Parsifal

Kirill Petrenko
Chor und Orchester der Bayerischen Staatsoper München
Date/Location
31 July 2018
Nationaltheater München
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Amfortas Christian Gerhaher
Titurel Bálint Szabó
Gurnemanz René Pape
Parsifal Jonas Kaufmann
Klingsor Wolfgang Koch
Kundry Nina Stemme
Gralsritter Kevin Conners
Callum Thorpe
Gallery
Reviews
konzertkritikopernkritikberlin.wordpress.com
Kaum ist der Sommer da, beginnen für gewöhnlich die Münchner Opernfestspiele. So auch dieses Jahr. Während überall in der Republik die Opernhäuser dem Saisonende zutrudeln (hier in Berlin mit Netrebko), lockt die Bayerische Staatsoper mit illustren Namen die Schönen und die Reichen und die Opernliebhaber an. Und heute gar, am heil’gen Tag der ersten Festspielpremiere, da ich Parsifal von Richard Wagner auf BR Klassik höre. Der Besetzungszettel führt die Namen Kaufmann, Stemme und Pape.

Doch nicht nur ihren Jonas Kaufmann lieben die Münchner, auch Kirill Petrenko erfreut sich an der Isar treuer Verehrung. Noch-Chef Petrenko leitet heuer das Vorspiel zum ersten Aufzug genau und durchhörbar, lässt das Abendmahlthema schlank zwischen Transzendenz und Transparenz aufsteigen, achtet auf dessen Einbindung, lässt beim Glaubensthema dann Holzbläser und Blech fließen. Das Orchester übt sich in Atmenlassen und Detailtreue. Obacht! Unter Petrenko gilt’s in München dem genauem Hinhören, Weihetöne und Erlösungsquatsch haben hier keine Chance.

Schade nur, dass Pierre Audi ohne die ganz große Frischluftzufuhr inszeniert, der Maler und Bildhauer Georg Baselitz sorgt für das zerknittert hingetuschte Bühnenbild, das sich in den Gralsritterszenen zu urweltlichen Baumlandschaften verdunkelt.

René Pape singt einen lyrischen Gurnemanz. Die Stimme ist weich, edel timbriert, wenig metallisch, hat wenig von Salminens granteliger Wucht. Pape singt rhetorisch sorgfältig, durchsetzt den von Erinnerungen geprägten Monolog des ersten Aufzugs mit ariosen Aufschwüngen. Das Stimmmaterial ist immer noch superb. Schön das Legato, das Pape zwischen energischer Deklamation einerseits und einem dem Sprechen angenäherten Parlando andererseits entfaltet. Der Vortrag ist lebendig und biegsam, wird vollkommen aus dem Bühnenmoment heraus gesungen. Nichts ist da nur abgesungen. Männlich-energische Akzente gliedern die Phrasen (des Grales Wunderkräfte stärken). Eine kurze Intonationsunsicherheit gibt es bei Da Titurel, in hohen Alters Mühen. Eine Weltklasse-Leistung.

Christian Gerhaher taucht als blutig versehrter Amfortas im Hosenträger-Look auf. Er geht an der Krücke, über seinen Schultern liegt ein undefinierbares Etwas zwischen Eskimomantel und Heizdecke. Gerhahers Interpretation konzentriert sich auf penible Textdeutung. Man muss sich reinhören. Affekte (Zorn: Ohn‘ Urlaub, Verzweiflung: Oh, Strafe! Strafe ohne Gleichen) haben bei Gerhaher einen feminin weichen Touch. Im rigorosen Drang zum Verdeutlichen erinnert er an Fischer-Dieskau. Ja, Gerhahers Darstellung ist offen manieriert. In manchen leisen Passagen ist das Sprechen nah und das Singen fern. Gewöhungsbedürftig ist auch der vibratolose Beginn so mancher Phrase. Kurzum, Gerhaher singt einen reflektierten, affektierten, einen larmoyanten Amfortas. Gerhahers Interpretation ist Geschmacksache. Im dritten Akt streift die Grals-Verzweiflung des Amfortas gar die Karikatur, unwillkürlich fällt mir ein ganz anders Leidender ein, Sixtus Beckmesser. Doch ungeachtet aller Fragwürdigkeiten bietet Gerhahers Amfortas Nuancen der Textdeutung, von denen andere Amfortas-Sänger nicht einmal zu träumen wagen dürften. Darum ist seine Rollenaneignung zwar unorthodox, doch richtig und hochinteressant.

Jonas Kaufmann ist Parsifal. Kaufmann, in edel-legeres Schwarz gekleidet und mit Sixpack-Brustpanzer vorm Bauch, singt mit heroischem Timbre und intensiver Deklamation. Die herbe Stimme Kaufmanns meint weniger den reinen Toren oder den freislichen Knaben, sie beglaubigt den tragischen Krieger, der seine Herkunft und Bestimmung sucht und findet. Unvergleichlich nach wie vor der raue Schmelz der Stimme. Lyrisches (Herzeleide sie heißt) hat man – auch von ihm – schon zarter gehört, der verwunderten Frage Seid ihr denn Blumen? fehlt die Leichtigkeit. Das klingt steif, gepresst. Doch bei Dies Alles – hab ich nun geträumt? ist der Münchner dank Textdurchdringung und verhangener Halbstimme dann schon wieder viril und suggestiv. Allerdings hat sich das Gutturale und Gaumige der Stimme verstärkt, die Vollhöhe hat heldische Force (Erlöse, rette mich), kann aber monochrom wirken. Kaufmann ist auch und gerade ein genauer Sänger. Die Erlösungswonne, die dieser Parsifal verspürt, wächst aus der Einsicht des Sängers in die individuelle Tragik, die Schuld, die dieser Parsifal büßen will, ist Konsequenz einer menschlichen Auffassung von Wagners spätem Tenorhelden. Fest und markant dann das finale Nur eine Waffe taugt.

Nina Stemme, vor drei Monaten als Kundry sowohl an der Berliner Staatsoper (mit Schager und Pape) als auch unter Simon Rattle konzertant (mit Skelton und Selig) gehört, singt eine außerordentliche Kundry. In kleidsame Violett- und Aubergine-Töne mit Bhagwan-Anklängen gewandet, lagert sie vor den traurigen Resten eines Tyrannosaurus Rex. Gewiss klingt sie während der Herzeleide-Erzählung eher mütterlich und wenig verführerisch. Doch ihre Stimme ist klangreich wie kaum eine. Nina Stemmes Kundry ist eine wissende Frau, Stemme glaubt man sofort, dass sie damals, im Jahr 31, unterm Kreuz stand. Ihr Singen ist von reicher Musikalität. Der Fokus liegt nicht auf Details oder expressiven Spitzen. Das klagende Jammer! Jammer! vom Beginn des Aufzugs kommt zahm, in den hysterischen Wutausbrüchen zu Ende des Aufzugs erreicht Stemme nicht die Intensität anderer Kundry-Darstellerinnen. Nein, Feuer und Temperament brodeln bei ihr unter der Oberfläche. Wie viel Kraft ist in ihrem Gelobter Held! Entflieh‘ dem Wahn! Nina Stemme gebietet über eine derzeit von keiner anderen Interpretin erreichte Autorität der Darstellung.

Wolfgang Koch steckt in einem unförmigen Quasimodo-Gewand (Kostüme: Florence von Gerkan), singt den zauberkundigen Bösewicht Klingsor wuchtig und kantig, schadenfroh knurrend (ihn schirmt der Torheit Schild) und in Verzweiflung die Zähne bleckend (So lacht nun der Teufel mein), manchmal indes mit erratischer Phrasierung, immer aber mit feinem Näschen für das Unberechenbare, ja Überindividuelle, das diese Figur Wagners so faszinierend macht.

Den siechen Titurel gestaltet der Bass Bálint Szabó überaus engagiert und mit mächtiger Höhe.

In den Nebenrollen überzeugen Paula Iancic (1. Knappe) und Tara Erraught (2. Knappe), Matthew Grills (4. Knappe, Eine Heidin ist’s, ein Zauberweib) sowie Manuel Günther (3. Knappe, He! Du da! Was liegst du dort), ebenso Kevin Conners (1. Ritter, Der König grüßte ihn als gutes Zeichen) und Callum Thorpe (2. Ritter). Die Blumenmädchen, dieses tiefsinnige Mädls-Geschwader, das bei noch jedem Parsifal, so rau der Parsifal und so schrill die Kundry auch singen, für ungetrübten Hörgenuss sorgt, verkörpern an diesem Münchner Premierenabend die famosen Tara Erraught, Selene Zanetti, Noluvuyiso Vuvu Mpofu, Paula Iancic, Golda Schultz und Rachael Wilson (auch die Stimme aus der Höhe). Audis Regie zeigt sie uns als speckbäuchige und schlabberbusige Nackedeis in zerknitterten Mänteln in Schimmeloptik.

Den Schluss der Abendmahlszene mit dem Wechsel von Knabenstimmen aus der Höhe und erbaulichen Ritterchören (als düstere Urwelt-Mannen, insgesamt bis zu achtfach geteilte Stimmen) im ersten Akt finde ich wie immer langatmig, das ist Wagners blasses Nazarenertum, das selbst Kirill Petrenkos schlankes Tempo nicht aus der Welt schaffen kann. Die Szene zeigt hier eine urzeitlich erstarrte Waldstätte. Petrenko, der seit dem letztwöchigen Abschied von Simon Rattle in Berlin daselbst sehnlichst erwartet wird, dirigiert nach Stunden, Minuten und Sekunden gerechnet sogar ausgesprochen schnell. Auch die Vorspiele zum zweiten und dritten Aufzug werden durchsichtig gestaltet und exakt ausmusiziert. Nur das sequenzierte Glaubensthema zum Schluss des dritten Aktes klingt mir zu beliebig, läuft einfach gutgeölt durch, was an anderen, wenigen Stellen zuvor auch schon ungut auffiel. Summa summarum hört das Premierenpublikum perfekt realisierte Klangmischungen statt weihevoller Erbauungsmusik. Das Wagnersche Heil- und Erlösungsversprechen treibt Petrenko der Partitur mit seiner Mischung aus Genauigkeit und Akkuratesse erfolgreich aus.

Schlatz | 29. Juni 2018

The New York Times
A Conductor Sets Munich’s Ashen ‘Parsifal’ Aflame

“Spring is here,” an old knight declares in the final act of Wagner’s “Parsifal.” Yet wintry night never ends in the grim, ashen new production of the work, which opened the Munich Opera Festival on Thursday. (It will be broadcast live at staatsoper.tv on July 8.)

The lights are dim. The sets — based on, and sometimes magnified reproductions of, melancholy ink drawings by the artist Georg Baselitz — are black and white. The performances of a superb cast, led by Jonas Kaufmann, Nina Stemme, Christian Gerhaher, René Pape and Wolfgang Koch, are sober, responsible, gray.

Pretty much the only color comes from a brief flood of sickly dark purple illumination near the end — from Kirill Petrenko, the music director of the Bavarian State Opera here, who conducts with visionary flammability.

It is the kind of dreary canvas that could have been the backdrop for a memorably stark, even brutal account of Wagner’s opera, in which a suffering company of knights guarding the Holy Grail is saved through the slow progress to understanding of an innocent young man.

But the production — by Pierre Audi, the artistic director of the Park Avenue Armory in New York, who will soon add the same role at the Aix-en-Provence Festival in France — never risks brutality; it never risks much of anything. Barely veiled by the somber setting, a marriage of Neolithic skeletons and contemporary fabrics by way of riffs on medieval armor, is a dully rote telling of this ambiguous story.

There are a few striking scenic moments, such as when a shadowy forest begins to collapse on itself. And there are flashes of insight: As the knights celebrate the communion-like ceremony of the Grail, they drop their hardy outerwear and reveal suits of exaggeratedly sagging flesh.

This staging’s Grail appears to be a kind of fountain of youth, grotesquely elongating the lives of the men who worship it for that reason. Parsifal, then, seems less a savior than an exposer of the artificial persistence of an aging generation.

This idea is initially not without a certain self-lacerating poignancy coming from Mr. Audi, 61, and Mr. Baselitz, 80, whose globby neo-expressionism is the subject of a current retrospective at the Hirshhorn Museum and Sculpture Garden in Washington, D.C. But it goes nowhere. The final act is a listless shamble toward vague transcendence, with Parsifal bathed in light as the knights — sagging flesh safely covered — slowly spin in place, a Baselitz starburst looming over everything.

What does Parsifal learn? What does he, by the end of these hours and hours of music, teach? What happens to this tortured society? Just a gently happy ending? “Parsifal” can persuasively be a parable of ecological disaster, of tormented nationhood, of — as in the Metropolitan Opera’s far more interesting production — the great rift between the sexes. In Mr. Audi’s hands, though, it is a mellow, shallow ritual, with little to tell us at all.

The man who does have something to tell us — who is, in fact, fairly shaking us by the lapels with his ideas — is Mr. Petrenko. This is the first time that he, the incoming music director of the Berlin Philharmonic, has taken on “Parsifal,” and it is a vivid, truly essayistic reading that feels like the proper parallel to the febrile sketchiness of Mr. Baselitz’s ink drawings. (They’re better than his paintings.)

After starting the prelude with daringly careful slowness — many conductors today favor a swifter, more natural flow — Mr. Petrenko unleashes waves of spiky, sparkling sound. The strings are almost troublingly raw, perched on the edge of hysteria, over a yawning gulf to the deep base of the orchestra.

This is an evocation of the unhealing wound of Amfortas, the leader of the knights, and of the opera’s bitter power plays and nightmarish, incest-like seductions, which are more harrowing than anything onstage. It’s hard to forget even passing moments, like Mr. Petrenko’s choice to lean heavily on the nausea-laden rustle that ends the second act.

He is not afraid to be solemn and grand, even blaring, but he lightens the textures of much of the score nearly to chamber music; this is the rare “Parsifal” that never feels leaden, that is deliberate, yet propulsive. The mood is swirling, gently dizzying, as Gurnemanz, a veteran knight, describes the calling of the company; when Parsifal is unmasked in the final act, Mr. Petrenko carries the emotion through what feels like several full minutes of sustained intensity.

It is unsettled, and unsettling. And riveting. If the singers did not match it for moment-by-moment interest, that’s Mr. Audi’s fault more than theirs — and this was as solidly rewarding a cast as you can find in this opera today.

As Mr. Kaufmann did at the Met a few years ago, he wanders a bit emptily through the title role. But his voice seems less moored to its depths and hooded than it has recently, and it emerges without strain; he is serene, articulate.

Articulate, too, is Mr. Gerhaher, one of our greatest lieder singers, as a quietly bitter Amfortas, posing the text with clarity. Best is when, with Mr. Petrenko’s help, he can diffuse his voice to its uniquely haunting, smoky ruefulness; he is less fascinating when the role demands sheer power.

Mr. Pape, lacking only some heft in his lowest register, is a conscientious Gurnemanz. Ms. Stemme, singing the opera’s conflicted temptress with easy richness and pale mournfulness, is the rare Kundry who is more elegant than intense.

None of the performances is disappointing; none of them ultimately stands out for its detail or originality, either. Mr. Audi seems to have gently buffed them all to a straightforward sheen. He has inspired far more coolness than heat in an disappointingly cautious handling of the opera.

Mr. Petrenko didn’t get the memo. Remarkably, given the starry cast, but deservedly, the cheers for him at the curtain call were the most enthusiastic by far.

Zachary Woolfe | July 1, 2018

Rating
(6/10)
User Rating
(3.7/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 528 MByte (MP3)
Remarks
In-house recording
A production by Pierre Audi (2018)