Parsifal
Philippe Jordan | ||||||
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Amfortas | Detlef Roth |
Titurel | Diógenes Randes |
Gurnemanz | Kwangchul Youn |
Parsifal | Burkhard Fritz |
Klingsor | Thomas Jesatko |
Kundry | Susan Maclean |
Gralsritter | Arnold Bezuyen |
Christian Tschelebiew |
Wo die Zeit zum Raum wird
Seit 2008 jährlich auf den Festspielplänen in Bayreuth wurde in diesem Jahr Stefan Herheims Inszenierung des Parsifal zum letzten Mal gegeben – und glücklicherweise auch zu sehen in zahlreichen Kinos der Republik (sowie Österreichs und der Schweiz) und millionenfach auch öffentlich rechtlich über arte. Dabei bestätigte sich erneut der exzeptionelle Rang dieser Produktion, die in der Geschichte der Wagner – Festspiele mit Sicherheit in ihrer Bedeutung dem Jahrhundert – Ring von Patrice Chéreau gleichkommt. Zu Recht mit Lobeshymnen überschüttet war Herheims Parsifal bisher nur im Festspielhaus zu sehen und gleichsam einer eingeschworenen Gemeinschaft vorbehalten. Nun wurde diese Inszenierung einem breiten Publikum zugänglich und von der hier besprochenen Aufführung wird zudem eine DVD entstehen, die Herheims überreichen Bilderbogen überhaupt erst in Gänze zu entschlüsseln möglich macht. Denn dieser Parsifal gehört zu den Erlebnissen, die nach dem Opernbesuch noch lange nachwirken, mit denen man nicht schnell und einfach fertig wird.
Nicht allein die Fülle der szenischen Bilder ist das Besondere an dieser Produktion, sondern deren Komposition zu einem eigenen Bühnenkunstwerk, in dem äußerer Handlungsrealismus, psychologische Symbolik und gesellschaftlich – historische Realität zu poetischen Bildern ineinander verwoben werden, deren Uneindeutigkeiten Assoziationen wecken und zur Deutung von Wagners kryptischem Alterswerk auf vielen Ebenen anregen. Diese einzigartige visuelle Sprache mit ihren unmerklichen Überblendungen aus Realismus und Traum fesselt vom ersten Augenblick das Auge, geht aber – und dies ist genial gelungen – stets mit den Assoziationsketten der Musik synchron. Diese werden dadurch nicht allein nur bebildert, wie es in der Opernregie heute gang und gäbe ist, sondern Herheim eröffnet damit auf der Bühne eine weitere Erfahrungsdimension neben der Musik aus dem Graben. Exemplarisch sei die Szene zur Verwandlungsmusik genannt, die zur Liebesmahl-Szene überleitet, in der zum religiösen Pathos der Musik, zum feierlichen Schreiten und den Glockenschlägen, pantomimisch die Geburt und öffentliche Darstellung des neuen Erlösers gezeigt wird.
Aber die Inszenierung belässt es nicht bei der Ausdeutung der bloßen Handlung, sondern fügt der Oper eine historisch kritische Dimension hinzu, indem sie das Werk in den Zusammenhang seiner Rezeption stellt, die in den Anfängen der frühen Kaiserzeit als nationalistisch und sowohl rassisch als auch männlich-chauvinistisch ausgrenzende Ideologie erscheint, deren politische Auswirkungen in die Gewalt des Ersten Weltkriegs münden. So endet der erste Akt. Im zweiten Akt in Klingsors Zauberschloss spielt die Szene in lasziv dekadenter Varieté – Umgebung (opulent die Kostüme von Gesine Völlm), die dann in ein Kriegslazarett umkippt mit den Blumenmädchen als Krankenschwestern, die von den sechs Solistinnen ausnehmend schön und verführerisch gesungen wurden. Aus dieser Verblendungsszene gleitet der Bild-Hintergrund in die NS-Zeit über und das Parsifalkind, das stets im Szenenraum präsent ist, erscheint als Hitlerjunge – ein Reflex auf die verhängnisvolle Affinität der Wagnerrezeption zum Nationalsozialismus. Über die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, versinnbildlicht durch Bilder der Zerstörung und abgestorbener Natur, leitet der dritte Akt im letzten Bild über in den Plenarsaal des Bundestages, der Mitte der Achtziger Jahre im Bonner Wasserwerk tagte. Damit wäre die politische Konsolidierung eines demokratischen Deutschlands mit dem Gedanken der Erlösung im „Karfreitagszauber“ der Oper überblendet und die Rezeption von Wagners Werk von der ausgrenzend aggressiven Ideologie des neunzehnten in das Denken der bürgerschaftlichen Gesellschaft des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts überführt und Wagners Werk gleichsam vom Ballast der Geschichte erlöst, so wie das elternlose Parsifalkind am Schluss von Gurnemanz und Kundry in schützende Obhut genommen wird. Zugleich werden durch einem großen Spiegel über der Bühne Publikum und auch das Orchester mit in diesen Kreis genommen. „Zum Raum wird hier die Zeit“, sagt Gurnemanz zum staunenden Toren Parsifal im ersten Akt. Stefan Herheim hat diesen Satz verbildlicht. Wohl nie war er so augenfällig wie hier.
All dies mag für die Kinobesucher neben den Backstage – Reportagen wunderbar mitzuverfolgen gewesen sein. Von der 25. Reihe im Parkett erhält man zwar keine Einblicke ins Detail, wie sie die Kamera zu ermöglichen vermag, dafür hat man stets das Ganze im Blick und das ist bei dieser Inszenierung der dynamisch wechselnden Bilder durchaus von Vorteil. Stets hat man das großartige Bühnenbild ganz im Blick, das Wagners Villa Wahnfried teils von innen, teils vom Garten aus mit dessen Grab zeigt. Vor allem aber ist wohl die phantastische Akustik des Festspielhauses auch durch die beste Soundtechnik im Kino nicht zu ersetzen. Was in dieser Aufführung an subtilem Klang aus dem Graben klang, war eben auch den einzigartigen Klangverhältnissen im Festspielhaus zu danken, die Stärken wie Schwächen gleichermaßen unbestechlich offenbart. Nach Daniele Gatti in den vergangenen Jahren leitete diesmal Philippe Jordan das Orchester und er tat es in zügigen Tempi, in angenehm fließendem Motivstrom und ausnehmend klangschön. Wie das Orchester so war auch der Chor der eigentliche Star dieser Aufführung. Denn einige Solisten hatten ausgerechnet bei dieser Aufführung nicht ihren besten Tag. Kwanchul Youn flackerte stimmlich vor allem im ersten Akt mitunter, war stimmlich nicht so präzise focussiert wie sonst, dennoch war sein Gurnemanz von großer Ausstrahlung. Burkhard Fritz als Parsifal gelangte am Schluss des zweiten und dritten Aktes hörbar an seine stimmlichen Grenzen und Susan Maclean vermochte zwar der Kundry eindrucksvoll Gestalt zu geben, blieb sängerisch aber der Partie Einiges schuldig, vor allem schwand die Textverständlichkeit mit zunehmender Stärke des Orchesters. Detlef Roth gab einen ergreifenden Schmerzensmann Amfortas und zeigte, dass Wagner auch belkantistisch zu singen ist. Thomas Jesatko war ein darstellerisch präsenter, expressiv singender Klingsor. Diógenes Randes orgelte die kleine Titurel-Rolle etwas grob herunter, so dass hier das Geheimnisvolle wenig zu spüren war.
FAZIT
Der Eindruck dieser Produktion im Festspielhaus ist gewaltig und auch durch Kino oder DVD letzten Endes unersetzlich. Mit Spannung wird man dennoch die Konserve dieser Produktion erwarten können, da sie die singuläre Bildmacht dieser Inszenierung aufbewahrt.
Christoph Wurzel | Aufführung im Festspielhaus Bayreuth am 11. August 2012