Das Rheingold
Marcus R. Bosch | ||||||
Staatsphilharmonie Nürnberg | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Wotan | Mikolaj Zalasinski |
Donner | Levent Bakirci |
Froh | David Yim |
Loge | Tilmann Unger |
Fasolt | Alexey Birkus |
Fafner | Nicolai Karnolsky |
Alberich | Antonio Yang |
Mime | Hans Kittelmann |
Fricka | Roswitha Christina Müller |
Freia | Michaela Maria Mayer |
Erda | Judith Schmid |
Woglinde | Ina Yoshikawa |
Wellgunde | Solgerd Isalv |
Floßhilde | Ksenia Leonidova |
Raubbau an der Natur
Derzeit wird an der Nürnberger Staatsoper Wagners „Ring des Nibelungen“ wiederaufgenommen. Den Anfang machte ein vom Publikum herzlich beklatschtes „Rheingold“. Sie ist schon immer wieder sehenswert, Georg Schmiedleitners im Bühnenbild von Stefan Brandtmayr und den Kostümen Alfred Mayerhofers angesiedelte Inszenierung. Diese ist in einem hochaktuellen Kontext angesiedelt.
Während des Es-Dur-Vorspiels wird von Schmiedleitner kein althergebrachter Entstehungsmythos aufgezeigt. Vielmehr wirft er einen kritischen Blick auf die praktisch bereits in den letzten Zügen liegende Welt. Den Ring begreift der Regisseur als Sinnbild für den Raubbau an der Natur und ihren lebensnotwendigen Ressourcen. Mit dieser Interpretation schlägt er gekonnt eine Brücke zwischen der Entstehungszeit von Wagners Musikdrama und unserer Gegenwart. Die Entrechtung der Natur und die Umwandlung eines Naturstoffes in eine Terrordiktatur wird hier in überzeugender Art und Weise thematisiert. Sinnbild dieser Diktatur ist das als Industrieanlage gedeutete Nibelheim, in dem Alberich in einem Chefsessel Platz nimmt. Zweiter Aspekt von Schmiedleitners ansprechender Konzeption ist der verantwortungslose Umgang der Menschen mit ihrer Umwelt. Die Bühne ist eine einzige große Müllhalde, gegenüber der die im Hintergrund aufragende naturalistische, aus grünen Pflanzen errichtete Naturwand das Nachsehen hat. Der Rhein wird von einem immensen Aufbau aus Chemikalienkanistern gesäumt. Solche bilden auch den Hort. Mit diesem Ansatzpunkt tritt der Regisseur gekonnt in die Fußstapfen von Robert Carsens legendärer Kölner „Ring“-Interpretation zu Beginn des Jahrhunderts.
Die Natur leidet unter dem pflichtvergessenen Verhalten des Homo sapiens, der langsam, aber sicher seinen eigenen Lebensraum zugrunde richtet – ein heikles Thema, dem man sich nicht mit Samthandschuhen nähern darf. Nichts liegt Schmiedleitner ferner. Jeglichem mythologischen, romantisch verklärenden Flair erteilt er eine klare Absage und wartet mit einer beklemmenden Gegenwartsstudie auf. Radikal und drastisch geht er dabei vor. Nachhaltig wird dem die Umwelt ausbeutenden, nur auf schnöden Mammon bedachten Menschen der Spiegel vorgehalten. Obendrein wartet er mit einem gehörigen Schuss an Kapitalismuskritik auf. Die modern gewandeten Götter erscheinen als ausgemachte Spießbürger, die vorerst noch zwischen billigen Ledermöbeln hausen. Mit dem Bau des als Modell eines griechischen Tempels gezeigten Walhall – hier trägt der Regisseur Wagners Vorliebe für Griechenland Rechnung – streben sie die höheren Weihen der herrschenden Klasse an. Ihr Ziel ist es, das niedere Bürgertum zu beherrschen. Diesem gehört auch der junge intellektuelle Brillenträger Alberich an, der zuerst noch Arbeiterkleidung trägt, im dritten Bild aber standesgemäß in einem schwarzen Anzug erscheint. Wenn die recht erotisch gezeichneten und verschiedenfarbige Glitzerkleidchen tragenden Rheintöchter den etwas unbedarft anmutenden jungen Mann zu Beginn grausam quälen und ihm neben der Jacke schließlich sogar die Hose vom Leib reißen, ist das ein Mitleid heischender Anblick. Alberichs Raub des Rheingoldes fasst der Regisseur demgemäß auch als Trotztat des Schwarzalben und durchaus verdiente Strafe für die sadistisch geprägten Mädchen auf.
Anhand von Wotan und Alberich werden von Schmiedleitner zwei entgegengesetzte menschliche Entwicklungsvarianten bei gleichem Ausgangspunkt aufgezeigt. Reichlich radikal und mit großem Nachdruck verfährt er dabei. Immer wieder findet der Regisseur Bilder von einschneidender Prägnanz. Freias Missbrauch durch die blau gekleideten (Bau-) Riesen gehört genauso dazu wie die Szene, in der Wotan dem von ihm und dem als androgynen Concierge gedeuteten Loge zuvor brutal mit Füßen getretenen Alberich den ganzen Finger samt dem Ring abschneidet. In puncto Brutalität steht der Göttervater dem Schwarzalben in nichts nach. Und wenn Mime, der Prügelknabe und Fußabtreter seines Bruders, während der ganzen dritten Szene präsent bleibt und später auch Alberichs Ring-Fluch beobachten darf, wird deutlich, dass der Regisseur mit Tschechow’schen Elementen umzugehen versteht. Auch die halbnackten, goldbemalten und mit Gasmasken ausgestatteten Nibelungen sind länger als von Wagner vorgeschrieben zu sehen. Diese aufrüttelnden Bilder vergisst man nicht so leicht.
Aber auch Schmiedleitners vorzügliche Personenregie bleibt im Gedächtnis. Stets ist auf der Bühne etwas los, Leerläufe stellen sich nirgendwo ein. Auf das Formen glaubwürdiger Charaktere versteht sich der Regisseur ebenfalls trefflich. Er ist der Ansicht, dass der aus lauter Getriebenen bestehenden Götter-Gesellschaft auf Dauer kein Bestand vergönnt sein wird. Das ist bereits am Vorabend der „Ring“-Tetralogie zu bemerken und betrifft in erster Linie die Götter. Jetzt schon scheint also die Götterdämmerung herauf zu dämmern, vor der die einen riesigen Federbusch auf dem Kopf tragende, aber im Gegensatz zur Premierenserie nicht mehr barbusig auftretende Erda nachdrücklich warnt. Dieser Aspekt wird durch zunehmend stärker hervortretende karikative Züge der meisten Handlungsträger noch intensiviert. Freia bildet indes eine Ausnahme. Mit ihr gewinnt die Inszenierung einen gehörigen Schuss an Psychologie. Sie ist mit einem transparenten weißen Gewand bekleidet, durch das man ihre Unterwäsche sieht. Fasolts Liebe zu der erotischen Göttin der Jugend wird dergestalt sinnfällig. Auch sie fühlt Zuneigung zu ihrem Entführer, der schließlich von Fafner mit einem kleinen Jagdmesser ermordet wird. Auf seinen Tod reagiert sie betroffen. Offenkundig wird, dass sie unter einem ausgeprägten Stockholm-Syndrom leidet. Das war alles sehr überzeugend und prägnant umgesetzt.
Fast durchweg zufrieden sein konnte man mit den gesanglichen Leistungen. In jeder Beziehung zu gefallen vermochte Antonio Yang, der als Alberich nachhaltig unter Beweis stellte, dass man dem Schwarzalben auch mit vortrefflich fokussierter, italienisch geschulter Verdi-Stimme und edlem Timbre bestens Herr werden kann. Darstellerisch war seine Leistung von großer Intensität geprägt. Eine hervorragende Leistung erbrachte auch Tilmann Unger, der einen kräftigen, frischen und dabei trefflich sitzenden sowie differenziert eingesetzten Heldentenor für den Loge mitbrachte. Vokal mit leidlich sitzendem Bariton passabel, wenn auch nicht außergewöhnlich schnitt Mikolaj Zalasinski als Wotan ab. Schade, dass er bei „Von des Rheines Gold hört ich raunen…“ einmal einen bösen Aussetzer hatte. Eine äußerlich elegante Fricka war Roswitha Christina Müller, die der Göttin der Ehe mit prächtigem, ausdrucksstarkem Mezzosopran auch stimmlich voll entsprach. Eine sehr erotische und recht gefühlvoll spielende Freia war Michaela Maria Mayer. Auch gesungen hat sie mit warmem, emotional angehauchtem Stimmklang phantastisch. Eine voll und rund klingende Altstimme brachte Judith Schmid für die Erda mit. Alexey Birkus war ein rund und sonor singender Fasolt, Nicolai Karnolsky ein markant klingender Fafner. Vielversprechend präsentierte sich der Donner von Levent Bakirci. Einen soliden Froh gab David Yim. Gute Stimmen wiesen die einen schönen homogen Gesamtklang bildenden Rheintöchter von Ina Yoshikawa (Woglinde), Leah Gordon (Wellgunde) und Ksenia Leonidova (Flosshilde) auf. Flach und überhaupt nicht im Körper sang Hans Kittelmann den Mime. Schauspielerisch war er besser.
Seit der Premiere hat GMD Marcus Bosch sein an Mendelssohn orientiertes Dirigat noch weiterentwickelt. Sehr differenziert, farben- und nuancenreich ging er ans Werk und entlockte der Staatsphilharmonie Nürnberg in flüssigen Tempi auch einfühlsame Zwischentöne. Indes war seine Auffassung von Wagners Werk nicht nur geschmeidiger und leichter Natur. Bei aller an den Tag gelegten Kammermusikalität betonte er zeitweilig auch die Ecken und Kanten der Musik, was seine Leistung recht abwechslungsreich erscheinen ließ. Ein gepflegter Konversationston ging Hand in Hand mit trefflicher Dramatik. Der Patzer der Trompete beim Schwert-Motiv am Ende hätte indes nicht sein müssen.
Ludwig Steinbach | 13.3.2017
A production by Georg Schmiedleitner (2013)
This recording is part of a complete Ring.