Parsifal
Alexander Soddy | ||||||
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Amfortas | Michael Nagy |
Titurel | Wolfgang Bankl |
Gurnemanz | Günther Groissböck |
Parsifal | Daniel Frank |
Klingsor | Werner Van Mechelen |
Kundry | Elīna Garanča |
Gralsritter | Katleho Mokhoabane |
Jusung Gabriel Park |
Wiener Parsifal-Experiment schief gelaufen: Elīna Garanča rettet fast im Alleingang
Jetzt sprechen wir Mal Tacheles: Alexander Soddys „Parsifal“-Dirigat an der Wiener Staatsoper stimmt mich todunglücklich. Kein Wunder, dass Elīna Garanča während des tosenden Auftrittsapplauses in der zweiten Pause keine Miene verzieht. Dabei ist der Lettin diese Kundry wie auf den Leib geschnitten. In Kirill Serebrennikovs umstrittener Gefängnis-Inszenierung ist sie eine eiskalte Reporterin. Eine der wenigen, die auch genauso zuschlägt.
Wenn man bereits bei der Anreise zur Wiener Staatsoper mit der Gänsehaut kämpft, steht Richard Wagner am Spielplan. Das Vorspiel erfüllt noch alle Erwartungen. In Wien hat man es nicht eilig. Alexander Soddy hat die Ruhe, um die Aura des Grals voll zu entfalten. Danach sinkt der Stimmungspegel aber unaufhaltsam nach unten.
„Die Tiefe fehlt“, stimmt man mir bei der Heimfahrt in der Wiener U-Bahn zu. „Viel zu langsam“, meinen andere. Auf den Spannungsbogen hat Dirigent Alexander Soddy komplett vergessen. Dabei hat der Brite mit genialen Strauss- & Verdi-Dirigaten im Vorfeld aufhorchen lassen. Sein Wagner-Debüt am Haus hat aber viele Makel.
SEREBRENNIKOVS „HÄFN“-PARSIFAL ERREGT NOCH IMMER DIE GEMÜTER
Dass also nicht die Inszenierung von Kirill Serebrennikov die Enttäuschung wird, ist die Überraschung schlechthin. „Man muss tolerant sein“, geht der Beschwichtigungsversuch im Foyer zwar in die Hose. Das Publikum ist erbost. „Das Mystische geht verloren“, höre ich am häufigsten. „Grauenvoll!“, ist eine Dame jensseits der Achtzig auf der Galerie kaum noch zu halten.
Dabei hat Serebrennikovs Gefängnis-Inszenierung einige Highlights. Eine Gesellschaftskritik der allerfeinsten Sorte. Klar, die Partitur-Diktatoren werden immer das Haar in der Suppe finden. Aber tagespolitisch betrachtet, trifft der russische Regisseur schon den Nerv der Zeit.
Bei seinem Karfreitagszauber gibt es die Erlösung nicht durch Mitleid. Bei Serebrennikov befreit sich die unterdrückte Kundry selbst mit Gewalt aus den Fängen des Medienmoguls Klingsor. Eine Anspielung auf die tiefe Verflechtung der Presse und des Gewalt-Regimes in seiner russischen Heimat. Das will man in Wien halt nicht sehen. Nicht zu Ostern, wo der Heiland auferstanden ist, und die Welt noch im Lot scheint. Und schon gar nicht beim heiligen Parsifal.
ELĪNA GARANČA STICHT, GÜNTHER GROISSBÖCK WACKELT
Elīna Garanča hingegen schon. Die lettische Ausnahmesängerin ist das Highlight dieser Ostermontagsvorstellung. Keine Überraschung, mit ihr hat man schon im Vorfeld gerechnet. Hat man die Mezzosopranistin ja schon bei der Premierenserie 2021 als eiskaltes Reporterweib erleben dürfen, das dem Gemüt der kühlen Lettin wie auf den Leibt geschnitten ist. Damals hat ihr Philippe Jordans Dirigat die Spannung serviert, dieses Mal ist sie allein auf sich gestellt. Dennoch erstarrt man bei ihrem Schrei, als sie Jesus Christus am Kreuz auslacht. Das Ergebnis: ewige Verdammnis.
Günther Groissböck als Gurnemanz ist ein Wackelkandidat. In diesem „Häfn“ kämpfen nicht nur die Häftlinge, sondern auch der Österreicher mit seiner Tagesform. „Zu wenig“, bestätigt ein Stammgast. Während andere wiederum hellauf begeistert sind, ohne dies aber begründen zu können oder wollen.
Von Michael Nagys kräftigem Bariton hätte sich Groissböck ein Stück abschneiden können. Dann wäre die Rollenverteilung gerecht gewesen. Der dahinsiechende Gralskönig Amfortas mit Schwächeanfällen, der Gralsdiener und Gefängnis-Anführer Gurnemanz mit durchgehend Kraft in seiner Stimme. Ist aber andersrum gewesen und somit etwas unglaubwürdig das Szenario.
BILANZ DES OSTERMONTAGS-PARSIFAL
Summa summarum: Dirigat stark ausbaufähig, Sänger mit Abstrichen. Ein Gurnemanz, der in Topform bestimmt perfekt in diese Inszenierung passt. Ein Häfnbruder, kräftig, groß, in Springerstiefeln und Bomberjacke. Das steht dem Hünen Groissböck. Elīna Garanča nimmt man sowieso immer mit Handkuss. Bassbariton Werner van Mechelen ist ein boshafter Unterdrücker, dem man als Klingsor jedes Wort glaubt.
Der Parsifal hat auch seine Stärken. Hell im Timbre, ein reiner Tor nun eben, auch wenn Tenor Daniel Frank in Wien einem Mithäftling blutrünstig die Kehle aufschlitzt. Der Männerchor erfüllt mit Anmut. Die Damen schlagen hingegen eher in die Flucht. Zu viel Druck, schmerzhaft schon, bis auf die Galerie nach oben. So verführt man keinen Parsifal – auch, wenn das Publikum am Ende tobt.
Jürgen Pathy | 2. April 2024
Elina Garancas Kundry glänzt – auch zwischen Schloss und Riegel
Geboten wird großes Musiktheater! Das beginnt mit dem blendend disponierten Orchester unter der Leitung von Alexander Soddy, der von Mal zu Mal besser wird und längst zu einem unverzichtbaren, vielseitigen Gastdirigenten geworden ist, den man gar nicht oft genug sehen und vor allem hören kann. Wie Philippe Jordan bei der Premiere, liegt er beim ersten Aufzug mit eindreiviertel Stunden ziemlich genau bei der Dauer, die von Dirigent Hermann Levi bei den von Wagner überwachten Proben 1882 penibel überliefert worden ist. Aber Erbsenzählerei ist hier ohnehin nicht von Belang, vielmehr geht es um die Wirkung und die Mittel, die dafür eingesetzt werden. Und da erweist sich Soddy als eine sichere Bank, setzt den Klangzauber dynamisch um und legt damit die farbenreiche Grundlage, die das ausgewogene Gesangsensemble und den Chor zu Höchstleistungen inspiriert.
Der sensationell glänzende Mittelpunkt des Abends ist Elina Garanca, die als Kundry im zweiten Aufzug auf Klingsors Schloss – bei Serebrennikov die Redaktion eines Magazins namens „Schloss“ – darstellerisch und gesanglich einfach grandios ist. Die lettische Sopranistin war schon bei der Premiere überzeugend, hat sich aber in der Intensität ihrer Auslotung dieser zwiespältigen, rätselhaften Figur, Verführerin und Retterin, Höllenrose und helfender Engel in einem, noch gesteigert. Im Gefängnis, wo sie als Reporterin Interviews und Fotos für einen Bericht machen soll, kommt sie todmüde an, singt von „Schlafen, nichts als Schlafen“, ist aber doch sehr flott mit Kamera und Zigaretten unterwegs: Nur eine der vielen Ungereimtheiten in diesem Regiekonzept. Aber Garancas souveränes Auftreten und ihre außergewöhnliche Stimme übertönen diese Mängel bei Weitem. Die Wandlung von der Schlafwandlerin im ersten, über die erotische Verführerin im zeiten, bis hin zur ergebenen Dienerin im dritten Aufzug nimmt man ihr gerne ab. Werner van Mechelen hat es da schwer, sich als Klingsor, ihr Chefredakteur und Auftraggeber, der in dieser Inszenierung von Kundry am Schluss des Aufzugs erschossen wird, zu hehaupten. Der belgische Bass macht bei seinem Hausdebüt aber einen durchaus passablen Eindruck, was auch für Titurel, dem Vater des Amfortas, gilt. Wolfgang Bankl ist ein verlässliches Ensemblemitglied und immer bereit, auch nicht so große Rollen – er war immerhin auch schon als Klingsor erfolgreich im Einsatz – einfühlsam zu gestalten.
Günther Groissböck ist ein um Ruhe und Ordnung bemühter Gurnemanz, eine Art Blockwart in der Hierarchie der Strafgefangenen, der zugleich aber auch als Tätowierer (!) von den Mithäftlingen gerne aufgesucht wird. Eine respektgebietende Person und als langjähriger Insasse der berufene Chronist, der die Vorgeschichte der tragischen Lage, in die sich der Oberkapo Amfortas (als leidender, verzweifelter Sünder Michael Nagy) vor Jahren durch einen Fehltritt hineinmanövriert hat, höchst dramatisch und anteilnehmend schildert. Der profunde Bass zeigt sich aber auch besorgt über die ungewisse Zukunft der Eingekerkerten, gibt die Hoffnung auf Erlösung – bei Serebrennikov logischerweise auf die Befreiung aus dem Gefängnis reduziert – nie auf.
Daniel Frank, eben erst ein solider Bacchus in Ariadne auf Naxos, wird bei Serbrennikov als Parsifal stets von einem Schauspieler begleitet, der den jungen Parsifal verkörpert (Nikolay Sidorenko) und mit dem er auf ganz verschiedene Art und Weise interagiert, manchmal beobachtend, dann wieder in seine – meist törichten – Handlungen eingreifend oder ihn einfach nur staunend oder erschrocken zur Kenntnis nehmend. Dieser Parsifal blickt zurück in seine Vergangenheit und lässt die Ereignisse Revue passieren, versucht sie aber auch zu korrigieren oder vor Verfehlungen zu warnen. Franks heller, leicht metallischer Tenor ist das einzig Heldische, das die Regie im übriglässt. Ansonsten ist nichts Heldisches an ihm. Als er im dritten Aufzug das Gefängnis betritt, kommt er nicht, sei angekündigt, in glänzender Kleidung, sondern in einem schwarzen Anorak mit Kapuze und mit einem unscheinbaren Stecken in der Hand (der heilige Speer!) und setzt sich auf die Ecke eines Tisches. Keiner erkennt ihn. Also geht er wieder hinaus und kommt erneut herein, setzt sich hin, zündet sich eine Zigarette an und zieht nun die Kapuze vom Kopf. Erst jetzt wird er von Gurnemanz erkannt. Kein Wunder, dass sich bei solchen Manövern die Handlung etwas in die Länge zieht und die Vorstellung dann statt fünf Stunden doch um eine gute Viertelstunde länger dauern wird.
Die vielen weiteren Rollen der Gralsritter, Knappen und Blumenmädchen sind aus dem Ensemble und dem Opernstudio gut bis außerordentlich gut besetzt. Das Publikum dankt mit starkem Applaus und vielen Bravorufen, die zu Recht vor allem der großartigen Garanca gelten, aber – neben dem eindrucksvollen Groissböck – auch das famose Orchester und den Dirigenten Soddy miteinbeziehen. Die Musik triumphiert über eine problematisch bleibende Inszenierung: Was für eine Erlösung!
Manfred A. Schmid | 28. März 2024
Neither hope nor salvation: a sombre Parsifal with much to say in Vienna
There are few productions I’ve found so immediately compelling as I did Kirill Serebrennikov’s prison Parsifal when I watched its Covid-era debut streamed from the Wiener Staatsoper. Now in its third outing, though customary signs of revival wear-and-tear are obvious, it remains an arresting, inventive and deeply moving interpretation.
Serebrennikov takes a deeply critical approach to the work’s religious themes. His is a deconstructionist take, a rightfully dark view of organised religion and fraternities, exposing the oppressive nature of their hierarchical structures. Setting Act 1 in a Russian prison, Monsalvat itself becomes a festering wound; a place of decay, bereft of grace. Its “knights” are bound together by exercises of ever-present, cyclical violence and their piety manifests in cult-like worship, most emblematic in their tattoos, a literal rending of the flesh. Amfortas, reopening his own wounds, is an unwilling, accidental leader of this cult. This unholy brotherhood works as a clever twist, showcasing religious fanaticism as well as the male chauvinism of such a fraternity, deeply felt in the Grail knights’ treatment of Kundry.
A key figure in Serebrennikov’s concept is the young (or “former”) Parsifal, played by Nikolay Sidorenko: the story emerges as the older Parsifal revisits his captivity and consequently takes a journey through his traumatic memories, acted out by his younger self. Doubling any role is a risky decision, but Sidorenko’s vivid stage presence and Serebrennikov’s well-drawn direction make for a well-integrated concept, the interactions of younger and older selves especially poignant in the impending doom felt throughout Act 2.
But it is in Act 2 that the production falters. While the journey of Parsifal, first traumatised, then having his trauma exploited and commodified by Klingsor and Kundry (here owner and reporter of a fashion magazine) is captivatingly rendered, the production’s secularised nature leaves considerable plot holes regarding Klingsor’s motivations for Parsifal’s corruption, Kundry’s curse and her emotional struggle. Yet even with (and through) this “problem act”, the production remains gripping, committed to exploring its ideas in full. There’s no true redemption: even the final, movingly depicted salvation, with the two Parsifals reuniting to open the prison and free its lingering inhabitants, leaves a sour aftertaste – the prison colony may have found deliverance, but only with one cult leader having been exchanged for another. Serebrennikov offers no transcendent meaning, only bleakness beyond measure, but in this bleakness is a powerful meditation on human existence.
Serebrennikov is supported by an excellent team: the dark, suffocating atmosphere of the prison, as well as the brief moments of reprieve (such as the two Parsifals’ first meeting during the Act 1 Transformation Scene), is evocatively created through Olga Pavliuk’s stage design and Frank Evin’s lighting. The storytelling is mostly well-supplied by the brutal imagery of prison life in Aleksei Fokin and Yurii Karih’s videos.
There was much to admire on the musical side, too, above all, Elīna Garanča’s gripping Kundry, with an ideal combination of a magnetic stage presence and sumptuous, highly dramatic vocalism. Refreshingly, in Serebrennikov’s staging and Garanča’s magnificent depiction, Kundry is no semi-feral temptress, but a complicated, captivating, thoroughly human figure. Commanding Act 2, Garanča offered sensuous warmth in the seduction scene with a breathtakingly phrased “Parsifal, weile!”, tipping over into steely, blood-curling intensity on “Grausamer”, spellbinding until the very last moments.
Closely matching her was the highly moving performance of Michael Nagy’s noble-voiced, highly-strung Amfortas, his velvety baritone occasionally gaining an appropriately acerbic edge in depicting the suffering leader. In the title role, Daniel Frank was a solid, sympathetic Parsifal, his burnished tone proving a good fit for the role. His performance was largely a capable one, especially in the softer, touchingly wounded passages of his Act 2 monologue, though he was at times somewhat underpowered. As a sleazy bully, Werner Van Mechelen’s Klingsor offered suitable menace and bite. The sole but rather grave letdown was Günther Groissböck’s Gurnemanz. Groissböck cuts an appropriately hypermasculine figure, but his dry, gravelly bass was missing a great deal of weight, and his delivery was static, lacking the necessary gravitas to command Acts 1 and 3 – unfortunate in any Parsifal. Elsewhere, the house forces of the State Opera performed marvellously, with strong contributions from the ensemble and especially from the chorus.
High praise is due for Alexander Soddy and the orchestra’s searing performance; driving the drama forward with unerring tension, four hours seemed to flow by. The orchestra played with a solemn sense of grandiosity, well-suited to the production’s sombreness, while the glorious interplay of blazing brass and lustrous strings delivering soul-shaking renditions of the Transformation Scene and the Good Friday Spell lent the evening an unquestionably uplifting dimension after all.
Orsolya Gyárfás | 02 April 2024