Das Rheingold
Kirill Petrenko | ||||||
Orchester der Bayreuther Festspiele | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Wotan | Wolfgang Koch |
Donner | Markus Eiche |
Froh | Lothar Odinius |
Loge | Norbert Ernst |
Fasolt | Wilhelm Schwinghammer |
Fafner | Sorin Coliban |
Alberich | Oleg Bryjak |
Mime | Burkhard Ulrich |
Fricka | Claudia Mahnke |
Freia | Elisabet Strid |
Erda | Nadine Weissmann |
Woglinde | Mirella Hagen |
Wellgunde | Julia Rutigliano |
Floßhilde | Okka von der Damerau |
Im falschen (?) Film gelandet
Da habt Ihr Euer Festspiel! scheint Frank Castorf dem Publikum, breit grinsend, zuzurufen. Doch Götter und Riesen sucht man vergebens, allenthalben Zwerge findet man, weniger in Hinblick auf die Körpergröße, als im übertragenen Sinne: Lauter Gestrandete an einer heruntergekommenen Tankstelle mit angeschlossenem Motel an der legendären Route 66 – einst Straße der Träume von Chicago nach Los Angeles, seit dem Bau der geradlinigen Interstate Highways zur Bedeutungslosigkeit verkommen. Hier, offenbar im nördlichen Zipfel von Texas, lungern drei spärlich bekleidete und vermutlich käufliche Damen mit einem Südstaaten-Proletarier im Unterhemd am winzigen Pool herum (die Rheintöchter und Alberich), während sich oben ein schmieriger, offenbar nicht ganz mittelloser Typ mit zwei Frauen im Bett vergnügt (Wotan mit Fricka und Freya). Zwei Schlägertypen mit Stemmeisen und Baseballschläger sorgen für Unruhe und wollen Schulden eintreiben (Fasolt und Fafner). Auf der Drehbühne ist das alles ziemlich detailgetreu gezeigt, zumal mit Live-Kameras alles gefilmt und direkt großformatig gezeigt wird – so nah ist man dem Rheingold-Personal in Bayreuth bisher noch nicht gekommen, und die Kameras zeigen gleich auch noch, was in den Nebenräumen passiert.
Man wähnt sich also im Film, wenn auch im möglicherweise falschen: Über Wagners Musik hat die Regie als zusätzliche Schicht ein B-Movie gelegt. Es ist gar nicht mal so, dass Castorf sagt: Eure Wagner-Riesen, das sind heute doch nur noch brutale Kleinganoven, die gerade einmal den Aufstieg vom verschwitzten Blaumann zum Nadelstreifen-Anzug (billigstes Modell) schaffen. Das sagt er zwar auch (und eine ganze Reihe von Details finden ihre zeitgemäße Entsprechung), aber in erster Linie setzt er, im Vertrauen auf Wagner-Sicherheit des Festspielpublikums, seinen eigenen „billigen“ Bilder gegen die „echte“ Musik. Die Erinnerungen, die man von anderen Inszenierungen im Kopf hat, oder auch die Modellvorstellungen von einer Götter-Riesen-Märchenwelt, sind als zusätzliche Ebene sicher mit einkalkuliert. Und bei aller filmischen Genauigkeit ist die Verfremdung, da bleibt Castorf seinem Brecht treu, ein nicht unwichtiges Stilmittel, etwa wenn die Kameras mehr und mehr ins Bild geraten. Riefe jemand, wie das ja mit Blick auf das deutsche Regietheater im Ausland gelegentlich der Fall sein soll, laut: „Trash!“ , Castorf würde wohl, schon wieder grinsend, ein „Bingo!“ entgegnen.
Beim Publikum der hier besprochenen Aufführung überwog, zumindest dezibelmäßig, die Zustimmung. Das ohnehin vom Stück her bereits temporeiche Rheingold bietet genug Anknüpfungspunkte, die Castorf aufgreift, und es ist schon, ja: cool, wie lässig er mit manchen Konventionen umgeht. Alberichs „Festnahme“ ist fast aufreizend konventionell erzählt, wobei die Verwandlung in Wurm (hier eine Schlange) und Kröte dank der Videotechnik einfach ins Innere eines Wohnwagens verlegt ist – da wird die klassische Theatermaschinerie von der schönen neuen Fernsehwelt schnöde ausgetrickst. Alberichs Fluch nach voran gegangenen Kampf um den Ring aber spult Castorf provokativ gelangweilt ab: Da sitzen Alberich, Loge und Wotan ganz unaufgeregt nebeneinander im Liegestuhl. Der Machtkampf ist ohnehin entschieden und der underdog Alberich chancenlos. Wozu dann den Liegestuhl verlassen?
Oleg Bryjak als kraftstrotzender Alberich ist die einzige wesentliche Neubesetzung gegenüber dem Premierenjahr – weder besonders tonschön noch intonationssicher, aber was bedeutet das schon angesichts einer Rollenauslegung, die viel mehr wuchtige Präsenz einfordert, die Bryjak auch jederzeit liefert. An der miserablen Textverständlichkeit dagegen müsste er unbedingt arbeiten. An Stelle von Günther Groissböck singt Wilhelm Schwinghammer einen schlanken, zupackenden und durch und durch zuverlässigen Fasolt. Neu ist auch Markus Eiche als solider, nicht allzu auffälliger Donner. Ansonsten ist das Rheingold-Personal gleich geblieben, ein Ensemble ohne Ausfälle, auch ohne ganz große Glanzlichter – wobei immerhin Wolfram Koch einen sehr sicheren Wotan gibt, der auch die heiklen Höhen beim Anblick Walhalls in der zweiten wie in der vierten Szene sicher und kraftvoll, nicht kraftmeiernd, und „rund“ im Klang stemmt.
Norbert Ernst ist ein sicherer, in seinen Ariosi nicht allzu gesanglicher und insgesamt eher zurückhaltender Loge, Burkhard Ulrich ein prägnanter, hell charaktertenoral timbrierter Mime, Sorin Coliban ein solider Fafner. Claudia Mahnke (Fricka) und Elisabeth Strid (Freia) akzeptable, stimmlich nicht allzu charakteristische Gespielinnen Wotans. Mirella Hagen, Julia Rutigliano und Okka von der Damerau liefern ein quirliges Rheintöchterterzett, Nadine Weißmann mit nicht uninteressant eingedunkelter, aber leicht flackernder Stimme eine etwas unausgeglichene Erda im weißen Pelzmantel, Lothar Odinius einen lyrischen, leichtgewichtigen Froh.
Für die musikalischen Höhepunkte sorgen das ausgezeichnete Festspielorchester und Dirigent Kirill Petrenko mit einer klar strukturierten, flüssigen, immer sängerfreundlichen Interpretation, sehr genau im Detail gearbeitet und mit faszinierenden Klangfarben. Petrenko dirigiert kleinteilig, ohne die großen Bögen zu unterschlagen, reagiert sehr flexibel auf die vielen Wendungen, unterstreicht den vorherrschenden Parlando-Grundton, und entwickelt trotzdem Kraft in den symphonischen Entwicklungen wie dem sehr transparenten, glasklar musizierten Vorspiel, dem Abstieg nach Nibelheim oder dem Einzug nach Walhall im Finale. Das wirkt ungeheuer konzentriert und auf den Punkt gebracht, und es passt zur Inszenierung, ohne an Eigenständigkeit zu verlieren.
FAZIT
Ein boshafter, durchaus vielversprechender und orchestral glanzvoller Auftakt zum Ring mit ordentlichen Sängerleistungen.
Stefan Schmöe | Festspielhaus Bayreuth am 10. August 2014
Oleg Bryjak beeindruckt in Frank Castorfs auffälligem, flitterhaftem und allgemein rätselhaftem Rheingold
Als Frank Castorfs Inszenierung des Ring des Nibelungen im letzten Jahr zur Bayreuther Zweihundertjahrfeier erschien, gab es einen Aufschrei entrüsteten Protests. Das hat in das Publikum aber nicht davon abgehalten, das Bayreuther Festspielhaus diesem Jahr bis auf den letzten Platz zu besetzen. Ich werde für den gesamten Zyklus hier sein und werde meine Gedanken zu Castorfs Arbeit auf die verschiedenen Kritiken verteilen.
Beginnen möchte ich aber mit dem wenig kontroversen Teil der gestrigen Vorstellung des Rheingolds, nämlich dem Gesang und der musikalischen Umsetzung. An erster Stelle muss hierbei Oleg Bryjak stehen, der einen sensationellen Alberich sang. Ausgehend von einer Stimme, die in allen Lagen voll und kräftig ist, gelang Bryjak ein ganz außergewöhnliches stimmliches Schauspiel, als er seine Stimme mit maßlosem Stolz, Bosheit, roher Wut und völliger Verzweiflung färbte. Die herausragende Frauenstimme des Abend gehört Nadine Weissmann als Erda, mit absoluter Autorität und üppigem Timbre.
Norbert Ernsts Loge war musikalisch sehr gut, jedoch fehlte der Charakterisierung der letzte Schliff. Die Rolle der Fricka bietet im Rheingold nicht allzu viel Gestaltungsspielraum, aber Claudia Mahnke sang sie ungewöhnlich stark, was im zweiten Akt der Walküre an diesem Abend so einiges erwarten lässt. Im hohen Niveau des Rheintöchter-Trios beeindruckte besonders Okka von der Damerau als Floßhilde. Wolfgang Kochs Darstellung als Wotan hingegen hatte Höhen und Tiefen: bei manchen der hohen Töne war seine Stimme durchaus aufregend, doch schien es ihm an Kraft zu, besonders in den tieferen Lagen.
Einen generellen Kritikpunkt am Gesang aber gibt es, denn die Aussprache war durch die Bank schlecht. In Bayreuth werden keine Übertitel gezeigt, darum möchte man doch annehmen, dass die Sänger sich in der Artikulation ihrer Worte besondere Mühe geben – vor allem, wo sie dabei doch einige Unterstützung durch die Akustik des Festspielhauses bekommen, die den Orchesterklang zugunsten der Stimmen unterdrückt. Man hoffte vergebens. Diese Akustik ist auch dafür bekannt, dass sie es dem Dirigenten schwer macht, eine gute Balance der verschiedenen Orchesterelemente zu schaffen. Für Kirill Petrenko aber schien das überhaupt kein Problem zu sein, und der Orchesterklang war exzellent: zügig, aufregend und klar.
Nun aber zu Castorfs Inszenierung. Aleksandar Denićs einziges, mehrstöckiges Bühnenbild ist sicherlich eindrucksvoll. Die Handlung findet in einem billigen Texas-Motel statt, das gleichzeitig Tankstelle, Bar und Bordell ist. Alles ist auf einer Drehscheibe montiert, und wir können das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten: das Schwimmbecken auf der Rückseite dient als Rhein, die Rheintöchter sind Prostituierte; die Götter sind Kleinkriminelle, die wir zunächst durch die Balkontür eines Schlafzimmers im Obergeschoss sehen; Fafner und Fasolt sind Automechaniker, die sich daran machen, die Bar im Erdgeschoss auseinanderzunehmen. Viele der Kostüme sind grellbunt, von Loges rotem Anzug über Freias Gummikreation zum goldenen Lamé-Anzug für Mime, der genauso gut Terry Pratchetts Feucht von Lipwig gehören könnte.
Über dem Dach ist ein großer Videobildschirm installiert, der überwiegend Nahaufnahmen der live-Handlung in verschiedenen Bühnenarealen zeigt, einschließlich derer, die uns derzeit verdeckt sind, doch sie schließt all diejenigen aus, die zu dieser Zeit singen. Einige der Kameramänner bewegen sich auf der Bühne – anscheinend ereignet sich alles unter dem strengen Blick der zudringlichen Medien. Ein überwältigendes Gefühl von Schäbigkeit durchdringt die Handlung. Was aber, mag man sich fragen, hat all das mit dem Rheingold zu tun?
Wenn man ein wenig die Presseberichte über Frank Castorf durchstöbert, so wird klar, dass er sich selbst als schlimmen, anti-autoritären Jungen sieht – etwas, das er seiner Erziehung im ehemaligen Ostdeutschland zuschreibt. Bei jedem Stück, mit dem er sich beschäftigt, ist sein erste Impuls, es zu dekonstruieren und sich „mit einer Handlung durch Raum und Zeit zu bewegen, wie es meiner Lust entspricht.“ Für den Ring machte Kirill Petrenko deutlich, dass das keine Option ist und bei der Partitur Werktreue gehalten werden soll. Und genau hier liegt das Problem:
Seine Beschäftigung mit dem Ring hat bei Castorf Unmengen Ideen ausgelöst. Neben dem eigentlichen Verlauf gibt es einiges an zusätzlicher Handlung, die in keinster Weise im Libretto gründen. Dazu gehört die Szene, in der die Rheintöchter in Wotans Mercedes davon fahren, während der sie verfolgt; der flotte Dreier von Wotan, Fricka und Freia; Loge, der Mime und Alberich an einen Laternenmast fesselt; Mime, der die Südstaaten-Flagge abnimmt und durch eine regenbogenfarbene ersetzt – um nur ein paar zu nennen. Castorf hat also eine handvoll Szenen geschaffen, die ihn interessieren, und sie optisch auffällig umgesetzt. Durch die Tatsache, dass nebenbei noch eine Vorstellung des Rheingolds stattfindet, ist er aber in seinen Möglichkeiten, diese Szenen auch nur ansatzweise verständlich zu machen, stark eingeschränkt.
Abgesehen von den offensichtlichen Gleichstellungen Götter = Gangster und Rheintöchter = Prostituierte habe ich es noch nicht geschafft, auch nur eine dieser szenischen Ideen sinnvoll mit der eigentlichen Handlung zu verbinden. Mit einer Beurteilung möchte ich aber warten, bis ich mehr vom Zyklus gesehen habe – morgen geht’s weiter…
David Karlin | 23 August 2014
“Götter-Soap und Gangsterkomödie – „Das Rheingold“ bei den Bayreuther Festspielen
Der Vorabend des „Ring des Nibelungen“ ist Frank Castorf im Bühnenbild von Aleksandar Denić und in ungewöhnlichen Kostümen von Adriana Braga Peretzki bereits im Vorjahr besonders aktionsreich gelungen. Hier wurde in diesem Sommer Einiges modifiziert, zugleich aber mit noch mehr Spielmomenten angefüllt, deren Details von Kameras live auf einen beiderseitig bespielbaren, gigantischen LED-Monitor auf dem Dach des Spielorts übertragen werden. Vieles wird beim zweiten Sehen klarer, und wenn sich der Betrachter erst einmal auf die ungewöhnliche Sicht- und Erzählweise eingelassen hat, bereitet sie durchaus Vergnügen.
Problematisch bleibt Castorfs Ansatz, das Golden Motel an Amerikas alter Mother Road auf der Drehscheibe als allumfassenden Topos des Geschehens zu behaupten, der die Spielorte am Grunde des Rheins, auf lichten Höhen und die unterirdischen Klüfte von Nibelheim zugleich symbolisieren soll. Deshalb wurde in diesem Jahr auf die Spitztour der Rheintöchter in Wotans vor der Tankstelle geparktem schwarzen Mercedes verzichtet. Dem System der Einheitlichkeit des Ortes widerspricht jedoch, dass die Riesen mit Freia die Drehscheibe ebenso verlassen, wie dass Mime sich einige Goldbarren nach außerhalb der Bühne rettet und dass auch Erda das Motel erst kurz vor ihrem Auftritt von außerhalb der Drehscheibe betritt.
Inkonsistenzen
Dramaturgisch besonders fragwürdig ist Nibelheim durch ein unförmiges Wohnmobil gelöst, ergänzt durch eine nur in der Projektion sichtbare Besenkammer des Hotels, in welcher Alberich die Stapel schwimmender Goldbarren aufbewahrt. Wenn Wotans und Loges Weg nach Nibelheim entfällt, so wird auch deren in der Partitur gezeichnete Wanderung durch Nebelklüfte, deren Annäherung an die Nibelungen-Werkstatt geschlagener Ambosse auf dem Hinweg und das Passieren beim Verlassen Nibelheims dramaturgisch überflüssig. Und wenn Wotan die Macht besitzt, die beiden Nibelungen bereits vor der körperlichen Überwindung des Alberich Tüten über den Kopf stülpen und an Masten fesseln zu lassen (an denen dann die Szene zwischen den Brüdern gezwungenermaßen aktionslos gesungen wird), dann lässt dies die ganze Überlistung, inklusive der Verwandlung Alberichs in Schlange und Frosch (hier per Video-Überblendung mit vorproduzierten Aufnahmen) entbehrlich erscheinen.
Betont unterkühlt verlaufen die Verhandlungen zwischen Wotan, Berater Loge und dem besiegten Alberich – auf Liegestühlen; Alberich muss zu Wotans Stuhl kriechen, damit der ihm den Ring abziehen kann. Zu Alberichs Fluch sind auf dem Screen seine Rache-Vorstellungen als Stills á la Hitchcock zu erleben.
Grell blinken nun bei Freias Entführung deren Top und Hosenbeine (als Ausdruck ihrer Verzweiflung?). Danach haben die beiden Riesen offenbar Freia besessen, denn sie kehrt, in Latex gewandet, mit ihnen zurück.
Gegenüber dem Vorjahr perfektioniert erscheint die Livekamera-Projektion, gemischt mit abgefilmten Stills und den vorproduzierten Tier- , so wie der abschließenden Schwimmsequenz (Video: Andreas Deinert und Jens Crull, Markus Heilmann, Maryvonne Riedelsheimer). Allerdings stört die sehr ungetreue Farbgebung im Rotbereich, da etwa das feuerrote Kostüm von Loge in der Projektion wie das Kostüm von Wotan wirkt.
Walhall ist nur kurz als TV-Report zu erleben, nachdem Wotan bei seinem Dreier mit den Schwestern Fricka und Freia durch ein Hilferuf-Telefonat der Rheintöchter unterbrochen wurde.
Die Rheintöchter überwinden den Goldverlust bei Cocktails, gemixt und im Hotelzimmer kredenzt von der hinzu erfundenen Figur des Tankstellenwärters und Barkeepers (Patrick Seibert), der nebenbei auch noch als Informant für Loge Fotos macht und gerne Sigurd-Comics liest. Gleichwohl muss der auch heftig einstecken durch die Proleten Fasolt und Fafner, die mit Brecheisen und Baseballschläger eine Fensterscheibe und den Verkaufsbereich der Tankstelle zerstören. Später, als der schwule Mime eine Berliner Regenbogenfahne gehisst hat, feiert der Tankstellenbetreuer – sichtlich unter Drogen – mit drei weiteren Ungenannten, die vordem als Nibelungen apostrophiert wurden, eine Gay Party.
Wotan geht Erda gleich an die Wäsche und küsst sie leidenschaftlich, die Verabredung Beider zu ihrer dann zwischen den Handlungen von Vorabend und erstem Tag stattfindenden Vereinigung wird deutlich.
Die ausgelassene Feier der dekadenten Götter-Gangstergesellschaft auf den Dächern des Motels feiert das ausgeflippte Lebensgefühl der frühen Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts, während vorproduzierte, verlangsamte Aufnahmen die Rheintöchter bei deren abschließendem Terzett („Traulich und treu ist’s nur in der Tiefe. Feig’ und falsch ist, was dort oben sich freut!“) unter Wasser schwimmend zeigen.
Dass die überbordend vielen Bilder zu einem Gesamteindruck reifen, das ist wohl in erster Linie dem Dirigat von Kirill Petrenko zu verdanken, der Wagners Partitur transparent, durchsichtig und ohne alle Schlacken interpretiert und dabei immer wieder Besonderheiten aufleuchten lässt, die gewöhnlich bei Aufführungen des Vorabends untergehen. Zu einem das 20. Jahrhundert vorwegnehmenden Klangmittel tönt Wagners bis dahin ungewöhnlichste Bühnenmusik der 18 geschlagenen Ambosse in dieser Produktion besonders nahe und glockenspielartig, vermutlich aus dem Orchestergraben selbst.
Ein deutlicher Gewinn ist die Neubesetzung des Alberich mit dem stimmgewaltigen, hinreißend agierenden Oleg Bryjak. Am Rande des Swimmingpools schläft er als fetter Fetischist in einem Liegestuhl und erwartet, von den als Supervixen gedressten Rheintöchtern ohne viel eigenes Zutun sexuelle Befriedigung zu erlangen. Die aber ziehen ihm eine ihrer Nylons über den Kopf, seine Hose aus und zwicken Wäscheklammern an seine Finger; doch sie lassen ihn unbefriedigt.
Alberichs Hauptfetisch ist eine Badeente, an der er leckt, wie am Schuh der Rheintochter. Frustriert stranguliert er die Badeente mit ihrer Schnur zum Ziehen, er flagelliert sich mit diesem Kinderspielzeug, später werden ihm von Wotan mit der Schnur des grellgelben Schwimmtiers die Hände gebunden.
Eine Bratwurst vom Grill kühlt er unter der Dusche, trinkt aus der Senfflasche und schmiert sich, als Ersatz für andere Körpersäfte, mit dem entengelben Senf die Brust ein, bevor er in den Pool schlüpft und vom Grund des Bassins eine Goldfolie klaut.
Wie er es schafft, aus diesem Liebes-Ersatzobjekt einen Schatz an Goldbarren, Ring und Tarnhelm zu fertigen, bleibt sein Backstage-Geheimnis.
Wolfgang Koch vermag als stets liebesbedürftiger Gangsterboss Wotan ebenso zu überzeugen, wie Sorin Colibran als Fafner und (neu besetzt) Wilhelm Schwinghammer als Fasolt, die trefflich charakterisierenden Sängerdarsteller Oleksandr Pushniak als Cowboy Donner und Lothar Odinius als hilfloser Anwalt Froh. Deutlich besser als im Vorjahr gestaltet Norbert Ernst den zündelnden Loge mit Pep und zarten Lyrismen, wobei er den Dialog mit Alberich wie eine Szene aus einer komischen Oper intoniert. Wieder faszinieren in ihrem durchgehenden Spiel die gesanglich einerseits höchst individuellen, im Zusammenklang aber sehr homogenen Rheintöchter von Mirella Hagen, Julia Rutigliano und Okka van der Damerau. Bei den stimmstarken Göttinnen triumphiert Nadine Weissmann als traumhaft schön singende Erda über die Fricka von Claudia Mahnke und die Freia von Elisabet Strid.
Die sogleich nach dem Verklingen einsetzenden Bravorufe wurden von einigen Buhs gekontert, aber dann gab es ausschließlich heftigen, den Sängerleistungen entsprechend differenzierten Applaus für alle Darsteller und insbesondere für den Dirigenten.
Peter P. Pachl | 28.07.2014
PO |
A production by Frank Castorf (2013)
This recording is part of a complete Ring cycle.