Das Rheingold

Kirill Petrenko
Orchester der Bayreuther Festspiele
Date/Location
26 July 2013
Festspielhaus Bayreuth
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Wotan Wolfgang Koch
Donner Oleksandr Pushniak
Froh Lothar Odinius
Loge Norbert Ernst
Fasolt Günther Groissböck
Fafner Sorin Coliban
Alberich Martin Winkler
Mime Burkhard Ulrich
Fricka Claudia Mahnke
Freia Elisabet Strid
Erda Nadine Weissmann
Woglinde Mirella Hagen
Wellgunde Julia Rutigliano
Floßhilde Okka von der Damerau
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Reviews
Online Musik Magazin

Endstation Tankstelle

Am Ende gab es ein voreiliges lautstarkes Buh. Doch da war eher ein Selbstdarsteller am Werke, als dass ein Zuschauer im Festspielhaus die einhellige Meinung der Gemeinde auf den Punkt gebracht hätte. Wie sich das Publikum am Ende der Götterdämmerung zu Regisseur Frank Castorf stellen wird, bleibt abzuwarten. Das Regieteam stellt sich beim Ring immer erst am Ende dem Urteil. Bei der Musik herrschten nach dem Rheingold jedenfalls Jubel und Begeisterung vor. Etwas abgestuft bei den Sängern, aber doch überwiegend ungetrübt. Allen voran wurde der erleichtert lächelnde und entspannt wirkende Dirigent Kirill Petrenko gefeiert. Für einen Vorabend, der wunderbar transparent, mit geradezu kammermusikalischer Leichtigkeit seine Bahn vom Rheingrund-Wabern bis zum Einzug der Götter nach Walhall zog. Mit betörender Bescheidenheit, die sich allenfalls zu einem reflektierten Pathos aufschwang. Immer mit den Sängern, nie gegen sie.

Wobei die vor allem da überzeugten, wo die vokale Intensität mit der darstellerischen einherging. Sowohl der Wotan von Wolfgang Koch als auch der Alberich von Martin Winkler hatten eine kurze Anlaufphase, in der man noch nicht sicher war, was dabei herauskommen würde. Aber gerade die beiden entfalteten mit tadelloser Eloquenz ein darstellerisches Charisma, das geradezu mitriss.

Womit man schon bei der eigentlichen Überraschung dieses Abends ist: Volksbühnenchef Frank Castorf ist ja für seine ausgeprägte Vorliebe für überlange Stücke bekannt und berüchtigt. Also zumindest insofern für den Ring geeignet. Doch das gängige Vorurteil, dass die dafür erforderliche Spezies von Darstellern, die sich auf seine doppelbödigen und gedoppelten Bühnenwelten rückhaltlos einlassen und darin leben kann, bei Sängern nicht zu finden ist, widerlegt er mit diesem Rheingold schlagend! Angeblich zu kurze Probenzeiten hin oder her, und ganz gleich, ob man nun gerne selbst in diesem „Golden Motel“ an der sagenhaften „Route 66“ einchecken würde oder doch lieber nicht: Was dort passiert, wird so spannend erzählt wie in einem Stück von Tennessee Williams.

Nicht nur, weil der famose Günther Groissböck als Prolet Fasolt eine so bedrohlich virile Ausstrahlung mit seinem verschwitzen Unterhemden-Sexappeal hat wie Stanley Kowalski. Diese Südstaaten-Opernvariante einer typischen Castorf-Bühne mit ihrer Mischung aus (permanent per Video nach draußen, auf die große Reklametafel auf dem Dach übertragenem) Innerem und Äußerem, die Aleksandar Deni? da als Abstiege samt Tankstelle auf die Dreh-Bühne gesetzt hat, ist geradezu ein Wurf. Sie bringt eine Idee auf den Punkt. Endzeit-stimmungsvoll. Offen–assoziativ. Und sogar Drehbühnen-praktisch. Man könnte einwenden, dass sie sich manchmal arg drängeln. Gerade wenn sich alle im einzigen, einigermaßen akzeptablen Zimmer der Motel-Absteige (mit Radio, Color TV und Wifi) versammeln, in dem Wotan sich am Anfang mit seinen beiden Frauen (Fricka, mit Vehemenz: Claudia Mahnke und Freia, etwas leichtgewichtiger: Elisabet Strid) auf dem Doppelbett wälzt. Aber es bleibt selbst in dieser auf den Zuhälter-Nenner gebrachten Welt immer noch ein oben und unten und erkennbar. Und auch ein einst und jetzt.

Dabei entfaltet Castorf erstaunlich viel Witz. Wenn sich die nicht nur von Natur aus attraktiven, sondern auch noch für‘s horizontale Gewerbe „professionell“ aufgedonnerten und stimmlich exzellenten Rheintöchter (Mirella Hagen, Julia Rutigliano und Okka von der Damerau) am Pool abkühlen, werden sie vom schwitzenden Publikum amüsiert beneidet. Und belächelt, wenn sie lasziv in ihre Riesenbratwürste beißen. Auch, dass Alberich erst dann in den Pool hechtet, wenn er einen Rettungsring und ein gelbes Quietsche-Entchen hineingeworfen hat, um sich das Gold (das wie eine Isoplane aussieht) zu holen, hat Witz. Sogar eine kleine Erinnerung an sein Volksbühnenmarkenzeichen von anno dunnemals, den Kartoffelsalat, gönnt sich Castorf, wenn sich Alberich selbst den Senf für die Würste auf die Brust schmiert. Alberich als ganz spezielles Würstchen. Aber das funktioniert, weil es spielerisch auf leichten Sohlen durch die Hintertür der Assoziationen daher kommt. Amüsant ist auch, wenn man der einen Rheintochter von den Lippen ablesen kann, was Wotan ins Telefon zurückbrüllt, nachdem sie den Verlust des Rheingoldes vermeldet hatte. „Du spinnst wohl“ sagt sie. Und man fragt sich, wie wohl Wotans Kommentar zu der Verlustmeldung war…

Der Auftritt von Erda wird bei der dunkel strömenden Nadine Weissmann zu einem erotischen Kabinettstück. Sie legt ihren weißen Pelz ab und haucht im eleganten Glitzerfummel Wotan so erotisch etwas von seinem bevorstehenden Ende ins Ohr, dass der sofort für diese Schönheit entflammt und sie noch an Ort und Stelle (dass die Gattin auch im Motel ist, ist ihm völlig egal) verführt. Oder sich verführen lässt. Was man so noch nie gesehen hat. (Hier haben wir endlich einmal gesehen, dass Brünnhilde auch nicht vom Klapperstorch gebracht wurde…)

In diesem Golden Motel treiben sich aber auch noch andere zwielichtige Gestalten herum, die sonst im Rheingold nicht vorkommen. So gibt es einen beflissenen Tankwart und Barkeeper und eine Zombiehippietruppe, die auch beim Goldverladen hilft. Und es gibt sogar dieses Gold, mit dem Freia ausgelöst wird. Schön amerikanisch in Barrenform. Damit wird die von Fasolt in schwarz-rotes Latex-Outfit verfrachtete Freia auf dem Bettgestell tatsächlich verdeckt. Es gibt auch eine richtige Schlange (Vorteil der Filmtechnik), die im Nibelheimwohnwagen (den der zwar ölschwarz angemalte, aber stimmlich blasse Mime von Burkhard Ulrich hütet) über das Gold kriecht. Und auch eine richtige Kröte, die ebenda quakt. Und es gibt sogar ein richtiges Ring-Schmuckstück für den machtgierigen Finger.

Doch wenn die Götter in Walhall einziehen, dann ist das die pure Illusion. Nur ein Durchatmen in der Hitze der Südstaatenacht auf dem Dach von Motel und Tankstelle. Zur musikalischen Behauptung der Götterburg bringt Castorf Loges Zweifel am guten Ausgang, sein „ihrem Ende eilen sie zu“, auf den Bilderpunkt. Wenn Norbert Ernst als auch stimmlich eher windiger als diabolischer Papparazzo-Typ im roten Anzug und mit schwarzer Lockenperücke am Ende wieder einmal mit seinem Feuerzeug spielt und beinahe die Tankstelle in Luft jagt, dann ist das illustrierend. Wenn dann aber das Wahlhallmotiv vom Klagen der Rheintöchter unterbrochen wird, und man die drei famosen Frauen auf dem Riesenbildschirm überm Motel unter Wasser sieht, dann konterkariert dieses Bild die Musik. Ob sie nur entspannt tauchen oder ihnen womöglich für immer die Luft ausgeht, ist nicht ganz auszumachen. Eine prachtvolle Götterburg oder was auch immer Zuhältertypen wie dieser Südstaaten-Wotan aus den 60ern dafür halten, sieht jedenfalls anders aus. Und eine Auftaktkatastrophe oder von Anfang an verfahrene Ring-Kiste auch.

FAZIT

Roberto Becker | Festspielhaus Bayreuth am 26.7.2013

Kurier

Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Er kam nicht. Im Publikum brüllte einer seinen Namen, es klang wie: Komm raus und schau, was du angerichtet hast. Aber Frank Castorf kam nicht raus, keine Verbeugung, die Buhs liefen ins Leere. Und natürlich begann sofort die Diskussion, ob es da eine Bayreuther Tradition gibt, nach der sich ein „Ring“-Regisseur erst nach der „Götterdämmerung“ zu verbeugen hat. Falls es diese Tradition tatsächlich gibt (und dass das möglich ist, sagt viel über Bayreuth), hätte Castorf sich immerhin an diese eine gehalten.

Ein paar Zuschauer hatten das Ende der Aufführung auch gar nicht abwarten wollen, und weil das „Rheingold“ keine Pause hat, gingen sie eben mittendrin.

Dabei hat Castorf – bis jetzt – gar nichts angerichtet. Nichts schlechtes zumindest. Ganz und gar nichts schlechtes.

Er hat sich nur eben vor dem „Rheingold“ auch nicht verbeugt. Er verweigert sich der Geschichte, die die Oper erzählen soll. Stattdessen erzählt er eine andere: die die eigentliche Geschichte in sich trägt. Und erstaunlicherweise funktioniert das – zumindest am Vorabend – wunderbar.

„Das Rheingold“ ist die zweite Premiere der Bayreuther Festspiele 2013 – und die erste echte. In diesem Jahr. Und zugleich seit langer Zeit. Es ist natürlich wie immer zu früh, den „Ring“ schon jetzt für geglückt oder gescheitert zu erklären. Im „Rheingold“ aber hat Castorf Wort gehalten: Er hat hier nicht einfach nur die Handlung neu bebildern lassen, ausgehend von einem – im Idealfall vorher noch nicht gedachten – Gedanken. Er hat auch gleich eine neue Erzählweise gefunden.

Und eine neue Sprache. Das gab es in Bayreuth zuletzt bei Christoph Schlingensiefs „Parsifal“, bei einem „Ring“ aber noch nie. Und deshalb könnte – könnte! – dieser „Ring“ eines Tages womöglich wirklich als epochal gelten. Epochal für Bayreuth.

Denn dass Castorf seine Liebe für Videoprojektionen auf der Bühne nicht erst in Bayreuth entdeckt hat, dass er den halbernsten Ton, in dem er das „Rheingold“ erzählt, nicht erst hier entwickelt hat, ist kein Geheimnis. Dieses „Rheingold“ spielt in einem Motel im Texas der 60er Jahre, das Motel steht auf einer Drehbühne, und über die Kamerabilder auf der Videoleinwand kann der Zuschauer auch das sehen, was er eigentlich nicht sehen kann. Keine Geheimnisse, radikalstmögliche Offenheit. Neu ist das alles nur noch auf der Bayreuther Bühne. Aber – und nur das ist wichtig – es funktioniert. (Und dass Castorfs Erneuerungsring ausgerechnet in den 60er Jahren beginnt, ist vielleicht auch im Blick auf die Bayreuther Inszenierungsgeschichte eher kein Zufall).

Der Schauplatz: eine Tankstelle an der Route 66, ein System, dessen Fundament auf der Ausbeutung der Natur funktioniert, das Gegenteil von Nachhaltigkeit, und um genau diese zynische Weltsicht geht es bei Castorf: Wenn auch Macht nicht ewig währt, wozu dann Rücksicht nehmen?

Ausgangspunkt seiner Szenerie ist nicht der Anfang der Welt, sondern die grenzenlose Langeweile dreier Frauen und eines Mannes mit prächtigem Backenbart am Swimming Pool. Es ist eine Geschichte in Anekdoten, sie handeln von nichts, und genau das macht ihre Bedeutung aus.

Später liegt Wotan mit Fricka und Freia im Bett. Loge sieht drunten in der Tankstelle nach, wie man am besten nach Nibelheim fährt. Und die Götter sind nur deshalb Götter, weil sie sich wie Götter fühlen.

Es ist ein „Rheingold“ ohne Magie in einer Welt ohne Liebe. Wotan hat weder Speer und Augenklappe. Walhall findet nur in den Köpfen statt. Der Raub des „Rheingolds“ taucht nur als Zitat auf, wenn Woglinde im Nixen-Outfit am Rand des Pools sitzt und in der dritten Szene Mime verführen will, der aber lieber Goldbarren stapelt.

Nicht nur Alberich, auch Frank Castorf hat hier die Liebe verflucht.

Und auch der Ring ist nur ein Zitat – es gibt ihn, aber er wird nicht gebraucht. Andere unterdrücken und ausnutzen, das schaffen Castorfs Figuren auch allein.

Und dann bricht Castorf sein eigenes Muster auf – denn einen voll funktionsfähigen Tarnhelm gibt es doch. Wenn auch nur, um dem Publikum zu zeigen, dass Vertrauen auch dann nichts bringt, wenn es um ein Regiekonzept geht.

Aber das „Rheingold“ ist nicht nur Castorf, und das ist ein Glück. Denn dass Castorfs Deutung so schlüssig wirkt, liegt auch an Kirill Petrenko am Pult.

Petrenko hat aus der „Rheingold“-Musik die Farbe herausgedreht. Da ist kein Schwelgen, kein Zurücklehnen, diese Musik ruht nicht in sich selbst. An diesem Abend klingt das „Rheingold“ bitter. Die Kanten der Musik sind schärfer, die Bläser blitzen grell heraus. Was da aus dem Graben heraufklingt, ist keine schöne Musik. Es ist hochspannendes Musikdrama. Musik mit Schatten, mit Gräben.

Wie schon beim „Holländer“ sind die Sänger ausnahmslos glänzend besetzt: Wolfgang Koch passt als Wotan ideal zu dieser Deutung: denn ein prächtiger, strahlender Gott ist er auch stimmlich nicht. Es steckt viel Dunkelheit, viel Alberich in diesem Wotan, und diese Verbindung beherrscht Koch bei seinem Rollendebüt fabelhaft. Den Alberich gab Martin Winkler, Mime war Burkhard Ulrich, der Loge Norbert Ernst. Fasolt und Fafner sangen – fabelhaft – Günther Groissböck und Sorin Coliban.

Der Applaus für die Sänger war einhellig und lang, Claudia Mahnke als Fricka, Elisabet Strid als Freia und Mirella Hagen, Julia Rutigliano und Okka von der Damerau als Rheintöchter harmonierten glänzend und wurden lautstark gefeiert.

Und natürlich stellt Castorf mit diesem „Rheingold“ die Grundsatzfrage, die die Festspiele mit Blick auf das Publikum – zur Zeit vor der Brust hat, die Frage nach dem künstlerischen Kurs. Worum soll es gehen auf dieser Bühne? Um die Gegenwart, die Zukunft oder die Ewigkeit?

Die Ewigkeit scheint Castorf jedenfalls reichlich egal zu sein.

Florian Zinnecker | 27.07.2013

nmz.de

Die von der Tankstelle

Auch die Welt des „Ring“ ist global geworden. Frank Castorf, Chef der Volksbühne am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz, siedelt den Vorabend von Wagners Bühnenfestspiel an der Route 66 in den Vereinigen Staaten an. Im weiteren Verlauf der Neudeutung soll das Erdöl an die Stelle des Goldes treten. Aber auf davon ist in der „Rheingold“-Handlung noch wenig zu spüren. Spielte Wieland Wagner den „Ring“ auf der Scheibe, so ist es bei Castorf die Drehscheibe, auf der Bühnenbildner Aleksandar Denić ein Motel mit Tankstelle, Shop und Swimmingpool ansiedelt, das „Golden Motel“.

Die Kostüme der Brasilianerin Adriana Braga Peretzki, mit viel Paillettenstoffen, Nerz und Latex, machen deutlich, dass wir uns in den 70er-Jahren befinden. Wie so häufig in seinen Inszenierungen, setzt Castorf mehrere Live-Kameras ein. Die in rascher Schnittfolge (Andreas Deinert und Jens Crull) entstehenden Bilder von Personen in allen, auch dem Zuschauer direkt nicht sichtbaren Segmenten des Bühnenraums werden auf einen gigantischen, durchsichtigen LED-Screen über dem Dach des Motels projiziert. Ungeachtet ständiger Achsensprünge, sind diese Aspekte zumeist spannender als die Sicht auf die komplette Bühne. Bisweilen werden aber auch nur Fotos abgefilmt, vornehmlich von Proben (etwa daran ersichtlich, dass Fafner noch keinen Vollbart hat).

Die Rheintöchter hängen ihre Reizwäsche zum Trocknen auf einen Drehständer und grillen penisartige Würste. Ihr Neckspiel mit dem glatzköpfigen, zunächst unter der Decke eines Liegestuhls verborgenen Alberich, erfolgt auch kaum im Wasser. Alberich ist offensichtlich schwul. Er liebkost eine gelbe Spielzeugente, die er später im Bassin schwimmen lässt; dann schmiert er sich die Brust mit Senf ein, zieht schließlich eine Goldfolie aus dem Pool und legt sich diese um. Feuergott Loge blitzt davon schon mal einige Fotos, die er später dem Upper Class Chef Wotan, im rosa Smoking mit Goldkettchen, vorlegt.

Über den Verlust ihres Goldes sind die Rheintöchter offenbar wenig traurig, sie vergnügen sich an der Bar und dann im Motelbett, amüsieren sich über eigene Videos und machen später im Cabriolet eine Spritztour. Anfangs liegt Wotan mit seinen üppigen Frauen Fricka und Freia gemeinsam im Bett, aber der Dreier wird gestört durch die Ankündigung der Riesen. Freia packt ihren Koffer, sie will fliehen, aber auch die Waffengewalt von Donner und Froh verhindert nicht, dass die beiden schwarz gewandten Riesen mit Baseballschläger und Eisenstange im Verkaufsraum der Tankstelle randalieren und Freia dann kidnappen.

Wie Alberich zu seinem Reichtum an Goldbarren kam, den er in einem Wohnwagen hortet, bleibt unklar. Außer seinem Bruder Mime gibt es hier keine dienstbaren Nibelungen. Auf der Filmebene fließt auch Märchenhaftes ein (die Verwandlungen Alberichs in Schlange und Kröte) aber viele Szenen auf der Bühne sind extrem reduziert. So werden Alberich und Mime für ihre Szene an Masten gefesselt, an welchen sie spielunfähig sind, und bei seinem Fluch sitzt Alberich, wie auch die Adressaten seiner Wut, Wotan und Loge, gemütlich in den Liegestühlen des Motels an Amerikas alter Mother Road. Auf der Filmebene allerdings schlägt Castorf, wenn Alberich dabei vom erhofften Würger singt, den Bogen zu Hitchcocks „Psycho“.

Mime hisst eine Regenbogenfahne vor der Tankstelle, in deren Verkaufsraum dann auch prompt eine Gay Party steigt. Er entflieht mit einigen Goldbarren, andere landen im Bassin, wo sie an der Oberfläche schwimmen. Das Motelbett wird von den Riesen auf die Straße geworfen, Freia auf das Bretterrost gelegt und mit Barren zugedeckt. Erda kommt als Diva im Goldpaillettenkleid und weißem Nerz vorbei; Wotan geht ihr sofort an die Wäsche, küsst sie lange und leidenschaftlich.

Am Ende hat Donner seine zuvor schon als Hammer apostrophierte Pistole tatsächlich gegen einen langstieligen Hammer ausgetauscht, mit dem er auf dem Dach des Motels operiert, die Regenbogenfahne flattert im Wind und in einem vorproduzierten Film schwimmen die Rheintöchter in Zeitlupe lustig in unter Wasser, während ihre Anklage der Götter aus dem Off ertönt.

Der Abend lebt von der Kraft seiner Bilder – den räumlichen Erfindungen des Aleksandar Denić, wie von jenen auf dem Video Screen, und im Sinne eines Vorabends macht er durchaus Lust auf die Fortsetzung dieser Zeitreise im außerdeutschen Kulturkreis. Die Sängerdarsteller spielen engagiert, die weiblichen überzeugen stimmlich durch die Bank, die männlichen nur partiell. Martin Winkler als Alberich hat Aussetzer in seiner Partie, Wolfgang Koch als Wotan bleibt vorwiegend blass. Großartig hingegen Sorin Colibran als Fafner und Günther Groissböck als Fasolt. Prächtige Charakterbilder liefern Oleksandr Pushniak als Möchtergern-Cowboy Donner und Lothar Odinius als Froh.

Loge, der gerne mit einem Sturmfeuerzeug zündelt (was an der Tankstelle nicht ungefährlich ist) ist hier ein italienischer Einwanderer-Strizzi im roten Jackett; demgemäß gestaltet ihn Norbert Ernst vorwiegend mit Italianitá, was ihm beim Schlussapplaus auch einige Buhrufe einbringt. Großartig in Spiel und Gesang die auch optisch dem Sexappeal der Siebzigerjahre entsprechenden Rheintöchter von Mirella Hagen, Julia Rutigliano und Okka van der Damerau, kaum zu übertreffen durch die stimmkräftigen Solistinnen Claudia Mahnke als Fricka, Elisabet Strid als Freia und die profunde Nadine Weissmann als Erda.

Bei derart optischer Dominanz und Nahaufnahme wird das musikalische Fundament leicht zweitrangig, aber Dirigent Kirill Petrenko zeigt sich im besten Sinne als ein Diener der szenischen Deutung – wie dies bereits Richard Wagner für Bayreuth vorschwebte. Nie zuvor klangen die 18 Ambosse so hell, mehr gedeutet als eine touristische Glockenspiel-Attraktion denn als Fließbandfabrikation von Goldprodukten. Während die Upper Class optisch auf dem Dach des Motels verbleibt, evoziert Petrenko den Einzug der Götter in Walhall enorm und schafft in den letzten Takten eine ungeahnte Steigerung – leider störte ein Trompetenkickser die emphatische Des-Dur-Wirkung des Schlusses.

Sogleich nach dem Verklingen setzte ein Buh- und kontrastierender Bravosturm ein. Auch Rufe, wie „Castor raus!“ und Pfiffe waren zu hören, als klar wurde, dass sich das Regieteam nach dem Vorabend noch nicht dem Publikum stellen wollte. Und nach nur 25 Vorhängen war der Applaus vorbei.

Peter P. Pachl | 27.07.2013

Rating
(6/10)
User Rating
(3/5)
Media Type/Label
Premiere, PO
Technical Specifications
256 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 273 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast from the Bayreuth festival
A production by Frank Castorf (premiere)
This recording is part of a complete Ring cycle.