Die Meistersinger von Nürnberg
Philippe Jordan | ||||||
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Hans Sachs | Georg Zeppenfeld |
Veit Pogner | Günther Groissböck |
Kunz Vogelgesang | Jörg Schneider |
Konrad Nachtigall | Jack Lee |
Sixtus Beckmesser | Martin Gantner |
Fritz Kothner | Martin Häßler |
Balthasar Zorn | Lukas Schmidt |
Ulrich Eißlinger | Thomas Ebenstein |
Augustin Moser | Agustín Gómez |
Hermann Ortel | Clemens Unterreiner |
Hans Schwartz | Simonas Strazdas |
Hans Foltz | Stephano Park |
Walther von Stolzing | David Butt Philip |
David | Michael Laurenz |
Eva | Hanna-Elisabeth Müller |
Magdalene | Christina Bock |
Ein Nachtwächter | Peter Kellner |
Teilweise neu besetzte „Meistersinger“ an der Wiener Staatsoper
In seiner mittlerweile vierten Saison als Musikdirektor der Wiener Staatsoper musiziert Philippe Jordan voll im Einklang mit dem Orchester, bemüht er sich doch enorm um die Formation, auch stimmt die Chemie zwischen ihm und den MusikerInnen nunmehr sichtbar und wirkt sich dieser Umstand naturgemäß auf das musikalische Ergebnis aus. Allzu gern folgt am Abend des 30. Mai 2024 das hervorragend disponierte Orchester dem Dirigenten, der mit großem Gestaltungsreichtum am Pult waltet. Bereits das Vorspiel gelingt hervorragend in der Umsetzung, weil zügig präzise musiziert und kommen überhaupt die ersten beiden Akte flüssig, dynamisch hervorragend austariert und durchsichtig im Klang daher. Im dritten Akt findet Jordan mit nach einer kammermusikalisch ziselierten, wehmütig melancholischen Einleitung zu flüssigem Parlando-Ton in der Schusterstube wie großen Wagner-Klang auf der Festwiese. Der Applaus des Publikums steigert sich von Akt zu Akt immer mehr und entlädt sich am Schluss in lautstarke Begeisterung.
Sehr gut bis teilweise exzellent präsentiert sich an diesem Premierenabend auch der Chor der Wiener Staatsoper, der, von Thomas Lang einstudiert, zu differenziert plastischen, macht- wie prachtvollen Chorgesang findet, was einfach essenziell für musikalisch gelungene „Meistersinger“ ist.
Was die Besetzung an diesem Abend betrifft, könnten sämtliche, aus dem Ensemble des Hauses besetzte „Meister“ über mehr an Prägnanz wie an Profil verfügen; auch Peter Kellner als Nachtwächter und Martin Hässler als Fritz Kothner bleiben allzu blass. Bedauerlicherweise verfügt Michael Laurenz als vom Habitus her zu alter Lehrbube David, eine phänomenale Höhe ausgenommen, über wenig Charakter wie Stimme. Stark hingegen agiert Christina Bock als Jungfer Magdalene. Mit ihrem immer kräftiger werdenden Sopran führt sie auch das Quintett im dritten Akt schön an: Hanna-Elisabeth Müller als optisch wie stimmlich attraktive Eva, welche dem Mann Sachs dessen Entsagung verständlicherweise wohl sehr schwer macht. Zurückhaltend beginnt David Butt Philip als Walther von Stolzing, steigert sich aber im Laufe des Abends mehr und mehr zu freiem, überaus schmelzreichen Tenorgesang und krönt seine Leistung mit einem fein gefühlvollen Preislied. Einzuwenden ist allerdings, dass dieser Tenor einfach den rollenimmanent strahlenden Glanz in seiner Stimme vermissen lässt, weshalb man diesbezüglich nicht an große Rollenvorgänger im Haus am Ring wie Windgassen, King, Kollo, Jerusalem oder Botha denken darf. In bewährt vollstimmiger, bassstarker Manier gibt Günther Groissböck Veit Pogner und ist in der Rolle des Sixtus Beckmesser als Einspringer für Wolfgang Koch nunmehr Martin Gantner aufgeboten, der den auf Freiersfüßen wandelnden Stadtschreiber bewährt und verlässlich mit prägnant hellem, bisweilen etwas grellen Bariton artikuliert. In der Rolle des Nürnberger Schusterpoeten Hans Sachs zu erleben ist Georg Zeppenfeld: Von kleinen Ermüdungserscheinungen erst im Schlussmonolog abgesehen, erfasst er die komplexe Riesenpartie gestalterisch wie stimmlich in allen Nuancen mit seinem herrlich timbrierten, virilen wie perfekt geführten Bass. Dem Sänger ist auch höchste Phrasierungs-, Artikulations- wie Diktionskunst zu attestieren, weshalb er zu Recht vom Publikum für seine Leistung gefeiert wird.
Die Inszenierung von Keith Warner funktioniert auch im Repertoire. Stellen die „Meistersinger“ eine kaum zu bewältigbare Herausforderung dar, das Stück wurde im Nationalsozialismus einfach zu schwer missbraucht, versucht Warner, der Wagners Antisemitismus bewusst in seiner Regie ausspart, es so gut als möglich auf die Bühne zu bringen. Glücklicherweise gibt es keine das Werk zusätzlich verfremdende wie überfrachtende Rahmen- oder Parallelhandlungen. Zutreffend steht die Figur Hans Sachs im Zentrum der Produktion und wenn man so will, kann man im ganzen Ablauf des Abends auch einen Traum von einem über das Leben fantasierenden Hans Sachs sehen, einen schönen wie weniger schönen, zeigt Warner den Dichterschuster denn als Mann, Strippenzieher, Wegbereiter wie schmerzlich resignierenden Entsagenden. Personenführung wie Personenregie funktionieren auch mit Protagonisten, die nicht in der Premierenserie auf der Bühne gestanden sind: Warner versteht es, Menschen auf der Bühne mehr oder weniger ergreifend darzustellen, die Beziehungen und Handlungen, in denen sie zueinanderstehen, herauszuarbeiten. Die Kostüme gehen durch die Jahrhunderte, altes findet sich hier neben neuem, der bunte Reigen wirkt zuweilen etwas zu banal, grell und aufgesetzt. Was aber für die Inszenierung einnimmt, ist die Tatsache, dass man durch Warners klare, im Grunde einfache Inszenierung des im Grunde bitter ernsten, wenig heiteren Meisterwerkes nicht von der überragenden Musik abgelenkt wird. Der Regisseur erzählt die Geschichte: Die Liebe zwischen Eva und Stolzing, die Meister mit ihren strengen Gesangsregeln, Beckmesser mit seinem Festhalten an den alten Traditionen, unfähig für Neuerungen in der Kunst, und Hans Sachs als sich und seine Person Zurücknehmenden, dem am Ende zwar vom Volk gehuldigt wird, der aber all‘ sein Glück verloren hat.
Thomas Rauchenwald | 31. Mai 2024
Verachtet mir diese Meister und Meisterinnen nicht!
„Glaubt mir, des Menschen wahrster Wahn wird ihm im Traume aufgetan: all Dichtkunst und Poeterei ist nichts als Wahrtraumdeuterei,“ behauptet Hans Sachs im 3. Aufzug der Oper. Keith Warner machte diese Einsicht zum Schlüssel seiner Inszenierung, in der Wahrheit und Wahn, Traum und Realität ineinander übergehen, ohne dass es jemals zu einer eindeutigen Festlegung kommt, ob sich das Ganze tatsächlich als Traum des Hans Sachs deuten ließe: „Je älter ich werde“, so der Regisseur, „desto weniger möchte ich eine konzeptionelle Sichtweise entwickeln, die nur einen Weg, nur eine Interpretation zulässt. Ich mag es, wenn es Unklarheiten gibt.“ Bei der Premiere seiner Inszenierung vor eineinhalb Jahren fand dieser Ansatz und dessen Umsetzung zwar keine einhellige, aber immerhin weitgehende Zustimmung bei Kritik und Publikum. Die Handlung der Oper hält sich an die Vorlage, und die Personenführung Warners ist sowohl nachvollziehbar wie auch hilfreich, die Bühne (Boris Kudlicka) erweist sich als mehr als praktikabel und die Kostüme von Kaspar Glarner sind bunt und abwechslungsreich.
Dass sich Meisterwerke der Kunst weder eindeutig noch endgültig enträtseln lassen, macht ihren wesentlichen Reiz aus. Das Geheimnisvolle zieht uns an und schlägt uns in seinen Bann. So auch bei der eben anlaufenden zweiten Aufführungsserie dieser gelungenen Produktion, die besetzungsmäßig mit einer Reihe neuer Namen aufwarten kann. Georg Zeppenfeld, bei der Premiere noch als Veit Pogner eingesetzt, kommt diesmal als der im Zentrum stehende Hans Sachs zum Zug. Seine in Wien bereits hochgeschätzte erzählerische Art und die Textdeutlichkeit, die ihm u.a. in der Gestaltung der Rolle des Gurnemanz in Parsifal zugutekamen, machen den profunden Bass auch zu einem hervorragenden Interpreten der Rolle des angesehenen Meistersingers, der kurz daran denkt, sich am ausgeschriebenen Gesangswettbewerbs zu beteiligen, dann aber doch zugunsten eines jüngeren Bewerbers darauf verzichtet, sich stattdessen für diesen einsetzt und damit das Glück der von ihm heimlich begehrten Eva sichern kann. Ein unaufdringlicher, liedhaft singender, nuancenreicher Wagner-Bass, voll von Weisheit und Witz, der aber gegenüber Beckmesser auch recht stichelnd agieren kann und nicht davor zurückschreckt, diesen ins Verderben – in die selbstverschuldete Lächerlichkeit – laufen zu lassen. Dass er von inneren Dämonen heimgesucht wird und mit dem Trauma, Frau und Kinder verloren zu haben, zu kämpfen hat, wird in Keith Warners Regie angedeutet, aber nicht weiter expliziert. Zeppenfelds Sachs wirkt noch relativ jung. Die väterliche Ausstrahlung, die etwa Michael Volle, seinen Vorgänger, ausgezeichnet hat, wird man bei ihm nicht finden, was seinen Verzicht auf Eva dafür aber umso schmerzlicher erscheinen lässt.
Günther Groissböck ist in Bayreuth schon 2017 als vitaler Veit Pogner, der längerfristig einen Nachfolger in seiner Goldschmiedewerkstatt sucht, der aber auch ein guter Meistersinger wie auch sein Schwiegersohn werden soll, auf der Bühne gestanden. Da er der Bass mit Weltruf seit rund zwei Jahren wieder enger die Staatsoper verbunden ist, bekommt man ihn nun auch in Wien in dieser nicht zu unterschätzenden Rolle zu sehen und zu hören. Beides ist, wie bei diesem begnadeten Sänger/Darsteller gewohnt, ein Genuss. Was Pogner mit Sachs verbindet, ist die Liebe und Wertschätzung der Tradition des Meistergesangs, weshalb er auch seine Tochter dem Sieger im Wettsingen als Preis zu übergeben bereit ist – vorausgesetzt, dass sie damit einverstanden ist. Väterlicher Stolz und väterliche Fürsorge zeichnen Groissböcks Gestaltung aus. Glänzend dazu passt seine prächtige Stimme, die auch in der Höhe substanziell ist, vor allem aber in der tiefen Lage und im mittleren Stimmbereich mustergültig stark und ausdrucksmächtig nuancierend ist.
Im regielich leider missglückten neuen Lohengrin hat der deutsche Bariton Martin Gantner als Telramund erst vor kurzen an der Wiener Staatsoper auf sich aufmerksam gemacht und sowohl darstellerisch als von seiner Frau Ortrud an den Rande des Nervenzusammenbruchs gebrachter Mann wie auch als markanter Wagner-Sänger mit seiner Leistung punkten können. Auch als Beckmesser erweist sich Gantner als schauspielerisch wendiger Bariton, der der eitlen Figur des Rechthabers und Nörglers komplexe, ebenso irritierende wie lächerliche und bemitleidenswerte Züge verleiht. Wie er am Schluss deprimiert und verlacht auf der untersten Stufe des Podests kauert, auf dem er eben eine bittere Niederlage erlitten hat, mag auch dem als Merker-Schreiber ausgewiesenen Rezensenten wieder einmal eine Ermahnung zu Demut und Bescheidenheit aussenden.
Hanna-Elisabeth Müller und David Butt Philip waren schon bei der Premiere das junge Paar, das von Hans Sachs protegiert wird. Müller beeindruckt mit ungekünstelt natürlicher, anmutiger Erscheinung und einem jugendlich frischen, lyrischen Sopran, der sich durchaus auch dramatisch zu entfalten weiß. David Butt Philipp ist stimmlich ebenfalls ein jugendlich frischer Tenor, allerdings mit einem heldischen Kern, der die Gestaltung des Preislied, von den ersten Versuchen, mit Ratschlägen vom Meister ermuntert und ermutigt, bis zum großen Auftritt vor den Meistersingern und dem Volk, von Mal zu Mal zu steigern vermag und schließlich als der unbestrittene Sieger dasteht. Der Brite hat einen klaren Sympathiebonus, wie groß und tragfähig seine Stimme wirklich ist, wird sich noch zeigen. Doch die Anzeichen sind gut.
Christina Bock als Magdalena, Michael Laurenz als David sowie Martin Hässler als Fritz Kothner sind in dieser Inszenierung schon bewährte Kräfte mit überzeugenden Rollenprofilen, was auch für die Darstellung des Nachtwächters von Peter Kellner gilt, den der Regisseur am Ende des 2. Aufzugs als schaurigen Sensenmann auftreten lässt.
Jörg Schneider setzt sich erneut trefflich als Kunz Vogelgesang in Szene. In weiteren Nebenrollen in der Gilde der Meistersinger debütiert eine Reihe von Kräften aus dem Haus, Ensemble- wie auch Opernstudiomitglieder, darunter Jack Lee, Lukas Schmidt, Agustin Gomez, Nikita Ivasechko, Simonas Strazdas und Stephano Park.
Nicht zu vergessen der hervorragende Chor, Extrachor und die Chorakademie der Staatsoper sowie das Europaballett St. Pölten, das allerdings nur einen kurzen, wohl eher entbehrlichen Auftritt zu absolvieren hat. Maßgeblich am Erfolg beteiligt und deshalb beim überschwänglichen Schussapplaus, der die ansonsten üblichen fünf Minute bei weitem übertrifft, besonders gefeiert, ist das vorzügliche Orchester unter der umsichtigen Leitung von Philippe Jordan. Bei der Premiere im Dezember 2022 standen viele Opernliebhaber noch unter dem Schock, den die Ankündigung von Staatsoperndirektor Roscic ausgelöst hatte, dass Jordan 2025 als muskalischer Chef abtreten werde. Seit damals wird Jordan immer schon heftig gefeiert, noch bevor der erste Ton erklingt. Das ist wohl ein Signal. An wen wohl? – Tatsache jedenfalls, dass Jordan immer besser wird. Nur zu hoffen, dass er dann weiterhin möglichst oft als Gastdirigent zu erleben sein wird.
Manfred A. Schmid | 19. Mai 2024
Klarer Sieg für Georg Zeppenfeld: Die Wiener “Meistersinger” versinken fast im Graben
„Mobile phone – no! I have police here“. Da versteht die Mitarbeiterin an der Wiener Staatsoper überhaupt keinen Spaß. Richard Wagner hingegen wollte mal lustig sein. Eine Komödie hatte er zu Blatt gebracht, 1868 in München uraufgeführt. Keine Giganten, keine übermütigen Helden oder andere Fabelwesen. Bei den Meistersingern stehen der Mensch und die Kunst im Mittelpunkt. Lustig und heiter ist ihm beim Sujet gelungen. Bei der Orchestrierung ähnelt die Partitur Verdis „Falstaff“. Kaum Anhaltspunkte, die einen durch die rund viereinhalb Stunden Nettospielzeit ziehen könnten. Stattdessen Harmoniesprünge und Rhythmenwechsel im Minutentakt. Im Graben der Wiener Staatsoper herrscht Trubel.
DER GRABEN AUSSER RAND UND BAND
Philippe Jordan schlägt regelmäßig über die Stränge, dreht den Dezibelregler auf Anschlag. Der Chor versinkt, einige Meistersinger ebenso. Kopfschütteln daraufhin in der Pause. „Schrecklich und enttäuschend“, meinen zwei russische Ladys, die vom Fach sind. Dass nicht alle Trübsal blasen, offenbart der ausgedehnte Schlussapplaus. „Großartig“ widerspricht auch eine deutsche Touristin, die das Gespräch der beiden aus Putins Reich fast simultan übersetzt. Irgendwo dazwischen liegt die Wahrheit. Wagner macht’s einem auch nicht leicht. Heiterkeit in melodische Formen zu zwängen, hat nur einer wirklich geschafft: Mozart mit Hilfe von Schikaneder bei der „Zauberflöte“.
Auf der Bühne trägt Georg Zeppenfeld als Hans Sachs die ganze Vorstellung. Wohltönend strömt sein Bass, deutlich seine Worte, ein Genuss auf allen Linien. David, Sachsens Lehrbube, findet in Michael Laurenz seinen Meister. Wäre der Streit um Eva nicht zwischen Stolzing und Beckmesser gefochten, dieser David hätte beim Preislied schon ein Wörtchen mitgeredet. Stolzing auch bekannt als David Butt Philip mangelt es an Schmelz, sobald die Stimme übers Mezzoforte späht. Nur mit hinreißendem Timbre gewinnt man keine Herzen.
KLASSISCHE KÖSTÜME IM WAGNER PRUNK
Beckmesser alias Martin Gantner bleibt streckenweise blass, bietet aber ordentlich Paroli. Etwas mehr Biss würde man sich wünschen, etwas Argwohn, auch wenn er den konservativ akademischen Charakter vielleicht gut trifft.
Veit Pogner hingegen, Evas Vater, der seine Tochter beim Preissingen verlost – dessen profunder Bass dröhnt mal wieder von seiner besten Seite. Ensemblemitglied Günther Groissböck steht regelmäßig seinen Mann. Solange die Partien nicht ins Bodenlose ausufern: eine Luxusbesetzung. Wotan und Gurnemanz, da heißt es zurzeit noch hinten anstellen. Optisch sticht der Niederösterreich natürlich hervor.
Regisseur Keith Warner hat den 2-Meter-Hünen in prunkvollen Samt gehüllt, überbordende Hutpracht inklusive. Ein Kniefall vor Richard Wagner, der sich selbst gerne durch extravagante Kleidung in die Auslage gestellt hat. Das klassische Bühnenbild missfällt einigen noch immer: „Die Prügelfuge geht in dieser Inszenierung völlig unter“.
Partitur-Diktatoren am Rande, die der Mindestanforderung an Ästhetik aber dankbar sein sollten. Mehr darf man heutzutage nicht erwarten.
Jürgen Pathy | 23. Mai 2024
Früher, in längst hinabgesunkenen Zeiten, galten Die Meistersinger aus Nürnberg als Eckpfeiler des Kanons: Die Vorgänger-Inszenierung wurde bis 1990 seit ihrer Première im Schnitt dreimal pro Saison gezeigt. Dann entdeckten aufgeklärte und moderne Zeitgenossen unziemliche Deutschtümelei in diesem Werk — es verschwand aus vielen Spielplänen. Heute gilt eine Produktion nur, wenn sie das Libretto im Sinne aktueller, von es besser wissenden Teilen der Gesellschaft als einzig richtig erkannte Überzeugungen interpretiert: vermittels Transformation in eine andere als von Richard Wagner bestimmte Zeit.
Keith Warners Arbeit bildet da keine Ausnahme: Er stellte uns Hans Sachsens verstorbene Frau vor und ließ (weil im Text davon die Rede geht) neben anderen Unsinnigkeiten einen Kobold in an den Komponisten erinnernder Maske auftreten. (Ich sagte dies bereits.) Daß Warners Walther von Stolzing Veit Pogner vor der Versammlung der Meister heimlich ein Kuvert mit Geldscheinen zusteckt, fällt in die Kategorie » vertan «; — und läßt aufmerksame Beobachter der Szene ratlos zurück: Weshalb sollte der Goldschmied seine Tochter als Preis ausloben, wenn der Junker bereits für sie bezahlte?
Der Nachtwächter wandelt sich bei seiner Wiederkehr nach der Prügelszene zum Gevatter Tod und tritt, die Sense geschwenkt, an Hans Sachs heran. Dabei klingt Peter Kellners Stimme so blechern, die stimmhaften Konsonanten so gezischt, daß sich der Gedanke an eine elektronische Verstärkung aufdrängt. … Nebenbei geht auch noch der Witz dieser Szene verloren, daß nämlich der Nachtwächter nach all dem Wirbel eine leere Gasse vorfindet.
Wie unangenehm auch, daß die Hochzeit der Meistersinger ihre Einordnung im 16. Jahrhundert findet. Textverweise auf Schwert und Schild und freie Geburt — Ist er frei und ehrlich geboren?, fragt Kothner, sich über Stolzing erkundend — wehren eigentlich jeder Verlegung in andere Zeit. Bedarf es da noch des Hinweises, daß sich seit des realen Hans Sachs’ Zeiten die gesellschaftlichen Normen geändert haben?
Kurzum, auch diese Produktion gibt Zeugnis autorieller Anmaßung — und heischt die Antwort auf die Frage, warum Philippe Jordan keine Einsprüche geltend machte.
III.
Der ausgehende Musikdirektor der Wiener Staatsoper schritt beherzt und — vor allem im ersten Aufzug — äußerst wacker zu Werke. Das Staatsopernorchester fiedelte, blies und paukte, was der Mann am Pult mit eckigen Bewegungen anzuzeigen schien. Wüßte man nicht, daß man der bereits zweiten Vorstellung nach drei Bühnenorchesterproben beiwohnte, man mochte meinen, eine Gruppe enthusiastischer, dabei ausgezeichneter Musikanten habe sich eingefunden, die Meistersinger vom Blatt zu spielen. Mit nur ungefährer Abstimmung der einzelnen Instrumentengruppen untereinander und über weite Strecken für die zufälligerweise anwesenden Sänger zu laut. Dabei jedoch gesegnet mit jener Musikalität, welchen nur jenen, deren Beruf gleichzeitig Berufung ist, eignet. Kurzum, es regierte kurzweiliger Überschwang, dem sich auch die Chöre nicht verschlossen.
Solcherart ward die Bühne bereitet.
IV.
Mit Georg Zeppenfeld als Hans Sachs bot die Staatsoper einen Sänger auf, der über die Intelligenz und das vokale Rüstzeug für diese Partie verfügt. Seine Stimme ist nicht die größte, und in früheren Zeiten hätten ihn wissende Operndirektoren schwerlich als Hans Sachs besetzt. Doch Zeppenfeld weiß zu phrasieren und singt wortdeutlich. Nicht nur die beiden großen Monologe waren (das ist in unseren Zeiten längst keine Selbstverständlichkeit mehr!) musikalisch durchgearbeitet, die Stimme sauber geführt, sein Spiel kongruent. Welch ein Unterschied zum Heinrich der Vogler im den szenischen Offenbarungseid leisten müssenden Lohengrin vor ein paar Wochen!
Zweiter im Bunde der Sänger, wenngleich mit Abstrichen, war Günther Groissböck in der Partie des Veit Pogner. Wann immer er sich der harten Betonung der Endsilben begab, entwickelte sich jene Gesangslinie, die dem Komponisten vorgeschwebt sein muß. Daß Groissböck in den letzten Jahren die Angewohnheit annahm, beim Singen andauernd den Unterkiefer zu verziehen, blieb nicht ohne Auswirkung auf die Tongebung. (Auch George London und Cesare Siepi eignete diese Art von Asymmetrie der Kieferbewegung.) Bei Groissböck ward mancher Vokal umgefärbt; klang dumpf, wo Klarheit geboten gewesen wäre.
Erfreulich auch, wie Clemens Unterreiner, kurzfristig eingesprungen, den leicht zerstreuten Hermann Ortel zu gestalten wußte.
V.
Man ist dazu da, die Wahrheit zu sprechen: Martin Häßler ist noch immer kein Fritz Kothner. Ich fürchte, daran wird sich auch künftig nichts ändern. Häßlers Stimme mangelt es an der Fähigkeit zur Formung einer Gesangslinie, der Kontinuität in der Tongebung. Doch diese ist Vorbedingung, die Geschichte eines Charakters zu erzählen. Die Verzierungen bei der Aufzählung der Regeln klangen kehlig und unsauber, das Ganze wenig achtungsgebietend.
Wie schon im Dezember 2022 mühte sich Michael Laurenz mit der Partie des David. Einmal mehr opferte er unzählige Möglichkeiten zur Phrasierung auf dem Altar des vor allem im deutschen Fach so beliebten » Konsonantenspuckens «. (Und nein, das ist keine Frage des Geschmacks oder einer » Interpretation «, was immer damit auch gemeint sein mag.) Für fehlende stimmliche Darstellung entschädigt auch intensives Spiel nicht.
Die gesangliche Darstellung der Eva von Hanna-Elisabeth Müller ebenso wie der Magdalene durch Christina Bock erreichten in keinem Moment jene Qualität, welche in früheren Jahren selbst in Repertoire-Aufführungen als selbstverständlich gegolten hatte: girlish in ihrer vokalen Präsenz die eine, mit zuwenig stimmlicher Durchschlagskraft in ihren pointierten Einwürfen die andere. Beider Stimmen sind unvollständig entwickelt, beiden gebricht es an der Einbindung der unteren Stimmfamilie. Beide sind (eigentlich) mit ihren Partien in einem Haus dieser Größe überfordert.
Martin Gantner nützte Wagners sprunghafte Schreibweise für den Sixtus Beckmesser zu seinem Vorteil. Die Partie des Stadtschreibers stellt hohe Anforderungen an die Vielfältigkeit des Ausdrucks, die Nuancierung und den Stimmumfang. Gantner wurde ihnen nur zum Teil gerecht.
Sein Rollenbild blieb die ganze Oper hindurch gleich, erfuhr selbst nach dem » Polterabend « und der Überlassung des Preisliedes wenig stimmliche Veränderung. Der Stadtschreiber von Nürnberg ist keineswegs jene eindimensionale Persönlichkeit, als die er so oft dargestellt (bzw. charakterisiert) wird. Beckmesser vertritt die (auch notwendige) Ordnung und muß es wohl zu einiger Meisterschaft als Meistersinger gebracht haben. Andernfalls hätte man ihn weder in die Vereinigung aufgenommen noch mit dem Amt des Merkers betraut. Wenngleich die Partie des Sixtus Beckmesser oft im Deklamatorischen bleibt, sei daran erinnert, daß sich auch diese Art zu singen aus der Beherrschung der Kunst des legato ableitet.
Mit David Butt Philip begegnete uns der Walter von Stolzing der Première wieder. Auch er zeigte sich im Vergleich zu den Lohengrin-Vorstellungen verbessert. Dennoch scheinen in bezug auf den Stolzing Einwendungen geboten. Die tessitura der Partie des auf Freiersfüßen wandelnden Junkers liegt relativ hoch. Sie ist einerseits lyrisch und verlangt andererseits jugendlich frischen Ausdruck. Ihre Schwierigkeiten liegen in den langen Bögen, welche eine freie Tongebung auch um und am hohen Tenor-› a ‹ sowie zumindest teilweise einen heldenhaften Zugriff erfordern. Die Partie ist lang und schont, vor allem im dritten Aufzug, den Sänger nicht: zuerst die » Morgentraum-Deutweise «, danach das Quintett, und schließlich auf der Festwiese — die Vorstellung ist mittlerweile fünf Stunden alt — noch eine Version des Preisliedes. Butt Philip waltete klug über seine Kräfte; das gilt heutzutage schon viel. Allerdings fehlt es ihm bei der Tonemission an der erforderlichen Kontinuität. Vieles verklang ob der fehlenden Linie vor der Zeit, ließ Wünsche offen und Sehnsucht aufkeimen nach einer (noch gar nicht so weit entfernten) Vergangenheit.
VI.
Dieser Abend: eine Sternstunde bemühten Mittelmaßes.
Thomas Prochazka | 23. Mai 2024