Die Meistersinger von Nürnberg
![]() | Markus Poschner | |||||
Chor und Extrachor des Landestheaters Linz Bruckner Orchester Linz | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Hans Sachs | Claudio Otelli |
Veit Pogner | Dominik Nekel |
Kunz Vogelgesang | Jonathan Hartzendorf |
Konrad Nachtigall | Navid Taheri Derakhsh |
Sixtus Beckmesser | Martin Achrainer |
Fritz Kothner | Michael Havlicek |
Balthasar Zorn | Franz Gürtelschmied |
Ulrich Eißlinger | Markus Miesenberger |
Augustin Moser | Conor Prendiville |
Hermann Ortel | Gregorio Changhyun Yun |
Hans Schwartz | William Mason |
Hans Foltz | Krzysztof Borysiewicz |
Walther von Stolzing | Heiko Börner |
David | Matthäus Schmidlechner |
Eva | Erica Eloff |
Magdalene | Manuela Leonhartsberger |
Ein Nachtwächter | Kinder- und Jugendchor des Landestheaters Linz |
Ein kaum mehr verständliches Regiekonzept für „Die Meistersinger von Nürnberg“
Zum 10. Geburtstag des 2013 eröffneten Musiktheaters am Volksgarten lässt das Landestheater Linz Richard Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ neuinszenieren. Dafür engagierte man den wenig Wagner-erfahrenen Regisseur Paul-Georg Dittrich, unterstützt wird er von Sebastian Hannak (Bühnenbild), Anna Rudolph (Kostüme) und Robi Voigt (Videodesign). Das Team versucht, das Stück in „bester“ Regietheater-Manier einmal mehr völlig umzukrempeln – allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Ausgangspunkt ist Eva Pogner, aus deren Sicht die Unvereinbarkeit des Kunstbegriffs der Meistersinger mit jenem von Stolzing erlebt werden soll.
Es beginnt in Evas Kinderzimmer mit einem Riesen-Teddybär und aufziehbaren Spielzeugfiguren à la Olympia. Diese vertändeln freilich das ganze Vorspiel, bevor Eva ihren „Helden“ mit anonymer weißer Maske aus einer Spielzeugkiste holt und ihn auf der Festwiese nach dem Preislied wieder in einen solchen verpuppt, um dann mit den Worten „Nicht Meister! – Nein! Will ohne Meister selig sein!“ zu verschwinden. Man will also die Frage stellen, ob die Frau nach heutigen Maßstäben noch so auf der Opernbühne gezeigt werden kann, wie Eva in der Oper von Wagner konzipiert wurde.
Leider verliert dieser an sich löbliche Ansatz schnell an dramaturgischer und darstellerischer Wirkung, wenn die Meistersinger schon im ersten Akt als offenbar hoffnungslos jeden Ernstes verlustig gegangene uniforme Clown-Gruppe gezeigt werden – obwohl sie doch über eine lange Zeit etwas für die Kunst getan haben – und Eva im zweiten Akt fast wie ein Flittchen durch die Männerwelt lichtert. Hier rückt nun ein riesiger Flipper (Pinball) ins Zentrum der Räumlichkeiten, hinter denen die Idee einer Art Reise anhand einer filmischen „Zoom-out-Bewegung“ stehen soll. Dazu streift das Bühnenbild mit übertrieben bunten, kirmesartigen Elementen die Grenzen des Kitsches. Jedenfalls verläuft sich spätestens im dritten Akt das nur durch Lesen eines Programmaufsatzes noch in Grenzen verständliche Regiekonzept, wenn in einem Bunker Sachs mit einem einzigen Flipper befasst ist, dem auf der Festwiese nach und nach per störendem Gabelstapler hereingefahrene Kisten weitere elf hinzufügen. Nachdem die Festwiesengesellschaft verschwunden ist, flippern Nürnberger Kinder wie entfesselt auf ihnen, die immerhin noch jeweils für einen bekannten Komponisten stehen, herum. Die großen Charaktere wie Sachs, Pogner, Beckmesser, aber insbesondere auch Stolzing kommen in diesem Konzept zu kurz. Die Kernaussage der „Meistersinger“ wird nicht erkennbar getroffen.
Musikalischer Lichtblick ist Markus Poschner mit dem Bruckner Orchester Linz, das seine große Wagner-Kompetenz ausspielt, und die von Elena Pierini und Martin Zeller geleiteten Chöre des Hauses. Claudio Otelli singt einen guten, wenn auch – teilweise regiebedingt – nicht allzu persönlichkeitsstarken Sachs. Dominik Nekel ist ein klangvoller Pogner, Ralf Lukas ein exzellenter Beckmesser in Stimme und Spiel, Erica Eloff eine vielseitige Eva mit kraftvollem Sopran und Heiko Börner ein vokal wenig überzeugender Stolzing.
Dr. Klaus Billand | 17. 04. 2023
Evas trotziger Traum
Hauptfigur Eva
Aufmüpfig ist am Musiktheater Linz allein sie, die in Wagners Libretto meist zum Evchen verniedlichend verkleinerte Eva, der man nach Genuss der Inszenierung von Paul-Georg Dittrich den Diminutiv des „-chen“ ein für allemal aberkennen möchte. Der Regisseur macht Eva zur Hauptfigur, dreht das Frauenbild Richard Wagners (der den reichen Goldschmied Pogner seine Tochter in einem Gesangswettbewerb an den Gewinner verschachern lässt) damit beherzt um. Und verkleinert damit im Ergebnis die titelgebenden Meistersinger-Männer zum Kollektiv, in dem Individualität weitaus mehr durch die Prägnanz der Musik entsteht denn durch die szenische Profilierung.
Eine Wagnerdeutung ohne Holzhammer, dafür mit Poesie und Humor
Der neue Fokus hat somit von Beginn an Folgen, freilich fast keine negativen. Es sei denn, man würde für die von den Nazis böse vereinnahmte und zum Denkmal deutscher Kunst stilisierte Festtagsoper zwingend eine dezidiert politische Lesart erwarten, die weit mehr die Rezeptionsgeschichte auf die Bühne bringen würde, als uns Schichten der Geschichte zu präsentieren, die uns in der Gegenwart bewegen könnten. Paul-Georg Dittrich, den man seinerseits durchaus zu den jungen Wilden, gleichsam den Stolzings unter den Opern- und Schauspielregisseuren zählen darf, entscheidet sich diesmal also nicht dafür, mit dem Holzhammer auf ein (Meister-)Werk zu hauen, das man im Originaltext heute quasi nicht mehr spielen könne. Denn seine Verschiebung der Perspektiven gerät hoch musikalisch, intelligent und humorvoll, wie es sich für Wagners einzige Komische Oper ja eigentlich gehört. Den ersten Aufzug verlegt sein Bühnenbildner Sebastian Hannak vom librettokonformen Kirchenraum ins Kinderzimmer, um uns das Geschehen als Evas Traum zu präsentieren zu können, was ihr an Magdalene gerichteter Satz in der 1. Szene zu legitimieren scheint: „Mir ist, als wär‘ ich gar wie im Traum.“ Im 2. Aufzug – Eva ist zur jungen Frau herangereift – erscheint ihre Stube und der sie prägende Riesen-Teddy radikal verkleinert in der Bühnenmitte und eingebettet in die Installation eines wiederum überdimensionierten Flipper-Automaten.
Die Frau als Spielball der Männer
Die Frau, die als Kind bislang so selbstbestimmt versponnen ihre Innenwelten ins Leben trug, wird – das scheint die Bühnenmetapher nahezulegen – nun doch zum Spielball der Männer. Doch das „tör’ge Kind“ wird nun zum Trotzkopf-Teenager. Erica Eloff spielt diese Rebellion intensiv aus und damit beherzt gegen das Klischee vom braven Evchen an. Der echte intensive Kuss mit Hans Sachs, dem ersten Mann in ihrem Leben, wirkt absolut glaubhaft. Vokal übertreibt die feinstimmige jugendlich dramatische Sopranistin es dann im Eifer des Anti-Gestus mitunter, doch dient dieser Grenzgang fraglos der Intensivierung ihres packenden Portraits dieser anderen Eva. Die berühmte Prügelfuge im Finale des 2. Aufzugs zeigt dann, wie ein Spiel aus den Fugen geraten kann. Evas Traum mutiert zum Alptraum. Der die Ordnung wiederherstellende Nachtwächter tritt dann szenisch nicht auf und ist auch nicht mehr dem Bass-Solisten der Partitur anvertraut, sondern der Vielstimmigkeit des Kinderchors: Tönen hier die inneren Stimmen der kindlichen Eva?
Der Regisseur als präziser Psychologe
Ein einzelner Flipper auf sonst leerer (Weltenscheibe-)Bühne ziert Sachsens Schusterstube des 3. Aufzugs. Die Einsamkeit des charismatischen Schustermeisters und Ersten unter Gleichen der Meistersinger wird berührend deutlich. Dies liegt auch an der sängerdarstellerischen Größe von Claudio Otelli, dessen Sachs es in der finalen Begegnung mit Eva und ihrem neuen Liebhaber Stolzing schier zerreißt. Er muss mit seinem sicheren und konditionsstarken Bass-Bariton nie plump auftrumpfen, um uns emotional nahzukommen, seine Verhaltenheit schafft größtmögliche Identifikation mit dem Mann, der sich den Verzicht auf die geliebte, doch so viel jüngere Frau hart erarbeiten muss. Paul-Georg Dittrich zeigt hier, dass er auch ein präziser Psychologe ist, der sich in die Figuren exakt einfühlen kann. Das wiederum traumverlorene Quintett zeigt er als Begegnung von fünf Individuen, von denen sich vier zu Paaren finden. Einer, Hans Sachs, muss brutal erfahren, dass er allein bleiben wird.
Kunst als Selbstvergewisserung eines Gemeinwesens
Auf der Festwiese dann rundet sich die Flipper-Metapher vollends. War das einzelne Pinball-Gerät bislang eindeutig Richard Wagner gewidmet, sehen wir nun multiple Flipper, die für Opernkomponisten aller Zeitalter und europäischen Kultur- und Religionsräume stehen: von Monteverdi und Händel über Mozart zu Offenbach, Donizetti, Meyerbeer, Verdi, Puccini und Strauss. Der Abend wird so, wie Wagner es intendiert hatte, zum Diskurs über die Kunst, wie sie Selbstvergewisserung eines Gemeinwesens schafft, wie sie Tradition und Innovation harmonisch verbinden sollte. Treibende Kraft ist hier jener weibliche Stolzing namens Eva. Sie nimmt nun ihrem Märchenritter die Worte aus dem Mund und singt „will ohne Meister selig sein“ – und geht unwirsch ab, wendet sich von der männerdominierten Gesellschaft ab. Stolzing bleibt am Ende allein mit Sachs auf der Flipper-Bühne. Sachs singt seine Schlussansprache ohne Affirmation durch den nun nicht mehr präsenten Chor. Kinder in Gegenwartskleidung betreten die Bühne. Ein neues Spiel kann beginnen. Ein C-Dur-Hoffnungszeichen ist sicht- wie hörbar.
Mozartischer Geist im Gewande des 19. Jahrhunderts
„Die Meistersinger“ als Hohelied der (immer neuen) Kunst singt auch Markus Poschner mit dem glänzenden Bruckner Orchester Linz. In seiner luziden, lyrischen, leichtfüßigen Interpretation zeigt er den zu oft vernachlässigten Einfluss eines Komponisten auf Wagner, der in der Flipper-Ahnengalerie fehlte: Felix Mendelssohn. Dessen mozartischen Geist im Gewande des 19. Jahrhunderts atmet das Orchester mit ungeahnten Pianissimo-Passagen, mit maienduftiger Eleganz und Transparenz, mit flüssigen Tempi, die wie die Szene für die Kurzweil des Abends sorgen. Das famose Ensemble dankt es dem GMD, der hier ein genuines Konversationsstück dirigiert, das niemanden zum Forcieren drängt: vom bassnobel belkantesken Pogner des Dominik Nekel, dem pointiert deklamierenden Beckmesser-Einspringer Ralf Lukas, dem vom großen Heldenfach in leichtere Gefilde zurückkehrenden Heiko Börner als Stolzing. Die Feier zum zehnjährigen Bestehen des Musiktheaters Linz geriet damit nach Maß und demonstriert entschieden, welche Strahlkraft die Linzer Oper jenseits der Traditionsmetropole Wien in Österreich mittlerweile entfaltet.
Peter Krause | 16. April 2023
Linzer “Meistersinger” faszinieren als Traum im Kinderzimmer
Man hat sich ja schon längst daran gewöhnt, dass an der Stelle der ehemaligen Blumauerkreuzung das markante Gebäude des Musiktheaters Linz seine ausladende Eingangsfront zum Volksgarten und zur Innenstadt hin richtet. Und doch sind es erst zehn Jahre – oder sollte man besser sagen: schon zehn? Wie dem auch sei: Ganz offensichtlich wurde zum Jubiläum eine besondere Herausforderung gesucht und in Richard Wagners “Meistersingern von Nürnberg” gefunden – einer “Festoper” mit hinlänglich bekannter, wechselvoller Geschichte. “Ehrt eure deutschen Meister …” – diese Zeilen dann ausgerechnet in Linz?
Ohne schwere Emphase und Pathos
Um es vorwegzunehmen: Das Stück funktioniert hier aus mehreren Gründen bestens, zum einen, weil für die Erzählung ein überraschender und erstaunlich gut funktionierender Rahmen gefunden wurde, zum anderen schlicht und ergreifend aufgrund der gebotenen musikalischen Exzellenz.
Voll und ganz eingelöst wird dieser Anspruch von Chefdirigent Markus Poschner mit seinem Bruckner Orchester Linz: mit fließenden Tempi, Schwung und Kraft ohne Kraftmeierei und mit unglaublicher Transparenz und genauer Durchgestaltung. Der festliche Tonfall kommt – beginnend mit dem geradezu entschlackt, aber voller Elan gebrachten Vorspiel – völlig ohne schwere Emphase und Pathos daher, atmet vielmehr geradezu elegante Leichtigkeit.
Durchhörbare Prügelfuge
Die polyphonen Passagen sind von selten gehörter Klarheit, sie kulminieren in einer wuchtigen, massiven, aber dabei immer noch durchhörbaren Prügelfuge am Ende des zweiten Aktes. Grandios! Gegenüber den Sängern agieren Dirigent und Orchester verlässlich wie ein Uhrwerk und flexibel wie ein Mittelverteidiger, wobei das flüssige Grundtempo dazu beiträgt, dass die viereinhalb Stunden reine Spielzeit so kurzweilig verfliegen wie selten.
Mit dem, was auf der Bühne passiert, hat dieser Eindruck natürlich auch zu tun. Denn Regisseur Paul-Georg Dittrich hat einen Dreh gefunden, um das gesamte ideologische Paket des Stücks gar nicht so sehr ins Spiel kommen zu lassen. Den Satz “Mir ist, als wär’ ich gar wie im Traum!” aus dem zweiten Akt nimmt die Produktion wörtlich und erzählt das gesamte Geschehen als Traum von Eva, die offensichtlich noch mit ihrem Teddybären im Kinderzimmer wohnt und sich dort das Ideal eines Märchenprinzen vulgo Ritters herbeiphantasiert.
Unzahl schlüssiger Bilder
Andere Charaktere sind zu Beginn Spielfiguren aus einem Schachspiel oder Aufziehpuppen, im Mittelakt wird Eva nolens volens zum Spielball der Männer, während sich das Setting als das Innere eines Flipperautomaten entpuppt. Übrigens wechselt das Bühnenbild von Sebastian Hannak quasi mehrfach die Dimension, lässt Räume und Gegenstände um ein Vielfaches schrumpfen, als begäbe sich Wagner mit Alice ins Wunderland.
Alles ist “nur” ein Spiel, alles “nur” ein Traum – mit dieser doppelten Distanzierung entfernt sich das von Wagner ausdrücklich als Komödie verstandene Stück von jedwedem Bierernst, und zwar egal, aus welchem Blickwinkel man es betrachtet. Zusammengehalten werden die szenische und die musikalische Seite dadurch, dass Dittrich neben seinen traumlogischen – also oft sprunghaften – Assoziationen Wagners Musik sehr genau zugehört und eine Unzahl an schlüssigen Bildern und Vorgängen gefunden hat.
Viele Meister
Wenn sich Manuela Leonhartsberger als quirlige Magdalena und Matjaž Stopinšek als David – stimmlich beide mustergültig – anfangs wie Automaten bewegen, spiegeln sie Facetten der Partitur, die damit in anderem Licht erscheinen. In kindlicher Dauerbewegung wuselt die energische Erica Eloff als Eva Pogner durch das Geschehen, Dominik Nekel ist ihr nobler, sonorer Vater Veit.
Als Beckmesser vereint Martin Achrainer auch vokal groteske Züge mit großzügigem Wohlklang, seine Nummern (von Wagner als Karikaturen gemeint) bringt er mit gewinnendem Drive. Robust und strahlend schmettert Heiko Börner Walthers Gesänge, und als wortgewaltiger Hans Sachs gestaltet Claudio Otelli ein tiefschürfendes Psychogramm zwischen Sendungsbewusstsein, wütender Verve und niedergeschmetterter Verzweiflung – ist es doch in dieser Inszenierung Eva und nicht Walther, die vor dem Schlussmonolog den Meistern abschwört.
Ein Buh, viel Applaus
Auf dem erwähnten Flipper wird übrigens dann auch Wagner “gespielt” – ein ziemlich schräges Bild, das im dritten Akt dazu genutzt wird, dass auch noch etliche weitere Spielgeräte mit anderen Komponisten anrollen. Und das führt zu einer echten Pointe: dass es neben den besungenen deutschen Meistern auch noch italienische, französische, russische … gibt – und dass Richard Wagner nur einer von vielen ist. Allein das dürfte manchen hartgesottenen Wagnerianern sauer aufstoßen.
Einige Buhs mischten sich in den überwiegend freundlichen bis begeisterten Premierenapplaus.
Daniel Ender | 9.4.2023