Das Rheingold

Karl-Heinz Steffens
Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz
Date/Location
7 November 2010
Theater Pfalzbau Ludwigshafen
Recording Type
  live  studio
  live compilation  live and studio
Cast
WotanGérard Kim
DonnerAsgeir Páll Agústsson
FrohNils Giesecke
LogePaul McNamara
FasoltAlexander Vassiliev
FafnerChristoph Stegemann
AlberichGerd Vogel
MimeRalph Ertel
FrickaUlrike Schneider
FreiaAnke Berndt
ErdaJulia Faylenbogen
WoglindeInes Lex
WellgundeSophie Klußmann
FloßhildeSandra Maxheimer
Gallery
Reviews
Frankfurter Rundschau

Tausend Requisiten

Noch ein „Ring“. Die Tetralogie wird allmählich zum durchschnittlichen Renommierobjekt durchschnittlicher Theater. Sie macht Kasse und wirft offenbar sicheren Prestige-Mehrwert ab. Ludwigshafen und Halle realisieren den Wagner-„Ring“ mit Hansgünther Heyme.

Warum aber nicht wenigstens einmal die tetralogische Kuriosität „Homers Welt“ von August Bungert, textlich und dramaturgisch hoch ambitioniert, musikalisch eher lortzinghaft, was im ausgehenden 19. Jahrhundert mild verblüfft, vom Großteil des Publikums wohl jedoch als putzig und gar nicht unangenehm empfunden würde. Zwischen dem inzwischen am laufenden Meter verabreichten Wagner’schen Viererpack und auch nur einer einzigen vollständigen Bemühung um Karlheinz Stockhausens „Licht“-Zyklus (wagt Wien es irgendwann?) klafft sowieso ein unüberbrückbarer Abgrund.

Ein ambitionierter „Ring“ hilft Kindertheaters in Halle nicht weiter.

Der Gemeinschafts-„Ring“ der Städte Halle und Ludwigshafen ist vor allem das Werk des Dirigenten Karl-Heinz Steffens, sowohl GMD der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz als auch der Hallenser Staatskapelle und Oper. Für die Saalestadt führt die „Ring“-Euphorie allerdings nicht am Dichtmachen des dortigen Kindertheaters vorbei. Eine gleichsam theatergeschichtliche Pointe kann das Vorhaben bieten: Hansgünther Heyme, ein großer Alter des deutschen Regietheaters, um den es stiller geworden war, bekam die Chance, einen vor einem Menschenalter in Nürnberg abgebrochenen „Ring“ in neuer Konstellation zu runden.

Dessen musikalische Interpretation und Besetzung sind angesichts des derzeitigen Rezeptionsstands und Sängermarkts keine größeren Stolpersteine mehr. Bei der Ludwigshafener Premiere im Pfalzbau amtierte das Pfalzorchester, ein solider, durchaus substantiell agierender Klangkörper (in den Blechformationen nur mitunter geringfügig wackelig). In der Rheinszene setzte Steffens auf behagliche Naturschilderung (das anfängliche Es vor dem Horneinsatz klang mehr nach Klimaanlage), später kam Lebhaftigkeit in die Auseinandersetzungen der Götter, Zwerge und Riesen, ohne dass die Plastizität der Leitmotive sonderlich angespitzt worden wäre.

Die Sängerequipe des „Rheingold“ ist groß genug, so dass sich diskret merkliche Stärken und Schwächen zu einem befriedigenden Gesamteindruck ausgleichen. Überragend die mächtige, warm timbrierte Altstimme der Erda von Julia Feylenbogen. Faszinierend erotisch aufgeheizt ihr Auftritt in der Endphase des langen Einakters. Von imponierendem Baritonformat der Wotan von Gérard Kim, Würde ausstrahlend in jeder Nuance. Sehr plausibel abgesetzt dagegen der wuchtig-aggressive Stimmcharakter des Alberich, den Gerd Vogel als jugendlich-sportiven Proleten imaginiert. Paul McNamaras Loge realisiert gekonnt elegant und mit tenoraler Beweglichkeit ein vom Üblichen nicht sehr abweichendes Rollenbild. Dass er im grauen Anzug dahertänzelt und das rote Einstecktaschentuch sein einziges Feuergott-Attribut darstellt, ist nicht sonderlich exzentrisch. Das übrige Darstellerteam: gut bis passabel; ins Eindrücklichere abweichend noch die beiden Riesen von Alexander Vassiliev (Fasolt) und Christopher Stegemann (Fafner). Heyme steckt sie in schwarze Knappenanzüge und identifiziert sie damit vortrefflich als eine altmodisch-treuherzige Spezies von Arbeitsmännern.

Die Tafelwand mit den unzähligen kleinen Fächern muss vier Abende tragen

Heyme betätigt sich als szenographischer Gesamtkunstwerker, der sich auch um Bühnenbild und Kostüme kümmert. Der Bühnenraum präsentiert sich simpel und rätselhaft zugleich. Zwei Wanddiagonalen begrenzen (zusammen mit einem die Portalbreite ausfüllenden schmalen Wassergraben) die Spielfläche; links ein gerümpelhaft verstelltes Bauteil mit allerlei brauchbaren und unbrauchbaren Utensilien; rechts eine aus unzähligen kleinen und mit Zahlen beschrifteten Fächern zusammengesetzte Tafelwand wie ein kafkaeskes Archiv oder eine monumentale Urnengrabstätte. Bei Fasolts Tod wird irgendwo in eine der Nischen ein winziger Karteikasten hineingeschoben. Man ahnt, dass diese Dekoration auch die weiteren „Ring“-Abende bestreiten wird. Ob sie so lange trägt, mag sich weisen. Ausreichende Modifikationen sind eingebaut: eine herabgleitende Brücke mit Projektionsfläche in der Nibelheimszene (deren Hammerschläge rhythmisch erstaunlich schlecht mit dem Orchester koordiniert waren), ein hübsch mit Regenbogenfahnen behängtes auffahrendes Gestell für die Götterapotheose am Schluss. Leicht unbeholfene Japonnerien: das Rheintöchterterzett.

„Rheingold“ ist innerhalb des Gesamtdramas der Ort nicht nur der List und Tücke und der rohen Grausamkeiten, sondern auch der scharfzüngigen Auseinandersetzung, des sarkastischen Witzes. Heyme hebt weniger darauf ab als auf einen überbordenden, teilweise auch überflüssigen Detailreichtum. Tausend Aktionen und Requisiten purzeln gleichsam übereinander. Den ohnehin schon prägnant gelungenen Riesen werden noch übergroße pappige Konterfeis und kindliche Assistenten zugesellt – unnötig. Und über Loges Umgang mit Freias Äpfeln ließe sich ein eigener Roman schreiben. Am Anfang spuckt Loge die angebissene Frucht angewidert aus. Etwas später lehnt er den Apfel ab und zieht sich lieber eine Linie Kokain rein. Am Ende macht er sich einen Apfel als Bratapfel genießbar, indem er ihn über die Flamme des (inflationär an allen möglichen Stellen aufschießenden) Rampenfeuers hält. Alles gut und schön, aber eine leise Skepsis ist beim Einstieg in ein langwieriges Projekt doch anzumelden.

Hans-Klaus Jungheinrich | 07.11.2010

Rating
(4/10)
User Rating
(2/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 339 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast (SWR 2)
A production by Hansgünther Heyme (premiere)
This recording is part of a complete Ring.