Parsifal
Donald Runnicles | ||||||
Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Amfortas | Jordan Shanahan |
Titurel | Andrew Harris |
Gurnemanz | Günther Groissböck |
Parsifal | Klaus Florian Vogt |
Klingsor | Joachim Goltz |
Kundry | Irene Roberts |
Gralsritter | Patrick Cook |
Youngkwang Oh |
Gesanglich begeistern Vogt, Groissböck und Roberts im “Parsifal” an der Deutschen Oper Berlin
Musikalisch ist diese Parsifal-Aufführung erste Sahne. Die Stimme von Klaus Florian Vogt eignet sich perfekt für die Interpretation des Titelhelden. Im ersten Akt passt sein helles Timber zur Rolle des unschuldig reinen Tores. Dagegen zeigt Vogt im zweiten Akt, dass seine Stimme aber auch den nötigen tenoral männlichen Klang und genug Kraft besitzt, um das Publikum mit seinem herzzerreißenden Aufschrei “Amfortas! Die Wunde” zu fesseln. Mühelos strahlt seine Stimme auch in diesen dramatischen Szenen über das Orchester hinweg, das Ganze bei vorbildlicher Wortklarheit.
Günther Groissböck als jungstimmigen Gurnemanz hält da voll mit. Sein langer Monolog im ersten Akt klingt nie onkelhaft und langweilig. Seine Textdeutlichkeit und seine Stimmfarben ermöglichen ihm, den Zuhörer mit seiner Erzählung zu fesseln. Im 3. Akt paart sich sein hochwertiger Gesang auch noch mit großer Emotionalität. In seiner Stimme erklingt die ganze Resignation von Gurnemanz, der durch die durchlebte Leidenszeit an Lebenserfahrung gewonnen hat.
Irene Roberts ist eine junge, schlanke Kundry, nicht nur körperlich, auch stimmlich. Sie weiß dies mit viel Verführungskunst einzusetzen. Sie ist nicht der Mutterersatz, den Parsifal in Kundry in manch anderer Interpretation sucht und zu finden glaubt. Nein, sie ist die verführerische “Höllenrose” als welche Klingsor sie bezeichnet und dementsprechend ist ihre Stimme nicht matronenhaft, sondern schlank, jung, verlockend.
Jordan Shanahan singt einen leidenden Amfortas mit schönem, rundem, leuchtendem Bariton, während Andrew Harris als Titurel eine tiefe, schwarze Bassstimme zeigt.
Joachim Goltz als Klingsor besitzt ein viriles Timber, das dem Klingsor gut ansteht, trotz dessen Selbstkastration. Auch bei ihm ist die enorme Textdeutlichkeit besonders auffällig. Diese verleiht dem Charakter des Klingsor ein fast neurotisches Profil.
Vervollständigt wird der musikalische Erfolg des Abends durch eine großartige Leistung des Chores und des Orchesters unter der Leitung von Sir Donald Runnicles, der dem Abend musikalisch seinen Stempel aufdrückt. Sein Dirigat läßt die Musik Wagners wie ein mächtiger Strom daher fließen. Wuchtige Bläserpassagen wechseln ab mit großen lyrischen Bögen. Runnicles ist stets bedacht auf eine harmonische Balance zwischen Bühne und Orchester. Nie werden die Sänger überdeckt. Dabei passen sich seine Tempi auch ganz natürlich dem Inszenierungsfluss des Regisseurs Philipp Stölzl an, der in einigen Szenen auf Slow-Motion zurückgreift und damit, im Zusammenspiel mit dem Dirigenten, eine beeindruckende Atmosphäre erzeugt.
Was soll man ansonsten zu der Inszenierung sagen? Sie ist in großen Teilen schlüssig in ihrer Gesamtkonzeption. Man kann die Szene der Kreuzigung Jesus auf dem Berge Golgotha, die während der Ouvertüre gezeigt wird, kitschig finden. Sie erklärt jedoch sehr explizit die Schuldfrage, die während dem Rest des Abends auf Kundry lastet: sie verhöhnte Jesus am Kreuz und diese Sünde verfolgt sie den ganzen Abend lang. Im selben Sinne illustriert Stölzl verschiedene Szenen, z.B. wenn Gurnemanz erzählt, unter welchen Umständen Amfortas den heiligen Speer an Klingsor verlor.
Leider greift der Regisseur dann immer wieder auf Ideen zurück, die dem versierten Wagner-Kenner nicht einleuchten: Parsifal tötet Klingsor von hinten mit seinem eigenen Schwert, Amfortas begeht am Schluss Selbstmord, Kundry wird nicht von Parsifal getauft und erfährt keine Erlösung. Im Gegenteil, sie scheint die Ritter in der Schlussszene ebenso zu verlachen, wie sie es am Anfang mit Jesus tat.
Wie schon erwähnt zeigt Stölzl während der Ouvertüre die Kreuzigung Jesus auf dem Berge Golgotha. Als Reminiszenz an diese Szene steht auch im ersten Akt ein Berg im Mittelpunkt des Geschehens. Um diesen herum ringen sich die Gralsritter. Hier findet die Enthüllung des Grals statt. Im zweiten Akt weicht dieser Berg einer Höhle mit davor einer Opferstätte, wo Klingsor und seine Voodoo-Blumenmädchen Parsifal erwarten. Im dritten Akt findet man sich dann wieder vor dem Berg. Die Gralsritter sind allerdings Menschen aus der Zeit nach einer Apokalypse.
Das Publikum scheint die Aufführung eher gelassen aufzunehmen, zumindest was die szenische Seite angeht. Oder ist dies der Ausdruck eines sich nicht entscheiden können zwischen Zustimmung oder Ablehnung der Inszenierung? Den größten Applaus heimste zum Schluss Sir Donald Runnicles ein, neben Vogt, Groissböck und Roberts.
Jean Nico Schambourg | 28. Februar 2024
Ein Grüppchen fanatischer Bravorufer gegen ein Häuflein Buh-Schreier und dazwischen ein mehr oder weniger verstörtes, aber apathisches Publikum, das ist in Berliner Opernhäusern Premierenalltag. Zuschauer hingegen, die zugleich Bravo und Buh rufen möchten, die hin- und hergerissen zwischen jubelnder Zustimmung und wütender Ablehnung sind, die gibt es nur selten. Philipp Stölzls Inszenierung von Wagners Parsifal hat das Zeug dazu, eine Reaktion zwischen Zustimmung und Ablehnung wachzurufen, besonders in einer Sängerbesetzung wie die der jetzigen Wiederaufnahme, und bedient sich dazu unter anderem einiger Änderungen im Vergleich zur Vorlage.
So gibt es keinen erlegten Schwan, was man nur gutheißen kann, denn damit entfallen schon einmal viele Möglichkeiten, den kurzen Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen zu vollziehen. Die Gralsritter werden historisch festgelegt zu solchen des Templerordens gemacht, mit rotem Kreuz auf weißer Kutte, und damit müsste jedem in Geschichte Bewanderten klar sein, dass ihre Geschichte bereits im 14. Jahrhundert endete, als der französische König für die Auflösung des Ordens sorgte. Neben ihnen gibt es noch ein Grüppchen Geißler, und auch einige aus einer Eremitenklause Entlaufene gesellen sich zu der illustren Schar. Amfortas wird nicht in den Tod erlöst, sondern begeht Selbstmord, womit die gesamte Geschichte ihres Sinns entkleidet wird. Kundry wird nicht sterbend erlöst, sondern begleitet das Ende der Oper mit einem schrillen Schrei, der wohl andeuten soll, dass die gesamte Geschichte der Gralsritter mit ihren Verfehlungen sich wiederholen wird und das vielleicht unendliche, bis in unsere Zeit reichende Male. Parsifal tötet Klingsor nicht im offenen Kampf, sondern hinterrücks wie Hagen Siegfried, was den reinen Toren recht fies aussehen lässt. Hatte der konservative Opernbesucher sich zu Beginn auf einen Opernabend mit einem aufwändigen, anspruchsvollen Bühnenbild (Conrad Moritz Reinhardt) anfreunden können, so war doch sein Misstrauen geweckt worden nicht durch das Bebildern der Vorgeschichte an sich, der Kreuzigung mit dem Hohnlachen Kundrys , sondern durch die kitschige Darstellung, die sich selbst traditionellste Oberammergauer ob des Klischeehaften mit Schamröte bedecken lassen würde. Es gab durchaus auch wunderbar einfühlsam inszenierte Szenen wie die zwischen Parsifal und Kundry im zweiten Akt, und am Ende war es dann wieder so, dass Musik und Szene einander nicht befeuerten, ergänzten und sich zu einem bereichernden Miteinander verbanden, sondern bestenfalls einander tolerierten.
Bei einer so guten Besetzung wie der des 25. Februar hätte man sogar einen Parsifal in einer Raumkapsel oder in einem Waschsalon in Kauf genommen. Angenehm fiel von Anfang bis Ende und bei allen Beteiligten die heutzutage nur noch selten anzutreffende Textverständlichkeit auf. Allen voran ging damit der Gurnemanz von Günther Groissböck, der den ersten Akt nicht zu einer Geduldsprobe für den Hörer („Gurnemanz non finisce mai“, stöhnte einmal mein italienischer Nachbar bei einem anderen Interpreten), sondern zu einer hochspannenden Angelegenheit werden ließ. Dazu verströmte sein schlanker, aber hochpräsenter Bass vertrauenerweckende Schwärze. Trotz Entmannung ein erotisches Timbre konnte Joachim Goltz für den Klingsor einsetzen. Andrew Harris‘ Bass gab dem Titurel abgrundtiefe Schwärze, während Jordan Shanahan dem Schmerzensmann Amfortas ein akustisch dunkles Leuchten verlieh. Keine durch Üppigkeit welcher Art auch immer überwältigende, sondern mit feiner, mit viel erotischem Flair versehener Mezzostimme und elegantem Spiel war Irene Roberts eine sehr moderne Kundry. Klaus Florian Vogt hat sich genau so viel Knabenhaftes in seinem Tenor bewahrt, wie des dem Parsifal gut ansteht, und so viel an tenoraler Mannhaftigkeit entwickelt, wie es eine Wagnerpartie erfordert. Als Erster Gralsritter konnte Patrick Cook einen angenehmen Tenor präsentieren, aus der Schar der Knappen und der Blumenmädchen ragten Sua Jo und Hulkar Sabirova mit feinen Sopranen hervor.
Großartiges leisteten, und das auch szenisch, Chor, Extrachor und Kinderchor unter Jeremy Bines. Rar gemacht hatte sich in letzter Zeit Donald Runnicles, noch Generalmusikdirektor des Hauses und designierter Leiter der Dresdner Philharmonie. Als wolle er dem Berliner Publikum nahe bringen, was es in Zukunft an Verlusten zu tragen hat, führte er das Orchester der Deutschen Oper zu einer Glanzleistung, was Brillanz, dynamische Abstufung und das Kreieren spannungsvoller Bögen betraf. Das Publikum dankte es ihm bereits mit überaus herzlichem Auftrittsapplaus zum zweiten und dritten Akt, und zum Schluss bewies der stürmische Beifall, dass es einen besonderen Abend auch besonders zu schätzen weiß.
Warum opfert man fünfeinhalb Stunden wertvoller Lebenszeit, wenn man weiß, dass man sich nicht nur freuen, sondern auch ärgern wird? Weil den Ohren ein Hochgenuss sicher ist, die Augen immerhin Stoff zum Diskutieren anbieten und manchmal beides zusammen Zeiten von purem Opernglück liefert.
Ingrid Wanja | 25. Februar 2024