staunen. Bis auf einen Meister alles Rollendebütanten; ein anderer Meister, dann vor allem Magdalena Hinterdobler als Gäste, Bariton Michael Nagy als Rückkehrer an sein ehemaliges Stammhaus – und ansonsten eine komplette Hausbesetzung aus dem Ensemble. Das könnte „gutes Hausniveau“ ergeben – oder wie jetzt: staunenswerte Qualitäten. Das gilt für alle Klein- und Mittelsolisten, von den Lehrbuben aus dem Frankfurter Opernstudio bis zum Hausveteran Hans Mayer, der von 1977 bis 2016 festengagiert war und jetzt im Clownskostüm einen volltönenden Nachtwächter sang. Doch beeindruckender strahlte der schlanke Tenor von Michael Porters David, so dass man der gezielt „reifen“ Claudia Mahnke glaubte, dass sie als quasi „spätes Mädchen Magdalene“ sehr gerne diesen Burschen mit Zukunft ehelichen wird. AJ Glueckert ist über seine Frankfurter Jahre so gereift, dass er einen seine künftige Rolle suchenden „Junker Walther“ als rotzigen Sonny Boy mit Händen in den Hosentaschen sang: mit einem mühelosen „Preislied“ am Ende, das keinen Vergleich zu scheuen braucht. Die als Geheimtipp gehandelte Magdalena Hinterdobler war eine schon frauliche Eva, doch voller Sopran-Sonnenschein über allen übrigen Stimmen. Aus denen schien der Beckmesser von Michael Nagy rollengerecht herausragen zu wollen, geiferte gekonnt und tönte mehrfach auftrumpfend. Einen kapitalen Sachs im Ensemble zu haben, belegte abermals die vokal und menschlich überlegt kluge Hauspolitik Frankfurts: zwar durfte der voll-lockig rotblonde Nicholas Brownlee unlogisch jung von „König Marke“ und seiner eigenen Altersweisheit singen, musste ein paarmal Wagners Text „neu dichten“, hielt aber bis in seine lange Schlussansprache beeindruckend vollmundig durch und war mit seiner hochgewachsenen Bühnenerscheinung ein überzeugender Mittelpunkt, obwohl da Bass Thomas Faulkner als Kothner nicht nur mit seiner „Tabulatur“ prunkte, sondern mit Andreas Bauer Kanabas als Pogner eine der schönsten Bass-Stimmen der derzeitigen Szene beeindruckte. Dazu tönte der von Tilman Michael einstudierte Chor und Extra-Chor aus dem schwarzen Halbrund festspiel-gemäß.
Das setzte sich im Graben fort: Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester zeigte unter GMD Sebastian Weigle den Reichtum der Wagner-Partitur. Ein wenig Buh für das Bühnenteam, ansonsten Jubel für die Solisten – und hoffentlich ein Signal in den problematischen Frankfurter Kulturausschuss: überragende Ensemblepolitik führt zu solchen Höhepunkten.
Wolf-Dieter Peter | 07.11.2022
Wahnsinnsvielfaltseinerlei
Johannes Erath und Sebastian Weigle bringen an der Oper Frankfurt eine musikalisch geglückte, szenisch ebenso witzige wie mutige Lesart der „Meistersinger von Nürnberg“ von Richard Wagner heraus.
Claudia Roth, die auf einem historischen Foto von 1990 vor der Frankfurter Katharinenkirche hinter einem Transparent mit der Aufschrift „Nie wieder Deutschland“ zu sehen ist, als sie „gegen die Annexion der DDR“ und „gegen den deutschen Nationalismus“ protestierte, hat Ende August 2022, nunmehr als amtierende Staatsministerin für Kultur und Medien der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Presse-Agentur im Interview gesagt, dass sie Reformbedarf bei den Richard-Wagner-Festspielen in Bayreuth sehe, unter anderem deshalb, weil „das Publikum auf dem Grünen Hügel eben kein Abbild unserer vielfältigen, bunten Gesellschaft darstellt“.
Wenn Kunst und ihr Publikum sich vor politischen Ansprüchen der Buntheit und Vielfalt rechtfertigen müssen, kann das zu Konflikten führen mit Regeln und Standards, welche die Kunst sich selbst stellte oder immer noch stellt. Und recht beherzt, mit Mut und Witz, geht die neue Inszenierung von Wagners Musikdrama „Die Meistersinger von Nürnberg“ an der Oper Frankfurt durch Johannes Erath auf die Frontlinien dieser Auseinandersetzung zu.
Alles beginnt mit der von Bibi Abel gestalteten Videozeichnung der betenden Hände von Albrecht Dürer (dem Zeitgenossen von Hans Sachs in Nürnberg, der historischen Hauptfigur in Wagners Drama). Dazu erklingt das Vorspiel zur Oper, das Sebastian Weigle am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters fein durchmodelliert, in jedem Detail liebevoll ausgestaltet, ohne Pomp und Protz. Die betenden Hände stehen für die Haltung der Kunstreligion des neunzehnten Jahrhunderts: der Andacht gegenüber dem Werk, von dem man eine Offenbarung für das eigene Leben erhofft.
Johannes Erath zeigt dann die Meistersinger im ersten Aufzug auf abenteuerlichen Hochstühlen wie Schiedsrichter im Tennis (Kaspar Glarner schuf die Bühne). Wenn dann Hans Sachs fordert, einmal im Jahr das Volk entscheiden zu lassen, was gute Musik sei, so regt sich Unmut bei den Meinungsführern: „Der Kunst droht allweil Fall und Schmach, läuft sie der Gunst des Volkes nach.“
Nun schlägt sich Erath aber nicht auf die Seite der metierkundigen Kunstrichter. In Fall und Schmach stürzen vor allem sie selbst im zweiten Aufzug, weil sie sämtlich nach der Frau gieren, die leicht zu haben sei. Zum Schusterlied des Sachs über die Eva des Paradieses senken sich die beschuhten nackten Beine von Marlene Dietrich herab, ikonisch geworden im Film „Der blaue Engel“. Lehrbuben wie Meister sind hinter Eva Pogner her, die deren Vater als Preistrophäe für das beste Meisterlied ausgesetzt hat. Alle Kerle wollen ihr den rechten Schuh anpassen und vergessen – wie Professor Rath bei Heinrich Mann – sehr schnell hohe Kunst und gute Sitten. Sie sind moralisch diskreditiert.
Beim Liedwettbewerb auf der Festwiese sind dann die Meister nur noch ein Randgruppenphänomen. Die Bühne wird beherrscht von den Ikonen der Popkultur: ein Rudelkuscheln der Beatles mit Heino, Nana Mouskouri und Lady Gaga. Die – vorläufige – Endstufe der bürgerlichen Kunstreligion ist die Castingshow. Eva Pogner, die bislang eigentlich von Walther von Stoltzing nichts wissen wollte, erliegt seinem Auftritt: „Keiner wie du so hold zu werben weiß!“ Kunst ist mit Werbung identisch geworden und restlos aufgegangen im Pluralismus der Verbraucherdemokratie.
Nun vergisst Erath über dieser großen Säkularisierungsgeschichte von Kunstreligion nicht die Geschichte der Figuren: Beckmesser ist ein verklemmter Neurotiker mit Minderwertigkeitskomplex, woraus Michael Nagy ebenso wendig wie präzise eine Spitzenleistung macht. Eva, mit explosiver Sinnlichkeit gesungen von Magdalena Hinterdobler, will Hans Sachs zum Mann und keinen anderen. Und dieser Sachs ist in Gestalt von Nicholas Brownlee nicht wesentlich älter als sie, sondern ein jugendlicher Kavalier mit tenoralem Glanz über seinem Bariton. Nur Andreas Bauer Kanabas ist mit seinem wohligen Prachtbass ein väterlicher Veit Pogner, wie man ihn sich so vorstellt. AJ Glueckert singt den Stoltzing mit vokalem Charme, bleibt aber als Figur ein melancholischer Außenseiter, der von allen verschmäht wird. Michael Porter singt und spielt mit größter Beweglichkeit den Lehrbuben David, dessen Katalog der Meisterliedweisen zusammen mit dem Orchester voll feinster Abstufungen der Farben und bedeutungsreichen Zäsuren Anlass zu größter musikalischer Freude ist. Alle bislang Genannten sind Rollendebütanten, nur Claudia Mahnke als gerissene Magdalene hat schon Erfahrung mit der Partie. Sie alle machen ihre Sache phantastisch, genauso wie der von Tilman Michael einstudierte Chor.
Erath fragt nicht mehr, inwieweit Wagners Stück antisemitisch und Beckmesser eine Judenkarikatur sei. Barrie Kosky hatte das alles 2017 umwerfend, erschreckend, aber auch durchdacht in Bayreuth auf die Bühne gebracht. Erath will weiter. Das Stück hat uns mit seiner Geschichte über eine traurige, ausweglose Liebe, aber auch dem Streit darüber, was gute Kunst sei, noch viel zu sagen. Am Ende hält Hans Sachs seine berüchtigte Ansprache über das, „was deutsch und echt“ in der Kunst sei, vor dem geschlossenen Vorhang. Beckmesser steht ihm bei. Im bunten, vielfältigen Volk hinter ihnen ist für beide kein Platz mehr. Ihre Kunstanschauungen sind nicht inklusionsfähig. Zum Nachspiel leuchtet über dem Volk das Wort „Germania“ auf, bis die drei ersten Buchstaben verlöschen. Wenn man also, „was deutsch und echt“, aus der bunten Vielfalt streicht, bleibt „mania“ übrig. Wahnsinn, diese tollkühne Inszenierung!
JAN BRACHMANN | 08.11.2022
GERMANIA MANIA
An der Oper Frankfurt, gerade wieder zum «Opernhaus des Jahres» gewählt, nimmt GMD Sebastian Weigle mit einer Neuinszenierung von Wagners «Die Meistersinger von Nürnberg» Abschied vom Amt. Für die Inszenierung zeichnet Johannes Erath verantwortlich.
Johannes Erath bietet in seiner Inszenierung eine frische, freche Sicht auf Wagners Meisterwerk, die den idealen Mittelweg zwischen Realismus und Abstraktion findet. Basis des Einheitsbühnenbilds von Kaspar Glarner ist ein Architekturfragment, das für Nürnberger Architektur stehen könnte, sei es solche aus dem Mittelalter oder solche aus den dunklen Zeiten des 20. Jahrhunderts. Hier wird nun mit Versatzstücken weiter gearbeitet, darunter auch leicht verschiebbare architektonische Elemente. Aufgelockert wird die Bühne durch die farbenfrohen Kostüme von Herbert Murauer. Joachim Klein setzt das Geschehen ins rechte Licht. Den grossen Moment hat die Inszenierung ganz am Schluss, wenn aus der Leuchtschrift «GERMANIA» plötzlich «MANIA» wird.
Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter Takeshi Moriuchi (eingesprungen für Sebastian Weigle) setzt die Frische musikalisch wunderbar um. Es kann luftig duftig fein wie ein Fliederbusch klingen, aber, wo gefragt, auch klanglich auftrumpfen und die Solisten immer noch zu Wort kommen lassen. Tilman Michael hat den ebenfalls frisch ausgezeichneten Chor und Extra-Chor der Oper Frankfurt bestens vorbereitet.
Nicholas Brownlee gibt mit seinem jugendlichen, hellen Bariton einen dramatisch frischen Hans Sachs. Georg Zeppenfeld (am Abend zuvor in gleicher Partie noch auf der Bühne der Wiener Staatsoper zu Gast und nun eingesprungen für Andreas Bauer Kanabas) leiht seinen wohlklingenden, dunkel timbrierten Bass dem Veit Pogner und wird vom annähernd ausverkauften Haus heftig akklamiert. Michael Nagy singt einen subtil gestalteten, jugendlichen Beckmesser. Magdalena Hinterdobler gibt eine resolute, selbstbewusste Eva. AJ Glueckert gestaltet den Walther Stolzing recht zurückhaltend, so dass nicht wirklich klar wird, was Eva an ihm fasziniert. Christina Bock (ebenfalls am Abend davor noch auf der Bühne der Wiener Staatsoper, eingesprungen für Claudia Mahnke) lässt mit ihrem frischen Mezzo sofort klar werden, warum David (Michael Porter) in den höchsten Tönen für sie brennt. Das Oktett der Meistersinger ist bei Thomas Faulkner, Samuel Levine, Barnaby Rea, Jonathan Abernethy, Hans-Jürgen Lazar, Andrew Bidlack, Sebastian Geyer, Anthony Robin Schneider und Božidar Smiljanić in den besten Kehlen. Domen Križaj (eingesprungen für Franz Mayer) als Nachtwächter und Maren Favela, Chiara Bäuml, Helene Feldbauer, Guenaelle Mörth, Tianji Lin, Donát Havár, Istvan Balota, Kiduck Kwon und Johannes Lehner ergänzen das formidable Ensemble.
Ein intensiver Abend.
Jan Krobot | 10.12.2022