Das Rheingold
Kent Nagano | ||||||
Orchester der Bayerischen Staatsoper München | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Wotan | Johan Reuter |
Donner | Levente Molnár |
Froh | Thomas Blondelle |
Loge | Stefan Margita |
Fasolt | Thorsten Grümbel |
Fafner | Phillip Ens |
Alberich | Johannes Martin Kränzle |
Mime | Ulrich Reß |
Fricka | Sophie Koch |
Freia | Aga Mikolaj |
Erda | Catherine Wyn-Rogers |
Woglinde | Eri Nakamura |
Wellgunde | Angela Brower |
Floßhilde | Okka von der Damerau |
Menschen, überall Menschen
München und der Nibelungen-Ring – das ist eine Geschichte für sich. Mit einem Problemkapitel im 19. Jahrhundert, wo der wagnerverrückte König Ludwig II. die Uraufführung des Rheingolds (und der Walküre) gegen den Willen seines Komponisten-Idols in München über die Bühne gehen ließ. Aber auch mit einer späten Fortsetzung, als nämlich der mit dem Ring schon von Brüssel her vertraute Bühnenbildner und Regisseur Herbert Wernicke nach seiner Neuinszenierung des Rheingolds plötzlich starb. Er hatte die diffizile Beziehung zwischen dem Wagner-Gral Bayreuth und der Wagner-Hochburg München schon in einem spektakulären Festspielhaus-Bühnenbild miteinander verschränkt. Das ließ sich von fremder Hand nicht fortsetzen und so erhielt David Alden die Chance für seine (wie man es auswärts gerne nennt) Eurotrash-Version der Tetralogie.
Mit einem gut kalkulierten Risiko geht der Münchner Intendant Nikolaus Bachler jetzt an eine Ring-Neuauflage heran. Sie soll bis Juni 2012 stehen, ist also im Wagnerjahr 2013 schon erprobt, gut vorzuzeigen und natürlich zu verkaufen. Musikalisch liegt das Großprojekt (wie man nach dem Vorabend jetzt sagen kann: glücklicherweise) in den Händen des scheidenden GMD Kent Nagano. Sein designierter Nachfolger Kirill Petrenko ist ja schon lange für den Bayreuther Jubiläums-Ring im nächsten Jahr vorgesehen, den nach langem hin und her Frank Castorf inszenieren wird. Wobei man jetzt mit einigem Erstaunen liest, dass ausgerechnet Petrenkos Unterschrift unter seinen Vertrag noch fehlt.
Die Erwartungen an einen neuen Jahrhundertring sind – hier wie dort – allerdings nicht zu erfüllen. In diesem Ruf steht ja wegen der exemplarisch gelungenen Kapitalismuskritik zum Wagnersound notorisch Patrice Chereaus Bayreuther Wurf von 1976, der seinerseits Joachim Herz’ Leipziger Vorlage gefolgt war. Eine historische Epoche – samt ihrer realen Sozialismus-Kritik – später, wäre jede Neuauflage dieses Ansatzes von vornherein „nur“ eine Variation zum Thema. Ambitionierte Regisseure suchen daher heute nach autonomen Neuansätzen, um die Relevanz dieses Ausnahmewelttheaters nicht zu verspielen.
Der auch in der Oper (u.a. mit seinem Münchner Wozzeck) erfolgreiche Schauspielregisseur Andreas Kriegenburg lässt in Harald B. Thors nüchternem Bühnenkasten aus lauter beweglichen Wänden denn auch alles beiseite, was den Rhein, Nibelheim oder Walhall historisch konkret verorten würde. Stattdessen sucht er nach den Orten, Zuständen oder Zwängen, die bei Wagner in märchenhafter Gestalt auftauchen, in uns oder unter uns Menschen von heute. Einen geschlossenen Vorhang gibt es nicht, und so kann man beim Betreten des Zuschauerraums beobachten, wie sich auf der Bühne unzählige Statisten begrüßen, miteinander plaudern und wie der Regisseur selbst und sein Team sich mal hier mal da dazusetzen um noch Ratschläge zu erteilen, oder eben jenes Seht-her-es-ist-Theater-Spiel aufzuführen, das das bevorstehende Bühnengeschehen für jeden verständlich als Diskurs relativiert.
Wenn dann die Musik einsetzt, legt der Bewegungschor seine Kleidung ab, alle beschmieren sich mit blauer Farbe und wogen dann ziemlich eindrucksvoll als Rhein vor sich hin. Alberich schwimmt schon da sozusagen gegen den Menschenstrom, was ihm den Entschluss erleichtern dürfte, sich mit dem goldenen Rheingold-Mädchen über der Schulter davon zu machen. Wenn diese Darsteller dann als dreckverschmierte Nibelungen in jenem Schlitz, der die Decken- und die Bodenplatte fast zusammenführt, wenn es nach Nibelheim geht, unter der Knute von Aufsehern Erz schleppen, manche zusammenbrechen und sofort entsorgt und offenbar verbrannt werden (jedenfalls gibt es jedesmal eine Stichflamme), oder wenn die Urmutter Erda bei ihrem Auftauchen von archaischen Lemuren umspielt wird, ist das zwar nicht ganz so originell, funktioniert aber als Menschentheaterbild immer noch recht eindrucksvoll.
Tauchen dann die Riesen Fasolt und Fafner auf, um den vereinbarten Lohn einzufordern, dann verweist ihr Arbeiterblau darauf, dass sie die einzigen in der ganzen Tetralogie sind, die einer schweren und Werte schaffenden Arbeit nachgehen. Hier thronen sie auf Menschen-Würfeln. Geronnene Arbeit so in ein Bild von zusammengepressten Menschen zu übersetzten, das hat dialektischen Witz. Das Riesenhafte ist bei ihnen Pose. Sie lassen sich für ihren Streit mit ihrem windigen Auftraggeber einen Riesenmantel und ebenso gewaltige Arme und Beine reichen, verkehren aber ansonsten als Partner auf Augenhöhe. Im Falle Fasolts offenbar so überzeugend, dass sich sein Entführungsopfer Freia offenbar mehr als nur für ihn erwärmt. Wenn er im Streit um die Goldbarren-Beute von seinem Bruder ermordet wird (dem Loge wie zufällig ein Messer in die Hände spielt), dann ist Freia wirklich geschockt. Für den Weg nach Nibelheim und wieder zurück wird die Wegbeschreibung auf die beiden schräg aufeinander zu laufenden Platten projiziert. Überzeugend die Funktionsprobe des Tarnhelms (durch Blendscheinwerfer ins Publikum), eher mäßig furchterregend Alberichs Verwandlung in einen Riesenwurm, der hier eine zwar lichterloh brennendes, aber eher mickriges Würmchen ist, das über die Bühne getragen wird.
Der große (entscheidende) Rest freilich ist eine Personenregie, bei der die Götter als kleinkarierte Möchtegern-Herrscher dastehen (was ja in den besten Bundesrepubliken vorkommen soll), aufeinander losgehen und am Ende nur noch mit letzter Kraft den Schein wahren. Dieser Wotan jedenfalls schafft es nur noch, den Fuß über die Schwelle seines neuen Eigenheims zu setzten, wenn ihn seine Sippschaft stützt. Und er muss obendrein aufpassen, dass er nicht in die Grube stürzt, in der die Goldbarren verschwunden sind, mit denen er die für das Anti-Aging der Götter zuständige Freia aus der Geiselhaft der Riesen losgekauft hat.
Johan Reuter nahm sich als Wotan zwar auch manche Freiheiten in der Intonation, überzeugte aber insgesamt ebenso wie die souveräne Sophie Koch als Fricka, Levente Molnárs als Donner, Thomas Blondelles als Froh und Catherine Wyn-Rogers als kalkweiß archaische Erda. Die Riesen waren mit Thorsten Grümbel (Fasolt) und Phillip Ens (Fafner) ebenso solide besetzt wie auch der Mime mit Ulrich Reß. Dass man sich in München kurzfristig Johannes Martin Kränzle als Alberich ausborgen musste, bescherte dem Vorabend die überzeugendste sängerdarstellerische Leistung (tagsdrauf gab der aktuelle „Sänger des Jahres“ auch in Frankfurt als Gunther den Maßstab vor). Vom guten Münchner Ensemble prägten sich zudem der exzellente Loge von Stefan Margita als Intrigant im Roten Anzug und aus der blonden Göttersippe die Freia von Aga Mikolaj besonders ein.
Kent Nagano schließlich machte aus diesem Vorabend am Pult des Bayerischen Staatsorchesters ein erstaunlich sinnliches, die Sänger meist gut einbettendes Wagnerereignis. Es wurde mit reichlichem Jubel bedacht und schloss (ganz wagnerunüblich) auch das Regieteam ein.
FAZIT
In München ist musikalisch und szenisch ein vielversprechender Ring-Auftakt gelungen von dem man nur hoffen kann, dass er das musikalische Niveau hält und szenisch am Ende aufgeht.
Roberto Becker | Premiere am 4. Februar 2012 an der Bayerischen Staatsoper München
Erlösung durch Erzählen
Zu Anfang sehen wir etwas, was selten ist auf den Theaterbühnen: viele glückliche Menschen. Sie alle sind sommerlich weiß gekleidet wie in einem mediterranen Esoterik-Camp. Und alle sind sie, wohl hundert an der Zahl, irgendwie lieb miteinander. Aber wann in Wagners „Ring des Nibelungen“ wäre die Welt jemals so harmonisch? Im Naturzustand vor Wotans Vertragsstiftung und Alberichs Goldraub vielleicht? Nein, so naiv, sich die ungezähmte Natur als Esoterik-Camp vorzustellen, war Richard Wagner gewiss nicht. Und natürlich ist Andreas Kriegenburg, Regisseur des neuen „Rings des Nibelungen“ an der Bayerischen Staatsoper, nicht so naiv, dem Komponisten das zu unterstellen. Zu Anfang des „Rheingolds“ also, so konnten wir es Interviews und Texten im Programmheft entnehmen, zeigt Kriegenburg das glückliche Ende: eine Utopie _nach_ der Götterdämmerung. Aber wenn Wagners mythologische Weltgeschichte schon gut ausgegangen ist, bevor sie überhaupt begonnen hat: Warum sie dann noch erzählen? Es ist vielleicht das größte Verdienst dieser Inszenierung, dass sie auf diese Frage eine ganz präzise, Wagners Intentionen sehr nahe Antwort gibt und damit eine sehr eigene Perspektive auf dessen Tetralogie gewinnt.
Kriegenburg nämlich erzählt nicht „die Geschichte“, sondern er erzählt – im schlichten, nur aus riesigen, beweglichen hellen Holz-Versatzstücken gebauten, von Stefan Bolliger zauberhaft ausgeleuchteten Bühnenbild von Harald B. Thor und den phantasievollen, aber nie effektheischenden Kostümen von Andrea Schraad – _das Erzählen_ dieser Geschichte. Denn der utopische Erlösungszustand ist dieser Gemeinschaft offenbar nicht in den Schoß gefallen, sondern er wurde durch Leid und Katastrophen errungen. Indem sie sich dieses Schicksal vergegenwärtigt, es sich in einem Ritual des kollektiven Erlebens selber vorspielt, versichert sie sich ihrer Identität und bringt ihre eigene Utopie immer wieder neu hervor. Wagner hätte das sicher gefallen. Denn genau das war es, was er sich von der „Ring“-Aufführung „an einem eigens dazu bestimmten Feste“ erhoffte.
Wenn also der berühmte Es-Dur-Akkord sich langsam aufbaut, werden die vielen Weißen wirklich zu „Erzählern“ im theatralen Sinne: Sie entkleiden sich, beschmieren sich blau und werden als wogendes Leibermeer zum Rhein, in dem die Rheintöchter in blauen Kleidern ihr Spiel treiben, bis sich ein garstiger Fettwanst in schwarzen Lotterklamotten ins Gewoge mischt, verspottet wird, die Liebe verflucht und dem Rhein-Leibermeer und seinen Töchtern die goldenen Tiefensonne entführt. Das böse Spiel zum guten Ende hat begonnen.
Kriegenburgs Inszenierung bedient dabei durchweg zwei Ebenen: Primär „erzählt“ sie die Geschichte, sekundär thematisiert sie permanent dieses Erzählen selbst. Das Theater macht sich dadurch selbst zum Erlebnis, indem es die Zuschauer daran teilhaben lässt, wie durch ganz einfache Mittel Bühnenzauber entsteht. Was haben die Bühnebildner nicht schon alles ersonnen, um Walhall zu erbauen. Hier bilden einfach die Kollektivspieler eine gestaffelte Aufstellung, und fertig sind die Zinnen des prangenden Baus. Fasolt und Fafner rollen auf Riesenwürfeln herein, die aus zusammengepressten Leibern gebildet sind, die alle in Blaumann-blauen Arbeitsanzügen stecken und so ahnen lassen, dass es in der Arbeitswelt der Riesen nicht unbedingt human zugeht. Oder all die berüchtigten Verlegenheitslösungen bei Alberichs Verwandlungen – hier aber lässt Kriegenburg einfach ein paar Komparsen in bizarren Taucheranzügen mit Scheinwerfern als leibhaftige Lichtbatterien agieren, die das Publikum beizeiten blenden: fertig ist der Tarnhelm-Zauber.
Aber auch _was_ Kriegenburg erzählt, schlägt in Bann durch die starke, differenzierte Personenführung, mit der er Charaktere und Beziehungen entwickelt. Dafür nur ein Beispiel von vielen möglichen. Seit das Theater nach Achtundsechzig die Herrschaftskritik als Bühnenthema entdeckte, ist Wotan der Bösewicht vom Dienst: Mit seinen Verträgen entfremdet er die Menschen der Natur, seine Machtstrategie gibt ein Beispiel skrupelloser Politik, als Ehemann ist er ein Betrüger, als Vater ein Verräter, als Liebhaber ein Tyrann. Kriegenburg dagegen zeigt ihn (wie übrigens schon Patrice Chéreau im Bayreuther „Jahrhundert-Ring“) viel ambivalenter – und damit interessanter. Er nutzt die Bedeutungsdifferenz zwischen Speer und Ring, um die innere Zerrissenheit dieses Gottes zu vergegenwärtigen: Der Gewinn des Rings ist für Wotan eher eine Erschütterung als ein Triumph, weil die moralisch indifferente Allpotenz des Rings bedingungslos wirkt, während Macht des Speeres als Wahrer der Verträge bedingt ist und in der Vertragstreue ein moralisches Moment enthält. Nach Walhall zurückgekehrt, versinkt nun der Gott zitternd im Betrachten des Rings, während er seinen Vertrags-Speer achtlos liegen lässt. Das aber heißt: Er übt Verrat an seiner Aufgabe in der Weltordnung – und untergräbt damit seine Autorität. Selbst Erda bringt ihn kaum dazu, den Riesen den Ring zu geben, es ist Donner, der (auch in Wagners Libretto!) die Lösung herbeiführt und damit in Wotans Kompetenz eingreift. Der Gott aber ist fortan ein Gebrochener, der beim Einzug in Walhall von Froh und Donner gestützt werden muss. Er hat sich vom Lockruf der absoluten Macht korrumpieren lassen – und seine bedingte Machtbasis damit erschüttert.
All das und vieles andere hätte Kriegenburg nicht entwickeln können, wenn nicht in München Sängerdarsteller versammelt gewesen wären, wie man sie in Bayreuth in den letzten Jahren vermisst hat. Dabei ist der kultiviert dunkle, schlanke und etwas geradlinige Wotan von Johan Reuter rein darstellerisch keineswegs die profilierteste Gestalt. Stefan Margita als Loge stellt ihn leicht in den Schatten: ein zynisch-verführerischer Strippenzieher mit hellblonder Dimiter-Gotscheff-Mähne und ebenso hellem, sehr stabilem Charaktertenor, dem doch die ganze Lyrik des Schmeichlers zu Gebote steht (nur leider keine klare sprachliche Artikulation). Bei der zweiten Vorstellung konnte Wolfgang Koch beweisen, dass auch er ein Alberich der Referenzklasse ist, nachdem ihn Johannes Martin Kränzle bei der Premiere mit großem Erfolg vertreten hatte: Faszinierend, wie er die ganze aus Leid geborene Garstigkeit dieses Zwerges mit schöner Stimme packend zur Geltung bringt! Als Mime ist Ulrich Reß dem Loge vokal nahezu ebenbürtig, Levente Molnár und Thomas Blondelle sind als Donner und Froh klangvoll bei Stimme, die Rheintöchter Eri Nakamura, Angela Brower und Okka von der Damerau singen perlklar und harmonieren prächtig. Und wenn Thorsten Grümbel und Phillip Ens als Fasolt und Fafner nicht ganz so profiliert herüberkamen, Sophie Kochs Fricka etwas flackerig und Aga Mikolajs Freia etwas pauschal blieb und Catherine Wyn-Rogers Erda die Tiefe, aus der sie aufsteigt, vokal nicht recht vermitteln konnte – dann sind das Einwände auf hohem Niveau, das durch dieses vorzügliche Ensemble markiert wurde.
Daran hatte auch Kent Nagano großen Anteil. Er verleiht dieser Musik eine Ausdruckskraft, die in ihrer buchstäblichen „Selbst-Verständlichkeit“ alles andere als selbstverständlich ist. Das liegt zum einen an einigen kapellmeisterlichen Tugenden: der plastischen Herausarbeitung der Motiv-Polyphonie, ohne dabei zu dick zu werden; der großen Achtsamkeit in der Sängerführung, die den Stimmen Raum zur Entfaltung gibt. Vor allem aber erweist sich Nagano hier als Meister des Ausbalancierens: Er lässt sich ganz und gar ein auf die vielen narrativen Episoden dieses Vorspiels und verliert sich doch nie in ihnen; er musiziert zügig und gliedert doch sinnfällig; er hat Sinn für Klangzauber, ohne je die Struktur zu vernachlässigen. Und so erklingt dieses „Vorspiel“ schön und ausdrucksvoll in einer Naturwüchsigkeit, die in der Kunst nur durch hohe Kunst erreicht wird.
Ob das für die dramatisch markanteren, musikalisch komplexeren drei Hauptstücke reicht, wird man sehen. Und ob Kriegenburgs interpretatorisches Understatement über die ganze Tetralogie trägt, muss man abwarten. Mit dem Fokus auf dem kollektiven Erzählen liegt ja auch ein Hauch von Oberammergau über dieser Inszenierung: die gleichsam volkstheaterhafte Vergegenwärtigung eines kollektiven Mythos, dessen Sinn Gemeingut ist und der folglich keiner weitgespannten Interpretation bedarf. Das mag beim „Rheingold“ mit all seinen Märchenmotiven angehen. Schon in der „Walküre“ aber wird deutlicher spürbar, dass Wagner hier auf den Untergangsmythos einer politischen Gesellschaft am Anfang von Industrialisierung und Kapitalismus zielt. Ob und wie Kriegenburg darauf reagiert, wird spannend. Dieser Anfang aber war allemal vielversprechend.
Detlef Brandenburg | 9. Februar 2012
Kein Ghettoblaster, keine Gummitiere, weder Schlamm noch Schaum auf der Bühne und trotzdem am Schluss großer Jubel. Man reibt sich die Augen und wartet bang auf den üblichen zeitgenössischen Regieschnickschnack. Stattdessen leere Bühne – nur ganz wenige Zeichen und Andeutungen, ansonsten freies Spielfeld für Sänger und Statisten. Letztere haben immer gut zu tun: So bilden sie zu Beginn in fließenden Bewegungen den Rhein, umschlingen Alberich und zärtlich die Rheintöchter. Später bewegen sie die aus gepressten Menschenleibern geformten Quader, auf dem die Riesen thronen. Regisseur Andreas Kriegenburg versprach in Vorab-Interviews ein Kammerspiel, konzentriert auf die Protagonisten. Meiner Ansicht nach ist ihm dies durchaus gelungen, außerdem mag sich ja noch einiges im Laufe der folgenden Ring-Teile entwickeln.
Die Götter sind bei Kriegenburg bereits in Ehren ergraut bzw. erbleicht, obwohl sie doch noch nicht Freias Äpfel entbehren müssen. Wotan (brav, aber nicht sonderlich überzeugend: Johan Reuter. Wir hatten in München schon andere Kaliber auf der Bühne!) ist weniger gieriger Herrscher als ein an Loges Fäden Agierender, schließlich sogar ein Gebrochener. Beim Einzug ins neue Walhall stützt er sich schwer auf Gattin Fricka (Sophie Koch mit schönen Tönen als still resignierende und leidende Gattin). Loge (großartig Stefan Margita, mit hellem durchschlagendem Tenor, dandyhaft im roten Anzug mit Gehstock) ist hier ein veritabler Strippenzieher, listig, verschlagen, niemandem hold und mit berechnendem Lächeln Fafner das Messer zum Brudermord reichend. Die Riesen Fasolt (fordernd und weich: Thorsten Grümbel) und Fafner (mit bedrohlicher Schwärze: Phillip Ens) bewegen sich mit vollendeter Geschmeidigkeit ihre rollenden Podeste hinauf und hinunter. Und Fasolt hat, scheint es, nicht nur ein Auge auf Freia (Aga Mikolaj mit zum Teil sehr angestrengten Tönen) geworfen, sondern bei der Lieblichen auch Gehör gefunden. Denn so wie sie sich zärtlich an ihn schmiegt, mag der Aufenthalt bei den Riesen für Freia weniger Schmach denn Lust gewesen sein. Bei seinem Tod bricht sie sogar völlig zusammen.
Im Nibelheim-Bild (Bühne Harald B. Thor) entfaltet sich veritabler Theaterzauber: Wir befinden wir uns tief unter der Erde, in der Dunkelheit am Boden kriechende Gestalten ahnend, durch einen erleuchteten Gang ziehen schwer tragende Gebeugte vorbei, von Alberichs Peitschenhieben angetrieben. Alberich, den Wolfgang Koch mit seiner kompakten Statur als groben Sklaventreiber gibt, der sich schließlich grausam übertölpelt sieht und Wotan und Loge einen beeindruckenden „Liebesgruß“ entgegenschleudert. Elegant gelöst die Tarnkappenprobe: Der böse Lindwurm ist eine an Stäben durch die Dunkelheit getragene Feuerschlange, die kleine Kröte eine junge Frau.
Hinreißend und vokal grandios die platinblonden Rheintöchter: Eri Nakamura als Woglinde (sonst eher im Belcanto-Fach zuhause, produzierte sie hier phantastisch dramatische Töne ), Angela Brower (Wellgunde) und Floßhilde (Okka von der Damerau). Das übrige Personal: Donner (ordentlich grollend Levente Molnàr), Froh (Thomas Blondelle), Mime (wie immer prägnant und präsent Ulrich Reß), Erda (Catherine Wyn-Rogers, sehr heller Mezzo, wie eine Untote aus der Tiefe aufsteigend)
Am Schluss großer Jubel vor allem für Kent Nagano, das Bayerische Staatsorchester und für Loge Stefan Margita. Nagano dirigierte einen schlanken, bisweilen strengen, immer feingesponnenen Ring-Vorabend, immer auf dem Sprung, um den Sängern den schönsten Begleitteppich auszurollen.
Ob dies nun der große Regiewurf wird, sozusagen der „Ring aller Ringe“, vermag ich nicht zu sagen, gewiss ist aber, dass ich mich an diesem Abend keine Sekunde gelangweilt habe, sondern gespannt das Geschehen verfolgte und ich musste mich auch nicht über hanebüchene „Konzepte“ ärgern. Vielleicht bekommen wir am Ende keinen funkelnd-glitzernden Solitär, sondern einen solide geschmiedeten Reif, an dem dann doch das eine oder andere Steinchen blitzt und blinkt.
Jakobine Kempkens | 13.02.2012
PO |
A production by Andreas Kriegenburg (premiere)
This recording is part of a complete Ring cycle.