Parsifal

Herbert von Karajan
Konzertvereiningung Wiener Staatsopernchor, Singerverein der Gesellschaft, Tölzer Knabenchor, Salzburger Kammerchor, Berliner Philharmoniker
Date/Location
30 March 1980
Großes Festspielhaus Salzburg
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Amfortas José van Dam
Titurel Victor von Halem
Gurnemanz Kurt Moll
Parsifal Peter Hofmann
Klingsor Gottfried Hornik
Kundry Dunja Vejzović
Gralsritter Claes H. Ahnsjö
Kurt Rydl
Gallery
Reviews
Die Zeit

Oper als ein Stück sakralen Kultes

Herbert von Karajans Osterfest-Inszenierung

Am vergangenen Sonntag wurden die Osterfestspiele Salzburg, „Künstlerische Gesamtleitung Herbert von Karajan“, eröffnet. Und zwar mit Richard Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsifal“. Der Premiere wird in diesem Jahr nurmehr eine weitere Aufführung folgen, am Ostermontag – wer es unter solchen Umständen zum Besitz einer Karte gebracht hat, darf von einem Wunder reden. Auf eben dieser Eintrittskarte ist zu lesen: „Die Besucher werden gebeten, ihre Kleidung dem festlichen Charakter der Veranstaltung anzupassen.“ Solche Aufforderung läßt sich rechtfertigen (zu schweigen davon, daß sie sich in Salzburg erübrigt). Was das Orchester angeht: die Berliner Philharmoniker spielten im Straßenanzug. Es heißt, das hinge zusammen mit der besonderen Art der Bühnenbeleuchtung, einem reflektierenden Licht, das nicht nur von den Vorhangschleiern, sondern auch von den weißen Hemden der Musiker zurückgestrahlt worden wäre.

Die süße und böse Lust

Um beim Bühnenbild zu bleiben (Schneider-Siemssen): Es bestand. im wesentlichen aus Projektionen. Am Anfang ein laubig-deutscher Wald, dann ein Gralstempel, der in einem blechernen Grau wie eine kunstgewerbliche Weihehalle wirkt, in deren Mitte eine Art von Altaraufbau. Auch Klingsors Zauberschloß spart streng mit Meublement, ist indessen noch als üppig zu charakterisieren verglichen mit dem kargen Spielfeld seines Zaubergartens: Er besteht aus der blanken Fläche der unendlich weiten Bühne und einem Hintergrundprospekt mit sich verändernden Lineaturen. Man mag in ihnen botanische Strukturen erkennen – vermutlich aber sind wir in Fällen wie diesem gehalten, an Geschlechtssymbole zu denken; das ist auch unschwer möglich: Es geht um das Weib als den verführenden und gebärenden Schoß. Indessen sind diese optischen Signale doch eher karg zu nennen verglichen mit Wagners Bühnenanweisung, die „tropische Vegetation, üppige Blumenpracht“ fordert, und die Schloßbauten als solche „arabisch reichen Stiles“ bestimmt. Davon ist hier nichts mehr zu entdecken – und ist doch so wohl begründet, denn dies ist ein Ort der Verführung, einer der süßen und bösen Lust. In der Tat ist Joachim Kaiser zuzustimmen, der schon vor Jahren energisch darauf hingewiesen hat, daß Wagner zwei dramaturgisch höchst bedeutsame Ortsangaben macht: Die Gralswelt siedelt in einer „Gegend im Charakter der nördlichen Gebirge des gotischen Spaniens“; und ihre Gegenwelt, die Klingsors, ist „dem arabischen Spanien zugewandt anzunehmen“ – damit ist dem Regisseur wie dem Bühnenbildner eine wichtige und hilfreiche Ortsbeschreibung gegeben, sie zu nutzen hieße nichts anderes als den Geist des Werkes herauszuarbeiten und ihn aus der Antinomie von Straßburger Münster und Alhambra zu verstehen.

Auch die Karfreitags-Aue des dritten Aufzugs will, tausend Blumen zum Trotz, nicht recht blühen. Es ist dies alles arrangiert wie für einen Schwarz-Weiß-Film, und unfrohe Grau-Stimmung lastet mürrisch über der Szene. Die sich nicht etwa farbiger aufhellt dank den Kostümen (Georges Wakhevitch). Kundry zumindest, sie hätte in der Verführungsszene Anspruch auf ein leuchtendes Gewand gehabt, statt dessen muß sie einen dunklen weiten Kaftan tragen, man hört „Urteufelin, Höllenrose und Herodias“, man denkt Lilith und Eboli und Lulu und weiteres – und man sieht Rose Bernd. So leicht sollte Parsifal die Bewährung der Standhaftigkeit denn doch nicht gemacht werden.

Nacktheit durch Pracht ersetzen

Einigen Trost spenden die Blumenmädchen. Zwar sind auch sie eher unfreundlich gekleidet, sind als Kostüme Schattenpflanzen, aber Karajan hat die sinnvolle Konsequenz gezogen, sie mit einer Ballett-Truppe zu besetzen. Aus der klaren Erfahrung heraus, daß kaum jemand zugleich schön singen und schön aussehen und schön tanzen kann. Die beiden letzten Bedingungen erfüllt indessen das Corps de Ballet der Volksoper Wien; und die singenden Stimmen hinter dem Vorhang tönen, als gehörten sie dazu. Wie äußerte sich Wagner Cosima gegenüber, als es um Kundrys“ Erscheinung geht? Eigentlich müsse man sie „wie eine tizianische Venus nackte daliegen“ lassen. Da dies wohl nicht möglich sei, „muß das durch Pracht ersetzt werden“. Pracht kam an diesem Abend vor allem aus dem Orchestergraben, der die diffuse Einheitsfärbung der Bühne Lügen strafte. Wer die strahlende, sinnlich vibrierende und rational helle Unmittelbarkeit dieses alles glücklich überlagernden Orchesterklangs hörte, der wurde auch daran erinnert, daß der mit Recht so hoch gepriesene „mystische Abgrund“ im Bayreuther Festspielhaus nicht nur Vorzüge hat. Gewiß, Karajan deckt gelegentlich wohl auch die Stimmen der Sänger zu – aber man hatte in solchen Augenblicken wider alle Vernunft das Gefühl, es sei so und nicht anders gemeint. Übrigens mag man den Blechbläsern ja kaum mehr das Attribut „strahlend“ zubilligen, weil es so verbraucht ist, aber wahr ist es dennoch. Und fast wollte es tröstlich, weil inmitten von soviel Perfektion menschlich erscheinen, daß im ersten Akt die Einsätze nicht immer mit jener geschlossenen Präzision kamen, die einen Stolz der Elite-Orchester ausmachen.

Was nun die Sänger anbetrifft, so gab es nicht einen Ausfall unter ihnen. Freilich auch keine Offenbarung. So ist es nur gerecht, wenn man ihnen das verdiente pauschale Lob entrichtet und sie wissen läßt, daß sie gehalten haben, was ihre Namen versprachen: José van Dam als Amfortas, Victor von Halem als Titurel, Kurt Moll als Gurnemanz, Peter Hofmann als Parsifal, Gottfried Hornik als Klingsor, Dunja Vejzovic als Kundry und Hanna Schwarz, die sich leider rar machte und nicht mehr gab als die neun Noten der „Stimme von oben“.

Chöre, die Hagen-Groll einstudiert hat, sind immer sicher, und mehr als das. Diesesmal klangen sie ein wenig dünn. Aber es ist ja andererseits so, daß ihr sonorer Klang nicht eben leicht zu ertragen ist, er hat etwas – wie Wagner in schöner Selbstironie voraussah – von Bademarsch, und ohnehin ist diese der Reinheit verpflichtete militante Männergesellschaft ein heikler Gegenstand. Wie läßt man sie sich bewegen? Den gezirkelten Schleppschritt, wie Karajan im hier fordert, kennt man schon, Wolfgang Wagner hat ihn in Bayreuth mit gestochener Präzision exerzieren lassen – und doch ist zuzugeben, daß eine sich nicht der marschierenden Musik anpassende Choreographie der Gralsritter schwer denkbar ist.

Womit die Inszenierung im engeren Sinne angesprochen ist. Doch mag das Wort „Inszenierung“ schon allzu hoch gegriffen sein, vermutlich wollte Karajan kaum mehr als eine szenische gefügige Anpassung an die Musik – an jene Musik, die er, den Abend durchaus dominierend, glanzvoll exekutierte. Verlangt man von einem Regisseur Neudeutung, erwartet man von ihm, was man heute „innovatorische Impulse“ nennt, dann freilich wird man sich mit dem Regisseur Karajan nicht leicht zufrieden geben können. Was er seinen Darstellern abverlangt, sind, die konventionellen Gesten, die gewohnten Gebärden der tradierten Opernregie, Blick nach rechts und Blick nach links, auch wohl ein Schritt zurück als Zeichen des Erstaunens und zwei als solche des Entsetzens, Haltung und Bewegung sind voraussehbar, und nie belohnt eine überraschende Wendung, ein ungewohnter szenischer Schritt die Neugier dessen, der Neues zu begreifen sich vorgenommen hat. Immerhin spricht für diese Art der Einrichtung eines Stückes, daß die schöne Konvention (und auch Konventionalität) immer noch dem wütenden Ingrimm vorzuziehen sei, mit dem die Willkür eines Regisseurs sich selbst, und seine Probleme in Szene setzt an Stelle des in Frage stehenden und auf solche Weise zum bloßen Vorwand degradierten Werkes.

Zum Erlösungswerk noch nicht reif

Nun mag freilich sein, daß der „Parsifal“ an von der Regie kaum „neu“ zu erfassendes, daß er ein statisch in sich ruhendes, von schöner Wunderlichkeit definitiv gezeichnetes Werk ist. Dessen musikalischer Rang ebenso außer Zweifel steht, wie seine szenisch-textliche Aussage Zweifel, ja vielleicht die Befremdung der Gleichgültigkeit auslöst. Die Antithese von Sinnenlust und Seelenfrieden, von sexueller, Reinheit und sexueller Befleckung, die schon Nietzsche empörte. als ein christentümelnder Verrat Wagners an sich selbst, ist in der Tat unserer Zeit fremd. Und welcher Kritiker wollte zu sagen wagen, daß diesem Bühnenweihfestspiel Elemente eigen seien, deren Aufdeckung und Herausarbeitung einen „Parsifal“ hervorbrächte, der nicht durch Zeit und Raum weit getrennt wäre von uns allen?

Um dennoch einen bescheidenen Ansatz zu machen: Es ist klar, daß weder der Parzival des Wolfram von Eschenbach, noch der Parsifal Wagners ohne das Gefühl des Mitleids sind. Es ist klar, daß sie zu früh auf die Gralsburg verschlagen wurden, daß sie – aus welchen Gründen auch immer – noch nicht „reif“, noch nicht befugt sind, zu dem christusähnlichen Erlösungswerk. Das wird manifest an ihrem Schweigen vor dem leidenden König. Wolfram indes bezieht den Knaben Parzival handfest ein in den Kreis der Gastgeber, läßt ihn mit ihnen essen, läßt ihn über Nacht bleiben, läßt ihn ein kostbares und sinnträchtiges Gastgeschenk annehmen: da wäre allemal denkbar gewesen, daß der Knabe sich ermannt hätte zu der Frage nach Ursache und Natur dieses Leidens, dieser pittoresken Zeremonien. Anders Wagners Parsifal. Der junge Waldbauern-Edelbub hat überhaupt keine Chance, den ritterlichen Gralsring zu durchbrechen, es wäre absurd, wenn er das liturgische Pathos der Szene stören wollte, das gemeinsame Mahl ist bei Wagner reduziert auf eine einladende Geste, im übrigen ist Parsifal „wie gänzlich entrückt“, ist „wie erstarrt, regungslos“. Soll er nicht nur als bemitleidenswerte Puppe im Spiel der Mächtigen verstanden werden, muß die Regie ihm zumindest die Chance des Gelingens geben, es muß zumindest doch denkbar scheinen, daß er nicht nur fühlt, sondern auch gemäß seinem Gefühl sich äußern wird. Der aber hier von Gurnemanz zur Suche nach der Gans verurteilt wird, er hatte gar keine Chance der Bewährung.

Bayreuthischer als Bayreuth?

Das Beifallsbedürfnis in Salzburg war groß, es wurde von Karajan durch imperiale Gebärden verscheucht. Das scheint mir mißlich, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen sind da die Sänger, deren Sensibilität, auch wenn sie große Namen tragen, niemand unterschätzen sollte, sie leben nicht zuletzt von dem sie bestätigenden und stimulierenden Applaus – von jenem Beifall, an dem Dirigent und Orchester sich ausgiebig erfreuen durften, nämlich zu Anfang jeden Aktes, da gilt das feiertägliche Stille-Gebot merkwürdigerweise nicht; Zum anderen aber ist es ein Mißverständnis, wollte man diese Oper, um das Werk einmal so zu nennen, als ein Stück sakralen Kultes isolieren. Muß Salzburg bayreuthischer sein als Bayreuth? Was dort einst praktiziert wurde aus Betroffenheit über Wagners unerwarteten Tod, auch aus dem Bedürfnis nach Tempeldienst, und was dort längst preisgegeben ist (nach dem zweiten und dritten Aufzug) zugunsten der beiderseitigen Lust am Beifall: das in Salzburg nunmehr zu konservieren, scheint mir ein Mißverständnis eines Werkes zu sein, das weder ein Requiem noch eine Passion noch eine Messe nach heiligem Text ist; sondern, wie immer sein Autor es genannt haben mag, eine große Oper, die, wie jedes große Kunstwerk, auch ein Gleichnis ist und auch religiöser Deutung nah und offen, wie denn der Stoff selbst sich einem philosophischreligiösen Substrat verdankt. Wollte man bei solcher Sachlage konsequent sein, bliebe der Schlußapplaus den antiken Tragödien ebenso versagt wie dem „Nathan“ oder dem „Faust“. Und das wäre – ein Zustand der Verarmung, denn Kunst ist neben anderem auch ein Fest.

Peter Wapnewski | 4. April 1980

Rating
(7/10)
User Rating
(4/5)
Media Type/Label
Premiere, Fogliame, PO
Technical Specifications
256 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 463 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast
A production by Herbert von Karajan