Deutschland sucht den Erlöser
Sicherlich konnte Stefan Herheim wesentlich „entspannter“ an seine letztjährige Neuinszenierung des Parsifal gehen als Katharina Wagner an die Meistersingern im Jahr zuvor. Immerhin bestand sie die für sie in jeder Beziehung viel zu hoch gesteckten Erwartungen bei dieser „Feuertaufe“ auf dem Hügel sehr achtbar (Die Meistersinger von Nürnberg 2009). Immerhin beerbte Stefan Herheim „nur“ Christoph Schlingensief, der weniger das Stück in Szene setzte als all seine Assoziationen, die er mit dem Thema „Erlösung“ in Verbindung bringen konnte. Dabei waren die technischen Mittel, die beide einsetzten, durchaus die gleichen: Intensiver Einsatz der Bühnentechnik in Kombination mit eindrucksvollen Bild- und Videoprojektionen.
Im Gegensatz zu Christoph Schlingensief begnügte sich Stefan Herheim aber nicht mit der Bebilderung eines Assoziationspools, sondern entwarf einen stringenten Handlungsstrang, der sich trotz seiner Zeitsprünge und Zeitparallelen organisch entwickelte und in seiner Gesamtheit spannungs- und eindrucksvolles Musiktheater bot. Bemerkenswert ist auch, dass sich zudem mehrere Schichten mit der Lebensgeschichte des Parsifal von seiner Geburt – die als Rückblenden visionär in den Ablauf integriert werden – bis zum finalen „Erlöser“ verknüpfen, seien es die deutsche Geschichte von Weimar bis zum Bundestag, die Geschichte des Hauses Wahnfried und der Bayreuther Festspiele bis zum heutigen Tag – das Publikum sieht sich in riesigen Spiegeln selbst und das Saallicht dimmt zwischendurch auch an und aus.
Bei der Wiederaufnahme dieser Parsifal Produktion drang der Italiener Daniele Gatti mit seinen betont langsamen Tempi zwar in die betörenden Parsifal-Momente vor, die wohl nur in diesem Haus möglich sind. Doch er konterkarierte damit auch die aufgeladene Szene.
An der Besetzung hatte Herheim nichts verändert. Christopher Ventris als Parsifal und Mihoko Fujimura als nur in der Höhe etwas angestrengte Kundry führten ein akzeptabel, solides Ensemble. Da Stefan Herheims Ritt durch die Geschichte Deutschlands, des Hauses Wahnfried und des Parsifal nicht nur ein faszinierendes Bildertheater mit magischen Raumverwandlungen auf offener Szene, sondern zugleich ein vielschichtiger Diskurs über fehlgeleitete erotische Kraftströme in einer von Männern dominierten und pervertierten Gesellschaft ist, ist es besonders schade, dass es ausgerechnet davon (u.a. wegen zu hoher finanzieller Forderungen der Videoproduzenten fettFilm) keine DVD Einspielung geben wird.
Überarbeitet hat Herheim weniger, als er eigentlich wollte, denn auch die Schwestern achten, wie der Papa, auf’s Werkstattbudget. Im nächsten Jahr wird es wohl mehr Neues geben als jetzt jene Flüchtlinge, die es im Klingsor-Akt vor den aufmarschierenden Schwarzmänteln mit der Angst zu tun bekommen. Es heißt, er darf die Gutschrift in seine zweite Überarbeitungsrunde mitnehmen. Doch es reichte diesmal, im Unterschied zum letzten Jahr, vor allem nach dem hochpolitischen zweiten Aufzug mit seinen Hakenkreuzfahnen über Wahnfried zu einigen Buhs. Die Wagnerwelt ist also in dieser Hinsicht halbwegs in Ordnung.
FAZIT
Dem Geniestreich der Inszenierung konnte die musikalische Interpretation leider nicht entsprechen. Da hätte es schon einer Besetzung wie 2004 in Baden-Baden bedurft (u.a. Kent Nagano, Waltraud Meier, Thomas Hampson und Matti Salminen).
Gerhard Menzel und Joachim Lange | Rezensierte Aufführungen: 3. und 15. August 2009