Parsifal

Philippe Jordan
Chor der Staatsoper Berlin
Staatskapelle Berlin
Date/Location
18 April 2025
Staatsoper Unter den Linden Berlin
Recording Type
  live  studio
  live compilation  live and studio
Cast
AmfortasLauri Vasar
TiturelStefan Cerny
GurnemanzRené Pape
ParsifalAndreas Schager
KlingsorTómas Tómasson
KundryTanja Ariane Baumgartner
GralsritterJohan Krogius
Manuel Winckhler
Gallery
Reviews
klassik-begeistert.de
Ein großes Sängerfest galt es also zu erleben, das in der Exzellenz keineswegs selbstverständlich ist. Das größte Glanzlicht dieser Produktion ist und bleibt René Pape als Gurnemanz. Mittlerweile 60 Jahre alt ist er und singt diese hoch anspruchsvolle Partie, die er im ersten Akt in weiten Teilen fast allein bestreitet, seit der Premiere vor zehn Jahren mit unverändert mächtiger Stimmgewalt, noch dazu so textverständlich, dass man jedes Wort versteht.

Draußen stehen Leute, die keine Karte mehr suchen wie in früheren Jahren, sondern eine verkaufen wollen. Das hatte ich so in Barenboims Zeiten nicht erlebt.

Ein starbesetzter Parsifal, der an den österlichen Berliner Festtagen nicht ausverkauft ist – wie kann das sein?!

Zwei Gründe drängen sich aus meiner Sicht auf: Die Karten sind zu teuer. Mittlerweile kostet ein halbwegs guter Platz im zweiten Rang bereits 172 Euro. Das können sich angesichts von Mietwucher und drastisch gestiegenen Lebenshaltungskosten nur wenige Berliner leisten, eher noch wohlhabende Kulturtouristen, die nach wie vor einen großen Teil des Publikums stellen. Und wer will schon für einen Platz mit eingeschränkter Sicht 82 (!) Euro ausgeben?

Hinzu kommt, dass der Staatsoper mit Elīna Garanča, die aus gesundheitlichen Gründen abgesagt hatte, ein starkes Zugpferd abhandengekommen ist.

Dass sich Einspringerin Tanja Ariane Baumgartner als eine phänomenale Kundry empfehlen würde, hatte wohl nicht jeder zu hoffen gewagt, ich muss ehrlich bekennen: ich auch nicht. Das war jedenfalls aus meiner Sicht die große Überraschung dieser Festtags-Eröffnungsvorstellung.

Baumgartner meistert souverän die gefürchteten, für die Stimme nicht ganz ungefährlichen Schreie und singt ihren Part, allen voran ihre große Szene „Ich sah das Kind an seiner Mutter Brust“, mit großer Leuchtkraft und warmer, runder Tongebung. Und dank der Größe ihrer Stimme harmoniert sie ideal mit dem Parsifal von Andreas Schager, der seine tenorale Stimmgewalt in dieser Partie besonders gut einbringen kann. Wenn er im ersten Rausch der Erkenntnis, ausgelöst durch Kundrys Kuss, Amfortas gefühlte zwei Minuten lang mit Stentorstimme beim Namen ruft, geht ein Beben über die Bühne.

Auch als Sängerdarstellerin verfügt Baumgartner über Potenzial, was sich im gereizten Dialog mit Klingsor zeigt, dessen Forderung, Parsifal zu verführen, sie höchst ungern- und gegen ihren Willen nachkommt. Ansonsten bleibt die Figur unterbelichtet, und das verschuldet Tcherniakovs Regie, die sich für die vielen Facetten Kundrys, die treffend schon einmal als eine Summe alles Weiblichen gedeutet wurde, ignoriert. Allen voran die Verführerin Kundry bleibt in ihrem grauen Trenchcoat eine blasse Gestalt ohne geringste Anflüge von Erotik.

Den Klingsor gibt – um das noch nachzuliefern – Tómas Tómasson, stimmlich profund, und glaubwürdig in der ihm auferlegten Darstellung eines undurchsichtigen, tyrannischen Neurotikers mit latenten Zügen eines Zuhälters.

Das größte Glanzlicht dieser Produktion ist und bleibt aber René Pape als Gurnemanz. Mittlerweile 60 Jahre alt ist er und singt diese hoch anspruchsvolle Partie, die den ersten Akt in weiten Teilen fast allein bestreitet, seit der Premiere vor zehn Jahren mit unverändert mächtiger Stimmgewalt, noch dazu so textverständlich, dass man jedes Wort versteht. Dieser Gurnemanz ist einfach unübertrefflich und unter allen Partien von Pape seine Paraderolle Nummer Eins!

Immerhin erweist sich Tcherniakovs Inszenierung, die ich noch zu den besten dieses Regisseurs zähle, insofern als dankbar, als sich die Sänger, allen voran Pape, weitgehend auf ihren Gesang konzentrieren können. Nur im zweiten Akt kommt es zu unnötigem Aktionismus über viel zu viele hüpfende (Blumen)mädchen mit Springseilen.

Abgesehen davon stört es wenig, dass Tcherniakov die Ritter durch ärmlich gekleidete Männer mit Wollmützen und Anoraks ersetzt, die wie Mitglieder einer religiösen Sekte anmuten und sich in ihrer dunstigen, tristen Klause Askese auferlegen. Denn im Großen und Ganzen korrespondieren Text und Musik miteinander, dies ganz besonders auch im Bezug auf Amfortas, den Lauri Vasar eindringlich als einen Leidenden gibt, dem seine schmerzreiche Wunde so stark zusetzt, dass er nicht länger den Gral erschauen will.

Am Pult der erst 14. Vorstellung dieser Produktion, die ich bislang ausschließlich unter Barenboim erlebte, stand diesmal Philippe Jordan. Nicht zufällig finden sich im Publikum viele Franzosen, erfreut sich der Dirigent doch seit seiner erfolgreichen Zeit an der Pariser Oper einer großen französischen Fangemeinde.

Dies verdientermaßen, empfiehlt er sich doch auch an diesem Abend mit Qualitäten, die ihn als einen exzellenten Wagnerdirigenten auszeichnen: Die liegen in den dynamischen Spitzen der Szenen, in denen sich der große Chor zum Ritual der Enthüllung des Grals versammelt, darin, wie Jordan diese Musik in aller Breite und mit Wucht auskostet. Nur eine Sektion tönt an diesen Stellen diesmal nicht so makellos perfekt wie zuletzt im Brucknerkonzert unter Thielemann: Die Hörner haben angelegentlich Probleme mit einem sauberen Ansatz.

Aber darüber hört man bereitwillig hinweg, da das zum Glück an weniger exponierten Stellen passiert, und weil das übrige Blech sich in Topform präsentiert.

Die Holzbläser der Berliner Staatskapelle musizieren wie immer aufs Trefflichste, freilich haben sie im lyrischen Vorspiel zum dritten Akt ihren größten Auftritt. Es tönt wunderbar ätherisch, noch dazu sehr langsam, was Jordan gelingt, ohne die Musik zu zerdehnen.

Noch dazu empfiehlt sich Jordan wie Thielemann als ein feinfühliger Sängerdirigent, der stets dafür sorgt, dass das Orchester keinen Sänger zudeckt.

Der finale große Beifall für ihn erschien jedenfalls verdient.

Ein großes Sängerfest galt es also zu erleben, das in der Exzellenz selbst an renommierten Häusern keineswegs selbstverständlich ist.

Kirsten Liese | 13. April 2025

feuilletonscout.com
„Parsifal“ mit Brüchen und Glanz

In der Lohengrin-Stadt Antwerpen sang Tanja Ariana Baumgartner die Kundry zum ersten Mal. In Berlin gibt sie die faszinierendste weibliche Gestalt des Welttheaters nun als ewig Reisende im Trenchcoat. Zu den übrigen Figuren des Bühnenweihfestspiels verhält sich diese Gestalt als eine, die immer dabei ist, aber nie dazugehört. Wagner verkörpert in dieser Schöpfung seine Version des vom Heil abgefallenen und nun zur Strafe immer wiedergeborenen Ahasverus. Mit einem komplexen, zwischen Sopran und Mezzosopran chargierenden Gesang und äußerster Einfühlung in eine für Sänger geistig nicht leicht zu durchdringende Figur verdient sich Tanja Ariana Baumgartner den Jubel des Publikums. Der Erste Akt war in unserer Vorstellung der beste. Dabei spielt es für den Zuschauer eine gewichtige Rolle, dass er sich bei dieser Aufführung der symphonisch-dramatischen Abhandlung über das Ende der Reise des Ahasverus nur wenige Meter vom Ort der Bücherverbrennung befindet.

Der 1970 in Moskau geborene Dmitri Tcherniakov gönnt Kundry am Ende den Tod, die Erlösung. Die Erlösung Kundrys ist der Kern des Stücks. Viele Regisseure in der langen Aufführungsgeschichte der Werks lassen Kundry munter weiterleben geben sich indes entgegen Wagners ausdrücklicher Anweisung lebensspendend in der Hoffnung, das sei Beifall spendend. Sie meinen, Herr über Leben und Tod zu sein und inszenieren am Gehalt des Parsifal vorbei.

Erlösung oder Irrtum?
Das Mitleid mit den Leidenden, das die Titelfigur in der Mitte des Stücks wie der Blitz durchfährt, ist das Zentrum des Dramas. Es mündet in die Erlösung Ahasvers. Trotz der einen oder anderen Ungenauigkeit darf man Dmitri Tcherniakov bescheinigen, dass er den Gehalt des Parsifal gerecht geworden ist.

In seinem 2022 bei den Bayreuther Festspielen inszenierten Fliegenden Holländer ließ Tcherniakov sich bei der Gestaltung der Bildwelt auf dem Grünen Hügel von Filmerinnerungen leiten. Sein Berliner Parsifal war bereits 2015 in der ins Schiller Theater ausquartierten Staatsoper gezeigt worden. Hier erleben wir eine tiefere, stärker aus der Geschichte entwickelte ikonographische Umsetzung als in seinem Holländer.

Zwischen Gralsburg und Nachtasyl
Die Gralsburg mit ihren angeschlagenen Rittern freilich sieht bei diesem Regisseur, der zugleich als sein eigener Bühnenbildner agiert, ein wenig nach Maxim Gorkis Nachtasyl aus. Berliner dürfte die Szene an Klaus Michael Grübers Inszenierung von Tschechows An der Großen Straße auf der Probebühne der Schaubühne in der Cuvrystraße in Kreuzberg 1984 erinnern. Es mag ja sein, dass die Ritterschaft im Parsifal stark angeschlagen ist, aber es handelt sich doch immer noch um eine Ritterschaft. Vollends zum Haufen verfällt die Herrenrunde dann im Dritten Akt. Die Ritter bekämpfen einander. Der hinfällige Amfortas wird gegen seinen Willen gezwungen, den Gral noch einmal zu enthüllen.

Tcherniakovs Parsifal-Finale hat freilich den Vorteil, dass es die Konflikte innerhalb der Ritterschaft schonungslos offenlegt. Nach dem Nachtasyl des Ersten Akt und der Alice im Wunderland im Zweiten sind wir im Dritten Akt bei den Karamasows angekommen.

Eine Oper der Missverständnisse
Ich bitte den Leser, es mir auch diesmal nachzusehen, wenn ich auf den einen oder anderen Moment dieser Produktion leicht gereizt reagiert habe. Ich fing vor 49 Jahren qua Partiturstudium an, mich mit diesem Werk zu beschäftigen und habe seitdem allerlei einschlägige Inszenierungen sehen dürfen bzw. müssen, spontan fallen mir nur ein Dietrich Haugk (Bühnenbild: Günther Schneider-Siemssen), Ruth Berghaus, Syberberg (Film), Kupfer (Wiedereröffnung der Staatsoper Unter den Linden), Robert Wilson in Hamburg, Christoph Nel in Frankfurt, Osterfestspiele Salzburg 2013 mit Thielemann (wer’s inszeniert hat, ist mir zum Glück entfallen), Thielemanns konzertante Aufführung in der Corona-Zeit in Bayreuth, Laufenbergs Hartz-IV-Gralsritter in Bayreuth, die Katastrophe von Alvis Hermanis an der Wiener Staatsoper usw., habe mich mit verschiedenen Leuten darüber auseinandergesetzt, Syberberg, Gregor-Dellin, Zelinsky, Ulrich Drüner usw., habe mir also über dieses Werk den einen oder anderen Gedanken gemacht und leider feststellen müssen, dass es in den Inszenierungen immer wieder die gleichen Reinfälle sind, die einen nerven. Oft wird die Bedeutung der Wiedererkennungsszene zwischen Gurnemanz und Parsifal im Dritten Akt in ihrer Bedeutung nicht erkannt und folglich auch nicht inszeniert, meist die Figur der Kundry nicht begriffen, was ihr am Ende ein fröhliches Weiterleben sichert etc.

Tcherniakovs selbstgeschaffene Bühne zeigt einen romanischen Saal und geht in der Konkretion sehr weit. Dann allerdings müsste auch der Realismus des Spiels ebenso weit gehen. Wenn Gurnemanz sagt: »Dort liegt’s, das wilde Weib«, kann Kundry also nicht einfach dastehen. Wenn er die Waldhüter tadelt: »So wacht doch mindest am Morgen«, ist es überraschend, wenn Lampen angehen. Auch wäre es schön, den Schwan zu sehen, den Parsifal ahnungslos abgeschossen hat. Tcherniakov indes reiht sich in die lange Reihe der Schwanverweigerer ein, wie wir sie aus dem Lohengrin kennen. In seinem Bayreuther Holländer war natürlich auch kein einziges Schiff zu sehen. Seine Ritter sind, wiederum sehr konkret, Sozialarbeiter und zugleich Sozialfälle. Wir haben es hier also mit einem der nicht wenigen Hartz-IV-Parsifals zu tun. Man denke nur an die ab 2015 in Bayreuth gezeigte Version von Uwe Eric Laufenberg. Auch dort sind die Gralsritter Sozialarbeiter. Die Architektur ist kunsthistorisch ebenso konkret. Ein solches Bühnenbild bringt den Nachteil mit sich, dass es im Schauspielerischen zu einem höheren Grad von Realismus verpflichtet. Die ununterbrochene Aufführungsgeschichte von Lohengrin, Tristan und Parsifal hat jedoch immer wieder bewiesen, dass bei Opern in symphonisch durchkomponierter Großform eine abstrahiertere Inszenierung mit sparsameren Gesten wirkungsvoller ist.

Der Staatsopernchor Berlin (Einstudierung Gerhard Polifka) glänzt als Ritterschaft. Im Dritten Akt geht er etwas aus der Form. Das ist beabsichtigt. Die ganze Gemeinschaft verkommt, bevor Parsifal sich zum Gralskönig krönen lässt und die rettende Wende bringt. In unserer Aufführung am Dienstag vor Ostern setzte Andreas Schager als Parsifal sehr strahlend und stimmgewaltig an. Sein Organ glänzte über allen anderen. Im Dritten Akt kam er dann in die Bredouille. Die paar Buhrufe, die er dafür einstecken musste, rechtfertigt das noch nicht. Schager schlägt durch, solange er den Helden als Underdog gibt. Bei der Premiere der neuen Götterdämmerung 2022 in Bayreuth hat er als Siegfried die Verwandlung in den Helden allerdings glänzend bewältigt. In Berlin freilich gebrach es dem neugeschaffenen Gralskönig ebenso am aristokratischen Habitus wie der Ritterrunde.

Im Zweiten Akt verliert der Bühnenraum nun als geweißter Saal jede Konkretion. Wenn der Regisseur die Blumenmädchen im Spielalter von sieben bis zwölf vorstellt, versteht man nicht so recht, wie sie für Parsifal die erste Stufe der Verführung sein können. Die Blumenmädchen müssen ihren Verführungsreigen in einem Spielalter von mindestens fünfzehn bis sechzehn Jahren antreten, wenn die Handlung Sinn ergeben soll. Auch Kundry mangelt es im Zweiten Akt an Verführungskraft. Sie trägt immer noch ihre beige Reisekleidung. Kleine Regieidee: Der Kundrykuss findet im Nebenzimmer statt. Wir sehen ihn selbst nicht, erkennen nur sein ernüchterndes Ergebnis, wenn Parsifal und Kundry aus dem Zimmer treten. Eine schiefgegangene erotische Szene von solcher Konkretion wiederum passt nicht so recht zu der hochsymbolischen, theologischen und für das Stück zentralen Bedeutung des Kundrykusses. Auch hier verrät die Regiearbeit eine gewisse Unangemessenheit. Der Produktion will es nicht so ganz gelingen, die geistige und dramaturgische Bedeutung jeder Szene einzuordnen. Wir haben es mit einer insgesamt richtig verstandenen, in vielen Momenten aber aus dem Ruder laufenden Inszenierung zu tun.
Ratlosigkeit und mangelnde Logik
Tatsächlich zeigt sich die Inszenierung an vielen Stellen von dramaturgischer Ratlosigkeit. So wird Titurel (Stefan Cerny) bereits im Ersten Akt in den Sarg gelegt. Das ist schlecht, denn dann muss man ihn wieder herausholen. Die Produktion leidet an mangelnder Logik. Das kunsthistorisch konkretisierte Bühnenbild verstärkt dieses Problem. Die Aufgabe des Gurnemanz ist von jeher, alles zusammenzuhalten. Der Bassist René Pape wird der Rolle und ihrer hier doppelten Herausforderung gerecht. Wagner hat mit Gurnemanz einen Moderator eingeführt, wie man ihn im Welttheater sonst lediglich noch in Richard III. kennt. Wir stehen hier schon kurz vor dem Epischen Theater. Papes starker, versöhnender Bass und signoriler Gestus muss hier nicht nur die auseinanderdriftende und nicht ohne weiteres verständliche Handlung, sondern auch eine z. T. unlogische Inszenierung zusammenhalten. Lauris Vasa ist im Spielalter für den Amfortas etwas jung, beeindruckt aber durch einen Klagegesang, der jedem Zuhörer an die Substanz gehen muss. Mit dieser Musik bohrt Wagner in unseren Herzen herum. Debussy hört ein wenig am Geiste dieses Werkes vorbei, wenn er schreibt, Parsifal sei »eines der schönsten Klangdenkmäler, die zum Ruhme der Musik errichtet worden sind«. Zum Ruhme der Musik ist dieses Werk nun gerade nicht errichtet worden. Ebenso wenig sind Bachs Kantaten zum Ruhme der Musik oder die Mosaiken von Ravenna zum Ruhme der Kunst geschaffen worden. In der Figur des gefallenen Ritters Klingsor tritt wiederum die mangelnde Fähigkeit oder den Unwillen der Inszenierung zur Zeichnung aristokratischer Charaktere hervor. Tómas Tómasson verkörpert die leidende Luziferfigur, als wäre es der Nachbar, der im Garten nach seinen Blumen schaut.

Philippe Jordan rettet, was zu retten ist
Die orchestrale Interpretation, die der Wiener GMD Philippe Jordan mit der Staatskapelle Berlin anbietet, dürfte eine der gestrafftesten sein, die die Aufführungsgeschichte dieses Werkes kennt. Das Material wird als klares Statement vorgestellt. Dabei sind Unter- und Nebenmotive deutlich, nachgerade liebevoll herausgearbeitet. Zurecht bejubelte das Publikum mehrmals den Kapellmeister und das Orchester. Jene austarierte Gewichtung jedes Details, die der szenischen Seite so schmerzlich abgeht, ist im orchestralen Beitrag in Perfektion verwirklicht. Die Partitur selbst optiert für eine solche, wenn man so will, klassische Interpretation, weil das Schweben und Nachhorchen, das Echo der Musik wie in keinem anderen Werk hier schon mitkomponiert ist.

Stephan Reimertz | 19. April 2025

konzertkritikopernkritikberlin.blog
Der Gurnemanz des René Pape ist ein Ordensmann in den besten Mannesjahren. Pape singt die Titurelerzählung besonnen, den Tadel nach dem Schwanenschuss kraftvoll empört, den Ergriffenheitsausbruch von O wunden-wundervoller heiliger Speer glaubhaft. Man hört einen lyrisch dringlichen Gralsritter. Pape agiert immer nah an der Ideallinie. Es ist ein Singen von wild-schöner Innigkeit. Das Wagnerische Cantabile realisiert der Sänger mit gerundeter Sanftheits-Fülle, mit scheu-männlichem Ausdruck. Der Rest ist Pape-Business as usual: der kernhaft feste Ton der Vollstimme, die vorbildliche Wort-Ausdeutung – bis hin zu feinsten Nuancen der Diktion, bei insgesamt ingeniöser Verquickung von Sprechgesang und vaterländischem Belcanto.

Tenorheld Andreas Schager machts richtig. Die Stimme hat Gewicht und Schönheit, die Interpretation Frische, und, noch wichtiger, Spontaneität (was Gould IMMER fehlte). Er findet den Ton für den Toren des ersten, für den Abenteurer des zweiten, für den Heilbringer des dritten Akts. Eine Meisterleistung. Im dritten Aufzug gibts einmal eine Mini-Rauigkeit der Stimme, sonst singt Schager simply tadellos. Schon sein Lohengrin war enorm. Man will den Sänger über den Sommer fast ins schöne Niederösterreich schicken, damit er für den Siegfried im Herbst in ähnlich bestechender Form nach Berlin kommt.

Den Klingsor gibt Tómas Tómasson wild und lebhaft, wenn auch durchgehend röhrend, aber mit metallisch drängendem Vortrag. Die Kundry der Stunde ist Elīna Garanča. Die singt – nicht. Aber statt ihrer Tanja Ariane Baumgartner. Mit ihr ist es so eine Sache. Ich wünsche mehr Kraft der Deklamation, mehr Volumen. Es ist eine Interpretation ohne Fehler, aber eine blasse. Die Tiefe ist wenig aufregend. In der Höhe fehlt Energie für die packend textpräzise Ausformung des Tones. Ihr Spiel bleibt enttäuschend kühl (Man weiß, wie gut Kampe bei Tscherniakow spielt). Einiges Gute gelingt, so Bekenntnis wird Schuld oder Gelobter Held. Sie klingt zu unbeschrieben für die Rolle. Also, die Frau verfügt über eine schöne Stimme, aber ihre Kundry ist uninteressant.

Licht und Schatten ersingt sich auch Lauri Vasar als Amfortas. Der Este verfügt über eine attraktive Stimmfarbe, präsentiert aber ein verquollen vokalverfärbendes Allerwelts-Espressivo, darüberhinaus werden die Spitzentöne bleich gespreizt.

Und Dirigent Philippe Jordan? Fürs Weihfestspiel hat er ein Händchen, mehr als für die Wotan- und Wälsungentragödien des Rings. Die Staatskapelle bietet flüssiges Legato und gut platzierte Binnenfarben. Die Dynamik ist imponierend nuanciert, der Ausdruck wirkt wie unter Glas erstarrt. Das Beste kommt im 3. Akt: im resignativen Vorspiel und im sorgfältig ausgebreiteten Stimmgefädel der Gurnemanz-Passagen. Packen tut der Orchestervortrag nicht.

Schlatz | 21. April 2025

Rating
(6/10)
User Rating
(3/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 48.0 kHz, 550 MiB (MP3)
Remarks
In-house recording
A production by Dmitri Tcherniakov (2015)
Tanja Ariane Baumgartner replaces Elīna Garanča as Kundry.