Parsifal

Semyon Bychkov
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Date/Location
26 July 2018
Festspielhaus Bayreuth
Recording Type
  live  studio
  live compilation  live and studio
Cast
AmfortasThomas J. Mayer
TiturelTobias Kehrer
GurnemanzGünther Groissböck
ParsifalAndreas Schager
KlingsorDerek Welton
KundryElena Pankratowa
GralsritterTansel Akzeybek
Timo Riihonen
Gallery
Reviews
Kieler Nachrichten

Dieser „Parsifal“ macht Lust auf den nächsten „Ring“

Der Rausch liebt die Dunkelheit. Das mag ein Grund sein, warum sich Uwe Eric Laufenberg nach der diesjährigen Bayreuther „Parsifal“-Premiere zahlreichen Buh-Rufen ausgesetzt sah …

Der Regisseur dreht im weiten Zuschauerrund des Festspielhauses das Licht auf, wenn das Orchester am Ende dieses langen Bühnenweihfestspiels flirrend den Klangteppich für einen Weg in andere Welten auslegt und ätherische Chorstimmen aus der Höhe dazu „Erlösung dem Erlöser“ verkünden. Selbst wann man Laufenbergs pseudo-aufklärerischen Blick auf Religionen aller Art folgen mag: Um diesen nun überbelichteten musikalischen Wagner-Glücksmoment ist es schon schade.

Umso mehr, weil der neue „Parsifal“-Dirigent Semyon Bychkov die Musik sehr elegant in Fluss halten und zur richtigen Zeit zum Schweben bringen kann. Das beginnt schon im Vorspiel, das zart und teilweise überraschend detailscharf in die ferne Welt der Gralsritter einführt. Allerdings ist auch hier schon am gelegentlich brüchigen Kontakt zwischen Streichern und Bläsern zu hören, dass Bychkov den Schlüssel, der die spezielle Akustik im Festspielhaus aufschließt, noch nicht gefunden hat. Immer wieder gibt es kleinere Balanceprobleme auch im Verhältnis zur Bühne. Selbst der fabelhafte Chor, von dem man eigentlich nicht genug hören kann, erscheint so gelegentlich zu laut.

Vorfreude auf den „Ring“ 2019 – mit einem Bassist als Wotan

Trotzdem hat der Abend vor allem musikalisch viel zu bieten. Allein der liedhaft fein gestaltete Gesang von Günther Groissböck etwa hilft sehr dabei, über die geschwätzige Leere von Laufenbergs Inszenierung hinwegzukommen. Anders als der Regisseur, der mit (zu) vielen Bildern und Symbolen vom vermeintlichen Verfall der Weltreligionen raunt, ist Groissböck als Gurnemanz ein klarer und vitaler Chronist des Geschehens. Er verbindet Textverständlichkeit und musikalische Gestaltung mit dem balsamischen Strömen einer wirklich großen Stimme. Im kommenden Jahr wird er deren Möglichkeiten noch weiter ausreizen können: Nach vielen Produktionen mit Bassbaritonen wird mit Groissböck im kommenden Jahr wieder ein echter Bassist den Wotan im nächsten Bayreuther „Ring“ singen. Man kann sich darauf freuen.

Aufhorchen ließ auch Bayreuth-Debütant Tobias Kehrer in seinen kurzen, aber eindringlichen Auftritten als Titurel, Thomas J. Meyer wirkte als etwas zu schmerzverzerrter neuer Amfortas dagegen etwas nervös. Elena Pankratova erscheint trotz fabelhaft offener Stimme als Kundry mit sonderbar theatralischen Gesten und starken russischem Akzent manchmal wie eine Karikatur ihrer Partie. Andreas Schager ist dagegen ein souverän-kraftvoller Titelheld, Derek Welton als Klingsor sein viriler Gegenspieler. Viel Applaus für Sänger und Musiker, Buh-Rufe für das Regie-Team.

Stefan Arndt | 27.07.2018

Online Musik Magazin

Mittelalterliche Passion

Im dritten Jahr zeigen die Bayreuther Festspiele Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung des Parsifal – Wagners letztes Opernwerk – das Bühnenweihfestspiel, das er für sein Festspielhaus und die besondere Akustik komponierte und das dort im Jahre 1882 anlässlich der zweiten Bayreuther Festspiele uraufgeführt wurde.

In diesem Jahr hat Semyon Bychkov die musikalische Leitung übernommen. Meisterlich, wie er gemeinsam mit dem Festspielorchester gleich zu Beginn die musikalische Dramaturgie des sinfonischen Vorspiels vor Augen führt. Wie sie die Motive zu den christlichen Tugenden Liebe, Glaube und Hoffnung fließend entfalten und dynamisch weiterführen. Nie ist es zu laut. Die Klangmischungen schillern, lassen Zeitlosigkeit, Stillstand und sakrale Aura erahnen. Später kommen die brillanten Solisten und ein homogen und textverständlich singender, wunderbar gestaltender Festspielchor hinzu. Auch sie lassen den Abend zu einem unvergessenen musikalischen Erlebnis werden.

Laufenbergs Inszenierung spielt im Zweistromland, an Orten, wo das Christentum ursprünglich Verbreitung fand und heute bedroht ist. Nach dem choralähnlichen Unisonobeginn des Vorspiels und seiner Weiterführung öffnet sich der Vorhang. Es herrschen Gesetzlosigkeit und Krieg. In einem Kirchenraum, einer Art erweitertem Baptisterium, haben geflüchtete Männer, Frauen und Kinder Unterschlupf gefunden. Zum Motiv des Glaubens werden sie aufgefordert, den Raum zu verlassen. Bewaffnete Soldaten treten ein und durchsuchen ihn. Feierlich, gemessenen Schrittes nehmen Mönche – an die Passion erinnernd – die überdimensionale Figur des Schmerzenmannes vom Kreuze, hüllen ihn in weißes Linnen und tragen das Kreuz hinaus, um wenig später wiederzukehren, sich neu zusammenzufinden und zu gründen.

Stark die Charakterisierung des Amfortas – grandios gesungen und gespielt von Thomas J. Mayer. Wie er den leidenden, gebrochenen Menschen darstellt und zugleich eindrücklich, mit klangschönem, farblich schillerndem Timbre um Erlösung fleht, während die Brüder mit dem Kelch in der Hand die Gralsenthüllung quasi einfordern, die Wunde öffnen, um nicht Wein, sondern das lebensspendende Blut zu trinken, grenzt in der Versachlichung und Entsymbolisierung der christlichen Messfeier an provozierende Geschmacklosigkeit und ruft zugleich mittelalterliche Darstellungen in Erinnerung. Mit 1 Stunde und 45 Minuten ist der erste Aufzug der längste des Abends. Und doch reißt der Spannungsbogen nicht ab, was vor allem der fantastischen, mühelosen, klangvollen, gesanglich differenzierten und ausdrucksstarken Interpretation Günther Groissböcks als Gurnemanz zu verdanken ist.

Parsifal, der als Erlöser auserwählte, naive Tor betritt bewaffnet und in Uniform im zweiten Aufzug ein orientalisches Hamam. Er muss sich beweisen, zeigen, dass er die Charakterstärke besitzt, sich freiwillig den Ordensregeln unterzuordnen und Enthaltsamkeit zu üben. Anders als Amfortas, widersteht er den Verführungskünsten Kundrys und der Schönen, die ihn der Uniform entledigen und zum Bade locken. Elena Pankratova ist eine großartig schauspielende und singende Kundry. Tiefgründig, vollmundig und klangvoll vibrierend ist sie als Widergeborene willenloses Werkzeug Klingsors und Gralsbotin zugleich. In Laufenbergs Interpretation lenkt sie schließlich, nachdem die Streicheleinheiten der Zaubermädchen erfolglos blieben, mütterliche Gefühle zeigend, Parsifals Aufmerksamkeit auf sich. Doch beim Kuss erinnert er sich an die Wunde Amfortas. Er erkennt, widersteht – allen weiteren Verlockungen Kundrys zum Trotz – während Klingsor, überzeugend dargestellt von Derek Welton, sich in seine Devotionaliensammlung aus Kruzifixen zurückzieht, um sich – entsprechend mittelalterlicher Mystik und Erziehung – zu kasteien, zu geißeln und auf diese Weise frei zu werden für Höheres.

Der dritte Aufzug schließlich thematisiert Erlösung. Schauplatz ist das mittlerweile verfallenes Baptisterium, das von gigantischen, surreal anmutenden Pflanzenteilen zurückerobert wird und sich später öffnet. Parsifal, den Andreas Schager im zweiten Aufzug stellenweise, zumindest an diesem Abend, etwas sehr kraftvoll und forciert singt, interpretiert nun differenziert und klangschön. Eine alt gewordene, hinken- und zitternde Kundry wäscht ihm demütig, wie die biblische Maria Magdalena, die Füße, trocknet sie mit ihrem langen Haar und salbt ihn.

Im Karfreitagszauber erinnert Laufenberg mit nackten, in blühender Natur und unterm Wasserfall Spielen- und Tanzenden an den paradiesischen Urzustand Adam und Evas. In den geöffneten Sarg Titurels legen die Mönche ihre Kelche. Eine bessere Zukunft soll beginnen. Auf einer gigantischen Wasserfallprojektion flammen Konterfeis von Winifred und Richard Wagner auf. Geradezu ironisch kehrt Laufenberg am Ende in die Wirklichkeit zurück und kommentiert zugleich die eigene Inszenierung. Auf der Bühne und im Publikumsraum geht das Licht an. Wagners Parsifal wartet auf seine nächste, aufklärende Interpretation.

FAZIT

Musikalisch ein Genuss

Ursula Decker-Bönnigerl | Festspielhaus Bayreuth am 08.08.2018

Rating
(6/10)
User Rating
(3.7/5)
Media Type/Label
Premiere
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 48.0 kHz, 598 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast from the Bayreuth festival
A production by Uwe Eric Laufenberg (2016)