Parsifal
Peter Schneider | ||||||
Chor und Orchester der Bayerischen Staatsoper München | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Amfortas | John Bröcheler |
Titurel | Karl Helm |
Gurnemanz | Kurt Moll |
Parsifal | John Keyes |
Klingsor | Tom Fox |
Kundry | Marjana Lipovšek |
Gralsritter | James Anderson |
Markus Holub |
Hier! Hier im Herzen der Brand!
Es hat sich, außer vielleicht in Bayreuth, wo auch in diesem Jahr wieder die kitschbunte, kreuzbrave Inszenierung von Wagners Enkel Wolfgang auf dem Programm stehen wird, schon überall herumgesprochen: Das Ende von “Parsifal” ist gelogen. Die Taube vom Himmel, die Stimmen von oben, das helle Licht, die liebende Geste und zumal die abscheulich schönen, in reinster Harmonie verlöschenden Akkorde aus dem Orchestergraben: alles falsch, nichts als Formel und Zitat.
Für das frissonnement, das kindliche “Schauderfrösteln” der katholischen Gemeinde, die bei der Abendmahlzeremonie die Verwandlung von Blut zu Gott erlebt, hat Richard Wagner sich schon frühzeitig interessiert, wie Pater Petrus Hamp in seinen Erinnerungen berichtete. Wie ein Kindermärchen endet Wagners letztes Werk im Guten und Erwünschten: Der Gral (sang réal oder auch sanct gral) erstrahlt in zartem As-Dur, Kinderstimmen künden “Höchsten Heiles Wunder!” und die “Erlösung dem Erlöser!” Doch wie am Ende jedes Märchens wird kein Kind, das diesen Formeln und Sprüchen lauscht, tatsächlich glauben, was es hört: Wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Ja, wenn! In Wahrheit sind doch alle am Ende tot, keiner ist glücklich erlöst: Kundry nicht, die Getaufte, entseelt zu Boden gesunken; Parsifal nicht, nunmehr Gefangener eines Amtes, welches vor ihm schon Titurel, Amfortas und die gesamte männerbündlerische Ritterschaft zu Grunde gerichtet hatte; erst recht nicht Amfortas und all die anderen, ausgenommen vielleicht der alte Einsiedler Gurnemanz, der außerhalb der Gralsgemeinschaft lebt. Er als einziger fällt in Peter Konwitschnys neuer Münchner “Parsifal”-Inszenierung am Ende, als die Wundermusik aufbraust, gläubig auf die Knie. Steht dann aber auch schnell wieder auf.
Keine Figur ist einfach und gerade gearbeitet in Konwitschnys Regie. Alle stecken voll komplizierter Widersprüche, sie verhalten sich öfters ironisch zu sich selbst, glaubhaft liebevoll zueinander – und niemals steht einer nach Opernart dumm herum, wenn er gerade nichts zu singen hat. Das ist die gute alte Musiktheater-Schule der DDR, in der Peter Konwitschny sein Handwerk gelernt hat. Kundry tauscht mit Amfortas heiße Blicke im ersten Akt, sie näht Gurnemanz nebenbei einen Knopf an den Mantel (“Ich diene nie!”) und borgt dem verwirrten Tarzantrottel Parsifal mütterlich-tröstend ihre warme Jacke, die er dann als Kuscheltier mitschleppt bis in den zweiten Akt. Selbst Randfiguren wie die Gralsknappen oder die zwei Ritter, die den Amfortas in sein Heilbad geleiten sollen, mischen sich pantomimisch in die Handlung ein, rümpfen die Nase, schütteln die Köpfe, blinzeln sich zu. Diese für eine so große und breite Opernbühne wie die des Münchner Nationaltheaters ungewöhnlich kleintüftelige und “realistische” Personenführung hat, soweit man sie durch das Opernglas verfolgen kann, vor allem deshalb etwas Rührendes, weil sie sich mitten in der kalten Pracht abstrakter Endzeit-Visionen einrichten muß, wie Bühnenbildner Johannes Leiacker sie für den neuen “Parsifal” ersonnen hat.
Seine Welt ist aus Papier, weiß, sauber und kalt. Nur ein halb gestürzter toter Baumstamm ist übriggeblieben vom heiligen Wald auf dem Berge Monsalvat, dies allerdings ein dekorativer, bonsaimäßig verwachsener Baum, wie er gewiß auch in jedem Designermöbelschaufenster gute Figur machen würde, fein verpackt oder vielmehr verhüllt in Seidenpapier, das natürlich weiß ist im ersten Akt und schwarz im letzten. Eine dramatische Entwicklung, die perfekt paßt zur Statik des Stücks. Der Anfang ist das Ende, dieser Baum birgt einfach alles: Gral und Karfreitagsaue, Schloß und Zaubergarten. Von unsichtbarer Hand bewegt, richtet er sich mächtig auf während der fließenden Verwandlung des ersten Orchesterzwischenspiels – Zeit wird zum Raum; zu seinen Füßen wächst derweil langsam der Gralstempel aus dem Bühnenboden, als ein unterirdischer Bunker, in dem die Ritter zusammenhocken wie ein trauriges Häuflein Kellerasseln. Und dann läuten – donge-dong ding-dong – die finsteren Gralsglocken, und oben im Baum tut sich ein Flügelaltar auf, dem im hellblauen Mantel die Hure Kundry entsteigt, wie gemalt mit Täubchen, Puttchen und rotem Herzchen, ganz Madonna im Rosenhag.
Daß die Gralsgesellschaft schon vom ersten Ton an vergreist und am Ende ist: Dieser fatalistische Blick auf das Bühnenweihfestspiel hat, spätestens seit den “Parsifal”-Inszenierungen von Ruth Berghaus und Peter Mussbach, Tradition. Neu an Konwitschnys Inszenierung ist allenfalls die Aufwertung der Kundry-Figur. Zwar, Heilige und Hure ist Kundry von jeher, Höllenrose und Büßerin zugleich; auch ist die sexuelle Symbolik von Kelch und Speer schon etwas länger bekannt; dennoch hat Konwitschny es zum erstenmal gewagt, die traumatischen Männerphantasien, von der blutenden Kastrationswunde bis zur männermordenden Emanze und lichtblau umstrahlten Übermutter, drastisch ins Bild zu setzen – wofür ihn das Münchner Publikum heftig schalt und die Münchner Kritik begeistert gleich in die “Top ten der Opernregie” hin auflobte.
Die Sänger ließen sich ein auf Konwitschnys Konzept. Nur fehlte, bei aller analytischen Klarheit, ein wenig von den Bränden der Herzen, von denen die “Parsifal”-Musik doch auch weiß. Vielleicht, weil einige Rollen nicht ideal besetzt waren (John Keyes dunkler Tenor ist für den Parsifal zu schwer, Marjana Libosveks Mezzosopran für die Kundry doch zu scharf). Vielleicht aber auch, weil sich das Bayerische Staatsorchester unter Peter Schneider zu glatt durch das Werk spielte, mit sattem Streicherglanz, gewiß, doch ohne den Biß, den doch die Inszenierung zeigte.
Einen Tag später, wie um in den Ost-West-Wettbewerb zu treten, brachte auch das Nationaltheater in Weimar den “Parsifal” neu heraus. Die Inszenierung, von dem Münchner (!) Schauspielregisseur Thomas Schulte-Michels besorgt, hält sich gleichfalls an das bewährte Muster des Endzeitspiels: Der Gralstempel entpuppt sich als verkommene Siechenstation voll Spuk und faulem Zauber, mit zynischer Eile binden sich die Greise, als der Gral enthüllt wird, die Servietten um, und Jungparsifal verwandelt sich am Ende, wie er die Macht übernimmt, in ebensolch einen Finstermann, Geheimen Rat und Unglücksraben, wie es sein Mentor Gurnemanz von Anfang an war. Da herrscht noch strenge dramaturgische Symmetrie, für alte Wagner-Hasen eher langweilig; doch wird dafür die ganze Geschichte erzählt, die man, weil das Haus klein ist, anders als in München auch wirklich Wort für Wort verstehen kann.
In Weimar ist die Bühne nur eben ein Viertel so groß, kostet ein guter Parkettplatz ungefähr soviel wie in München ein schlechter zweiter Rang, allerdings ist auch der Ruf der Weimarer Staatskapelle als Wagner-Orchester nicht gar so bedeutend. Und doch: Beim Vorspiel noch dünn und bedenklich schlampig phrasierend, blüht der Orchesterklang unter Leitung des Gastdirigenten Imre Pallo immer stärker und schöner auf und findet schon im ersten Bild zu dramatischem Zusammenspiel mit den Sängern: So “schauderfröstelnd” intensiv wie in Weimar war das Quartett der vier Gralsknappen, die das Erscheinen Parsifals ankündigen, in München nicht zu hören gewesen. Und dieser Parsifal! Hans Aschenbach, mit schönem Tenor und heller Durchschlagskraft, als er verzweifelt von seinem brennenden Herzen singt nach Kundrys Kuß: Er macht den Münchner Parsifal glatt vergessen. Schließlich, in Weimar sind die original Parsifalglocken zu hören. Und die besitzt, außer der Weimarer Staatskapelle, nur noch Bayreuth.
Eleonore Buening | 14. Juli 1995
Gralsritter mit Mutter-Gottes-Komplex
Der Mann, dem irgendwer das Geschlecht weggeschlagen hat, rafft alles, was ihm an Würde noch verblieben ist, und seinen alten grauen Militärmantel zusammen. Er strafft sich und schreitet stolz vorbei an dem, der seine letzte Hoffnung war. Angefleht hatte er ihn eben noch. Doch der – eine besonders tumbe Art hinterbayerischer Tarzan – hatte bloß Augen für das kuriose Kitschwunder, das gerade – mit Madonna, weißer Taube und Blumenkinderchen – als Gral enthüllt wurde: Parsifal staunt bloß und hat Amfortas absolut nichts zu sagen. Wieder keine Erlösung für den Gralsritter.
Es sind derlei intime Momente, mit denen Peter Konwitschny seinen “Parsifal” virtuos vor dem Absturz in die Karikatur bewahrt. Er entweiht ihn nicht, er entweihräuchert ihn, das aber kräftig. So hinterlistig, direkt und zärtlich hat sich kaum einer des “Parsifal”-Personals angenommen. Unter eine psychotherapie- und soziologiegeschärfte Lupe sind Amfortas und seine Mannen geraten. Und so sehr erquicklich ist nicht, was man da sieht: Angeschlagen sind sie alle. Sie haben entweder – wie Parsifal – einen Mutter-Komplex oder – wie die Gralsritter – einen Mutter-Gottes-Komplex. In eine Krypta hat sich Titurels marianische Männerversammlung verkrochen und feiert verzweifelt ihren Ritus. Weibliches darf da Hure, Heilige oder Hausfrau sein, gleichwertig aber nie. Da Parsifal jedoch sein halbes Herz an Kundry verloren hat, ruft der verstörte Männerklub am Ende “Erlösung, dem Erlöser” – und verhindert, was Erlösung gebracht hätte: Kundry – die Konwitschny endlich einmal als Mensch ernstgenommen hat – wird ermordet, die Frauenverteufelung geht weiter, Dämmerung fällt über die Gralsritter.
Konsequent ist Konwitschny, stimmig und mutig. Sehr im Gegensatz zu dem, was sich musikalisch tat. Denn was man hörte, verfehlte – Kurt Molls überragenden Gurnemanz einmal ausgenommen – den Grad an geistiger Frische, den man sah, um etliches. John Keyes Parsifal hat seine Mühe, sich aus dem etwas eindimensionalen Charakter-Rahmen, den ihm Konwitschny verpaßt hat, herauszusingen. Marjana Lipovsek konnte Kundry darstellerisch mehr an Kontur verleihen, als sie ihr an Stimme zu geben in der Lage war. Und Peter Schneider am Pult bemühte sich in vorauseilendem Gehorsam schon im Vorspiel, die späteren Wunden der Erzwagnerianer mit Balsam zu versorgen. Nur gerann der ziemlich rasch zu einem sehr, sehr zähflüssigen Strom, der merkwürdig amorph an Johannes Leiackers Bühne vorbeizog.
Aber selbst der ausgesuchteste Balsam hätte das Finale nach dem letzten Vorhang kaum verhindert: Schneider wurde beifällig wahrgenommen, Kurt Moll bejubelt, Peter Konwitschny erntete phonstark und langanhaltend Abfälliges.
ELMAR KREKELER | 03.07.1995