Parsifal
![]() | Asher Fisch | |||||
Chor und Orchester der Tiroler Festspiele Erl | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Amfortas | Michael Nagy |
Titurel | Clive Bayley |
Gurnemanz | Brindley Sherratt |
Parsifal | Jonas Kaufmann |
Klingsor | Georg Nigl |
Kundry | Irene Roberts |
Gralsritter | Marius Pallesen |
Lukas Enoch Lemcke |
Wagner badet lau: “Parsifal” mit Jonas Kaufmann in Erl
Dass bei einer Aufführung vom Wagners Bühnenweihfestspiel in erster Linie der Sänger des Klingsor im Gedächtnis haften bleibt, passiert auch nicht alle Tage. Georg Nigl schafft es, die Musik des bösen Zauberers nicht nur zu keifen, wie es allzuoft geschieht. Er deklamierte zwar scharf, bemühte sich aber, die Rolle so weit als möglich zu singen. Sein an Gegenwartsmusik geschulter, kerniger Bariton war dafür ideal. Dass er als Darsteller im Festspielhaus von Erl nicht gefordert wurde, ist schade. aber nicht zu ändern.
Das Publikum war allerdings kaum wegen Nigl gekommen, sondern wegen Jonas Kaufmann, der das Festival im Passionsdorf kurz vor Kufstein seit der Wintersaison auch als Intendant leitet. Der gebürtige Münchner war seit seinem Fachwechsel ins Heldische der einzige Tenor weit und breit, der mit der zentralen und kraftraubenden Passage “Amfortas! Die Wunde” angemessen zurechtkam, die alle Tenöre überfordert, die vom Zwischenfach zu Wagner kommen.
Kaufmann schafft es, die Stelle mit Kraft nicht nur zu souverän bewältigen, sondern den zweifelnden Durchbruch zur Erkenntnis, dass das Leid der Welt im Drang zum Weiblichen besteht, so darzustellen, dass Wagners thesenhafte krude Psychologie einigermaßen glaubhaft bleibt. Von einem Kratzer abgesehen, kam Kaufmann auch mit den lyrischen Passagen gut zurecht, die seinem nachgedunkelten Timbre weniger entgegenkommen. Seine Erfahrung und sein musikalischer Geschmack machen das mühelos wett, und insgesamt präsentierte sich der Künstler in der Premiere in Bestform.
Ein rundum überzeugendes Porträt gelang auch dem kraftvoll singenden und vom Opernbetrieb ein wenig unterschätzten Bariton Michael Nagy in der Rolle des Amfortas. Irene Roberts, im nächsten Jahr die Sieglinde in der neuen “Walküre” der Bayerischen Staatsoper, musste das Flackern ihrer Stimme vor der Herzeleide-Erzählung erst in den Griff bekommen. In ihrem Element ist sie erst in den dramatischen Passagen. Die Widersprüche der Figur kann sie aber nur bedingt deutlich machen.
Langsame Tempi, geringe Intensität
Brindley Sherrat sang einen ordentlichen Gurnemanz. Der Karfreitagszauber liegt seinem eher knorrigen Bass nicht wirklich. Die Knappen waren besser besetzt wie an vielen großen Opernhäusern (Annina Wachter, Maya Gour, Hyunduk Kim, Lukas Siebert), außerdem gab es sehr gute, aber etwas laute Blumenmädchen zu hören – und in den beiden Gralsszenen einen schwachbrüstigen Herrenchor.
Asher Fisch darf zu den langsamen “Parsifal”-Dirigenten gerechnet werden. Das würde nicht stören, wenn er seine Tempi mehr variieren würde. Und die besondere Qualität der Langsamkeit in dieser Oper – die intensive Schmerzensmusik der Bratschen, Celli und Holzbläser sowie die Düsternis im dritten Akt – holt Fisch aus den Noten nicht heraus. Er ist ein solider Kapellmeister, der keine eigenen Akzente setzt und Intensität scheut. Daher bleibt seine Deutung trotz des guten Orchesters der Tiroler Festspiele lau.
Das Programmheft zählt erstaunlicherweise Peter Konwitschnys langjährigen Dramaturgen Werner Hintze zu den Mitwirkenden. Dabei hätte man geschworen, dass es gar keinen Dramaturgen oder anderen kritischen Erstseher gegeben hat.
Vater-Sohn-Konflikt
In der Inszenierung von Philipp M. Krenn wird mit der Wiederherstellung (oder Öffnung) des Gralstempels bereits vor Parsifals Rückkehr begonnen. Gurnemanz besingt das Schreiten Kundrys, während sie sitzt. Amfortas badet sichtbar, um einen Gurnemanz-Monolog zu bebildern. Kundry leidet unter einer Art Waschzwang und ertränkt sich nach ihrer Taufe selbst. Und so weiter und so weiter…
Nur der breit ausgespielte Vater-Sohn-Konflikt zwischen Titurel (Clive Bayley) und Amfortas wirkt halbwegs zwingend. Der Rest ist handwerklich mäßiges Stehtheater. Dass die im zweiten Akt wie von einem Action Painter farbig bespritzten Polygone von jener Heike Vollmer entworfen wurden, die Inszenierungen von Stefan Herheim und Philipp Stölzl sehr überzeugend ausgestattet hat, mag man auch kaum glauben.
Das alles hat die schöne Eigenschaft, womöglich Rezensenten zu stören, aber nicht den Normalbesucher, den es in der Regietheater-Wüste nach Wagner pur dürstet. Und Ostern ist nun mal “Parsifal”-Zeit. Was für eine Tradition und ein ausverkauftes Haus aber ausreicht, wenn Kaufmann auf der Bühne steht.
Robert Braunmüller | 18. April 2025
Erl Grey: „Parsifal“ mit Jonas Kaufmann bei den Tiroler Festspielen
Der Star auf der Wiese, in Zeitlupe wandelnd, festen Blickes auf die künftige Wirkungsstätte, aufs flunderförmige Festspielhaus. Später irrt er durch den Backstage-Bereich oder ins benachbarte Passionsspielhaus, dort sitzt die Verführerin schon im Parkett. Alles als Schwarz-Weiß-Video und projiziert auf die Vorhang-Gardine. Sucht da Parsifal den Gral? Oder ein Tenor im Karrierespätsommer ein neues Berufsstandbein? Oper und Leben verschwimmen zur Personality-Show. Regie als Image- und Label-Bildung. Und wer darob als Wagnerianer Schnappatmung bekommt, muss zugeben: Erl, so die kassenträchtige Idee, soll ja (fast nur) über den Namen Jonas Kaufmann funktionieren.
Seit September ist der jetzt 55-Jährige Intendant der Tiroler Festspiele. Es hat also einige Monate gedauert, bis der Chef auch singend vors Publikum tritt. Wagners letztes Musikdrama bietet bekanntlich die kürzeste seiner Heldenpartien – geschenkt. Dafür gibt es ein respektables Kaufmann-Paket mit prächtigen Tönen, innigstem Melos, natürlicher Präsenz und geschätzten zehn Minuten nur in Unterhose: Frau (und auch Mann) können sich also an vielerlei laben. Als sehr später Twen macht Kaufmann bella Figura. Den grauen Kapuzenpulli tauscht dieser Parsifal im dritten Akt gegen einen weißen Hoodie aus, als Gralskönig will man schließlich nicht g‘schlampert im Heiligtum auftauchen.
„Parsifal“ mit Pool
Das ist in Erl ein provisorisches. Man sieht der Inszenierung an, dass das Festspielhaus nur über rudimentäre Bühnen-Möglichkeiten verfügt. Heike Vollmer hat dafür sechs riesige Lamellen-Elemente gebaut. Die nehmen die Architektur des Hauses auf, lassen an Harfen denken, sind verschiebbar, was zu Wagners Verwandlungsmusiken auch und ein bisschen hilflos genutzt wird. Erl spielt „Parsifal“ mit Pool: Eine Aussparung im Boden ist heilige Quelle, Reinigungsbad für den blutigen Amfortas (was normalerweise im Off passiert) und gern genutztes, hoffentlich temperiertes Tauchbecken für den Wet-Look. Im letzten Akt verschwindet Kundry nach der Taufe einfach im Wasser. Man hätte gern gewusst, wie sich Irene Roberts tauchend in die Unterbühne gerettet hat.
Die Amerikanerin singt eine erstaunlich höhensichere Verführerin, mit schmiegsamer, etwas diktionsarmer Dramatik. Überhaupt bietet Erl für diesen „Parsifal“ Luxuriöses. Der körnigen Schönheit und borkigen Klangrhetorik von Brindley Sherratt (Gurnemanz) hört man gern zu. Ebenso Michael Nagy, als Amfortas ein ins Monumentale vergrößerter Wozzeck. Georg Nigl singt seinen ersten Klingsor mit klug kontrollierter Drastik und lebt lustvoll Bizarrerien aus. Asher Fisch hätte man gern einen Großen Braunen ans Pult gereicht, der erste Akt schleppt sich als Partiturverbuchung dahin.
Wie viele Kollegen glaubt der Erler Chefdirigent an die Gleichung „Parsifal“ = Zeitlupe. Kann man machen, dann müsste Fisch allerdings ein größeres Sensorium entwickeln für die Atmosphärenwechsel und die Aggregatzustände dieser Musik. Im Mittelakt wird es besser, im letzten Aufzug lässt Fisch das Festspielorchester blühen, bevor er auf der Zielgeraden wieder auf der Bremse steht. Anders als bei seiner zu lauten „Bohème“ während der Winterfestspiele klappt nun allerdings die Balance, und dies trotz riesiger Besetzung.
Großes Regie-Besteck zum Finale
Offensichtlich wurde für diesen „Parsifal“ (der zur Erler Oster-Tradition werden soll) nicht übermäßig viel geprobt. Gern wird frontal ins Publikum gesungen, während der Text Kommunikation behauptet. Gelegentlich gibt es Spannung und ein subtiles Blicketheater, vieles dürfte szenischer Eigenbau des Gesangspersonals sein. Regisseur Philipp M. Krenn gelingt trotzdem eine klare, konzise, unaufgeregte Erzählung auch für Erstgenießer. Wer will, das gesteht Krenn im Programmheft zu, darf auch mal die Augen schließen. Und wer sie an der falschen Stelle öffnet, sieht, wie die Blumenmädchen mit bunten Staubwedeln Parsifal necken, der zweite Akt spielt im Malersaal für den Volkshochschul-Kleckskurs. Unfreiwillige Komik auch, als Obermaler Klingsor den Speer vom ersten Stück ins Parterre durchsticht und wartet, bis ihn Parsifal halten kann.
Manche Einfälle lässt die Regie versickern. Bevor Parsifal auftaucht, bemächtigt sich die Gralsgesellschaft eines anderen „reinen Toren“ – der nicht taugt zum Erlöser. Und das Ende Kundrys als Tauchgang lässt nicht nur die Ritter unschlüssig zurück. Dafür fährt Philipp M. Krenn zu den letzten Takten das ganz große Regie-Besteck auf. Licht an im Publikum, der Chor, nun in Zivil, wandelt singend durch die Reihen, der Graben mit dem Festspielorchester fährt nach oben. 2026 ist bei der Wiederaufnahme nur Michael Nagy als Amfortas wieder dabei, alle anderen Partien inklusive Titelrolle (!) werden neu besetzt. Die Novizen dürften sich in diesem Arrangement schnell zurechtfinden.
Markus Thiel | 18.04.2025
Tiefer Blick in die Seele
Dass nach dem ruhigen Verklingen der Musik am Ende des ersten Aufzugs im Parsifal nicht geklatscht werden soll, gehört zu den Sitten und Unsitten der langjährigen Rezeptionsgeschichte und wird immer wieder von eingefleischten Wagner-Enthusiasten eingefordert, die gegebenenfalls mit Zischen einen aufbrausenden Applaus zu unterdrücken versuchen oder zu Beginn der Pause die Ignoranz eines applaudierenden Publikums beklagen. Dass aber am Ende einer Vorstellung ein ganzer Saal gebannt innehält, bevor sich das Publikum nach einer gefühlten Ewigkeit in tosendem Jubel befreit, ist nicht häufig zu erleben und darf durchaus als Ritterschlag der neuen Inszenierung in Erl bezeichnet werden. Da in diesem Jahr wegen der Passionsspiele das Passionsspielhaus als Spielstätte für die Oper nicht zur Verfügung steht, hat Intendant Jonas Kaufmann passend zu den Passionsspielen und zur Jahreszeit über Ostern Wagners Bühnenweihfestspiel im neuen Festspielhaus auf den Spielplan gestellt und übernimmt selbst die Titelpartie.
Das Regie-Team um Philipp M. Krenn rückt ihn und Kundry dabei immer wieder ins Zentrum der Inszenierung, was sich unter anderem in eindrucksvollen Videoprojektionen von Thomas Achitz widerspiegelt. Beim Betreten des Saals sieht man zahlreiche Zuschauerinnen und Zuschauer in einer Projektion, die im Saal des Festspielhauses sitzen und scheinbar auf den Beginn der Aufführung warten. Wenn das Vorspiel beginnt, wird Kaufmann in einem dunklen Kapuzenpullover auf den Vorhang projiziert, wie er sich suchend auf den Weg in Richtung des Festspielhauses macht. Wenn Kaufmann bzw. Parsifal im weiteren Verlauf das Festspielhaus betritt und nach einigem Irren durch den Backstage-Bereich im Saal landet, ist der Saal fast leer. Noch eine Person ist da, der er im weiteren Verlauf der Projektionen immer wieder begegnet und die genauso wie Parsifal auf der Suche zu sein scheint: Kundry. Ihre Blicke treffen sich, und in Kundrys Augen spiegelt sich Parsifal. Diese tiefen Blicke spielen eine bedeutende Rolle für die Erkenntnis Parsifals und werden auch durch eine geschickte Personenregie bei den beiden immer wieder ins Zentrum gerückt.
Wenn der Vorhang sich nach dem Vorspiel öffnet, sieht man ein relativ abstraktes Bühnenbild von Heike Vollmer, das aus sechs riesigen hellen Elementen besteht, von denen sich jeweils zwei zu einem Sechseck zusammenschieben lassen würden, das in zwei Trapeze zerlegt werden könnte. Da diese Sechsecke in der senkrechten Symmetrieachse geteilt sind, erinnern sie in der Form mit ihrer lamellenartigen Füllung in gewisser Weise an Harfen. Diese sechs Elemente scheinen zunächst relativ willkürlich auf der Bühne zu stehen. Für die Enthüllung des Grals werden sie später von den Gralsrittern zur Seite geschoben. In der Mitte befindet sich ein riesiges mit Wasser gefülltes Bassin, in dem Kundry einen Großteil ihrer Bühnenpräsenz verbringen muss. Man kann schon ein bisschen Mitleid mit der Sängerin Irene Roberts bekommen, die zunächst darin einen blassen Strickpullover und eine dunkle Hose völlig durchnässen lassen muss, bevor sie sich dieser Sache entledigen kann, und auch im dritten Aufzug in ihrem weißen Kleid von Gurnemanz hier vorgefunden wird. Was der Statist (Wolfgang Pöschl) soll, den Gurnemanz zu Beginn des ersten Aufzugs schlafend neben diesem Bassin findet, erschließt sich nicht wirklich. Ist er ein verirrter Wanderer, der zufällig hier Rast gemacht hat und von Gurnemanz und den beiden Gralsrittern fälschlicherweise für den “reinen Tor” gehalten wird, der “durch Mitleid wissend” die Ritterschaft retten kann? Jedenfalls flieht er entsetzt, nachdem man ihn ebenfalls einem Zwangsbad unterzogen hat.
Wie die Bühnenelemente sind auch die Kostüme von Regine Standfuss für die Gralsgesellschaft in farblosem Weiß gehalten, weisen im Schnitt allerdings keine Uniformität auf, vielleicht um die unterschiedliche Herkunft der Gralsritter zu betonen. Auch der Rollstuhl, in dem Amfortas geschwächt auf die Bühne fährt, und der Stab, auf den sich der alte Titurel stützt, sind weiß gehalten. Umso mehr fällt die sich nicht schließende rote Wunde bei Amfortas auf. Auch er steigt ins Bad auf der Bühne und lässt sie von Kundry reinigen, was ihm vielleicht einen Moment der Linderung bringt, weil das Rot des Blutes wirklich abgewaschen ist. Bei der Enthüllung des Grals bricht es allerdings wieder hervor, wie man an den neuen Blutflecken auf seinem weißen Gewand erkennen kann. Auf einen Schwan im eigentlichen Sinne wird in der Inszenierung verzichtet. Stattdessen reißt Parsifal einen weißen wehenden Vorhang herab, der die Gralswelt von der Außenwelt abgeschottet hat, und dringt so unfreiwillig in diese Gemeinschaft ein. Und wieder ist es ein Blick, der hier mit der Projektion ins Zentrum gerückt wird. Parsifal scheint im Wasser sein Spiegelbild zu sehen, was auf den Hintergrund projiziert wird, und auch mit Kundry tauscht er bereits hier intensive Blicke aus.
Selten intensiv hat man in einer Inszenierung die Auseinandersetzung zwischen Titurel und Amfortas gesehen, mit der der Vater seinen Sohn auffordert, trotz aller Schmerzen den Gral zu enthüllen. Fast rachsüchtig schiebt Titurel Amfortas’ Rollstuhl in für ihn fast unerreichbare Ferne, um ihm dann seinen Stab zur Stütze zu übergeben. Zur Enthüllung des Grals wird dann mit Amfortas ein Teil der Bühne emporgefahren, das in der Form an die übrigen Bühnenelemente erinnert. Und hier bekommt man bei aller sonstigen Abstraktion einen klassisch leuchtenden Gral, der der Ritterschaft neues Leben spendet. Auch die Projektion im Hintergrund lässt eine Quelle erkennen, in der in nahezu pittoresken Bildern das Wasser fließt. Umso erschütternder ist es für Gurnemanz und die Gralsgesellschaft, dass Parsifal nicht versteht, welchem Wunder er hier gerade beiwohnt. Bevor Parsifal allerdings fortgejagt wird, kommt es noch zu einem sehr intensiven Blickkontakt zwischen Amfortas und Parsifal, in dem man Amfortas’ Hilferuf nach Erlösung erkennen kann. Mit diesen Bildern endet der erste Aufzug.
Die Welt des Klingsor im zweiten Aufzug ist optisch eine Parallelwelt, die sich nur minimal von der Gralswelt unterscheidet. Die Bühnenelemente aus dem ersten Akt sind nun mit bunten Farbspritzern versehen, die fast an eine Art Sündenfall erinnern. Die Farbkleckse befinden sich auch auf den Kostümen von Klingsor und den Blumenmädchen, die die Blumen wie eine Waffe tragen. Nur der Speer, den Klingsor Amfortas entwendet hat, ist von reinem Weiß. Klingsor selbst trägt ein Kleid, um zu betonen, dass er sich entmannt hat. Im Zentrum der Projektionen steht in diesem Aufzug Kundry, die suchend durch die Räume des Festspielhauses irrt. Wenn der Vorhang sich öffnet, liegt sie erneut im Bassin und wird von Klingsor gegen ihren Willen auf den Neuankömmling angesetzt. Nachdem dieser sich intensiv mit den Blumenmädchen auseinandergesetzt hat, erscheint ihm Kundry auf dem gleichen Podest, auf dem im ersten Aufzug der Gral gestanden hat. Auch sie trägt nun ein weißes Kleid mit einigen Farbspritzern. Es kommt zu einer absolut intensiven Szene zwischen den beiden, die in einem leidenschaftlichen Kuss endet, durch den sich Parsifal von dem falschen Zauber befreit, und wieder ist es der tiefe Blickkontakt, der Parsifal die Erkenntnis bringt. Interessant gelöst ist hier die Speerszene. Klingsor erscheint auf dem hochgefahrenen Podest und schiebt den Speer durch eine Öffnung auf den darunter stehenden Parsifal, der den Speer so problemlos greifen und Klingsors Zauberreich zerstören kann.
Der dritte Aufzug beginnt dann wieder mit einer Wanderung in der Projektion. Jetzt trägt Parsifal die Kapuze auf dem Kopf, so dass er für Gurnemanz bei der anschließenden Ankunft in der Gralsgesellschaft zunächst nicht erkannt wird. Die Bühnenelemente weisen noch die Farbspritzer von Klingsors Zaubergarten auf, sind allerdings gekippt. Ein Element liegt quer auf der Bühne und überdeckt auch teilweise das Bassin, in dem die arme Kundry zu Beginn liegt. Ihr Seufzen und Stöhnen vernimmt man im Publikum anders als Gurnemanz allerdings nicht. Stattdessen hört man höchstens das Rauschen des Wassers. Wenn sie dann völlig durchnässt dem Bassin entsteigt, wickelt Gurnemanz sie in einen weißen Vorhang ein, den er kurzerhand von der Seite herabreißt, so wie Parsifal im ersten Aufzug einen Vorhang heruntergerissen hat, als er in die Gralswelt eingedrungen ist. Wenn Parsifal ankommt, balanciert er mit dem Speer auf dem liegenden Bühnenelement und hat erneut intensiven Blickkontakt mit Kundry. Es ist schon erstaunlich, wie es der Personenregie gelingt, bei der ganzen folgenden Gurnemanz-Erzählung das Augenmerk nur auf Parsifal und Kundry zu lenken, die in innigem Spiel zueinander finden. So hat es schon fast eine unfreiwillig komische Note, dass Gurnemanz’ Worte “Nicht so” fallen, wenn die beiden gerade zu einem Kuss ansetzen.
Parsifal steigt im Folgenden zwar nicht ganz ins Bassin, legt aber zumindest seine Kleidung bis auf eine weiße Unterhose ab und lässt sich von Kundry noch mehr als bloß die Füße waschen, bevor er sie mit einer Taufe erlöst. Dabei muss sie erneut ins Bassin eintauchen und verschwindet dann unter dem darüberliegenden Bühnenelement. Parsifal zieht nun eine weiße Hose und einen weißen Kapuzenpullover an, um den Gral zu enthüllen. Mit Hilfe der Gralsritter, die sich zunächst geschwächt auf die Bühne geschleppt haben und regelrecht aggressiv bei Amfortas die Enthüllung des Grals einfordern, die dieser ihnen standhaft verweigert, werden die Bühnenelemente beiseite geschoben, so dass Parsifal Platz hat, zum einen mit dem Speer die Wunde des Amfortas zu schließen und zum andern den Gral zu enthüllen. Dieses Mal wird allerdings kein Teil der Bühne hochgefahren. Stattdessen hebt sich ein Vorhang im Hintergrund der Bühne und gibt den Blick auf einen Raum frei, durch den Parsifal zuvor in den Projektionen geirrt ist. Dort steht der Chor der Tiroler Festspiele in moderner farbiger Kleidung und schreitet bei der Enthüllung des Grals nach vorne bis in den Zuschauersaal. Der nahezu himmlische Gesang erfüllt so den ganzen Raum, während der Chor durch die Gänge im Saal emporschreitet. Außerdem wird das Orchester hochgefahren, so dass alles beim letzten Ton eine Einheit bildet. Da ist man im Publikum derart ergriffen, dass man wirklich einen Moment benötigt, bis man dieses großartige Bild mit Applaus goutieren kann.
Neben der großartigen szenischen Umsetzung lässt auch die musikalische Darbietung keine Wünsche offen. Jonas Kaufmann glänzt in der Titelpartie als strahlender Held mit sauber angesetzten Höhen und intensivem Spiel. Irene Roberts begeistert mit dramatischem Mezzosopran und großartiger Textverständlichkeit und beweist auch in den Momenten, in denen sie musikalisch nicht im Mittelpunkt steht, eine enorme Bühnenpräsenz. Brindley Sherratt meistert die wortreiche Partie des Gurnemanz mit klarem Bass und einer hervorragenden Diktion, auch wenn seine Erzählungen bisweilen sehr langatmig sind. Aber da schafft ja die Personenregie Abhilfe, so dass in keinem Moment Langeweile aufkommt. Michael Nagy punktet als Amfortas mit kraftvollem Bariton und macht mit intensivem Spiel dessen Leiden deutlich. Clive Bayley gibt mit autoritärem Bass einen unnachgiebigen Titurel. Georg Nigl legt den Klingsor mit hartem Bariton sehr diabolisch an. Auch die kleineren Partien der Gralsritter, Knappen und Blumenmädchen sind hervorragend besetzt. Der von Olga Yanum einstudierte Chor der Tiroler Festspiele überzeugt mit homogenem Klang. Asher Fisch lotet mit dem herrlich aufgelegten Orchester der Tiroler Festspiele die Feinheiten der Partitur bis in die kleinste Nuance differenziert aus, so dass es einhelligen Jubel für alle Beteiligten gibt.
FAZIT
Dieser Parsifal ist absolut festspielwürdig und gibt einen hervorragenden Einstand für die ab Mai beginnenden Passionsspiele in Erl.
Thomas Molke | Premiere im Festspielhaus am 17. April 2025